Mittwoch, 29. Februar 2012

Gedanken über den "geschenkten Tag"

Carpe diem! Für kein Datum gilt der lateinische Imperativ, den Tag zu nutzen, wie für den 29. Februar. Verfehlt einer dessen imaginären Zeitwert, muss er vier Jahre warten, um es besser zu machen. Schon deshalb ist die Floskel vom "geschenkten Tag" in diesem Zusammenhang blanker Unsinn. Denn gäbe es den unsinnigen Gregoriranischen Kalender nicht, würde keinem Existenz oder Fehlen dieses Tages im Schaltjahr überhaupt auffallen. Aber so ist er - der Mensch. Eine amerikanische Forschergruppe hat kürzlich das mit dem Computer errechnete Modell für einen durchgängigen 30-Tage-Kalender zur Vereinfachung unseres Lebens vorgelegt, aber das kam gar nicht gut an. Die Leute wollen lieber weiter am Durchzählen ihrer Handknöchel wissen, wieviel Tage der jeweilige Monat gerade hat.

Da ist die Wirkung von der Umstellung auf die ebenso unsinnige Sommerzeit am 25. März schon dauerhafter. Denn das alljährliche Geben und Nehmen der Stunde bringt die innere Uhr von vielen schon ganz schön zum Stottern. Und jüngst wurde gar errechnet, dass der volkswirtschaftliche Nutzen, der von diesem Akt ausgeht, ein absoluter Schuss in den Ofen ist.

Von den 16 "geschenkten Tagen" im Verlauf meines Lebens ist mir keiner in Erinnerung geblieben. Auf einmal genommen, hätten sie vielleicht einen schönen Urlaub ergeben, aber der 29. heuer hat ja noch nicht einmal den Fasching verlängert...

Ganz etwas anderes, wäre es, wenn der 29. Februar zum gesetzlichen Feiertag erklärt würde. So ist er jedoch allenfalls ein Geschenk für den Arbeitgeber, der einen Tag Produktion geschenkt bekommt, ohne dass sich das beim Arbeitnehmer auf dem "Lohnstreifen" bemerkbar machte.

Ansonsten ist dieser Tag einer für Feuilletonnisten: Die Münchner Abendzeitung zum Beispiel rechnete aktuell vor, dass Ludwig I von Bayern heute zwar schon 144 Jahre tot sei, aber erst sein 35. Todestag begangen werden könne. Auf  Bayern 3 beschwerte sich gar ein persönlich von Geburt Betroffener darüber, dass er an seinem 11. Geburtstag schon komplett weiße Haare habe. Echt witzig!

Ich für meinen Teil fände es nachhaltig, wenn der weltweite Erlös dieses Extra-Produktionstages für Rettugsschirme Verwendung fände. Dann könnten die Regierenden darauf verzichten, den Geldbeutel der kleinen Leute zugunsten der gierigen Großkopferten zu belasten. Aber da hört das spaßige Rechnen natürlich gleich auf...

Freitag, 24. Februar 2012

Alles eine Frage des Blickwinkels

Jeder, der halbwegs in der Lage ist, mit Verstand in Geschichtsbüchern zu lesen, hätte das mittlerweile  herausfinden können:

Wer immer in der Vergangenheit geglaubt hat, er müsse sich in Afghanistan einmischen, hat meist mehr als eine blutige Nase davon getragen. Mogulen, Paschas, Briten, Russen, Amerikaner - sie alle hatten vielleicht sogar gelegentlich gute Absichten, weil ja immer ein Teil der Afghanen vom anderen Teil der Afghanen unterdrückt wurde. Bis zur jüngsten Gegenwart eher seltener aus religiösen Motiven, viel häufiger jedoch aus Profitsucht der Stammesführer und Kriegsherren, die sich ihr Schlafmohn- und Kanabis-Geschäft nicht kaputtmachen lassen wollten.

