Mittwoch, 28. September 2016

Wies'n-Initiierung

Zum ersten Mal war ich auf dem Münchner Oktoberfest mit zehn Jahren; gerade aus Hamburg zugezogen. Ein Zuagroaster wie man hier sagt. Seither hat mich die Wies'n nicht mehr losgelassen. Wenn ich ehrlich bin, war und ist es weniger wegen des Biers, sondern wegen der Gerüche und Geräusche gewesen. Und vor allem wegen der Typen. Ein einzigartiger Menschen-Zoo!

Mit dem ersten Bomben-Attentat 1980 - bezeichnender Weise von einem Neo-Nazi verübt und nie richtig aufgeklärt - hat das Oktoberfest seine Unschuld verloren. Als sei das die Initial-Zündung gewesen, brachen alle Dämme, die das Volkstümliche noch vor dem Big Business bewahrt hatte.

Es entstand eine Zweiklassen-Gesellschaft mit den Großkopfeten in den  dauerhaft reservierten Boxen und dem Fußvolk, dass sich um die übrig gebliebenen Plätze rangelte. Als Familien-Vater war ich zweimal mindestens in der Pflicht, und als Chef wurde auch eine Einladung von den Mitarbeitern erwartet - also waren es bestimmt über 200 Wies'n-Besuche. Vermutlich mehr, weil ich ja aus "politischen Gründen" auch noch Einladungen folgen musste.

Mit dem zunehmenden Leiden unter Einengung war ich froh, dass die Kinder die ich einst auf den Schultern durch die Menge tragen musste, möglichst bald nicht mehr mit den Eltern gehen wollten. Die Großfamilie wich mit der ersten Terror-Bedrohung einmal sogar komplett aus und arragierte ein eigenes Oktoberfest in einem herbstlich gefärbten Biergarten.

Seit 2008 waren wir dann um diese Jahreszeit immer in Ligurien.

Aber gestern mit dem Enkel war das ein Erlebnis wie früher. Der Zaun, die Wachen am Eingang und die generelle Bedrohungslage bei Menschen-Aufläufen sorgten dafür, dass wir ohne Geschubse mit dem Kinderwagen flanieren konnten. Der Kleine war super drauf, fremdelte nicht und verdrehte ständig neugierig sein Köpfchen.

Von der ersten Initiierung, dem hinduistischen Reisfest mit dem hier die erste feste Nahrung nach einem halben Jahr im großen Kreis der Landsleute seines Vaters gefeiert wurde, wird ihm nicht allzu viel in Erinnerung geblieben sein. Aber seine erste Wies'n hat zumindest kein Trauma hinterlassen, wie einst bei mir "Der Dom" in Hamburg. Vom Opa im Kinderwagen im Takt geschunkelt ist er mitten im Trubel entspannt eingeschlafen.

Und wisst ihr was? Mir hat es wieder einmal einen Riesen-Spaß gemacht - Das Oktoberfest.

Hier ein paar Schnappschüsse
Es gibt sie noch: Die Typen

Unverhofftes Treffen mit Verwandten

Erstens sieht man, wie leer es um vier Uhr war
 und zweites, wie gut der Enkel
dabei schlafen kann

Puten-Schnitzel vom Schwein
- so lecker wie veganer  Wurstsalat

Samstag, 24. September 2016

Wort-Berichtigung

Es ist geradezu bizarr, wie Politiker heute Sätze raushauen, die - wenn sie genau so angekommen sind, wie sie es sollten - im Rausch der Empörung - umgehend gerechtfertigt, als Fehl-Interpretation gekontert oder anschließend als in "Anführungszeichen" gesprochen verteidigt werden. Das war jetzt ein sehr langer Satz. Kürzer ausgedrückt: Wie be"scheuert" ist eigentlich unser Landesvater, dass er seinen General-Sekretär nicht sofort des Feldes verwiesen hat?

Der Andi Scheuer ist das, was man gemeinhin im Neu-Sprech einen Poser nennt. Ein eitler Stenz, der zuviel AfD geguckt hat.

Die spätere Wertberichtigung der Worte - also die Wort-Berichtigung - ist ein Sprachstil der schlimmer ist als der der Nazi-Zeit. Da wurde nämlich auf"rechte" Meinung gepöbelt und nicht zurück genommen. Ob das aktuell bereits die Vorbereitung auf eine Zeit der totalen Verunglimpfung ist.?

