Donnerstag, 18. April 2024

Gendern weiter im Schlendern

Quelle: Gesellschaft für Deutsche Sprache

 O je! Erst schafft der Bayrische Landes-Übervater Marcus Söder das Gendern behördlich ab. Dann riskieren Niedersachsens Abiturienten gerade eine schlechtere Note, sollten sie Sternchen und Unterst
riche dafür in ihren schriftlichen Prüfungen verwenden. Ist das ein letzter Versuch der christlich sozialen Machos, die ja auch das Recht der Frau auf Abtreibung weiter einschränken und behindern wollen, das weibliche und "andere Geschlechter" wieder mehr ins Abseits zu rücken?

Seit den 1960ern schlendert die Bestrebung, die Deutsche Sprache zu gendern bis heute so dahin. Was man in dieser Beziehung zu lesen oder hören bekommt, geschieht alles auf freiwilliger Basis ohne gesetzliche Grundlage. Lediglich ein Urteil des Bundesverfassungsgericht vom 10. Oktober 2017 sichert Betroffenen den Eintrag eines dritten Geschlechts im Geburten-Register zu (1BVR 2019/16).

Als männlicher Blogger habe ich mich stets bemüht, diesem um sich greifenden Gendern zu folgen oder beim Texten Begriffe mit multiplem Geschlechtsbezug zu finden. Aber mitunter ist dieses Bemühen Gewürge, und für mein Befinden muss Sprache sprechbar bleiben. Ich bin Rentner und habe viel Zeit. Deshalb macht es mir nichts aus, für Leserinnen und Leser zu schreiben, und Leser/Innen gefällt mir da schon wegen des bestimmenden, hartem I nach dem Schrägstrich nicht.

Alternativen - aufgezeigt von der Augsburger Allgemeinen

Vorlesenden und Vortragenden ist es auch zu zumuten, dass sie ihre Reden beschleunigen um die jeweils entsprechenden Versionen unterzubringen. Anstatt mitten im Wort Atem zu holen. Nehmt als Beispiel die Pharma-Industrie. Die hat das in der Werbung bei dem Hinweis  auf Nebenwirkungen prima hinbekommen 

Wenn es beim schriftsprachlichen Gendern  allen mit der Inklusion gleich ernst ist. Wieso hieße es bei formellen Anreden dann nicht streng genommen immer: Sehr geehrte Damen, Herren und Transgender!

Alles kann, nichts muss. Die Inklusion schafft sich ihre Wege hoffentlich von alleine. Aber bis dahin kann ein wenig juristischer Rat nicht schaden. Ich habe mir erlaubt, diesen sehr gelungenen Leitfaden, den ich bei "Lawpilots.com" entdeckt habe, etwas länger als üblich zu zitieren:

Goethe-Institut



Gängige Methoden des Genderns im Deutschen 

Wie bereits erwähnt, gibt es keine festen Rechtschreibregeln bezüglich des Genderns im Deutschen. Es gibt daher verschiedene Methoden, um geschlechtergerechte Sprache zu verwenden. Die gängigsten sind:

