Donnerstag, 30. Oktober 2014

Mischen impossible?

Intoleranz und Rassismus sind uns näher, als wir denken. Weil diese Neigungen in jedem von uns schlummern. Was  leider nicht allein eine Frage der Beeinflussung in jungen Jahren ist. In den letzten zwei Jahren beobachte ich, dass viele meiner Bekannten von einer Altersradikalisierung ihrer Ansichten betroffen sind, Und was das schlimmste ist, ich muss mich selbst immer öfter zusammen reißen, um nicht Gedanken aufkommen zu lassen, die ich immer verabscheut habe.

Das Ziel des radikalen Islam und seines infamen Terrors zielt genau darauf ab. Wir sollen mit Hass Verfolgung und Gewalt auf sie reagieren, weil sie daraus dann ja erst ihre Legitimität beziehen könnten...

Ich tue mich vielleicht ein wenig leichter, mich wieder nach Anfällen von Abscheu zur Ordnung zu rufen, weil ich als später Teenager auf makabere Weise derart  herausgefordert wurde:

Wie manche meiner Leser sich vielleicht erinnern, bin ich als Jugendlicher unter Amerikanern aufgewachsen, weil mein Vater seine Münchner Dienstwohnung in einer ihrer Housing Areas zugewiesen bekommen hatte. Es war eine spannende Zeit, da ich dadurch freundschaftlichen Umgang mit den Kindern von US-Eliten - Spitzen-Militärs und hochrangige Diplomaten .- hatte.

Die bildhübschen Töchter des jüdischen General-Anwaltes der US-Streitkräfte in Europa waren Wegbegleiterinnen auch bis jenseits der Pubertät. Da ich aber in meinen Schulklassen umschwärmte jüdische Mitschülerinnen hatte und die Kodexe ihrer Familien respektierte, versuchte ich bei diesen beiden Langzeitfreundinnen gar nicht erst anzubandeln. Tausendmal berührt, tausendmal ist nix passiert. Dass es dann auf andere Weise bumm machen würde, war der Anlass, dass ich überhaupt erstmals über Rassismus nachdenken musste.

Eines abends hatte es geläutet, und vor der Tür stand die Miniatur-Ausgabe einer Traumfrau. Ein afroasiatisches Mädchen, das gezielt nach mir fragte. Sie war deutlich älter und selbstsicherer als ich. Obwohl sie noch nicht einmal 150 cm hoch war, machte sie einen riesen Eindruck auf mich. Rückblickend weiß ich, dass es Liebe auf den ersten Blick war.

Glory war die Tochter eines afroamerikanischen  Funkspezialisten und einer chinesischen Dechiffriererin. Beide waren - was natürlich keiner wissen durfte - für die Intelligence tätig. Die Intelligenz-Bestie war jedenfalls ihre Tochter, die zwei Jahre zu früh mitten in ihrer College-Abschlussprüfung steckte und von anderen aus der Wohnanlage gehört hatte, dass ich bereits  mit Schauspielerei und Büchern zu tun hätte. Die fließend Deutsch mit leicht hessischem Einschlag sprechende Glory wollte mich für ihr Examens-Hauptfach Deutsch als Tutor. - Mich, den Schulabbrecher und möglichen Buchhändlerlehrling im Wartestand?

Die Liebe, die zwischen uns entbrannte, verlieh nicht nur Flügel, sondern wurde eine ernste Sache.
Ich wusste, dass man in Amerika früh heiratet, aber als Glory mir einen Antrag machte, war ich nicht fähig, das einzuordnen. Sie stellte mich vor die Wahl, dass sie entweder in Deutschland weiter studieren würde, oder eines der zahlreichen Super-Stipendien der bekanntesten Elite-Universitäten annähme und ich sie in die USA begleite. Ich war ja noch nicht einmal 18 - also auch nicht volljährig.

