Freitag, 30. Oktober 2015

Dorf-Funk

Eigentlich unterscheidet sich die Kreuzung unter dem Glashaus zu unserem Platz vor der Burg in den Öl-Hügeln Liguriens nur durch die Lautstärke des Verkehrs. Die leisen Töne, das Flüstern hinter vorgehaltener Hand, sind hier jedoch nicht weniger intensiv; - quasi dennoch unüberhörbar...

Wenn ich Nachrichten aus dem Viertel will, die nicht im regionalen  Werbeblatt oder den großen Tageszeitungen stehen, brauche ich nur zu meiner kroatischen Friseur-Meisterin zu gehen,

News mit ethnischem Hintergrund bekomme ich bei unserer Multikulti-Pizzeria, in der nicht ein Angestellter Italiener ist, obwohl alle Fladen im Angebot einen italienische Namen haben - wie der Betrieb selbst.

Über die Mitmenschen in der Nachbarschaft, die bayrische Wurzeln haben, erhält der Neugierige am besten bescheid, wenn er sich an die Brotzeit-Tische unseres preisgekrönten Metzgers stellt.

Ja, und ob der Arabische Frühling nun doch bald in Herbst oder gleich Winter übergeht, erfahre ich aus erster Hand vom Leiter unseres Aladin-Supermarktes, der gerade vom Heimaturlaub aus dem Land der jüngsten Friedens-Nobelpreis-Träger zurück ist.

Ob das "Quartet de Dialogue National" denn Stabilität in das Mutterland des Arabischen Frühling brächte? Wie seine Mitarbeiter ist er in erster Linie Moslem und erst in zweiter Hinsicht stolzer Tunesier. Aber ein wenig Hoffnung scheint doch  zu keimen - auch wenn er nur mit einem Achsel-Zucken antwortet:
"Für die kleinen Leute ändert sich nichts, und die großen werden doch sowieso immer laufen gelassen."

Bezeichnend ist, sie bleiben alle in Deutschland, wo sie sich doch eigentlich so fürchten müssten.

Eine Perspektive, die der Syrer, der im Hochparterre des Nachbarhauses mit seiner Mutter lebte, offenbar nicht mehr hatte.

Vor unserer Ankunft - so der Dorf-Funk - sei er einfach von einer Minute auf die andere durchgedreht. Habe alle Möbel zerstört und das Appartement in Brand gesetzt. Verzweiflung oder der ganz normale Wahnsinn? - Unser kroatischer Hausmeister konnte das nicht mehr ergründen. Die Spuren aber sind immer noch nicht beseitigt.

Aber niemand muss glauben, dass nur die Schicksale der schon lang hier lebenden Ausländer tangiert werden.

Unsere zarte, liebenswürdige und emsige Apothekerin wurde Opfer eines Profi-Einbruchs. Obwohl exponiert an der Ecke gelegen, konnten die Gangster neben einschlägigen Medikamenten auch den Safe der Apotheke samt fünfstelliger Bargeld-Summe erbeuten.

In der folgenden Nacht hatte sie bei beschädigter Tür und ausgeschaltetem Alarmsystem turnusmäßig Dienst. Hut ab!

Der ungefilterte Dorf-Funk könnte jetzt zum Eindruck führen, das Leben sei in unserem Viertel riskanter. Aber die Statistik sagt etwas anderes. Und was mir immer wieder auffällt, ist, dass sich hier offenbar die meisten wirklich heimisch fühlen.

Hoffentlich bleibt das so.

Mittwoch, 28. Oktober 2015

Das Brot des Bäckers

Als halbdokumentarische Spielfilme noch ein Novum waren, landete der junge Erwin Keusch mit seinem Debüt-Film "Das Brot des Bäckers" 1974 nicht nur einen Anfangserfolg. Bis heute erhält sein Film Höchstnoten - auch in internationalen Foren.