  • Binnen-I: Dabei wird ein großgeschriebenes „I“ innerhalb eines Wortes verwendet, um beide Geschlechter zu repräsentieren. Beispiel: StudentInnen.
  • Schrägstrich: Hierbei werden die männliche und weibliche Form durch einen Schrägstrich getrennt. Beispiel: Lehrer/in.
  • Gender-Gap: Ein Unterstrich (_), oft auch Gender-Gap genannt, wird zwischen der männlichen und weiblichen Endung eingefügt. Er soll Menschen einschließen, die sich weder als Mann noch als Frau identifizieren. Beispiel: Lehrer_in.
  • Gendersternchen (oder Gender-Stern): Ein Sternchen wird zwischen der männlichen und weiblichen Endung platziert. Es soll ebenfalls die geschlechtliche Vielfalt jenseits des binären Systems repräsentieren. Beispiel: Lehrer*innen.
  • Doppelpunkt: Ein relativ neuer Ansatz, bei dem ein Doppelpunkt verwendet wird, um geschlechtliche Vielfalt darzustellen. Beispiel: Student:innen. Diese Schreibweise wird von Screen-Readern als kurze Pause interpretiert und gilt daher als inklusiv für Sehbehinderte.
  • Klammern: Hier werden die Endungen in Klammern gesetzt. Beispiel: Lehrer(innen).
  • Wechselform: In einem Text werden männliche und weibliche Formen abwechselnd verwendet, um beide Geschlechter gleichermaßen anzusprechen.
  • Beidnennung: Auch die konsequente Beidnennung ist eine Möglichkeit. Beispiel: Lehrer und Lehrerinnen 
  • Neutralformen: Hierbei werden geschlechtsneutrale Begriffe oder Formulierungen gewählt. Beispiel: das Lehrpersonal statt die Lehrer oder die Lehrerinnen.
Der Link zum vollständigen Beitrag:
https://lawpilots.com/de/blog/compliance/gendergerechte-sprache/#:~:text=Die%20Geschichte%20des%20Genderns&text=Die%20Bewegung%20hin%20zu%20einer,Formulierung%20%E2%80%9EVerk%C3%A4ufer%2Finnen%E2%80%9C.

Dienstag, 16. April 2024

Der falsche Stolz auf das US-Rechtssystem

Quelle: pixabay
Es droht ein "Trump" in vielerlei Bedeutung**

Das Groteske an den Amis ist, dass sie immer noch vom "Land Of The Free" singen und sich dabei gläubig ans Herz fassen. Sie glauben dabei auch immer noch an die Legende "If  You  can make it here, You can  make it everywhere!". Dabei wird ihnen täglich in tollen TV-Serien und meisterlichen Movies vorgeführt, dass sich eigentlich seit den Tagen als "The West Was Won" nichts an ihrem fatalen "Faustrecht der Freiheit" geändert hat.

Recht haben und Recht zu bekommen, ist in den USA noch immer abhängig von der Macht und der Menge des Geldes mit der jemand vor den Kadi tritt. Alle, die staunend und kopfschüttelnd bis zur Ohnmacht (bingewatching) die beispielhafte Anwaltsserie "Suits" verfolgt haben, erleben jetzt im Reality-TV, wie ein ehemaliger US-Präsident, der sich im kommenden November zur erneuten Wahl stellt, dank seiner Anwälte mit Gerichten und Richtern umspringen kann.

Obwohl Donald Trump ja vor den Augen der ganzen Welt seine Anhänger zum Umsturz aufgewiegelt hat, Wahlfälschungen begehen wollte, Steuerhinterziehungen begangen und geheime Akten aus seiner Amtszeit "privatisiert" hat, ist seine Wiederwahl wohl nur durch die Wählerinnen und Wähler selbst zu verhindern. Denn auch wenn er noch rechtzeitig in einer Strafsache zu Gefängnis verurteilt würde, wäre das bei einem "Ersttäter" möglicherweise noch zur Bewährung auszusetzen. Eine Vorstrafe disqualifizierte ihn nicht - wie in den meisten Demokratien - für ein so hohes öffentliches Amt. Es sei denn er säße tatsächlich im Gefängnis. Denn aus dem Gefängnis zu regieren, geht selbst im "Land der unbegrenzten Unmöglichkeiten nicht...

Quelle: Wikipedia
Gemälde von Théodore Chassériau 

Alexis de Toqueville
1805 - 1859
Wieso die Verfassung der Vereinigten Staaten und in Folge dessen auch ihre Jurisprudenz von solch bisweilen "abenteuerlichen" Charakteristika geprägt wurde, hat zwischen 1835 und 1840 der Begründer der Vergleichenden Politikwissenschaften, Alexis de Toqueville, analysiert. Der als Politiker und Historiker profilierte Franzose bereiste die noch junge US-Demokratie und verfasste sein berühmtes Werk "De la démocratie americaine" auch unter dem Aspekt der nach 1792 gescheiterten Première République Francaise. Die Schwächen, die er dabei exemplarisch hervor hob schrieb er dem Umstand zu, dass die US-Demokratie ja fortwährend von der anhaltend schnellen Ausdehnung nach Westen und durch die bestehenden kulturellen Unterschiede zwischen den Nord- und den Südstaaten geprägt wurde.