Dass die Ehefrau des US-Anwaltes meiner Mutter ihre Aufwartung machte, um ihr mitzuteilen, dass sie meinen Umgang mit ihren Töchtern wegen Glory nicht länger wünsche (!?), hat meine Entscheidung damals genauso wenig beeinflusst, wie die umständlich vorgetragenen Bedenken meines Vaters. Ausgerechnet er, den die Nazis bis zur Strafversetzung an die Ostfront wegen seiner Anti-Haltung ohne Ende gepiesackt hatten, meinte, mich vor den Folgen einer gemischtrassigen Ehe sowohl hüben wie drüben warnen zu müssen...

Glory hatte einen Intelligenz-Quotienten der wohl sogar über den ominösen 145 rangierte. sie würde in den USA für ihr Studium bezahlt und mit gratis Wohnrechten ausgestattet werden. Ich wäre zu diesem Zeitpunkt noch nicht einmal in der Lage gewesen, für mich selbst zu sorgen. Diese Verantwortung konnte und wollte ich nicht übernehmen. Ich hätte die bahnbrechenden Karriere, die sie später tatsächlich gemacht hatte, womöglich verhindert

Bei all ihrer Intelligenz verstand sie aber nicht, dass mein Schlussmachen mit ihrer Hautfarbe nicht das Geringste zu tun hatte.

Anderthalb Jahre später kam sie in den Semesterferien ihre Eltern besuchen und schaute auch bei mir vorbei. Ich war schon mit der "Zweitbesten " zusammen. Die beiden Mädchen verstanden sich auf Anhieb. Ich war während ihrer Ratscherei abgemeldet.

Dass wir uns aus den Augen verloren, lag an den wilden Jahren, die folgten . Glory wurde Bürgerrechtlerin, Professorin, später sogar Dekanin und fand trotzdem noch die Zeit, sechs Kinder zur Welt zu bringen.

Fünfzig Jahre später können die Amerikaner - trotz der aktuellen Gewaltübergriffe mancher Polizisten auf farbige Teenager - auf einiges stolz sein, was sie in puncto Integration erreicht haben.
Der Zeitfaktor mag dabei  mitunter ungeduldig machen, aber die Paradigmen für unseren Globus stehen nun einmal auf Multikulti.

Die schwarzweißen US-Familien-Serien, die das Deutsche Fernsehen in meiner Kindheit einkaufte. waren ausschließlich weiß. Heute zeigen die Darsteller der Sitcom Crossing Jordan zum Beispiel ein Spektrum der tatsächlichen Rassen-Vielfalt, und keiner regt sich mehr auf, wie noch über den Film "In The Heat of The Night" mit Sidney Poitier.

In unseren Krimis gibt es schon muslimische Staatanwältinnen, türkische Sonder-Ermittler und farbige Haupt-Komissare. So what!

Keine Radikalisierung hat eine Chance, wenn wir uns von diesem Weg nicht abbringen lassen.

Montag, 27. Oktober 2014

Programm per Tram

Als die "Zweitbeste" und ich uns 1975 das Ja-Wort gaben, waren wir beide beruflich derart eingespannt, dass wir die Trauung terminlich irgendwo dazwischen schieben mussten. Hätten meine Eltern nicht so einen guten Draht zum Bürgermeister ihrer Gemeinde gehabt, dann wäre auch jener 25. Oktober nicht zu realisieren gewesen, denn das war auch ein Samstag, an dem eigens für uns das Rathaus aufgeschlossen wurde.

Das ganze Jahr bis dahin war eine 'Wetter-Katastrophe, aber an jenem Wochenende zeigte sich der Oktober nicht nur von seiner goldenen, sondern auch von seiner wärmsten Seite. Kurz, es war eine Hochzeit, von der man nur träumen konnte. Da schmerzte es wenig, dass es keine Hochzeitsreise geben würde. Die wollten wir dann irgendwann nachholen.

Seither haben wir viele unvergessliche "Hochzeitsreisen" gemacht. Die waren zwar alle kurz, hatten aber eines gemeinsam: Am 25. Oktober und rund um dieses Datum herum schien all die 39 Jahre immer die Sonne.

Warum sollte das am 25. Oktober 2014 ausgerechnet nicht so sein? Diese Hochzeitsreise durfte ja wegen des anstehenden runden Termins im nächsten Jahr heuer etwas bescheidener ausfallen. Und waren wir nicht gerade quasi flitterwöchnerisch von Italien in ein München angereist, das heuer einen nie dagewesenen Touristenstrom erlebt hatte?

