Freitag, 10. April 2020

Die ethische Rangfolge

Die Gesundheit der gesamten Gesellschaft zu schützen, ist gemessen an der
verfassungsgemäßen Entfaltung der individuellen Freiheit vorrangig. So ist die Klageabweisung im Eilverfahren durch den Bundesgerichtshof diese Woche im Hinblick auf  die Maßnahmen zur Eindämmung der Corona-Pandemie zu verstehen. Ein Bürger hatte Klage eingereicht, weil er sich deswegen in seinen Grundrechten wie Freizügigkeit und eines selbst bestimmtes Lebens vom Staat gegängelt fühlte.

Interessant ist dabei die Tatsache, dass das eine Nachricht unter vielen "Bad-News" war, die dann nicht weiter thematisiert wurde. Dabei ist die ethische Rangfolge in Demokratien de jure immer wieder eine Modell-Diskussion. Ganz wie bei der Frage, ob die Staatsmacht angesichts einer zu erwartenden hohen Zahl an Todesopfern im Zentrum einer Großstadt den Befehl zum Abschuss eines von Terroristen wie bei Nine Eleven entführten Passagier-Flugzeuges geben darf...

Die aktuellen Werte der Befürwortung aller politischen Maßnahmen durch uns Bürger stellt die ethische Rangfolge ja noch nicht in frage. Aber diese Werte werden sich schnell verändern, wenn die Pandemie selbst bei Verbesserung der Fallzahlen so lange dauert, wie befürchtet.

Dass große Wirtschaftsunternehmen ihren Betrieb auf Kurzarbeit herunter schrauben müssen und Kleinunternehmer in die Insolvenz geraten, wäre ohne explosionsartig wachsende Arbeitslosenzahlen noch eine Zeit lang hinnehmbar - beziehungsweise durch Hilfsfonds abzupuffern. Aber dann!

Eine Art D-Day für die
Weltwirtschaft und eine
Kettenreaktion vermutlich
heftiger als Atombomben.
Fällt der erste Stein,
könnten wir alle umfallen..
Quelle; amazon.de
Da hilft ein Blick hinüber zu den amerikanischen Covid-19-Verleugnern. Als Trump die Gefahr immer noch unterschätzte, deckte sich die Zivilbevölkerung bereits überproportional im statistischen Vergleich mit Schusswaffen und Techniken zur häuslichen Selbstverteidigung ein. Jetzt bei den weltweit höchsten Corona-Fallzahlen steuern die USA auf eine Massenarbeitslosigkeit zu, die in ihrer allein auf Konsum gestriegelten und kaum sozialen Marktwirtschaft den sogenannten "Domino-Effekt" einander mitreißender Pleiten auslösen könnte.
Wenn die auf Pump basierende Bestreitung des täglichen Lebens dadurch unterbrochen wird, dass nichts mehr oder nur noch wenig aufs Konto kommt, können weder Mieten noch Raten für das Auto gezahlt werden  Überfällige Hypotheken für die traditionell überschuldeten Eigenheime häufen sich an und verelenden Kreditnehmer und -Geber gleichermaßen...

In so einem Szenario unterliegt die ethische Rangfolge enormen Verwerfungen. So auch geschehen im durch WKI und Spanische Grippe während der 1920er Jahre geschwächten Europa. Könnte ein wirklich geeint agierendes Europa so etwas auch im Vergleich zu den USA  leichter bewältigen?

Der spaltende, nationale Egoismus funktioniert schnell - wie es die EU am Brexit zu spüren bekam.

Wer in der Euro-Zone ist, muss in Euro denken und die aktuelle Chance wahrnehmen, ihn durch Einheit zu stärken. Da müssen die Nationen, die wirtschaftlich besser gerüstet sind, das Teilen lernen, ohne sich erpressen zu lassen. Aber hier muss es dann auch einen Zeitpunkt geben, bei dem die ethische Rangfolge zur Rettung vieler gleichrangig ist mit dem gesundheitlichen Schutz vergleichsweise weniger. Zumindest bis die Zahl der Vollbeschäftigten wieder den "vorpandemischen" Stand erreicht hat.

Das Szenario darf nicht heißen - Volkswirtschaftler gegen Marktwirtschaftler unter Vernachlässigung des Sozialen - sondern bietet nur die eine Perspektive:

Europa zieht an einem Strang oder geht unter.

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