Von der Abenteurer-Mentalität und ihren Legenden einerseits sowie der blutigen Auseinandersetzung von europäischer Tradition mit den Ethnien der Ureinwohner und der Sklaven grenzt es andererseits in diesem kurzen, historischen Zeitraum überhaupt an ein Wunder, dass die US-Demokratie nach dem Aderlass des American Civil War, also dem Sezessionskrieg, zur Führungsnation der "Freien Welt" aufstieg. Verständlich, dass da im Stolz auf das in der Vergangenheit Erreichte die immer wieder erforderliche Anpassung an die Gegenwart hinterher hinkte.

Ein aktuelles Beispiel hierfür: Die sichtbare Manipulierbarkeit des US-Supreme-Courts durch Trumps vorausblickenden Personalien mit undemokratischem Ansinnen hat nun in Deutschland sofort zu Anstrengungen geführt, den Bundesgerichtshof besser vor Missbrauch durch Partei-Politik zu schützen. Trump, der noch während seiner Amtszeit schlau für eine mehrheitlich republikanische Gesinnung der auf Lebenszeit berufenen Richterinnen und Richter gesorgt hatte, kann so möglicherweise bei seinem Spiel auf Zeit mit der Justiz diverser Bundesstaaten im zweiten Anlauf zum POTUS bei letztinstanzlichen Fällen auf deren wohlwollende Ablehnung hoffen.

Quelle: Depositphotos
Wo Richterinnen und Richter als Partei-Gänger nach der Ernennung auf Lebenszeit
durch den Präsidenten eine politische Mehrheit über jeweilige Amtszeiten hinaus
manifestieren könnten, ist die Unabhängigkeit Justiz per se nicht mehr gegeben...
Der US-Supreme-Court


Alle Demokratien deren Verfassungen auf dem Glauben an das Gute im Menschen fußen, sind vorgewarnt. Nicht nur durch deren - wie sich weltweit zeigt - leicht möglichen, rapiden Abbau ihrer empfindlichen Segnungen (hier vor allem im Osten der EU)! Sondern  auch dem liberalen Westen insgesamt muss langsam angst und bange werden, wenn der möglicherweise nächste Präsident der Vereinigten Staaten auf die eben unpräzise Rechtsprechung bauend, seinen Gegnern vor allem aber seinen Richtern in Allmacht und Immunität mit Rache (vengeance*) und Blutvergießen (bloodshed*) droht...


* Durch Tondokumente belegte, jüngste Aussagen des republikanischen Präsidentschaftskandidaten:

https://www.google.com/search?sca_esv=b0a2a50fd2778424&rlz=1C1VDKB_deDE1082DE1082&sxsrf=ACQVn0_KjZs-LXWMvI9He-Iu9yEqzp0hOQ:1713260183144&q=Tonaufnahmen+von+Trump+-+vengeance+and+bloodshed&spell=1&sa=X&ved=2ahUKEwi_1_7Et8aFAxVu8rsIHVmhDiEQBSgAegQIBhAC&biw=1280&bih=559&dpr=1.5#fpstate=ive&vld=cid:c7847677,vid:IXcYfs5CFDM,st:0

https://edition.cnn.com/videos/politics/2023/03/05/trump-sot-cpac-i-am-your-retribution-molly-jong-fast-acostanr-vpx.cnn

**https://de.pons.com/%C3%BCbersetzung/englisch-deutsch/trump

Sonntag, 14. April 2024

Mit "New Work" zur "Work-Life-Balance"

Quelle: freepik
Wenn man nicht allzu vergesslich wird, sind die Erfahrungen eines längeren Lebens durchaus hilfreich.
Deshalb weiß ich noch, wie sich die ganze Familie fühlte, als ziemlich gleichzeitig bei meinem verbeamteten Vater und mir als Volksschüler der Samstag zur Freizeit wurde. In unseren Familien arbeitet seither niemand mehr an einem Samstag, es sei denn, es gäbe einen außerdienstlichen Anlass oder eine Dienstreise.