Wie immer in den vergangenen vier Jahrzehnten oblag mir die Programm-Gestaltung. Die Wetter-Prognose gab meiner Planung zudem grünes Licht:

Weil wir das Oktoberfest ja verpasst hatten, und meine Frau das Kruschteln und die Schnäppchenjagd auf Floh-Märkten so liebt, sollte es am späten Nachmittag im Glanz der bunten Lichter auf die Auer Dult am Maria-Hilf-Platz gehen und nach großzügig bemessenen drei Stunden weiter  ins Theater-Viertel zu einem französischen Restaurant, in dem wir zeit unserer Ehe  die bretonischen Momente unserer letzten Vorab-Hochzeitsreise wieder belebt hatten.

Ausgerechnet ich, der öffentliche Verkehrsmittel meidet wie der Teufel das Weihwasser, hat wegen des zu erwartenden Alkohol-Konsums ein Programm per Tram ausgetüftelt. Das wurde noch dadurch begünstigt, dass meine Lieblings-Linie, die 27, uns ausnahmsweise quasi von der Haustür bis zur Dult transportieren sollte. Ich mag die 27 aber vor allem deshalb, weil sie die Hauptschlagader für den Transport zu allen Highlights der Stadt darstellt.

Und dann? Kaum steigen wir an der Dult aus, beginnt es in Strömen zu regnen. Für die Schausteller kein Spaß, weil ein paar Tage zuvor der Sturm schon die Stände in der sogenannten Schreigasse umgerissen hatte. Aber von deren miesen Stimmung wollten wir uns nicht anstecken lassen.

Neben seinem unstillbaren Hunger und dem Spaß, Römer zu verprügeln, hat mein Namenspatron Obelix noch eine Eigenschaft: Er lässt sich nur schwer von einem einmal gefassten Plan ablenken.
Die pragmatische "Zweitbeste", Kuratorin der Welt größten Sammlung einmal gebrauchter Regenschirme, fügte für zehn Euro ein erlesenes, himmelblaues Exemplar hinzu - und unverdrossen los ging es.

Meine irische Schiebermütze lag schon wie ein nasser Schwamm auf dem Schädel und die Imprägnierung meiner Stepjacke hatte schon lange ihren Widerstand aufgegeben, als ich reumütig einen Ort zum Schutz vorschlug, den ich agnostisch bei der Hochzeit noch gemieden hatte: Die Kirche.

Maria Hilf ist ein Riesending mit tragisch beladener Historie, aber sie birgt eine mächtige Korbinian-Statue, was der "Zweitbesten" Anlass genug war, nicht nur für unseren Sohn, sondern auch für den Rest der ungläubigen Familie ein Kerzchen zu entzünden. So war unser Kirchen-Asyl noch nicht einmal scheinheilig.

Aber es waren immer noch zwei Stunden zu überbrücken. Deshalb wechselten wir wie gute Bayern von der Kirche direkt ins Bierzelt, was neben der Platzsuche ein weiters -ernährungstechnisches,-Problem aufwarf: Wir wollten ja später Krustentiere verspeisen - da hätte Bier aber nicht gepasst.

Also saßen die alten Eheleute inmitten der Bierseligkeit und konsumierten einen überraschend guten Franken-Wein aus 0,25 Boxbeuteln. Glückselig das Paar, das nach fast fünfzig gemeinsamen Jahren noch derart ins Ratschen kommt. Denn plötzlich gingen im Bierzelt die Lichter aus.

Dass wir es trotzdem pünktlich mit der Tram zum Restaurant geschafft haben, verdanken wir letztendlich einer bildhübschen Migrantin, die uns in akzentfreiem Deutsch den Weg aus der Verwirrung des Stachus-Untergeschosses wies:
"Schauen Sie! Hier ist der Plan. Sie fahren vier Stationen mit der 19, dann sind Sie an den Kammerspielen. Ist ein wenig kompliziert, wenn man zum ersten Mal hier in München ist,"
Da gestanden wir ihr, dass wir schon annähernd sechs Jahrzehnte in der Landeshauptstadt leben, aber eben schon alt und trottelig sind. Die Schönheit antwortete mit einem glockenhellen Lachen und wünschte uns noch einen schönen Abend.