Den USA als weltweiten Friedensstiftern - selbst unter Führung des präsidialen Friedensnobelpreiträgers - muss man einfach den Vorwurf machen, dass sie dabei nichts von ihrem außenpolitisch und historisch desasterösen Bild in der Lesart von "The Ugly American" (ein 1958 erschienener Roman von William J. Lederer und Eugene Burdick) korrigiert haben. Erst haben sie die Taliban mit Waffen gegen die Russen versorgt, nun kämpfen sie selbst aussichtslos gegen die Gotteskrieger. Dabei zogen  sie erneut andere Staaten mit hinein - in einen völlig aussichtslosen und zum Teil absurden Kampf, der nicht zu gewinnen ist, weil auf der westlichen Seite das Äquivalent an Überzeugung gegen diesen Fanatismus fehlt. Und der Glaube an die Aussage "Unsere Freiheit wird am Hindukusch verteidigt" wiegt nun einmal nichts gegen die  Scharia bedingte "Renaissance des Rückschritts" im Islam.

Genau in diesem heiklen Moment, in dem man die unwegsamen Bergtäler wieder den Einheimischen nach einer "Misson unaccomplished" überlässt, passiert aber aus Versehen, aus Dummheit oder aus frustrierter Provokation etwas, dass den islamischen Flächenbrand rund ums östliche Mittelmeer gefährlich anheizt: Es werden Exemplare des Korans verbrannt...

Seit Tagen eskaliert daher der Protest, während Syrien für einen Systemwechsel im eigenen Blut liegt, der Iran gefährlich mit seinen Atombrennstäben zündelt, Israel militärisch provoziert und sich im Irak nach dem Abzug der "Schutzmächte" wie vor Sadam Hussein die Sunniten und Shiiten gegenseitig massakrieren.

Im Moment hat man als Außenstehender, der weder Antiamerikanist noch Antiislamist ist, das Gefühl, jedwede Stellungnahme in die eine oder andere Richtung könne sowohl Aktion als auch Reaktion außer Kontrolle bringen. Weil Fanatiker im Untergrund bewusst für gewaltsame Proteste sorgen, man aber die friedliche Mehrheit der Muslime, die weltweit im Ausland ihre Heimat gefunden haben, nicht diskreditieren will, bleibt eine gemeinsame Linie des Westens im Verhalten aus.

Wie sähe denn die Nachrichtenlage aus, wenn für jede verbrannte US-Flagge - "The Starsprangled Banner" ist ja den meisten Amerikanern mindestens genauso heilig wie den Muslimen der Koran - Abermillionen US-Bürger bedrohlich vor die jeweiligen Landesvertretungen zögen? - Wenn die Mohammedaner, die längst die Staatsbürgerschaft ihres einstigen Gastlandes angenommen haben, sich zur jeweiligen Flagge bekennten? Gibt es irgendwo in der islamischen Welt Gruppen, die wegen Verunglimpfungen derart zahlreich auf die Straße gegangen sind, wie die Deutschen gegen die obszönen Theorien ihres eigenen Landsmannes Theo Sarazin?

Aber das ist eben alles eine Frage des Blickwinkels, und dabei scheint es, dass unser lieberaldemokratisches Denken von Haus aus den Kürzeren zieht. Wir sind zwar bereit, in jeder noch so kleinen Gemeinde für Moscheen zu sorgen, aber für die Hundertausende christlicher Touristen, die der Türkei die Taschen füllen, gibt es in den Ferienzentren der türkischen Riviera so gut wie keine Gotteshäuser...

Wehe, wenn diese mentale Unausgewogenheit bei den Falschen oder schlimmer noch bei Wohlgesonnenen die Wut auslöst! Neulich saß ich mit einem stets liberalen Freund vor dem Fernseher und sah in den Nachrichten wie Griechen bei einer Demo in Athen Deutsche Fahnen verbrannten und eine Papp-Kanzlerin mit Hakenkreuzbinde vor sich hertrugen.

Gegen die ärgerliche Äußerung meines Freundes fiel mir spontan kein Gegenargument ein:

"Da retten wir mit unseren Steuergeldern  den Griechen den Arsch. Möglicherweise auf Kosten unserer Kindeskinder. Und dass nur, weil die sich Regierungen gewählt haben, die's mit dem eigenen  Steuernzahlen nicht so genau genommen haben. Aber die Feinde sind wir und nicht die im Inneren!"