Die Lehre zum Verlagsbuchhändler war eine erzwungene Idee meiner Eltern, die nicht wollten, dass ich durch meine künstlerischen Ambitionen auf die schiefe Bahn geriete. Meine drei kurzen Anstellungen waren ein Desaster. Deshalb musste meine mir beinahe alles verzeihende Mutter auch meinen Schritt in die Selbständigkeit mit Unterschriften flankieren, denn damals war jemand ja erst mit 21 volljährig und entsprechend geschäftsfähig. Wieso ich - der in der Schule nie eine bessere Note als "ausreichend" im Fach Deutsch hatte, sie überzeugen konnte, als freier Autor Fuß fassen zu können, ist mir selbst zwei Jahrzehnte nach ihrem Tod immer noch ein Rätsel. Das noch größere Rätsel war, wieso ich für Aufträge nie in Redaktionen antichambrieren musste. Jemand las mein Geschreibsel und wollte für seinen Verlag auch etwas davon. Die 1970er waren die Blühte des Autorenjournalismus.

Ohne Handy und Internet war
die Arbeit allerdings
mitunter auch Abenteuer

Bevor die Elektronik und die Computer unser Leben und unsere Arbeit beherrschen sollten, lag mein Erfolg wohl daran, dass ich für mich schon immer eine Arbeitsweise wollte, die heute gerne mit "Work-Life-Balance" beschrieben wird. Als meine spätere Frau und ich unsere ersten Reisen unternahmen, die bis zu vier Wochen dauerten, war meine Adler-Reiseschreibmaschine immer dabei. Ich hatte mich für diese Reisezeiten stets mit Aufträgen eingedeckt. So konnte es passieren, dass ich an einem einsamen Strand an der Westküste Korsikas bei Kitschmusik im Sonnenuntergang auf der Terrasse einer Strandkneipe bei kuscheliger Wärme Berichte über Skigebiete verfasste aber auch zwei Erzählungen zu Papier brachte, die alle Reisekosten nicht nur abdeckten, sondern auch für Rücklagen sorgten. Es war die Zeit einer absoluten nie mehr wieder erlebten Freiheit. Dann kamen die Kinder, und ich wurde zum Alleinverdiener, der eine breitere und sicherere Plattform schaffen musste.

Das Reporter-Leben durfte als Boss aber nicht
 hinter dem Schreibtisch enden.
Bis an die Schmerzgrenze lebte ich es meinen Mitarbeitern oft vor

Später als eines zum anderen Gekommen war und ich in meinem Büro bisweilen  mehr als 14 Leute auf der "Payroll" hatte und zudem satte Honorare ausschüttete, wollte ich meinen Mitarbeitern eine gewisse Freiheit bei ihrem Schaffen auch bieten. Die anfallende Arbeit bis zum Abgabe-Termin druckreif zu machen, war das Maß aller Dinge, nicht der Zeitraum, in dem sie realisiert wurde. Diejenigen, die am besten mit diesen Arbeitsbedingungen umgehen konnten, blieben mir bis zu zweieinhalb Jahrzehnte treu.  Die mehr als ein dutzend Volontäre, die sich in meiner Redaktion vom ersten Tag an entfalten konnten, blieben oder nahmen später Spitzenpositionen in der Branche ein.

Man Hätte sie also schon vor über zwei Jahrzehnten als Kinder von "New Work" bezeichnen können. In jedem Fall brachte ich sie aber auf die Spur einer "Work-Life-Balance".


https://www.tagesschau.de/wirtschaft/arbeitsmarkt/arbeit-new-work-100.html

https://www.tagesschau.de/wirtschaft/arbeitsmarkt/generation-z-arbeitsmarkt-100.html