Im Hintergrund einer Liebesgeschichte entwickelte der Film vor 41 Jahren exemplarisch den Niedergang des Handwerkes angesichts einer zunehmend industrialisierten Lebensmittel-Produktion. Handwerks-Ethos kann vor der automatisierten Profitsucht nicht bestehen. So die seherische Botschaft. Erwin Keusch ist drei Jahre älter als ich, und ich bin mir fast sicher, dass der gebürtige Schweizer unter dem aktuell tatsächlichen Zustand des Bäcker-Handwerks genauso leidet wie ich.

In fünf Minuten Gehweite haben wir rund ums Glashaus die Wahl von nicht weniger als sieben Verkaufsstellen für angeblich ofenwarmes Brot: Drei Supermärkte haben so eine Art Back-Paternoster  -wie auch unsere Tanke. Dazu kommen zwei "normale" Bäckereien, von denen man nicht weiß, ob sie nicht doch einer Kette angehören. Die direkt gegenüber vom Glashaus, war ja schon ein paar mal Thema.

Nach dem Umbau des Wohnhauses auf winzige Eigentums-Appartements (20 Quadratmeter für 600 Euro Miete) hat der frühere Pächter wohl gedacht, er könne so weiter machen wie zuvor und seine schlecht aufgebackenen tief gefrorenen Backlinge von irgendwo, weiter ungestraft unter die Leute bringen. Aber wer oder wessen Eltern auch immer sich solche Mieten leisten können, haben wohl andere Ansprüche. - So wie wir.

Allen Semmel-Verkaufsstellen mangelt es an Qualität. In Vielfalt duften die Backwaren zwar und sind in der Tüte noch warm und resch. Aber kaum bist du zuhause haben sie die Konsistenz von Styropor und so schmecken sie auch.

Als wir noch im Speck-Gürtel von München wohnten und persönliche Beziehungen zu unseren Bäckern hatten, mussten wir uns von einem nach dem anderen verabschieden. Die einen hatten sich in der Blühte ihres Handwerkes Immobilien geleistet und stiegen einfach aus, während weniger vorausschauende zur Industrialisierung wechselten.

Wir sind gerade mal drei Wochen hier, und weinen schon unserem "Angolo di Pane" in Imperia nach, dem es immer noch gelingt, mit einzigartiger Qualität gegen die Super-Brotmärkte die Stellung zu halten. Man muss vorbestellen und trotzdem vor dem kleinen Laden in der Schlange stehen, weil selbst die, die aus den Bergen herunter kommen, die Backwaren sogar im aufgebackenen Zustand schätzen...

Gerade las ich, dass es mittlerweile vor "Bäckereien" Beduftungsmaschinen gibt, die den Appetit der Käufer anregen sollen.

Da kann ich nur auf Till Eulenspiegel verweisen:"Ihr wollt mich mit dem Duft sättigen? Da zahle ich doch glatt mit dem Klang meiner Münzen, die ich gleich wieder einstecke."

Übrigens: wir haben jetzt ein Arrangement mit unserem Metzger von schräg gegenüber getroffen. Er hat wohl noch eine geheime Quelle...

Sorry! Aber ich muss auch hier noch einmal auf die Flüchtlinge und Asylanten zurück kommen. Angeblich klagt ja das gesamte Nahrungsmittel-Handwerk bei uns über Nachwuchsmangel. Wie wäre es denn, wenn ihr die jungen Leute, die vielleicht noch gerne früh aufstehen, weil sie happy sind, noch am Leben zu sein, ein Handwerk erlernen lasst, mit dem sie später in die Heimat zurück kehren könnten?

Hier eine kleine Geschichte aus meinem Erlebenis-Schatz:
Nach einer staubigen Gelände-Fahrt vom Senegal zum Gambia Fluss machten wir Halt an einer Fährstation. Aus dem gerammelt vollen Bistro duftete es verlockend. Der Gambianer hinterm Tresen, der wohl mitbekommen hatte, dass wir Deutsch miteinander sprachen, schenkte uns das breiteste Willkommens-Lächeln, das man sich nur vorstellen kann und sagte:

"Habt's meine Brez'n grocha? San grad fertig worn!"
Wie sich heraus stellte, hatte er in München Bäcker gelernt.
"Mogst an eiskaltes
Spaten dazua?"
"Scho!"
Die nächste  Fähre haben wir natürlich verpasst.