Weitere Romane zum Thema:
Karawanen der Nacht   James A. Michener

Drachenläufer 
und
Tausend strahlende Sonnen  beide von Khaled Husseini

Die dunkle Seite der Liebe von Rafik Schami

Mittwoch, 22. Februar 2012

Die Dialektik der "Diskreditierten"

Vermutlich wird es in der analytischen Linguistik bald das Fach "Rücktrittserklärungen" geben müssen. Wie bei kaum anderen Formulierungen kommt es in ihnen nämlich auf verschlüsselte Hinweise an. Das, was der Zurücktretende der Außenwelt über Gründe und Hintergründe für seinen Entschluss vermitteln möchte, wird durch seine Botschaft zwischen den Zeilen gerne konterkariert.

Unter diesem Gesichtspunkt liegt der Verdacht nahe, dass der plagiierende Freiherr und der vorteilnehmende Ex-(Minister-)Präsident sich ihre "Aus"-Reden vom selben Verschlüssler haben formulieren lassen. Wohl in der Hoffnung, dass man nach etwa genau einem verstrichenen Jahr zur Fasenacht lieber anderen Büttenreden zugehört hat...

Die kollektive Erinnerungsstütze durch das Internet, die wohl durch die Mächtigen bald ad A.C.T.A. gelegt werden könnte, bewahrt uns ja noch davor, dass sich derartige Sätze auf Nimmerwiedersehen verflüchtigen. Wenn nach sechs Monaten erst einmal "Gras über die Sache gewachsen ist", können die derart Diskreditierten - wie gerade erlebt - jedenfalls nicht auf ungestörte Comeback-Pläne hoffen - und das ist gut so!

 "Ich habe die Grenzen meiner Kräfte erreicht" zu Guttenberg   ( gesamter Wortlaut Homepage Süddeutsche Zeitung) 

 „Ich war immer aufrichtig“ Wulff ( gesamter Wortlaut fr-online)


Sowohl zu Guttenbergs als auch Wulffs Erklärung weist folgende Parallelen auf:

Das Fehlen jeglichen Schuldgefühls oder Schuldeingeständnisses bei gleichzeitiger, verdeckter Schuldzuweisung an die, die die Skandale in Form von regelrechten "Hexenjagden" penetrant und ohne Angst vor peinlichem Machtgebaren vorangetrieben hätten. Dass es dabei den Diekmännern leichter gefallen sein dürfte, den Rubicon in der Causa Wulff zu überschreiten, als das selber hochgejubelte Jahrhundert-Modell des politischen Popstars zu demontieren, zeigt aber auch, dass fast alle Medien bei solchen Kampagnen überwiegend einem Selbstzweck folgen. Wir, die dummen, kleinen Bürger, sollen im Glauben belassen bleiben, die Pressefreiheit bliebe unsere verlässliche Schutzmacht.

Mag ja sein - aber eben nur in der Momentaufnahme! Im Vor- und Fortgang der Geschichte zählen ja auch jene Sätze, die die Herrschenden erst dort hin gebracht haben, wo sie derart scheitern oder ihr Amt samt Macht missbrauchen können.

Jedes Interview, jeder Kommentar, jegliche Personenbeschreibung trägt doch dazu bei, uns ein Bild  über Personen des öffentlichen Interesses zu machen. Diese Informationen verursachen das Scheinbewusstsein, wir wüssten über diese Menschen bescheid. Dabei projizieren wir beinahe ausschließlich manipulierte, noch dazu subjektive Bilder in einer Nachhaltigkeit, die bei ihrer Zerstörung umso erschütterndere Wirkungen erzielen. Die aktuelle Politik-Verdrossenheit könnte daher auch ein Indiz für kollektives Realisieren sein.

Es gäbe aus aktuellem Anlass eine gute Methode unsere Empfangsbereitschaft in dieser Richtung zu überprüfen. Befreien wir den Kandidaten und vermutlichen, späteren Bundespräsidenten Joachim Gauck einfach mal von allem, was wir jetzt täglich von ihm Gutes oder Schlechtes berichtet bekommen und messen ihn dann daran, wie er tatsächlich handelt und wie er sich zu diesem, seinem Handeln äußert.
Das könnte über die  jüngsten  "Bundespräsidialen Halbwertzeiten"  hinausreichen und recht spannend werden.