Hat der Andi mit seinen "Sengalesen" (so sprach er sie nämlich aus) sowohl die Senegalesen  als auch die Singhalesen gemeint, um gleich zwei farbige Volks-Angehörige zu beleidigen. Ist seinem wohl doch beschränkten Geist aber eher nicht  zu zu trauen...

Also, weil es bei den Berichtigungen noch keiner erwähnt hat:

Der Senegal ist ein politisch stabiles Land, das selbst Flüchtlinge aus den Nachbarländern auf nimmt und dabei jetzt an seine Grenzen stößt.












Die Flüchtlinge aus Sri Lanka gingen 2016 hauptsächlich in die Schweiz und die Vereinigten Staaten.












In deutschen Statistiken tauchen beide Nationen - wenn überhaupt - im Promille-Bereich unter den Sonstigen auf.

Was hat Scheuer also bezweckt? Gar nichts! Er wollte nur Hirnfutter für Dumpfbacken liefern, die eh nichts verstehen oder nur "die werden wir nicht mehr los" verstanden haben.

Ob das klappt, versuche ich jetzt mal mit einer eigenen Wort-Berichtigung:

"ich bin ein seniler, nie menstruierender und schon lange nicht mehr Fußball spielender alter Sack, den ihr - reif fürs Asyl - in den nächsten drei Jahren auch nicht los werdet."

Donnerstag, 22. September 2016

Floh-Märkte im Hinterhof

Erstaunlich, wie sich  Eigeninitiativen in Zeiten sozialer Medien schnell durchsetzen. Vor allem in den stylischen Vierteln von München, wo der Bestand an Altbauten hoch ist und zum Teil noch romantische Hinterhöfe nicht als Privat-Parkplätze umfunktioniert wurden. Ehrlich gesagt, habe ich von diesen Hinterhof-Flohmärkten erst gehört, als  mein Sohn seine Band mit einem Leiterwagen mobilisierte und von Hof zu Hof zog, um für die Verkäufer und Käufer Musik zu machen.

Wer verkaufen will, muss im Stadtteil wohnen und sich anmelden. Ansonsten gibt es keine Bürokratie. Am kommenden Wochenende ist Neuhausen dran. Das wird spannend, weil da Jung auf Alt-Eingesessen trifft. Entsprechend vielversprechend wird dort wohl das Angebot an Kitsch und Krempel sein. Es gibt aber auch im Bereich von Kleidung und Kleinmöbeln für Kenner manches Schnäppchen.

Es ist ja eine Tatsache, dass die Sammel-Leidenschaft im Laufe eines Lebens an räumliche Grenzen stößt. Dann bleibt einem gar nichts anderes übrig, als sich mal von einst geliebten und begehrten Stücken zu verabschieden.

Oder Freunde hatten geglaubt, den Geschmack der Gastgeber zu kennen und ein Mitbringsel von anderen  als Gastgeschenk entsorgt. Man müsste mal eine Geschichte über das Wanderverhalten von Vasen, Tellern und Schalen schreiben; aus der Sicht der Gegenstände natürlich.

In den zwei Haushalten in denen wir leben, hat sich ganz schön angesammelt, was einst als unverzichtbar galt und auch nicht wenig gekostet hat. Als Medien-Mann aus dem Printbereich habe ich (vermutlich nicht als einziger Journalist) weltweit Enten gesammelt: Lock-Enten aus dem Veneto, geschnitzte aus Afrika, als Totem-Verzierung von nordamerikanischen Ureinwohnern und aus chinesischem Porzellan.

Meine Frau und ich haben aber auch wertvolle und seltene Gläser aus denen wir nur selten trinken  in mehreren Vitrinen angehäuft, . Klar hängen an den Teilen oft einzigartige Erinnerungen über den Ablauf  und das Ambiente
der Käufe. Aber es sind eben unsere - so lange uns die Demenz nicht erwischt.

Der jüngere Teil der Familie hat sicher Sinn für schöne Dinge, aber eigene Vorstellungen. Manchmal denke ich, wir sollten uns vielleicht beizeiten von allem Trennen. Unser Hinterhof mit Garten wäre Ideal für einen Floh-Markt. Vielleicht erreicht ja die Sitte bald auch unser Multikulti-Viertel. Da gäbe es bestimmt ganz schön Vielfältiges...