Wer die Krater auf La Reunion
 durchwandert, hat am besten
 reichlich Baguette dabei, Die Qualität
ist auch in den Überseee-Departements
vorgeschrieben...

Samstag, 24. Oktober 2015

Wandel durch Annäherung?

Aus dem gestrigen Polit-Barometer erfuhr ich, dass mehr als die Hälfte der Deutschen durch die Flüchtlinge und Asylanten einen gesellschaftlichen Wandel erwarten. Das Ergebnis erscheint mir ein wenig diffus. Die Erwartungen sind ja (ohne Befürchtungen) logisch. Wenn aber mehr als 50 Prozent der Deutschen sich vor diesem Wandel durch die Fremden fürchteten, sollten die Alarmglocken schrillen.

Der gesellschaftliche Wandel ist ja nicht singulär an diesem Thema fest zu machen. Ist es nicht so, dass unsere Gesellschaft auch ohne "das Fremde" im permanenten Wandel begriffen ist? Kassandra-Schreie bewirkten da ja auch kaum etwas?

Nehmen wir allein die elektronische Revolution, die Tele-Kommunikation, das Internet und die damit einher gehenden Überwachungs- und Ausspäh-Möglichkeiten. Trotz aller Warnungen werden Smart-Phones  exzessiv genutzt, wird in Facebook orgiastisch gepostet und getwittert, was das Zeug hält.Oder die Energie-Politik mit oder ohne Atom-Ausstieg

Was wirklich gefürchtet werden muss, ist, dass geschulte Agitatoren und Machtmenschen aus einer Minderheit heraus mit diesen Multiplikations-Mitteln allein Angst vor  nur diesem möglichen Faktor des Wandels schüren.

Als Egon Bahr mitten im Kalten Krieg tantramäßig seinen "Wandel durch Annäherung" forderte, wurde er als verkappter Kommunist diskriminiert. Wie die Mauer dann doch fiel, heimste einer den Titel "Vereinigungs-Kanzler" ein, der aus der Opposition noch gegen den Wandel gewettert hatte.

Wir haben die Wiedervereinigung geschafft, obwohl alle unsere Nachbarn sich das Scheitern beim Meistern dieser Titanen-Aufgabe gewünscht hätten. Deshalb hat die Kanzlerin als Betroffene und hautnahe Zeitzeugin auch das gute Recht zu sagen "wir schaffen das!".

Wenn sich jetzt so viele junge Ostdeutsche unter die alten Stasi-Sturschädel mischen, weil sie irgendwie nicht in dieser Republik angekommen sind und andere dafür verantwortlich machen, dann ist dies ein Beleg dafür, dass manche Menschen es eben lieber haben, wenn Diktatoren ihnen das selbständige Denken abnehmen.

Mag ja sein, dass dem gesellschaftlichen Zusammenhalt und der Kameradschaft in der untergegangenen DDR auch heute noch nachgetrauert wird. Aber eben nur, wenn der Kamerad und Nachbar nicht auch als IM gearbeitet hat...

Wer sagt denn, dass (außer den nicht zu verniedlichen Gefahren für die innere Sicherheit in Zeiten des Terrors) nicht auch der Einfluss anders empfindender und denkender Menschen unsere wandelbare Gesellschaft  voran bringen könnte?

Voraussetzung für den Wandel, ist tatsächlich die Annäherung. Als ich noch aktiv in der Sport-Politik war, habe ich jedenfalls niemanden getroffen, der sich über die auf einmal ausgelöste Medaillen-Flut der 90er Jahre beschwert hätte.

Damals haben wir 16 Millionen neue Bundesbürger willkommen geheißen. Diese Willkommens-Kultur stünde uns Wiedervereinigten auch jetzt gut an. Vor allem sollten wir die anderen darüber nicht vergessen, die ebenfalls  und schon lange Zeit vorher zum Aufstieg der Bundesrepublik beigetragen haben

Als die "Zweitbeste" gestern aus der Stadt kam, gab es hier in unserer unmittelbaren griechischen Nachbarschaft eine angemeldete Demonstration. Eigentlich war es ein Demonstratiönchen:
Zwei Kinder trugen je eine griechische und eine deutsche Fahne, hinter denen sich ein kanppes Dutzend Erwachsene aufgemacht hatten.