Freitag, 17. Februar 2012

Narren ohne Mitleid

Am 9. 3. des vergangenen Jahres - ebenfalls zum Faschingshöhepunkt - habe ich meine Verwunderung über die Diskrepanz zwischen kollektiver Betroffenheit und generalisiertem Narrentreiben in unseren Gemeinwesen zum Ausdruck gebracht. Die Zeiten waren ja auch hart.
Nun sind sie sogar noch härter, und - als sei dies ein Manifest für deutsche Narrenkultur - ist unser präsidialer Obernarr zeitlich passend zur Posse, die er in den letzten Monaten aufgeführt hat, zurückgetreten.

Das ist ein Quantensprung in der historischen Gewichtung des Narrenwesens. Denn die traditionelle Rolle des Narren war ja die des Beigeordneten zu den mächtigen Oberhäuptern und nicht die des Oberhauptes selbst.  Mit seiner sprichwörtlichen Narrenfreiheit hielt der Joker Königen, Kaisern und anderen Despoten, denen man nicht widersprechen durfte, kunstvoll den Spiegel vor. Das tat er vorzugsweise  in den vom gemeinen Volk am schwersten zu ertragenden Zeiten. (Amüsante und empfehlenswerte Lektüre hierzu: Christopher Moores Satire "Fool" erschienen bei Goldmann Manhatten)...

So gesehen war der Narr, der sich mit seiner Narretei über das größte Elend des Daseins hinwegsetzte, ein sozialer Katalysator. Er durfte sich dabei weder Mitleid noch Betroffenheit anmerken lassen. Allein sein Zynismus und der Hohn, den er über die Mächtigen ergoss, hatten eine gewisse Chance auf das Umdenken im Machtausüben einzuwirken.

Das war und ist immer eine Gratwanderung:
War sie zu schwach, kam die Botschaft nicht an. War sie zu stark, büßte der Narr oft  nicht nur seine Freiheit ein, sondern häufiger noch sein Leben.
Das ist bis in unsere Zeit hinein so geblieben, obwohl sich schon im mittelalterlichen Gaukler-Wesen zunehmend volkstümelnde Komponenten einschlichen, die moderne Wissenschaftler als Paradigmenwechsel, als Wandel der Rahmenbedingungen bezeichnen würden. Der Brot-fürs-Volk-Effekt, der sich in das allgemeinen Faschings- oder Karnevalstreiben unter gnädiger Gewährung der Herrscher festsetzte, sorgte ja wohl gewollt für eine Verflachung des Humors.

Man muss sich heute  nur die Dauerbestrahlung der Fernsehsender mit Übertragungen von Narrensitzungen aus den sogenannten Hochburgen geben, um festzustellen, dass es nur noch um plumpes Amüsieren auf Kosten anderer geht und nicht um Mitleid mit Völkern und Nationen, deren Elend von den Mächtigen herbeigeführt wurde und die es zu ändern gälte.

Wer in diesen Tagen kostümiert mit einem "Rettungsschirm" (hahaha, was für ein Brüller!) oder als "Sokrates ohne Sold" herumläuft, pfeift nur laut auf eigene Betroffenheit - wie ein Kind allein im dunklen Wald, das gegen die Angst ankämpft.

Schon in Zeiten Savonarolas gingen doch die Freudenfeuer unverzüglich in Autodafés über...

Sonntag, 12. Februar 2012

Menschenopfer

Gestern sollen in Deutschland angeblich Zehntausende gegen A.C:T.A. und für die Freiheit im Internet über eiskalte Straßen gezogen sein. Gleichzeitig wurden in den syrischen Städten Damaskus, Homs und Aleppo Demonstranten von staatlichen Sicherheitskräften  und ihren Scharfschützen regelrecht abgeschlachtet.