Montag, 19. September 2016

Das Gespenst der Weimarer Republik regiert die Bundeshauptstadt

                           KPD           SPD   Bürgerlich Konservative             NSDAP

08.01.193278601361668193041518210*-6*212-110577
26.02.193278601361668192841518210*-6*214-110577
29.02.193278601361669192841518210*-6*213-110577
22.04.193278601361669192741518210*-6*214-110577
19.05.193278601361669192742518210*-6*213-110577
6. WP30.08.193289--1334752274020210---3--230608
7. WP06.12.1932100--121270202054*010*---*--196584
8. WP21.03.1933s.Anm.--120573192532---0---4--288566
Quelle: http://www.wahlen-in-deutschland.de/wReichstagFraktionen.htm

Rätselhafte Zahlen?  Sie dokumentieren das schnelle Sterben der sogenannten "Weimarer Republik". Die drei abgesetzten unteren Zeilen veranschaulichen das Tempo des Absturzes. Ich bin aus der direkten Nachkriegs-Generation, aber als ich alt genug war zu fragen, gab es immer noch genügend Zeitzeugen, die keine Ausflüchte suchten. Was bei mir vor allen hängen blieb, war eine generelle Antwort:
"Es ging ja alles so schnell!"

Ja, was sollen dann unsere Nachkommen aus dem Digital-Zeitalter da einmal sagen? Die NSDAP brauchte von vier Reichstag-Abgeordneten 1925 bis zur Machtübernahme immerhin acht Jahre...

Seit gestern haben wir mit sechs Parteien im Abgeordnetenhaus der Hauptstadt der Bundesrepublik Deutschland ähnliche Verhältnisse:
Stark geschwächte "Volksparteien", aufrückende "Progressive" und explodierende "Rechtsradikale".

Halt! Da habe ich doch noch die gestrige Aussage eines TV-Daten-Analysten im Ohr, der die Wähler-Wanderung und ihre Zusammensetzung dokumentierte. Er - ein Mann gut 25 Jahre jünger als ich -sagte:
 "Man kann also bei der AfD nicht länger von einer Partei der Abgehängten, Rechts-Extremen und Enttäuschten reden, wenn Neuwähler aus den bürgerlichen und akademischen Gesellschaftsschichten ihre Stimmen für die AfD abgegeben haben." 

Ähnliche Aussagen haben die NSDAP damals erst salon- und koalitionsfähig gemacht. Und nach der Machtergreifung gab es genügend Intellektuelle, einflussreiche Künstler, Schauspieler und natürlich Industrielle, die dem "Gefreiten" mit erhobenen und gestreckten Armen zujubelten. Da waren SPD und DKP schon ausgemerzt oder im Untergrund, während die bürgerliche Mitte im braunen Sumpf versank.

Bürgerlichen Zweier-Koalitionen könnte bald in der Bundesrepublik komplett das Ende drohen. Es geht nur noch zu dritt. Mit unterschiedlichsten Standpunkten sind solche Bündnisse sehr instabil und drohen, schnell auseinander zu brechen. Das machte Rechtsaußen immer stärker. Seehofers CSU könnte zu den ersten "Überläufern" zählen, wenn Angela Merkel hoffentlich weiter kandidiert (das sagt einer, der sie nicht wählt)...

Wie schnell aus liberalen Parlamenten von Despoten gesteuerte Pseudo-Demokratien werden, haben wir seit Jahren in und um Europa ja reichlich erlebt.

Gut, dass die AfD noch keinen richtigen Führer hat. Aber wehe, wenn einer sich vordrängte. Das stiernackige, kahlgeschorene Prügel-Personal gäbe es ja schon; rekrutiert aus der untergegangenen NPD..

Samstag, 17. September 2016

Herbst

In meiner kleinen Familie sind alle in der "dunklen Jahreszeit"  geboren. Alle außer mir diesseits - nur ich im März.
Darüber muss ich seit gestern nachdenken, als die Hitze-Periode durch einen krassen Temperatur-Sturz beendet wurde. Jahrelang habe ich diesen für München typischen Übergang gerne verpasst, und den langsamen Einzug des "Malermeisters" in Ligurien genossen.

