Samstag, 8. April 2017

Radel-Reigen

Die Säfte steigen, die Bäume schlagen aus, und die Radler an unserer verkehrsreichen Kreuzung werden noch zahlreicher. Dieser Winter war ein Nonstop-Radel-Winter. Immer mehr packen sich warm ein und radeln aus Kostengründen oder der Fitness halber ohne jahreszeitliche Unterbrechung. München ist in den letzten Jahren eine Radel-Metropole geworden. Es gibt tolle, gut ausgeschilderte Strecken durch die ganze Stadt. Von uns aus kann einer beispielsweise durch ständig grüne Laub-Tunnel bis in die Innenstadt kommen. Dennoch sind die Radwege entlang der wichtigsten Straßen zwar mehr geworden, ober für die Ansturm dann doch immer noch zu eng. Es gibt regelrechte Kulminationspunkte mit hohen Unfall-Zahlen

Dadurch entstand der Begriff Radel-Rambo. Die Jungen auf ihren Sport-Bikes rasen in Höchstgeschwindigkeit ihrem Ziel entgegen, während die älteren Semester als mobile Schikanen betrachtet werden, die durch enge Überhol-Manöver eingeschüchtert werden sollen. Deren Gegenwehr erfolgt auf einer rapide zunehmenden Zahl an E-Bikes. Ha, der will mich überholen? Dann beschleunige ich mal Kurz. Die geheimen "Kraft-Reserven" werden ja immer leichter und schlanker - bei zunehmender Leistung...

Die Folge: die dekorativsten Strecken verkommen zu einer Art "War-Zone", in der vor allem Kinder in Gefahr geraten.

Die zwei Tage vor den Oster-Ferien haben die strammen Herren und Damen vom 47 Polizei-Revier genützt, um den Schulkindern in einer Art Überlebens-Kurs die Herausforderungen an Konzentration und Fahrkenntnis näher zu bringen. Die wegen ihrer merkwürdigen Phasen besonders gefährliche Kreuzung unterm Glashaus, ist dabei ein Muss für die Sensibilisierung. Vorweg ein Polizist oder eine Polizistin hintendran jemand aus dem Eltern-Beirat reihen sich die Kids in Leucht-westen mit Startnummern auf, um den verzwickten Verkehr in den Nebenstraßen zu erkunden. Da gibt es Einbahnstraßen mit legalen Radel-Gegenverkehr, vorfahrtberechtigte Einbahnstraßen, die von Lieferanten rücksichtslos zugeparkt werden und reine Spielstraßen, die von "Anliegern" missachtet werden.

Trotz der strengen Kommandos der "Führungs-Offiziere" haben die Kinder offensichtlich einen Riesen-Spaß und vielleicht ein  Sicherheits-Bewusstsein, dass für die Dauer der Ferien reicht. Länger wohl nicht, denn wer genau hinsieht, erkennt, dass die Kids bereits auf Geschossen sitzen. Dass Kinder-Fahrrad scheint nun endgültig passee.

Das erinnert mich an meinen Sohn vor 30 Jahen, der ein Rad für den Schulweg schlichtweg ignorierte, weil es nicht das zu Weihnachten gewünschte BMX-Rad war. Inzwischen fährt er in seinen "In"-Vierteln immer noch auf einem "Rost-Radel" herum, dass ich zum selben Zeitpunkt - trotz einer "Rennmaschine" - gekauft hatte, um mit ihm Vater-Sohn-Ausflüge zu machen...O tempora o mores!

Oster-Ferien sind ein gutes Stichwort: Der Blogger verabschiedet sich in dieselben, um sich ab dem 27. April wieder von der Burg zu melden. Bleibt mir gewogen.

Mittwoch, 5. April 2017

Obergrenzen

Bis ich zu nah an die Doping-Szene geraten bin, habe ich Menschen, die keine Obergrenzen kennen, sehr bewundert. Das Streben nach Unerreichtem oder vermeintlich Unerreichbarem hat ja auch etwas Heldenhaftes. - Bis einer anfängt, das Tun zu hinterfragen oder gar zu analysieren.