Die beiden parallelen Ereignisse veranschaulichen, dass in der westlichen Welt Demonstrieren einerseits noch relativ sicher ist, während die Verbrechen in Unterdrücker-Staaten andererseits ohne das Internet, Smartphone-Videos und Twittern nicht ruchbar würden.

Die Geschwinster Scholl sind umsonst gestorben. Sie haben weder den Krieg aufgehalten, noch hat ihr Märtyrertod dafür gesorgt, dass sich Nazi-Gene aus der Nachkommenschaft bei uns nicht schon wieder und weiter verbreiten.

Die Mayas deren Kalender jetzt als Menetekel für den bevorstehenden Weltuntergang entschlüsselt wird, können so seherisch nicht gewesen sein, sonst hätten sie ja ihren eigenen Untergang ganz vorne in ihrem Kalendarium vorhersagen können. Und gleichzeitig wäre ihnen klar gewesen, dass die Menschenopfer, denen bei lebendigen Leibern auf Altären die Herzen herausgerissen wurden, nun mal gar nichts zum Gunstgewinn bei den Göttern beigetragen haben.

Entlang der Chinesischen Mauer sind bei ihrem Bau tausende Sklaven und Zwangsarbeiter als Opfer lebendig in die Sockel der Türme eingegraben worden, damit die Götter dem Reich der Mitte beim Schutz vor Angriffen von außen gewogen sein sollten. Die spätere, lang andauernde Herrschaft der Mongolen-Kaiser in der "Verbotenen Stadt" und der Jahrzehnte andauernde vaterländische Bruderkrieg der Gegenwart machen die Chinesische Mauer noch  heute zum Denkmal der größten Verschwendung von Menschenkraft und zum Wahrzeichen für Götter-Ignoranz weltweit.

Wo immer sich der sogenannte "Arabische Frühling" gar nicht erst ohne Todesopfer und Märtyrer hätte ausbreiten können, weht heute wieder der eiskalte  Wind der Unterdrückung und Unmenschlichkeit. Den Hundertausenden an Toten in den Mission-Accomplished-Kriegen des Iraks und Afghanistans könnten erst recht keine Sinnsprüche Ruhe in die Gräber bringen.

Welche Götter autorisieren bestimmte Menschen zur Macht über Leben und Tod anderer?
Das ist eine der Kernfragen unserer Existenz. Der Gott Geld allein kann es ja nicht sein.

Aber was bewegt dann andererseits ein Individuum zu dem Glauben, dass sein einziges, endliches Leben geopfert werden müsse, damit andere eine möglicherweise vergebliche Hoffnung auf die Veränderung dieser Umstände schöpfen können? Der Urinstinkt der Evolution sicher nicht. Das hieße ja, aus der Geschichte lernen...

Wieso werden derart existenzielle Fragen nicht wissenschaftlich erforscht?

Donnerstag, 9. Februar 2012

Stay Frieds

Als sie nach dem Krieg alle irgendwie einen wirtschaftlichen Aufschwung erfahren hatten, kam in der Nachbarschaft die Idee auf, das Miteinander zu intensivieren. Sie sehnte sich geradezu nach mehr Gemeinschaft. Die Menschen besuchten sich gegenseitig, halfen sich, wo es klemmte, lobten und liebten die Eigenschaften der anderen derart, dass es schwerfiel diesen Überschwang zu bremsen.
Der Blick über die Zäune geriet bald zunehmend irritierend, so dass sie abgebaut wurden, weil sich von den Nachbarn nach und nach keiner mehr vom anderen ab- oder ausgrenzen wollte.

Die, die etwas mehr hatten, störten sich gar nicht daran, dass es denen, die hie und da beim Wohlstand noch Nachholbedarf hatten, bei diesen Partys mitgerissen wurden. Feierten sie doch rasch ähnlich ausgelassen mit, und richteten als Veranstalter selbst große Feste aus, bei denen sich schon einige, die nüchtern blieben, fragten, wie sie sich das denn wohl alles leisten könnten.