Gegen meine hier ebenso schnell auftretenden Herbst-Depressionen habe ich gestern auf dem Viktualien-Markt noch vorgesorgt: Schäl-Nüsse gekauft, als Weißwein-Trinker einen "Blauen Zweigelt" dazu, und natürlich reichlich Pfifferlinge, die mit frischer Pasta die Trauer-Zeit traditionell einleiten.

Die noch in den Monaten dieses Jahres Geburtstag feiernden Familien-Mitglieder haben diese Larmoyanz nicht, deshalb ist es ihnen nur schwer zu vermitteln, dass ich mich noch mehr als sonst zurück ziehe. Lebensbejahend und optimistisch leben sie ihre künstlerischen Neigungen aus. Selbst der dauernd gut gelaunten Enkel, scheint diese Fähigkeit zu haben,

Und was mach ich? Ich lese die einzigartige Sammlung von Herbst-Gedichten, die uns Theodor Fontane hinterlassen hat. Er, der am 30. Dezember 1819 Geborene konnte gar nicht aufhören, die Schönheit dieser Jahreszeit zu bedichten. Das Ende als Vorbereitung für den Neu-Anfang zu beschreiben, macht Sinn. Aber von irgendetwas Abschied nehmen zu müssen - fällt mir zunehmend schwerer.

Rainer Maria Rilke - im Dezember geborener und auch im letzten Monat des Jahres verstorbener - Wegbereiter der modernen Lyrik ließ es sich nicht nehmen, dem Auf und Ab seiner Stimmungen in den "Duineser Elegien" über Jahre in  erstaunlichen Texten seinen Lauf zu lassen.

Erntedank Claus Deutelmmoser "Digitally Your's" Serie
Ohne Literatur-Studium traue ich mich nicht, eine Gesetzmäßigkeit in dem herbstlichen Schaffen unserer deutschen Dichter  festzustellen. Es scheint aber im Wesen des Jahreszeiten-Wechsels bei uns zu liegen. .Das hält mich davon ab, selbst zu versuchen, meine Stimmungen dergestalt einzufangen. Vermutlich würde ich im Kitsch versinken, und auch von der Syntax her kläglich scheitern.

Die Welt ist ja so, wie sie gerade ist, schon traurig genug. Was sie übrigens zeitweise auch war, als Heine, Fontane und Rilke ihre Lyrik zu Papier brachten.

Theodor Fontane
(1819 - 1898), dt. Schriftsteller, Journalist, Erzähler und Theaterkritiker

Mittwoch, 14. September 2016

Horst - das Trumpeltier

Heute liebe Landeskinder möchte ich euch von einem Fabelwesen erzählen, wie es im Freistaat immer wieder das Licht der Welt erblickt; Ob nun Märchen-Kini, der brüllende Bayrische Löwe, ein Strauß, der fliegen konnte und nach dem deshalb ein Flughafen benannt wurde oder gerade jetzt eine Gestalt, die ihr Licht  - ihren Halo gewissermaßen - aus schlappen 5,5 Millionen für ehrenamtliche Tätigkeit auflud. Oder bald der Ex-Präsident eines Fußball-Clubs, der wieder ein Euro-Imperium leiten darf, obwohl er wegen Steuer-Hinterziehung im Knast saß...

Das alles - liebe Landeskinder - kann deshalb passieren, weil wir einen Lasten-Träger namens Horst haben. Als es als Jungtier auf der Goppel stand, konnten Kenner schon sehen, dass er einmal fabelhaft werden würde, denn er kratzte sich links am Stacheldraht-Zaun und ließ sich ausschließlich von rechts streicheln und sein mächtiges Gehänge kraulen.

Als man den Horst dann auf die satten bayrischen Weiden schickte, merkte er bald, dass seine rechte Seite ungeschützt vor den frechen Affen für Deutschland angesprungen wurde. Die Kerlchen setzten ihm manch Flöhe und Läuse in den Pelz.

Der Horst wehrte sich so gut es ging, bis er entdeckte, dass das Geschnatter der Kleinen so manches verkündete, was auch in seinem Denken schon tief verwurzelt war. Er wollte vor allem im Orbanen punkten, und das gelang ihm auch mit einer gewissen Erdoganz. Die bayrischen Bauern huldigten ihm ja sowieso längst schon opferbereit. Aber das reichte Horst nicht, weil ja bei den einstigen Brüdern  und Schwestern von "Drüben" dieser ausgesprochene Undank um sich griff.