Es liegt in der Natur des Menschen, sich stets verbessern zu wollen und sich nicht mit etwas zufrieden zu geben. Aber irgendwann stellen sich natürliche Grenzen in den Weg. Da trennt sich charakterlich die Spreu vom Weizen.

Da ich fast ausschließlich zurück blicke - und kaum noch voraus oder nach oben, weiß ich, dass ich meine Obergrenze zu früh erreicht habe, während die paar meiner übrig gebliebenen Freunde immer noch irgendwelche Ziele vor Augen haben, um ihr Ego zu füttern.

Am Wochenende haben wir formidabel auf der Garten-Terrasse meines Freundes Ludwig gegessen. Wir hatten uns seit Anfang Januar nicht mehr gesehen, weil das Ehepaar in seinen Siebzigern, um der hiesigen Kälte zu entgehen, zwei Monate beim Golfen in Übersee verbracht hat:

Traum-Villa mit eigenem Boot und Bootssteg. Sie kamen aus dem Schwärmen gar nicht heraus, obwohl ihre Villa hier auch zu den schönsten gehört, die ich kenne. Und auch sonst sind die zwei mit tollen Kindern, Schwiegertöchtern und einer Enkel-Schaar gesegnet, der zum Essen  der Ordnung halber fast Startnummern umgehängt werden müssten. Es fehlt an nichts.

Und doch wurmte Ludwig vor allem, dass seine Nachbarschaft in den USA so viel reicher schien als er es sei. Meinen Einwand, dass er das in der Relation sehen müsse, und wir Merkel hätten und die dafür zur Strafe Trump, ließ er nicht gelten. Die Absurdität des schnellen, vielen Geldes in unserem Land  verglich er mit den riesigen Alt-Vermögen in den USA.

Ludwig hat sich schon immer nach oben orientiert und wird das bis zum letzten Atemzug vermutlich weiter tun. Er könne es sich zum Beispiel schön vorstellen, wenn in Unterpaffenhofen sein Privat-Jet stünde, damit er bei Reisen "nicht mehr anstehen müsse"...

Es ist zwar verrückt, aber ich sehe durchaus einen Bezug zwischen Reichtum und dem Wunsch nach Unsterblichkeit - also einem Leben ohne Obergrenze.

Was veranlasst denn sonst einen vermeintlichen Milliardär über "Pussygrabbing" zu schwadronieren, während er für das mächtigste Amt der Erde kandidierte? Was veranlasst meinen Lieblings-Obergrenzen-Politiker, den Seehofer Horst, nach einem seine Fitness beweisenden  Medizin-Check solchen Geistesgrößen wie Söder. Dobrindt oder Scheuer weiterhin den Zutritt auf den freistaatlichen Thron zu verwehren?

Böse, wer da an Alters-Starrsinn denkt, wo es doch nur die Gewissheit ist, dass Obergrenzen ausschließlich für andere Sterbliche gelten
Mit freundlicher Genehmigung der Salzburger Nachrichten

Samstag, 1. April 2017

My personal Brexit

Es ist nicht so, dass ich die Engländer nicht mag. Ohne sie hätte unsere Familie in Hamburg nicht überlebt. Ungeachtet der Tatsache, dass er zum erweiterten Kreis im Widerstand gehörte, wurde mein Vater im ehemaligen KZ Neuengamme auf 48 Kilo (bei 182cm) reduziert, ehe er seinen "Persil"-Schein bekam. Kurioser Weise war unsere Mutter gleichzeitig Marketenderin für die Offiziere der Besatzungsmacht.

Wohl einem Urinstinkt folgend rannte ich  als kleiner Junge immer ins Haus, wenn die bauchigen Bristol-Transportmaschinen krachend über die Dächer von Alsterdorf im Lande-Anflug auf Fuhlsbüttel zusteuerten.

Sobald er als unbedenklich galt, wurde mein Vater als Volljurist in die Verwaltung der sich langsam aufrappelnden Bundesrepublik komplimentiert, während über meine Mutter freundschaftliche Kontakte mit Briten geschlossen wurden. Dann waren sie auf einmal weg. Das schwarze Nummernschild an unserem ersten VW-Käfer wurde durch das stolze weiße mit HH ersetzt.