Auch, dass sie dabei mitunter schon etwas großspuriger auftraten, war ihnen ja vergönnt. Es gab aber auch da schon ein paar - sowohl innerhalb des Freundeskreises als auch von außerhalb - die dieses Treiben mit Argwohn beobachteten und vor dem "Faktor Mensch" warnten. Natürlich wurde denen zunächst  unterstellt, nur neidisch zu sein. Manche aber , die man eigentlich dabei haben wollte, machten aus Argwohn nicht mit und wurden fortan kritisch betrachtet. Als regelrechte Spaßbremsen wurden sie von der Mehrheit bezeichnet. Vor allem dann, wenn einige damit begannen Bewirtungskosten aufzurechnen: Beim letzten Fest haben wir schon die Zeche mit soundsoviel bezahlt und die anderen haben nur genassauert und sich quasi gratis an unseren Tafeln durchgefressen...Das Lamento wurde immer lauter.

Solche Aufrechnerein empfanden die betroffenen Nachbarn natürlich als Beleidigung. Waren es doch die Superreichen, die unbedingt wollten, dass sie sich im Lebensstil mit geliehenem Geld anglichen, um zu repräsentieren.

Die Aussichten waren aber auch zu rosig, da kam das Geld ja quasi von selbst herein. Waren die Grundstücke und Häuser, die man mühelos beleihen konnte, nicht auf einmal ein Vielfaches wert?

Bei Geld hört die Freundschaft auf!
Dieser Spruch wurde sofort hervor gekramt, als ein paar Realisten die Nadel in die Spekulations- und Finanzmarktblase pieksten. Und wie das mit dem Geld nun einmal ist: Es verschwindet ja nicht - wie behauptet wird, sondern wandert nur in andere Taschen. Und wie das in blühenden Muster-Gemeinschaften so ist; vornehmlich in die Taschen jener, die die Nachbarn einst eingeladen hatten sorglos mit zu feiern.

Die mit dem Geld begannen nun von sich aus wieder Zäune hochzuziehen. Viel höher als die alten waren die. Dass man bloß das Elend der Nachbarn nicht mehr sehen musste und dass diese auch ja nicht auf die Idee kämen, drüber zu klettern, um sich das Geld, das vermeintlich ihnen gehört hat, zurück zu holen.

Was für ein schauerlich schönes Märchen!

Montag, 6. Februar 2012

Noch immer nur eine Randnotiz: Die Zunahme der Krebs-Erkrankungen

 Vor sechs Jahren schrieb ich mal folgende Zeilen:
  Dass zwanzig Jahre nach der Reaktor-Explosion in der Ukraine im Zeitraum 2004 bis 2006 in Zentraleuropa die Zahl der neuen Krebserkrankungen auf einmal außergewöhnlich stark - nämlich um rund zehn Prozent - anstieg, wurde nur als Fußnote und ohne ursächlichen Zusammenhang vermeldet. Vorsorge, Früherkennung und therapeutische Erfolge hatten ja andererseits dafür gesorgt, dass jeder dritte Krebspatient überlebte. Hatte nicht der britische Staatsmann Sir Winston Churchill bekannt, er glaube nur Statistiken, die er selbst habe fälschen lassen? Also nahm man weiterhin zur Kenntnis,  weil ja eine im Internet lancierte Statistik immer wieder kopiert wurde, dass Krebs nach wie vor eine Krankheit vor allem älterer Menschen ab sechzig sei. Die Trends zur Unterschreitung dieser Altersmarke, die die zentrale Forschungsstelle in Lyon bereits 2004 erkannt hat, beunruhigen offenbar keinen. - Weil sie nicht ins Programm passen?

Am Samstag las ich in der SZ von folgender Statistik - bezeichnender Weise auf der Panorama-Seite unkommentiert und als Randnotiz am Seitenfuß über eine Anzeige gequetscht:


Immer mehr Krebstote

Wiesbaden - Im Jahr 2010 war in Deutschland jeder vierte Todesfall auf eine Krebserkrankung zurückzuführen (218 889 Tote). Die Zahl der Krebstoten stieg damit gegenüber 2009 um knapp 3000, teilte das Statistische Bundesamt in Wiesbaden mit. Nach Herz-Kreislauf-Erkrankungen (352 689 Tote) ist Krebs weiter die zweithäufigste Todesursache. die meisten Krebsopfer starben an Lungen- und Bronchialtumoren - fast 43 000 Menschen. Danach folgte Brustkrebs mit 17 573 Todesfällen.