Und dann auch noch die ganzen Flüchtlinge und die Landes-Mütti mit ihrem "Wir schaffen das !"
Das ward dem Horstl zu viel, und er blickte über den großen Teich, wo ein Wüterich mit rotblond gefärbtem Schiebedach nicht nur kein Blatt vor den Mund nahm, sondern  auch Statistiken und Dubioses zu Halbwahrheiten fälschte. Und seine Gegenkandidatin (siehe da!?) uncharmant und machomäßig attackierte.

Das machte sich der Horst zu eigen. Und so mutierte er erst recht zu dem fabelhaften  "Trumpeltier", das wir für seine Unverforenheit  und seine tolle Frisur so bewundern. Wer ein Trumpeltier zum Koalitionspartner hat, braucht keine Feinde, heißt es fürderhin.
Horst mit Trump-Frisur auf der Goppel

Selbst vor der eigenen Person macht er mit seinen Vorschlägen nicht halt. 
"Wieso?", fragte er am vergangenen Wochenende sein  Volk, "muss ein Trumpeltier denn zwei Höcker haben, wenn einer völlig reicht, um die Staatsmacht zu tragen?"

Da jubelte seine Anhängerschaft in freudiger Erwartung. Sähe ihr Horstl doch mit nur einem Höcker noch viel geschmeidiger aus...

Ein Problem allerdings bleibt: Mit nur einem Höcker wäre der Horst ein Dromedar. - Bliebe also ein Kamel.

Montag, 12. September 2016

Besorgte Mütter

Gefällt es mir, dass ich Großvater bin? Absolut! Gefällt es mir, dass ich deshalb gerne wegen des fortschreitenden Alters veräppelt werde? Macht mir gar nichts.

Was mich wirklich nervt, dass ich als erfolgreicher Kinds-Vater ständig ermahnt werde, was alles gefährlich ist für meinen Enkel.

Ich habe mir auf einem Trümmerfeld vom Krieg die Oberlippe aufgerissen, habe mir beim Roller fahren eine Burschenschaftler-Narbe geholt und wäre zweimal aus eigener Blödheit fast ertrunken.

Meine Frau hat in Berliner Ruinen Mutproben überlebt und waghalsige Kletterpartien veranstaltet, um an die unreifen Äpfel des Nachbarn zu gelangen.

Mein Sohn hat sich beim Schulausflug im Schwimmbad den Schneide-Zahn abgebrochen, meine Tochter hat sich an ein T-Shirt gehängt, dass von der Seilbahn auf unserem Spielplatz hing, und sich beim Absturz umgehend die Unterlippe durchgebissen. Wehe aber wenn wir sie die ganze Zeit ängstlich überwacht hätten.

Blessuren gehören zum erwachsen Werden, aber die spät gebärenden 30erinnen von heute, wollen davon nichts mehr wissen. Wegen der umfangreichen, modernen Warn-Literatur stehen sie derart unter Strom, dass kaum eine Minute ohne Anweisung für die trotteligen Großeltern vergeht.

Meine Kinder im Baby-Alter durften an Brezeln und Semmeln nuckeln, ohne dass sie dabei gleich erstickt wären. Jetzt bekommst du als ahnungsloser  Großvater Statistiken vorgebetet, wie viele kleine  Kinder an derartigen Backwerken sterben. Nicht genug: wir sind zu unhygienisch, sollen uns ständig die Hände waschen, und eiskalte Sprudelwasser, die die Schlümpfe bei diesen Herbst-Temperaturen gierig aus dem Glas trinken,, führten angeblich zu Blähungen und Erbrechen.An das Theater, was sie selbst einst gemacht haben, wenn es um die Aussicht auf derart kühlenden Genuss ging, können sie sich ja leider nicht erinnern...

Auf die Frage, wieso sie denn diese Sorglosigkeit ihre Eltern überlebt hätten, antworten dann die meisten Adepten: Reine Glücksache!

Na gut, dann war deren glückliche Kindheit halt reine Glücksache, und wir hatten nur Dusel, dass nichts Schlimmeres passiert ist.

Da schweigt des Großvaters Höflichkeit, und weicht einer klammheimlichen Freude, als der Enkel wie ein wütender Buddha schreit und das Gesicht verzieht, als die besorgte Mutter ihm die angelutschte Semmel entreißt.