Der Wirt, den wir lange nicht mehr gesehen hatten, war jetzt oben rum ganz kahl und brauchte einige Zeit, bis auch er uns wieder erkannte.
Wir müssen ihm ein großes Kompliment machen, denn er hat es nicht nur geschafft, das plüschig pleureusige Ambiente über die vier Jahrzehnte zu erhalten, sondern auch die Qualität von Speis und Trank. - Auch wenn er die Nase etwas rümpfte, weil wir eingedenk des Nachmittags keinen Franzosen, sondern einen Iphöfer Kronsberg bestellten.

Zurück setzte sich die "Zweitbeste" mit der "U-Bahn ohne Umsteigen" durch. Die war proppenvoll, aber ein salafistisch gekleideter Afrikaner mit freundlichem Grinsen unter dem weißen Käppi und schwarzem Anorak über dem weißen Kaftan sprang sofort auf, um mir neben meiner Frau Platz anzubieten.

Später im Bett meinte die "Zweitbeste": Sechseinhalb Stunden von zuhause weg, reicht aber auch. Das war einer der schönsten Hochzeitstage, an die ich mich erinnern kann."

Was wirklich etwas heißen will - bei der ungekrönten Königin des Vergessens.

Samstag, 25. Oktober 2014

Schöne Schleier

Könnte es sein, dass diejenigen, die seit Ende des Kalten Krieges die Globalisierung predigen, dabei die Menschen übersehen haben? Wenn es nämlich nicht nur um Geschäfte und Profite der Wirtschaftssysteme gegangen wäre, dann könnte vor allem der so genannte "Westen" nicht von dem überrascht sein, was jetzt in erster Linie über ihn herein bricht - die Menschliche Katastrophe, in Form einer Völkerwanderung von Soll nach Haben.

Jüngst amüsierte mich die Stadt-Statistik Münchens Stand 2013:
Von ihren rund 1,5 Millionen Einwohnern seien rund 600 000 solche mit Migrationshintergrund, Davon wiederum sind nicht einmal die Hälfte mit einem Deutschen Pass ausgestattet.

Jetzt kommen noch die vielen Flüchtlinge und Asylanten hinzu und werfen wohl doch die Frage auf, ab wann man Städter mit dieser möglicherweise als Stigma misszuverstehenden Bezeichnung "Migrationshintergrund" behaften darf. Denn wenn weniger als die Hälfte der Einwohner Münchens deutschen Ursprungs sind, und von denen bald vielleicht nur noch weniger als 50 Prozent echte Bayern, wäre es nämlich an der Zeit, diese besonders hervor zu heben. Dann böte sich nämlich rund um die markanten Türme der Frauenkirche eindeutig für die Einwohner ein Globalisierungs-Vordergrund.

Ganz bestimmt meine ich das nicht bösartig, oder sehe das gar mit einer Nazi-AFD-Perspektive. München macht ganz nüchtern betrachtet das mit, was andere Metropolen der westlichen Welt schon längst verändert hat. Angefangen über New York , London, Paris und Amsterdam scheint ja auch die Bundeshauptstadt Berlin ohne Image-Schaden multikulti geworden zu sein. Die ehemalige "Inselstadt" im  Sturm des Kalten Krieges ist heute als Herz pulsierenden Lebens so angesagt wie in den "Roaring Twenties".

München ist auch lange Zeit eine Insel globaler Glückseligkeit gewesen, Hat das Image des liberalen Millionen-Dorfes gepflegt. Mit "Laptop und Lederhose" hat ein ehemaliger Ministerpräsident die "libertas bavariae" gar gesehen. Aber im gleichzeitigen "Mia San Mia" konnte sich wohl keiner vorstellen, dass so ein Status zuerst Begehrlichkeit, aber dann auch Neid erzeugt.