Donnerstag, 11. April 2024

Die Rückkehr der Suggestiv-Fragen

DRINKUNGKAGYÜ
Togdan Rinpoche
Als ich noch ziemlich am Anfang meiner Arbeit in der Entourage von Heinrich Harrer zur Inthronisation des Togdan Rinpoche von Kaschmir über die Pässe nach Ladakh als Beifotograf für sein Buch reiste, bekam ich zu all den unvergesslichen Eindrücken von Heinrich auch noch eine für den Journalismus essentielle Gratis-Lektion in punkto Interview-Technik. Er sprach ja durch seine sieben Jahre als Lehrer des Dalai Lama fließend Tibetisch.
International Campaign for Tibet
Heinrich Harrer mit seinem einstigen Schüler,
dem buddhistischen Oberhaupt Dalai Lama

Wenn wir unterwegs in den tiefen Tälern Einheimische trafen, kam er immer schnell ins Gespräch mit ihnen, obwohl er erst einmal eine Weile auf sie einsprach.

Als ich wissen wollte, wieso er das machte, gab er mir folgenden Rat: "Wenn du etwas in einer fremden Welt von den dort lebenden Menschen erfahren möchtest, musst du zunächst auch etwas von dir und deiner Welt preis geben. Aber das wichtigste ist, dass du keine Suggestiv-Fragen stellst. Wenn jemand auf die Mutmaßungen in deinen Fragen nur mit Ja oder Nein antworten kann, erfährst du nichts!

Heute sorgt das Internet mit seinen vielen Anfragen für schnelle, persönliche Entscheidungen beispielsweise auf Fragebögen, oder endlose Allgemeine Geschäftsbedingungen (AGB) sowie durch die bald nur noch elektronischen Kundendienste dafür, dass wir oft in Kästchen nur noch Ja oder Nein, beziehungsweise akzeptieren oder ablehnen anklicken können. Offenbar führt das als Begleiterscheinung  auch immer häufiger dazu, dass auch oder vor allem in Interviews, bei denen es um Politik geht,  die Befragten durch suggestive Annahmen der Fragesteller zu persönlichen Wunsch-Antworten verleitet werden soll. Die Meinungsbildung soll also durch die Fragestellung und nicht etwas durch die Antwort erfolgen.

Quelle:freepik


Das hat zumindest aus meiner Sicht zu einer nahezu unerträglichen Einmischung - um nicht zu sagen Manipulation - durch Talkmaitressen und -Master geführt, die sich dem Publikum wohl als viel kundiger präsentieren wollen als die zu den Antworten Geladenen.

Offenbar traut sich keine verantwortliche Redaktionsleitung mehr, ihre so selbst erzeugten Stars auf dem Gebiet ihrer allwissend heischenden Eitelkeit auch mal wieder einzubremsen. Sonst käme es nicht immer wieder zu solch lächerlichen Momenten:

Quelle: SZ Talkshow-Kritiken
Lars Klingbeil versus Sandra Maischberger.
Nur, dass sie dem SPD-Vorsitzenden offenbar
seine Partei erklärt. Senkt sie die Stimme vor lauter Wichtigkeit,
bleibt dem Publikum oft nur die nackte Zukunftsangst

Moderator oder Moderatorin: "Ich bitte Sie ganz kurz mit einem Satz hierzu noch..." Dann wird die verklausulierte Frage aber so lang und mit  so viel eigenem Wissen gestellt, dass für eine Antwort kaum noch Sendezeit bleibt, nicht selten sogar eine weitere nötig wäre...

Achtet mal darauf

Jahrmarkt-Schreier der Eitelkeiten:
Wenn er nach vorne rutscht
und heischend sein Kinn vor reckt,
geht es meist mehr um den 
Inhalt seiner Fragen
als um die Antworten seiner Gäste
Quelle: www.fr.de

Dienstag, 9. April 2024

Vom Bejahen und Verneinen

Am vergangenen Montag hat Boris Pistorius in dem ZDF-Interview-Format  "Was nun Herr Pistorius" einmal mehr bewiesen, weshalb er in allen Umfragen zur Zeit der beliebteste Politiker ist. Dass ausgerechnet dem emphatischen Verteidigungsminister soviel Sympathien zufliegen, hängt wohl einerseits mit  unser aller Angst vor einem neuerlichen Weltkrieg, aber auch mit seiner Fähigkeit zusammen, die nicht einfachen Verhältnisse, mit denen er umzugehen hat, ungeschminkt zu erläutern. Selbst dem unseligen Taurus-Narrativ hat er mit wenigen kompetenten Worten die Lunte herausgerissen, an der Freund und Feind aus Opposition und Ampel nicht müde werden, zu zündeln. Ich denke, jede Nation sollte stolz sein, dass sich ein Mann ohne Profilneurose um die militärische Sicherheit kümmert.