Schließlich tauchten wir durch die Versetzung meines Vaters nach München voll in die amerikanische Kultur unserer Nachbarschaft ein... Cool, lässig und entspannt - trotz kritischer Zeiten.

Den ersten Kontakt als halbwegs selbständig Denkender hatte ich zu den "Tommies" dann ausgerecht in Gibraltar Der Appendix an der Iberischen Halbinsel offenbarte etwas extrem Konservatives, Rückständiges. Es gab noch die Altstadt, die ohne weiteres - wie ich später lernte - auch auf der Insel hätte stehen können.

Smokey Joe's in den 1960ern
Wir aßen im von Briten empfohlenen "Smokey Joe's Eatinghouse"  das "Special": Nach all den kulinarischen Köstlichkeiten Nordafrikas, Portugals und Spaniens auf unserer sechswöchigen Reise saßen wir vor Beans und Fritten,  auf die ein Spiegel-Ei geklatscht war.

Am Anfang meiner Karriere als freier Schreiberling, war ich dankbar, dass ich sechs Jahre später als Hilfs-Skilehrer für eine Organisation namens "Schools Abroad" arbeiten durfte. Es gab ein wirklich gutes Honorar und Freiflüge nach England, wo ich mich mit den begleitenden Schul-Lehrern und den Organisatoren traf, um aus den Erfahrungen Verbesserungen vorzuschlagen. Zeit und Geld reichten, um mit einem Leihwagen Süd-England und London zu erkunden. Es war ein Abenteuer schon wegen des Linksfahrens auf den engen Countryroads. (Why should we change our sides for the fault of the others). Obwohl da Kanal-Tunnel und EU noch nicht wirklich angedacht waren, regte sich mein renitenter jugendlicher Geist über diese und andere Zeichen der Arroganz furchtbar auf.

Im Vergleich zu Deutschland waren die Klassen-Unterschiede aber auch der Klassen-Stolz viel ausgeprägter. Dadurch war ein Gefälle zu sehen: Dort mit Geld niedlich herausgeputzt. Um die Ecke verwahrloste Vorplätze und Müll.

Als ich mit einer Animation-Company in der Fleetstreet zur Umsetzung von Comic-Figuren zu tun hatte, war der Thatcherismus schon in vollem Gange und die Nation geteilt. Die für "an apple and an egg" unbezahlte Überstunden anhäufenden Zeichnerinnen waren nicht gut auf die Eiserne Lady zu sprechen, aber dafür deren Bosse im "Ye Old Chesher Cheese Pub" um die Ecke, die noch dazu eifrige Monarchisten waren.

Die folgenden Boomjahre bekam ich nur noch aus der Ferne mit. Es gab ja genügend James Bond Filme und englische Serien, die den schnellen Wandel der Metropole in den Docklands und die schicken country sites dokumentierten.

Why should we change our sides for the fault of the others. Dieser Spruch kam mir immer wieder ins Gedächtnis, als wir Zentral-Europäer mitbekamen, was das UK für Sonderrechte beim Beitritt haben wollte. Das Geld mit dem die Briten dabei protzten, war ja nicht vom Sozial-Produkt erwirtschaftet, sondern kam im Vorgriff auf die EU aus Arabien und vom Festland.
 Ausgerechnet die dabei Abgehängten, glaubten den wie durch einen Zufall überall gleichzeitig aufgetauschten Populisten. Nämlich, dass es ihnen wieder besser ginge, wenn Great Britain durch den Brexit  "great again" würde. Auch wenn das auf vorsätzlichen Kreditbetrug hinaus liefe. Gibt man dir, so nimm! Nimmt man dir, so schrei!
Niemand ist eine Insel (No Man Is an Island.  John Donne  gestorben 1631)
John Donne
Wer nicht will, der hat schon - aber nicht mehr lange. Wenn entsprechend hart verhandelt wird, bricht nicht nur der britische Binnenmarkt ein, sondern platzt auch der durch Kredite ins Unermessliche aufgeblähte Immobilienmarkt.

Brexit folgt Exitus. RIP UK!