- Als hätte ich nicht die ganze Zeit aufgepasst...

Donnerstag, 8. September 2016

Gentrifuiiiiiiige

Der Kinder-Witz, den ich heute für meinen Blog entlehne, geht so:
"Achtung, kleiner Frosch, wir sind in einer Zentrifuiiiiii!!!"

Ich mache daraus: "Achtung, kleiner Mensch, du bist in der Gentrifizuiiiiii!!!."

Nur drei Monate waren wir fort, und schon steht der große Block am Eingang zu unserer Straße nicht mehr. Er wurde zum Riesen-Bau-Areal. Dran glauben musste unter anderem die Griechische Schule. Es ist in Steinwurf-Weite das fünfte Gebäude, das in den letzten zwölf Monaten von  der Gentrifizierung in unserem Viertel erfasst wurde. Das ehemalige Haus mit Studenten-Appartements wurde Luxus saniert und zu Quadratmeter-Preisen verhökert, die wir kaum glauben wollten. Dabei sind sie oft nicht mal 20 qm groß. Sie waren weg wie warme Semmeln. Ein Haus, das wir in der Nebenstraße beobachteten, bekam ein aufgestocktes Dachgeschoss mit "Atelier-Wohnungen"... Und so weiter.

Was geschieht mit den Altmietern? Sie werden heraus gekauft, um dann Opfer des immer enger werdenden Wohnungsmarktes zu sein.

Natürlich hat die Stadt München Verordnungen erlassen, um die Mieter zu schützen. Wer eine große Bestands-Immobilie kauft, muss sich verpflichten, die Alt-Mieter zu schützen und darf nur entsprechend des Mietpreis-Spiegels den Mietzins erhöhen.

Aber, wehe wenn dann ein Mieter auszieht oder ein "Entmietungs"-Angebot annimmt. Dann darf saniert werden. So laut und staubig, wie es nur geht. Meine Tochter, ihr Lebensgefährte und unser Enkel werden davon in absehbarer Zeit betroffen sein, weil ihr Viertel einfach zu schick geworden ist.

All die individuelle, Restaurants, Cafés und Lädchen, die so anziehend auf die Bewohner wirken, dass jeder jeden kennt, wie auf dem Dorf, sind bereits jetzt in Gefahr, weil die Mieten in den Altbauten vorher schon jenseits der Schmerz-Grenze lagen.

Die Mechanik ist überall in der westlichen Welt die selbe. In Quasi-Slums ziehen zunächst die Künstler ein, dann folgen alternative Gastronomen und schließlich das schicke Folk, das eigene Begehrlichkeiten bedient  und damit die Gier der Bauunternehmer weckt. Beton-Gold halt.

Wir sind alt genug, um schon Mehrfach auch den Wertverfall von Immobilien am eigenen Leib erlebt zu haben.

Wenn die Blase platzt, bekommen wir dann "Zürcher Verhältnisse"? Dort ist seit einiger Zeit die Umkehr der Gentrifizierung zu erkennen. Weil Bau-Unternehmer zu sehr mit kleinen aber teuren, auf die Single-Gesellschaft ausgerichteten  Appartements gesetzt haben, stehen sie entweder leer oder werden von Migranten-Familien, die einen weit geringeren Anspruch in punkto Wohnfläche haben, angemietet.

Das ist auch im ehemaligen Studenten-Wohn-Block uns gegenüber bereits zu erkennen. Die Hälfte der Winz-Appartements ist von Migranten-Paaren oder -Wohngemeinschaften  besetzt, die einen sicheren Job haben und denen es nichts ausmacht, wenn sie eng zusammenrücken müssen. Unser Multi-Kulti-Viertel schlägt zurück, und bringt hoffentlich die "Gentrifuge" zum Stehen. Oder verlangsamt sie zumindest. Sonst wird auch Frau Merkel mit ihrem "wir schaffen das" scheitern.

Denn der Gegensatz zu Gentrifizierung ist Verslumung.

Übrigens sehr sehenswert in dieser Beziehung: Der Netflix-Film "In guter Absicht" von Joram Lürsen, der an einer wahren Begebenheit zeigt, dass diese Problematik bereits im 19. Jahrhundert aufkam. In jener Zeit übrigens wurde auch schon der Begriff Gentryfication geprägt.