Quelle www.verpasst.de
Boris Pistorius im Kreuzverhör von Beate Schausten und Anne Gellinek

Aber weil wir uns eben mit der Ampel im Dauerstreit mitten in einem wichtigen Wahljahr befinden, müssen sich Opposition und Opportunisten - vielleicht sogar gegen ihren Willen - am derzeit besten Pferd im Koalitions-Kabinett abarbeiten. Dabei wird hier gerade in Krisenzeiten eine Schwäche der demokratischen Auseinandersetzung evident: Wegen des eigenen Profils aber auch der Partei-Raison muss verneint werden, was eigentlich ein generelles Bejahen verlangt. Auch wenn das innen und außen auch Schäden hervorrufen könnte, die wir uns angesichts noch nicht erreichter Verteidigungsbereitschaft gar nicht leisten können.

Ich verzichte hier auf eine Gegenüberstellung von einzelnen Themen, bei denen das Verlangen mit der Machbarkeit längst nichts zu tun hat. Denn alles verursacht ja Kosten, deren Deckung mit dem derzeit überlasteten Haushalt nicht gewährleistet werden kann. Nur das bloße Avisieren löst ja schon wieder den Widerspruch jener Sparapostel aus, die vorher lautstark nach verbesserter Wehrtüchtigkeit geschrien haben.

Quelle: Tagesschau
Mit einer neuen Cyberarmee in der Kommandostruktur
der Bundeswehr zielt Pistorius auf die Trolle Putins.
Hoffentlich wird die von ausreichend "Prätorianern" geschützt

Bestes Beispiel ist ja die Diskussion um die Wiedereinführung der allgemeinen Wehpflicht, die einst der Herr von und zu aller christlich sozialsten Verteidigungsminister für "politische Bonusmeilen" unvorbereitet abgeschafft hatte. Keiner hat derzeit eine Idee davon, was so eine Wehrpflicht bei Wiedereröffnung längst geschlossener Kasernen und zeitgemäßer, kampftauglicher Ausrüstung an Kosten generieren wird. Vor allem aber, ob die dann wirklich eine Qualitätsverbesserung für die akute Verteidigung brächte.

Pistorius plant über das Ende der derzeitigen Koalition hinaus und macht keinen Hehl daraus, dass er das, was er vor 15 Monaten angefangen hat, gerne - möglichst in Frieden - zu ende bringen möchte.

Der Name Pistorius leitet sich übrigens - entlehnt aus dem Lateinischen - vom Handwerk des Bäckers ab. Auch wenn er gemäß der jetzigen Planung ja fast zwangsweise "kleine Brötchen" backen muss, könnte er dereinst die Welt damit überraschen, dass er geschichtlich zum Prätorius oder besser als umsichtiger Heerführer als Prätor zum Friedensbewahrer aufsteigt. Mögen ihn dabei die "Prätorianer" für seine neu aufzustellende Cyberarmee schützen...