Da wir Deutsche ja so ein ordnungsliebendes Volk sind, hatte auch diese kleine Gruppen Polizei-Begleitung, beim Verkünden ihrer simplen Forderung.

"Lasst nicht an uns aus, was unsere Politiker verbockt haben!"

Mittwoch, 21. Oktober 2015

Herzlos, hilflos, hoffnungslos, heillos!

Welchem Zweck dient mein Geschreibsel?
Es ist nicht so, dass ich dazu gezwungen wäre. Auch halte ich mich nicht für wichtig genug, um mir einzubilden, dass irgendeiner meiner Texte irgendetwas bewirken  könnte. Aber vielleicht sind sie dann in ferner Zukunft mal ein Zeit-Dokument.

Wie wird es sein, wenn das Schicksal der Welt ein Weiterbestehen beschert? Wird dann wieder das rätselhafte Wegsehen einer Generation dokumentiert?

Wir, die wir alt genug sind, dass wir unsere Eltern und Großeltern  noch fragen konnten, ob sie wirklich nicht mitbekommen haben, was in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts mit unserer Nation geschehen war, bekommen in jedem Fall mehr davon mit, was hier  ein Vierteljahrhundert nach der Wiedervereinigung abläuft.

Georg Heym, das poetische Genie, hat 1911  einen Vers geschrieben, der nicht nur das Heraufziehen des Krieges, sondern seherisch, das offenbar Unvermeidbare in unserem Volkscharakter Lauernde beschreibt:

Aufgestanden ist er, welcher lange schlief, 
Aufgestanden unten aus Gewölben tief. 
In der Dämmrung steht er, groß und unerkannt, 
Und den Mond zerdrückt er in der schwarzen Hand.


Wenn ich mir vorstelle, dass in ein paar Wochen zwischen den täglichen Horror-Nachrichten und den Bildern von frierenden, hungernden Menschen wieder das Weihnachts-Gedudel der Konsumgüter-Industrie einsetzt, dreht es mir jetzt schon den Magen um.

Friede auf Erden?
Es kann der Frömmste nicht in Frieden leben, wenn es dem Bösen Nachbarn nicht gefällt!...

...Heißt es in Schillers "Willhelm Tell". Aber wo kommen sie auf einmal her; all die bösen Nachbarn?
Angeblich haben die Demoskopen doch jede Stimmungsschwankung auf dem Schirm. Und dann dieses Tempo der Verrohung und wieder diese alte Gewalt der Biedermänner als Brandstifter...

Was passiert, wenn der herzlose Umgang mit Anderen plötzlich wieder Standard wird. Wenn dumpfe Blockwart-Typen einem Angst machen, weil sie sich in der Anonymität ihrer gewaltbereiten Gruppen  trauen, beim geringsten Verdacht des Andersdenkens auf Mitmenschen einzuprügeln?


Nicht das Volk hat offenbar zu lange ncht hingeschaut, sondern die ehrlichen Politiker haben "Partei-Freunden" mit finsterer Machtgesinnung zu viel Raum gelassen.


Nun erscheinen die hilflos und heillos. Und der brave Bürger, der die Illusion hatte, die Welt sei auf dem richtigen Weg, ist wieder einmal hoffnungslos.

Sonntag, 18. Oktober 2015

Mal ehrlich!

Wie kann es sein, dass unser Musterländle in kurzer Zeit zum Schurkenstaat avanciert?

Antwort: Wir haben eine Kanzlerin, die seit Jahren eigentlich nichts falsch macht, auch wenn sie sich dabei gelegentlich um die eigene Achse drehen muss. Die männliche Polit-Struktur und die Wirtschaftsbosse legen für sie einen skandalösen Stolperstein nach dem anderen aus, doch sie wankt vielleicht ein wenig, aber sie fällt nicht. Was ein Wunder ist, bei dem, was in zunehmender Heftigkeit über sie herein bricht.