Ich lebe lang genug in dieser Stadt, um mich daran zu erinnern wie die sogenannten Gastarbeiter in erbärmlichen Unterkünften am Stadtrand wie Sklaven "gehalten" wurden. Ich bin morgens und abends nach der Schule im Bus mit ihnen unterwegs gewesen. Die Italiener, Jugoslawen, Türken, Spanier, Portugiesen aber vor allem auch die Griechen konnten sich dann im Laufe der Jahre integrieren, und in der Gesellschaft aufsteigen. Nicht nur, dass heute ein beachtlicher Teil des viel gepriesenen Deutschen Mittelstandes von Unternehmern mit "Migrationshintergrund" geprägt wird, auch in akademischen Berufen haben sie aus ihrem kulturellen Blickwinkeln unser Denken bereichert, ohne ihre eigene Identität aufzugeben.

Sollen diese Fähigkeiten auf einmal verschwunden sein? Oder ist es vielmehr so, dass es Interessengruppen gibt, die sie bei der nachwachsenden Generation bewusst mit religiösem Wahn verdumpfen?

Ich habe an dieser Stelle ja schon über den Schüler-Nachhilfe-Dienst im Glashaus geschrieben und die Kopftuch tragenden Mädchen, die ihn eifrig aufsuchen. Dieser Tage konnte ich wieder erleben, wie die Mitarbeiterinnen unserer rührigen, jungen Apothekerin Kunden in mehreren Sprachen zu den jeweiligen Verschreibungen Auskunft erteilen konnten.

Und dann ist mir von meinem Beobachtungsposten im Erker noch etwas aufgefallen, was natürlich keine statistische Relevanz hat:
Die Kopftücher, Burkas und Schleier an unserer Kreuzung sind nicht mehr geworden, aber schöner. Immer häufiger kommen sie mit modischem Pfiff daher und werden mit mehr Selbstbewusstsein getragen...

Was mich an der München-Statistik viel mehr aufgeragt hat (Achtung Satire!!!) ist die Tatsache, dass die Münchnerinnen - wenn sie Ausländer heiraten - sich am liebsten von Österreichern zum Traualtar führen lassen. Dabei sind wir als Jung-Machos doch noch wegen folgendem, fremdenfeindlichen Lied aus jeder Ski-Hütte geflogen:

Es jodelt stark der Steiermärker, aber im..... ist der Bayer stärker!

(Sorry! Passt nicht ganz, ist aber ein schöner Schüttelreim - wenn man das richtige Wort einsetzt...)

Mittwoch, 22. Oktober 2014

Zeit-Gewinn

Dass wir unser Zeitgefühl alljährlich immer noch von Verwaltungshengsten  in Winter- und Sommerzeit zerteilen lassen, macht gemäß diverser Untersuchungen längst keinen Sinn mehr. Angefangen hatten mit dieser Zeitumstellung die weit im Lauf der Sonne ausgebreiteten Vereinigten Staaten von Amerika mit ihren diversen Zeitzonen. Als "Daylight Saving Time" schien das aber Sinn zu machen. Seit es die im Vergleich zu den USA immer noch winzigen Vereinigten Staaten von Europa gibt, die zuvor ja schon  Eastern Time und Greenwich Mean Time hatten, ist das Hin- und Her durch die eine Stunde für die meisten Europäer nur noch ein Ärgernis.

Von gut einem Dutzend massiver Timelags pro Jahr gebeutelt, hat mir das früher aber nichts ausgemacht. Heute, da mein Bio-Rhythmus von diversen Medikamenten beeinflusst wird, stelle ich jedoch fest, dass diese eine Stunde hin und her tatsächlich ein störender Eingriff ist, Obwohl ich den ja frei von Verpflichtungen schlafend ignorieren könnte. Meine innere Uhr kann das aber nicht.