Sonntag, 7. April 2024

Gentrifizierung und Marginalisierung

Die Schwaige an der Straße nach Schleißheim
Kupferstich von M. Wening
Kirschblüten-Hanami
im Petuelpark

Foto: Claus Deutelmoser

Warum fange ich heute nur an, den Hund mit dem Schwanz zu wedeln? Nach einem April-Wochenende, das als wärmstes aller Zeiten in der Klimastatistik vermerkt werden wird, sitze ich im früh erblühten Garten vom "Glashaus" und denke über die Marginalisierung nach. Für alle, die mit diesem Begriff nichts anfangen können: Er steht im Gegensatz zur Gentrifizierung. Die Gentrifizierung ist jedoch gleichzeitig auch der Katalysator der Marginalisierung. Wo der Speckgürtel rund um eine Metropole für den Wohlstand nicht mehr ausreicht, beginnt sich die Gentrifizierung vom City-Kern aus meist kreisförmig durch die Bestandsimmobilien voran zu fressen und macht Häuser, Wohnungen und Baugrund "upmarket". Das führt mittel- bis langfristig zu sozialen Verwerfungen. Vor allem, wenn der Soziale Wohnungsbau zum Stillstand kommt und dessen Altbestand Tummelplatz für Spekulationen wird, auf dem einst subventionierte Bauten bevor sie saniert werden müssten, untern Hammer kommen. Wo das geschieht, ist kein Raum mehr für bezahlbares Wohnen.
BMW-Welt mit Museum und Verwaltungsgebäude "Vierzylinder"
Foto: Fakultät für Tourismus LMU

München scheint im Moment, da Hamburg und Berlin in bestimmten Vierteln auch schon Symptome von "Clankriminalität" bekämpfen müssen,  bislang da noch mit einem weißblauen Auge davon zu kommen. Dabei verharren hier gegen den aktuellen Bundestrend nicht nur die Mieten, sondern vor allem die Immobilienpreise auf Rekord-Niveau. Einer der Gründe, weshalb es hier nicht zu einer neuerlichen Marginalisierung kommt, sind ausländische Investoren, die sich aus Städten wie London und Paris sowie auch aus New York zurückgezogen haben. Grund sind aus deren Sicht nicht nur die verhältnismäßigen Schnäppchenpreise, sondern vor allem das sichere Umfeld. Miet-Einnahmen sind für sie zweitrangig, weshalb sie die teuren Teile auch mal ungestraft leer stehen lassen. Zum 48. Mal in Folge wies die Münchner Kriminalstatistik für 2023 Bayerns Hauptstadt als sicherste Großstadt Deutschlands aus.

Als das "Glashaus" gebaut wurde, lag es am äußersten Rand des Teils von Milbertshofen, der von der bayrischen Bourgeoisie gemeinhin als Glasscherbenviertel apostrophiert wurde, Die 90er Jahre waren für die Eigentümer kein Zuckerschlecken: Unzuverlässige oder vandalisierende Mieter waren in dem schwer zu vermittelnden Neubau an der Tagesordnung. Eine von Streetwork angemietete Gewerbe-Einheit im Parterre war permanenter Anlass für Beschwerden der Bewohner, die von Belästigung, Bedrohung bis Diebstahl reichten. Oft wurde gar die Polizei gerufen. Der Wertverfall der Immobilie war evident.

Noch als wir die Wohnung hier 2010 alternativ zu unserer Italienischen Zweitheimat bezogen, waren die Zustände kritisch. Es ist nicht genau zu rekonstruieren, was der Anlass war, dass die Gentrifizierung über den Ring schwappte. War es der neu erschaffene Petuelpark, die BMW-Welt oder allein der Zeitfaktor? Dass die Randalierer erwachsen wurden und die Streetworker es nun mit einer "pflegeleichteren Generation" zu tun haben? Oder  weil hier die Mieten, doch noch etwas länger bezahlbar blieben als in den bereits gentrifizierten Vierteln?

Luxus-Appartements und Dachterrassen ab 6.000 €/qm
im Angebot sind nur Zwischenstationen
der Gentrifizierung in Milbertshofen
Foto: Immoscout 24
Multikulti ist geblieben und wird offenbar nun als Charme-Zuwachs empfunden. Aber wo ist der "Rand" hin gerutscht, der die nächste Marginalisierung anzeigt?

Ziemlich sicher ist dadurch, dass die AfD auch in Zukunft in der einstigen "Hauptstadt der Bewegung" kaum mehr als drei Stadträte haben wird. So lange die Grenzen der Marginalität nicht wieder sichtbarer werden, fällt es hier vermutlich schwer, Leute zu finden, die sich "abgehängt" fühlen.