Ist das Zufall oder gewollt, dass ein europäisches Konzert aus Neid und Wut zunehmend versucht, die Kanzlerin aus dem Takt zu bringen?

Nein! Die große Koalition ist manchen Hardlinern viel zu liberal. Deshalb erhebt sich in deren Schlagschatten nun eine ultra rechte Gedanken-Allianz, die quasi tatenlos zuschaut, wie die Gewalt im Volk gegen das Volk von Woche zu Woche wächst. Das gezielte Chaos erinnert an das Ende der deutschen Demokratie vor dem zweiten Weltkrieg und baut darauf, dass die Jungen vor lauter Schlagworten die Mechanik im historischen Hintergrund nicht erkennen.

Wer mich für einen Verschwörungs-Theoretiker hält, sollte Heinrich August Winklers zweiten Band zur "Geschichte des Westens" lesen. Wenn da das, was über die Verfolgung der Juden zu lesen ist, auf die aktuelle Flüchtlings- und Asylanten-Thematik übertragen wird, kann sich jeder ausmalen, was auf uns zu kommen könnte, wenn wir uns nicht massiv gegen diese Absicht auflehnen

Und dann kommt der Chef der Polizei-Gewerkschaft, dessen Gewerken ja nicht selten unter rechtslastigem Verdacht (NSU-Prozess) stehen, auf die Idee, zwischen Deutschland und Österreich einen Grenzzaun zu errichten. Woher nehmen die Feinde Europas auf einmal diesen Mut, wenn sie nicht mächtige Rückendeckung haben? Wer hat Interesse daran, dass Europa wieder zerfällt, und wer profitiert vom heraufziehenden Chaos?

Es würde mich nicht wunden, wenn diese Irrsinns-Ideen dann noch eins drauf gesetzt bekommt. Noch ist der ehemalige Todesstreifen der untergegangenen DDR über weite Strecken als Grünanlage erhalten, die als Schneise durch dichte Wälder führt.

Einfach wieder links und rechts Zäune errichten, und schon hat Seehofer seine Transit-Zonen mit einem zusätzlichen, logistischen Kniff: Er kann dann alle, die daher kommen, gleich nach Skandinavien durchtreiben lassen...

Freitag, 16. Oktober 2015

Drei Grazien

Der Dauerregen macht einem das wieder Eingewöhnen hier nicht leicht. Am Tag, als das "Asylpaket" im Eiltempo vom Bundestag verabschiedet wurde, passierte mir auf dem Weg zum Supermarkt folgendes:

Mitten auf dem Bürgersteig standen drei Mädchen - gruppiert wie die berühmten "Drei Grazien" von Peter Paul Rubens. Allerdings schlanker, jünger und wegen des Sau-Wetters - natürlich angezogen. Aber, dass sie einander herzlich zugetan waren, konnte ich an ihren Umarmungen und dem Gelächter schon aus einiger Distanz erkennen.

Die eine war schwarz und hatte einen unzähmbaren Locken-Kopf. Eine war trotz Kopftuch deutlich dem arabischen Mittelmeer-Raum zu zu ordnen und die Dritte sprach Münchnerisch. Obwohl ich nichts vom Grund ihrer Heiterkeit mitbekam, musste ich ja an ihnen vorbei. Sie waren so um die dreizehn, sehr stylisch und bestimmt nicht billig angezogen und hätten gut auf ein Werbe-Poster gepasst, denn sie waren obendrein bildschön.

"Euch geht's aber gut", sagte ich im Vorbeigehen.

Anstatt mich mit einem Zicken-Spruch zu bedienen - wie mir das schon des öfteren passiert ist - strahlten sie mich an und redeten alle auf einmal. Sie hatten wohl mit ihrer Schul-Projektgruppe gewonnen. Ich wollte ja auch nicht aufdringlich sein...

Auf dem Rückweg gab es das zweite Erlebnis:

Ein junger Mann im schwarzen Hoody mit hochgezogener Kapuze, Röhren-Jeans und weißen Sneakern, war in Richtung BMW unterwegs, als zwei Polizei-Beamte von hinten aufholten und ihn kontrollierten. Er hatte offenbar keine Papiere dabei - nur ein Schreiben, dass er den Polizisten zeigte.