Den meisten älteren Menschen, mit denen ich darüber spreche und die auch ähnlich wie ich vom Licht abhängig sind, geht es genauso:
Sie lassen sich ab Ende März von den "längeren Tagen" sachte euphorisieren, dann aber sind sie durch die eine Stunde plus mitten im Tagesgeschehen und oft über längere Zeit zu "spät dran".
In unseren Wahrnehmungen sind wir zwar nicht mehr so sensitiv wie Tiere, aber unser Unterbewusstsein reagiert auf die sich so früher ankündigende Herbstzeit quasi im "Standby-Modus".
Hinzu kommt, dass das Kürzer-Werden der Tage einem mit zunehmenden Jahren erheblich schneller vorkommt als das Herannahen von Frühling und Sommer. So wird der August oft schon mal zum ersten Herbstmonat.

Und dann ist da aber auch noch der Klima-Wandel. Der September 2014 ist weltweit der wärmste seit Beginn der systematischen Wetter-Aufzeichnung gewesen.

So ein Sonntag wie der 19. Oktober verwirrt dann total. Mittags bin ich durch meine noch immer kaum eingefärbten Laub-Tunnel rund um den Olympia-See zum Luitpold-Park hinunter, habe die Kurve im Petuel-Park angehängt und bin dann Richtung Schleißheim. Mein neuer Helm in Schwarz sorgte - obwohl ich nur ein T-Shirt und kurze Hosen anhatte, dafür, dass ich so geschwitzt habe, wie selbst in Italien nicht, Zum Abschluss meiner 45-Minuten-Runde fahre ich immer gerne im Zickzack durchs nördliche Milbertshofen, weil ich da um die Mittagszeit meine Nase immer auf eine kleine Weltreise schicken kann:

Von Nord nach Süd umwoben mich Duftwolken in dieser Reihenfolge:
Asiatische Schmortöpfe mit Kokos-Milch und Curcuma.
Auf Holzkohle nordafrikanisch Gegrilltes mit Kreuzkümmel.
Lammbraten mit reichlich Knoblauch oder Keftedes
Dann aber war da ja auch noch Kirchweih, und es roch zwischendurch verführerisch nach Gänsebraten und Rotkraut.

Mein Fabulier-Hirn stellte sich dabei vor, dass alle Köchinnen und Köche unseres Viertels  einmal wahlweise friedlich am Tisch der oder des anderen sitzen könnten, um gegenseitig diese Köstlichkeiten zu probieren...

Die Tanke gegenüber zeigte bei meiner Heimkehr 25,5 Grad an - ein Multi-Kulti-Sommertag in München hatte seinen Höhepunkt erreicht.

Aber wie der Frieden ward auch  die Seele nach diesem Wonnebad 24 Stunden später in eisigen Regen-Fluten ertränkt. Der echte Herbst kam mit Orkanen, die schwere Wolken wie Federn vor sich her trieben und alles in Kälte erstarren ließen.

Der Morgen danach war so dunkel wie die Nacht finster. Jetzt kann der Mensch die Stunde Zeit-Gewinn am Wochenende tatsächlich gut vertragen...


Sonntag, 19. Oktober 2014

Samsung und Dementia

Keine Ahnung, wieso ich mich auf diese Überschrift eingelassen habe. Vermutlich weil sie den Anklang an diese alttestamentarisch mythische Tragödie hat. Da wird dem Superhelden durch die Heimtücke seiner Frau die Kraft geraubt, die er aus seinen goldenen Haaren bezieht. Sie verpasst ihm nächtens eine heute ja modische Kahlrasur und liefert ihn so den Feinden aus, die ihm obendrein noch das Augenlicht rauben... Weitere Details bitte ich dem Buch der Bücher zu entnehmen.

Bei meiner Tragödie machen Samsung und Dementia gemeinsame Sache, um mich um den Verstand zu bringen. An ihrem Beginn hat das natürlich auch mit Glauben zu tun. Mit dem Glauben nämlich, ich  müsse, um nicht zum alten Eisen zu gehören, jeden der rasend schnellen Schritte der Kommunikationstechnologie mitmachen. Und die "Zweitbeste von allen Ehefrauen" hat mich sogar noch gewarnt, indem sie mahnend mit ihrem mit Strass verzierten Teil aus dem Handy-Museum gewedelt hat.