Drei offene Fragen hierzu:

Wieso braucht eine Statistik im Computer-Zeitalter derart lange bis zur Veröffentlichung?

Wenn heute jeder dritte Krebspatient tatsächlich durch vorbeugende und therapeutische Maßnahmen überlebt und die Bevölkerungszahl gleichzeitg stagniert, ist das nicht ein erschütternder Anstieg. Wieso wird das in dem Text nicht relativiert?


Wieso steigt die Feinstaubbelastung trotz wachsender Schutzzonen immer noch und wird der Atomausstieg so zögerlich vollzogen?

Freitag, 3. Februar 2012

Was, wenn Gott ein Algorithmus wäre?

Vor ein paar Tagen lief im Bayerischen Fernsehen - natürlich zu fast nachtschlafender Zeit - der australische Spielfilm "Der Mann, der Gott verklagte". In dem von Mark Joffe 2001 inszenierten Film verklagt ein Anwalt den lieben Gott, um den Begriff  "Höhere Gewalt" als interpretierbares Schlupfloch der Versicherer bei ihren Policen in Frage zu stellen. Der absurde Prozess, der Spitzenvertreter aller in Australien praktizierten Religionen aber auch deren Geldgeschäfte quasi mit auf der Anklagebank sieht, gipfelt hinter den Kulissen schließlich in der gemeinschaftlichen Aussage der Kleriker:
"Wenn wir nicht in den Ruin getrieben werden wollen, müssen wir die Existenz Gottes leugnen!"

In den Spätnachrichten nach diesem Film wurden immer mehr Details zum Börsengang des 27jährigen Facebook-Erfinders und Multimilliardärs Mark Zuckerberg bekannt. Glaubt man da dem mit Oscars prämierten Spielfilm "The Social Network", so hat der verkrachte Student seinen in der Wirtschaft beispiellosen Erfolg mehr oder weniger dem Diebstahl eines Algorithmusses zu verdanken. Diese sich aus sich selbst weiterentwickelnde Folge von Programmierungen - eine gezielte Daten-Evolution quasi - scheint aber wohl urheberrechtlich nicht zu schützen gewesen zu sein. Zwar wären Algorithmen patentrechtlich zu schützen, aber eben nur so lange, wie sie in einem geschlossenen Nutzerkreis zur Anwendung kommen (Beispiel Computersteuerungen von Maschinen oder Waffen wie US-Kampfdrohnen). Im Internet werden sie wohl mehr oder weniger sofort zu Selbstläufern.

Dem dummen Alltags-User, der schon das Denkszenario bei den Matrix-Filmen nicht so richtig verstanden hat, taugen die Gedanken, die beim bruchstückhaften Zusammenfügen solcher Informationen und Warnungen entstehen, gut als Basis für eine algorithmisch gesteuerte Paranoia mit einer auf unendlich programmierten Folge von Panik-Attacken:

Was, wenn solche Prgrammierungsketten zu selbstgenerierenden Lauffeuern im Netz werden? Wenn unkontrollierbare Dateneruptionen die Herrschaft über die Menschheit gewinnen und am Ende gottgleich über unser Schicksal entscheiden? Wenn sie zum Beispiel die Programme der Versicherungskonzerne durch höhere Gewalt grundsätzlich bei jedem Fall zur Auszahlung zwängen und die Einlagen der Weltkirchen zur gezielten, rückhaltlosen Verteilung an alle Hungernden dieser Erde freigäben.

Was, wenn Gott am Ende nur noch ein Algorithmus wäre?

Dann wäre auch die klassische Antwort der von Huxley geprägten Agnostiker auf die Frage nach der Existenz Gottes ein Auslauf-Modell.
Frage: Gibt es einen Gott? Antwort: Ich weiß es nicht!

Und jetzt?
Frage: Gibt es Algorithmen? Antwort: Ja, schon, aber ich verstehe sie nicht!

Nur gut, dass ja bald Weltuntergang ist....