In unsrem Multikulti-Viertel sind Straßen-Kontrollen mit Zivil-Fahrzeugen nicht selten. Meistens passiert das nachts. Diese Kontrolle wurde aber am hellichten Tag von zwei Uniformierten durchgeführt. Ihr Dienstfahrzeug parkte um die Ecke vor dem Glashaus.

Es dauerte eine Weile, bis die Beamten in ihrem Auto sitzend wohl alles überprüft hatten. Während dessen schlenderte der junge Mann unaufgeregt hin und her, bis er schließlich seiner Wege gehen durfte.

Mir ging anschließend im Kopf herum, ob beide Ereignisse in Zukunft zum Alltag in unserem Land gehören werden.

Unvoreingenommene Freundschaften zwischen jungen Menschen verschiedener Herkunft und immer häufigere Personen-Kontrollen auf offener Straße...

Da bin ich schon froh, dass ich aussehe wie der Weihnachtsmann. Wer kontrolliert schon einen Weihnachtsmann? - Oder?

Mittwoch, 14. Oktober 2015

Rechen-Beispiele

In der Begründung und Kommentierung zur Verleihung des Nobelpreises an  Angus Deaton, den schottischen Ökonomen, sind mir zwei Sätze besonders aufgestoßen:

"Er habe geholfen, die Armut in den Entwicklungsländern zu verstehen"

"Auf kurze Sicht kann nur eine Stabilisierung der politisch instabilen Verhältnisse helfen"

Deatons "Analyse von Konsum, Artmut und Wohlfahrt" entwickelt eine wissenschaftlich Theorie, die sich vermutlich rechnete, wenn Politiker nicht an den instabilen Verhältnissen maßgeblich beteiligt wären. Die sogenannte Entwicklungshilfe der Reichen diente ja nach der Kolonialzeit, allein dazu, sich mit der Schaffung von Begehrlichkeiten neue Märkte zu erschließen. Dabei wurden Schulden gemacht, die zwangsweise dazu führten, dass die Entwicklungsländer nicht aufschließen konnten, sondern weiter abgehängt wurden.

TV und Smartphones fanden schnellere Verbreitung als landwirtschaftliche oder passende industrielle Konzepte. Jetzt ist das Gejammer groß, dass die Unterprivilegierten vom Konsum Ausgeschlossenen sich selbst auf den Weg machen. um von den Tischen der Reichen wenigstens ein paar Krumen zu kriegen.

Bezeichnender Weise sind es allenthalben wieder Parteien von der rechten Seite, die sich mit dem Teilen schwer tun. Dabei tragen sie nicht selten die Prägungen Christlich oder Freiheitlich in ihren Namen, ohne sich nach diesem Anspruch zu richten.

Mit "Notmaßnahmen" wird gedroht und von Transit-Zonen geschwafelt, die nichts anderes wären als Internierungslager, die gerade wir Deutschen doch eigentlich nicht mehr wollen dürfen.

Wenn ich das verschmitzte Grinsen unseres Landesvaters und Orban-Freundes bei dieser Thematik sehe, wird mir ganz anders. Und richtig schlecht fühle ich mich angesichts meiner Landsfrauen und -Männer, die ihm 13 Prozent mehr Sympathie zollen, seit er deren Ängste bedient.

Er, der Stromtrassen boykottiert, sucht jetzt nach geeignetem Gelände, um all die Asylanten und Flüchtlinge einzupferchen.

Lasst es tatsächlich über eine Million zusätzliche, fremde Menschen in Deutschland sein, dann bedeutet das doch immer noch, ein Betroffener träfe im wahrsten Sinne des Wortes auf 80 Einheimische. Es käme nur auf ein sinnvolles Verteilungs-Konzept an.

Die Armen dieser Welt können einfach nicht darauf warten, dass Angus Deans Formel in den Gehirnen der Politiker ankommt. Die hätten in 70 Nachkriegsjahren - nach dem eigenen Wiederaufbau - genug Zeit gehabt, um sich demütig daran zu erinnern, wie und wo einst geholfen wurde...