Ich habe mir so einen Riesen-Multifunktios-Smarty eingebildet - in der irrigen Annahme, auch der Bedienungskomfort böte sich meinen alten Augen vergrößert an und die Größe vermittle meinen zittrigen Händen auch mehr Stabilität beim Gebrauch. Pustekuchen!

Jetzt habe ich das Gerät fast ein Jahr. Habe gelernt, es wie ein rohes Ei anzufassen, um nur nicht eine ungewollte Kettenreaktion von Funktionen auszulösen, die ich gar nicht will, Freue mich, wenn ich unvorbereitet einen Schnappschuss machen und auf der Terrasse in Italien vom Liegestuhl aus  über WLAN skypen kann - aber wehe ich muss da texten. Abgesehen davon, dass es selbst unter dem Sonnenschirm  nicht blendfrei zu lesen ist, kann ich die klein gebliebene Tastatur ja kaum erkennen. Ich beobachte meinen Sohn, wie er mit seinen Wurstfingern blitzschnell SMSsen verfasst und verzweifle selbst daran, dass das Gerät ständig alles besser weiß, was ich an Worten gar nicht texten will.

Kaum wieder in München erlebe ich aber wieder eine Überraschung nach der anderen: Ich schreibe ja keine SMS, habe aber meinem Bootsmann Antonello, der schwer zu erreichen ist, eine auf Italienisch geschrieben: Vier Zeilen, für die ich eine halbe Stunde gebraucht habe, weil mein Smartphone mich ständig aufforderte, das Geschriebene endlich zu übersetzen. Telefonieren wäre einfacher gewesen, aber wer weiß, ob das tückische Ding nicht ein Gelächter für technische Niederlagen seiner Benutzer gespeichert hat?

Es terrorisiert mich ja auch ständig akustisch mit den Updates von Apps, die ich gar nicht wollte, die sich aber mittlerweile zu sechs dicht gedrängten Seiten auf dem Display vermehrt haben. Über hundert sind es jetzt, Brauchen tue ich davon noch nicht einmal ein Zehntel, aber da ist mein Gerät eben gnadenlos.

Klar bin ich mittlerweile vergesslicher als früher und nutze den elektronischen Kalender, um dementen Versäumnissen entgegen zu wirken. Aber irgendwann habe ich mein Gerät wohl aus Versehen so programmiert, dass es mich pflichtschuldig mehrmals durch Pfeifen erinnert. Das ist ja so peinlich! Da sitzt du in einem Straßen-Cafe in Schwabing, und das Teil pfeift gerade als eine junge Frau vorbei geht.

"Alter Sack", sagt die, und hat recht.

Ich bin einfach nicht smart genug für mein Phone. Das weiß ich nun. Und just in diesem Moment verkündet das Internet die Krise der Tablets und die mögliche Renaissance der Tasten. Dessen ungeachtet hat die Firma mit dem Apfel eine Anzeigen-Kampagne für ihre neuen  Smartys mit Abbildungen in Original-Größe gestartet...

Klar habe ich meines sofort auf die Abbildung des Größeren gelegt. Meines sah im Vergleich irgenwie mickrig aus. Aber das kann auch an dem neuen Spiderman-Design meines Displays liegen. Das habe ich daher, weil mein Smartphone ja nur noch zur Hälfte in eine Hemd-Brusttasche passt und mir deshalb beim Bücken nach einer Serviette auf die Piazza gefallen ist...

Nein! Ich werde mir keinen Ersatz besorgen!

Vorerst jedenfalls nicht!

Donnerstag, 16. Oktober 2014

Der Fremde im Erker

"Fremd bin ich eingezogen, fremd zieh ich wieder aus..." Die von Wilhelm Müller gedichtete und von Schubert in schweren Zeiten des 19. Jahrhunderts im Rahmen der "Winterreise" vertonte Anfangszeile von "Gute Nacht" habe ich fälschlicher Weise für blanke Melancholie gehalten. Vor etwa anderthalb Jahrzehnten war ich eine Wette eingegangen. Ein Bariton als Stargast war bei einer Gala derart indisponiert, dass ich vor Zeugen meinte:"Das kann ich ja sogar besser!"
Mit geduldiger Begleitung eines Schul-Kameraden meines Sohnes, der heute bezeichnender Weise Musik-Lehrer ist, und der CD von Hermann Prey nahm ich mir also einige Lieder aus dem Zyklus vor und übte sie drei Monate bis zur Weihnachtsfeier meiner Firma. Das Ergebnis war wohl so schlecht nicht, weil ich die Damen im überschaubaren Auditorium mit feuchten Augen derart zum Schmachten brachte, dass ich mich fragte, warum ich nicht schon früher versucht hatte, mir die Damen-Welt singend "gewogen" zu machen.