Typisch für das Alt neben Neu:
Die Milbertshofener Kant-Straße.
Sie beginnt an der futuristischen BMW-Welt
und endet an der Knorrstraße.
Foto: Claus Deutelmoser
Mein "Blog-Spot"
Foto: Claus Deutelmoser




Donnerstag, 4. April 2024

Gleichalt und gar nicht fit

Quelle: NDR
NATO- Generalsekretär Stoltenberg mit US-Außenminister Blinken
Die NATO wurde gestern 75. Sie ist also nur ein paar Tage jünger als ich, aber dennoch im selben desolaten Zustand. Griffe mich jemand an, wäre ich trotz meiner Kenntnisse in Selbstverteidigung altersbedingt wohl absolut wehrlos. Aber bis auf ein paar Neonazis, vor denen ich einen Kollegen einmal bei einer Demo beschützen wollte, hat das außerhalb des Rings oder des Dojos auch mein Lebtag niemand gewagt; - auch bei meinen Reisen durch die finstersten Gegenden dieser Welt nicht! Entweder aus Furcht vor meiner Körperlichkeit, oder wie ich es mir gerne und naiv einbildete, weil ich meine Friedfertigkeit auf der Stirn trug und Gewalt mit sichtbarem Ekel ablehnte.

Aber.! Wer nicht angegriffen wird, weiß im Gegenzug auch nicht wie wirksam seine Möglichkeiten zur Abwehr bei einem Konflikt gewesen wären. Wer 75 Jahre nicht angegriffen wurde, aber Unbesiegbarkeit demonstriert, muss damit rechnen, dass irgendein Desperado irgendwann daher kommt, um das auszureizen. Putin ist dabei noch nicht einmal ein derart "Verzweifelter". Er ist ein ehemaliger Agent, der zu keiner Zeit seine persönliche Fitness vernachlässigen musste, um von seinen weiterhin akribisch gesammelten Kenntnissen um die Schwächen des Westens treffende  Analysen zu erstellen. Allerdings hat er sich beim Angriff auf die Ukraine in einer wesentlichen Eigenschaft getäuscht, die er nicht kennt, weil sie ihm wesensfremd ist: Das ist die Solidarität der Bündnispartner. Und mit noch einer Stimmung hat er sich verrechnet. Er hat geglaubt, die eingelullte friedenspolitische Träumerei humanistischer Prägung bei den Nachkriegsgenerationen des Westens wären eine Schwäche, auf die er Einfluss nehmen könnte.


Ich schrieb gleich nach dem  Vormarsch im Februar 2022 auf diesem Blog, wie entsetzt ich war, in meinem Denken feststellen zu müssen, dass mein anerkannter Pazifismus ja nur das Privileg war, in sieben Jahrzehnten keinen Krieg auf Deutschem Boden erlebt zu haben. Und im gleichen Tempo wurden all die ausgemachten Friedensbekenner der Ampel-Parteien zu dieser Erkenntnis gezwungen. Jetzt jedoch sind manche dieser Tauben zu Falken mutiert - um nur Annalena Baerbock und Anton Hofreiter  als exponierte Beispiele zu nennen - die textlich in einer Kraftmeierei auftreten, als hätten sie schon immer das blutige Messer zwischen die Zähne geklemmt...

Quelle: zroadster.com

Auch das kann in einem Moment nicht der richtige Weg sein, in der die übrige Welt über die Verteidigungsfähigkeit der ehemaligen Kriegstreiber-Nation schwadroniert. Ich meine, die meisten derzeitigen Akteure auf dem diplomatischen Parkett sind da zu jung und leidenschaftlich für  eine schlüssige. innere Erörterung. Pazifismus ist keinesfalls eine falsche Einstellung zur Errettung dieser Welt, aber man muss ihn versiegelt im Kopf behalten, wenn in einer Demokratie Entscheidungen über deren Fortbestand getroffen werden. Es gibt keinen Krieg, in dem nicht der eine vom anderen verlangt, sich zu opfern, während man selbst die eigene Unversehrtheit vornan stellt!