Tatsächlich hatte ich mich so auf  Korrektheit konzentriert, dass ich eigentlich nicht weiter über den Sinn der Worte nachgedacht hatte. Als die "Winterreise" entstand, war Deutschland ein kleinstaatliches Konglomerat, und Europa so weit von einer Einheit entfernt, wie es der Geheimrat Goethe in Auerbachs Keller dem "Faust" verlauten ließ: "Ein echter deutscher Mann kann keinen Franzen leiden, doch seine Weine schätzt er sehr!"

Gerade bin ich quasi grenzenlos mit schmerzendem Herzen in diesem Welt-Horror-Jahr 2014 von Italien nach Deutschland gekurvt: Fremd ausgezogen, um dann fremd wieder einzuziehen. Gute Nacht Europa! Was ist eigentlich los mit Dir? Da passieren gerade Dinge, die mein altes Hirn nicht mehr auf die Reihe kriegt.

Durch den von meinen Ärzten empfohlenen, neuen Rhythmus in der Ernährung muss ich zu einer Zeit aufstehen, die ich mein Leben lang überschlafen habe. Im italienischen Frühling und Sommer war das kein Problem, aber im Dunkel des deutschen Herbstes hocke ich jetzt im unbeleuchteten Glas-Erker unserer Küche und schaue Müsli kauend auf ein Bahnstreik bedingtes Verkehrschaos. Hektische Fußgänger und Radler schlängeln sich da gefährlich hindurch. Denn an vier Ecken wird gebaut, was das Fort- und Durchkommen noch erschwert. Ausgerechnet hier inmitten all des Lärmes entstehen unzählige Eigentumswohnungen. Das Studenten-Wohnheim gegenüber - mit den zeigefreudigen jungen Damen aus aller Welt musste den allgegenwärtigen Investitionen in Beton-Gold weichen. Aus den Einzimmer-Buden werden jetzt schicke mehr als doppelt so große Appartements mit Balkon und Panorama-Fenstern, um gegen den bunt gescheckten Neubau fünfzig Meter weiter anzustinken, der im vergangenen Jahr in Windeseile hochgezogen wurde. In München herrscht immer noch akuter Wohnungsmangel. Selbst Mansarden werden zu Monsterpreisen vermietet.

Aber wer soll die alle bewohnen oder gar kaufen? Die, die da unten herumwuseln sicher nicht. Wer um diese Uhrzeit schon  unterwegs ist, dem reicht das Einkommen gerade noch für ein paar Stunden friedlichen Feierabends vor dem Fernseher nach all der Maloche. Dass es ihnen dabei immer noch besser geht als all den Asylanten und Flüchtlingen, die München derzeit gar nicht mehr bewältigen kann, wird denen da untern nur ein schwacher Trost sein.

Dennoch beneide ich sie irgendwie. Sie sind zu einem Ziel unterwegs, haben einen Tagesablauf der abends belohnt werden muss. Bei mir ist das genau umgekehrt. Ich habe soviel Freizeit, dass ich mich danach sehne, mit einer Aufgabe belohnt zu werden. Aber wer will mich denn noch? So schreibe ich halt diese nichtsnutzigen Blogs, weil ich nichts anderes gelernt habe, als Worte aneinander zu reihen.

Schubert und  Müller - nicht zu vergessen Heinrich Heine - haben mit Worten und Liedern Veränderungen herbei geführt. Für mich ein aussichtsloses Unterfangen. Also versuche ich noch eine kleine Mütze Schlaf zu finden: Gute Nacht!