Donnerstag, 28. Februar 2013

Entzugserscheinungen

Wenn mein heutige Post noch wirrer erscheint als die letzten, dann liegt das einerseits an der Erkenntnis, dass ich wohl Entzugserscheinungen habe und andererseits von einem Motherboard im Glashaus-Computer gestresst werde, das dabei ist seinen Geist aufzugeben.

Gäbe es einen Verein "Anonymer Anwender" dann müsste ich jetzt aufstehen und bekennen: "Ich bin O. Belix, bald 64 Jahre alt, und ich kann keinen Tag mehr ohne meinen Computer leben!"

Selbst wenn der Bildschirm zittert und er jede dritte Sekunde total schwarz wird, texte ich unverdrossen weiter. Das neue Motherboard ist per Computer-Handel (mein Nerd-Sohn, der die Kiste auch wieder zusammenbaut, hat das gemacht) unterwegs und wird wohl morgen installiert. Hoffentlich wird es nicht so schlimm wie gestern. Da tigerte ich ständig zum jegliche Arbeit verweigernden Computer, als wollte ich ihn um die Gunst des Hochfahrens anflehen. Stattdessen standen mir die Haare bei der Lektüre von Heinrich August Winklers zweitem Band zur "Geschichte des Westens" zu Berge:

Dabei hätte ich gerne getextet, dass die SPD, die erwiesene Nähr-Mutter unserer Demokratie, sich besser einen anderen Spitzen-Kandidaten suchen sollte. Peer Steinbrück ist ein arroganter Schnösel, der schneller plappert, als er denkt, und dann auch noch schmunzelnd seinen unpassenden Äußerungen nachlauscht. 

Das mit den Clowns, die Italien gewählt habe, mag ja witzig gemeint gewesen sein, und es trifft ja auch irgendwie zu auf die Kandidaten. Dennoch darf einer, der Kanzler werden will, nicht 52 Prozent der Italiener in die gleiche Schublade stecken. 

Meine "Wahl-Landsleute" sind zutiefst verunsichert, was ihr "Bella Italia" angeht, und ich übertreibe nicht, wenn ich die aktuelle Situation mit der Zeit nach dem ersten Weltkrieg beim Straucheln der Weimarer Republik vergleiche. Nur mit dem Unterschied, dass wir bis zur Finanzkrise 2008 Europa auf einem Weg der Einheit hatten, was in den 20er Jahren des vergangenen Jahrhunderts mitnichten der Fall war.

Damals hatte Italien durch die Faschisten aus seiner Unregierbarkeit bereits den Wandel von der Demokratie zum autoritären Unterdrücker-Staat vollzogen, und Hitler an diesem Fallbeispiel seinen Duce bis ins Detail studieren können. 

Grillo mag ein liberaler Clown sein, aber das heißt nicht, dass er im Rausch seiner stetig wachsenden Popularität nicht wie Mussolini damals vom Links-Sozialisten zum Diktator mutiert, wenn die Leichtgläubigen bei der bereits jetzt  verlangten Neuwahl ihm noch mehr Stimmen geben. Der von ihm gepredigte Ausstieg aus dem Euro, beschwört unweigerlich eine Weltwirtschaftskrise ungeheuren Ausmaßes herauf. Das weiß er, und dennoch spielt er mit der Angst vor ihr. Das macht ihn zu einem ähnlichen Zündler an demokratischen Fundamenten wie Peer Steinbrück.

Aber vielleicht liegen die Motive bei Steinbrück ja ganz anders. Vielleicht hat er ja längst kapiert, dass er gegen die moderat moderierende Angela Merkel bei der Bundestagswahl im Herbst keine Chance hat. Da er ja  für eine große Koalition nicht zur Verfügung stünde, glaubt er vielleicht, er ginge als der in die Geschichte ein, der vor der lebenslangen Kanzlerschaft der EX-FDJlerin wenigstens noch ein paar unbequeme Wahrheiten ausgesprochen habe...

Wie dem auch sei, Italien kann mit seiner so geschürten Deutschenfeindlichkeit nur verlieren. Das weiß vor allem auch Berlusconi, der ja ins gleiche Horn stößt, aber eben der Polit-Profi ist, der ja schon mit der Bundeskanzlerin gut harmoniert hatte.- Bevor er sie jetzt zur Leit-Hexe Europas stilisiert. Ließe er Grillo tatsächlich gewähren, wäre sein privates Imperium schnell am Ende.

Aber! Aber, und jetzt komme ich auf den Kern meines letzten Postings zurück. Vielleicht hält er sich ja doch nicht für unsterblich, sondern erkennt, dass sein "Circle Of Life" auf eine verbotoxte Senilität zusteuert, in der er wie andere Imperatoren zu der Erkenntnis kommt, dass sein Reich dann besser mit ihm untergehen möge...

Erschreckender als die Erkenntnis, dass sich Geschichte stetig wiederholt, ist die Tatsache, dass wir nicht aus ihr lernen.

Montag, 25. Februar 2013

Circle Of Life

Vermutlich liegt es daran, dass der Alterungsprozess bei mir früher und heftiger eingesetzt hat, als bei vielen meiner Weggefährtinnen und -Gefährten: Immer häufiger erwische ich mich bei längerem Löcher in die Luft Starren. Wenn ich dabei überhaupt an etwas denke, dann ist das in die Vergangenheit gerichtet, während  meine Gedanken kaum noch der  verbleibenden, vor mir liegenden Zeit gelten.

Langsam wächst bei mir die Erkenntnis, dass wir keinen der Aggregatzustände des Seins - das Eltern Sein vielleicht ausgenommen - so unvorbereitet erreichen, wie das Alter. Ich war das jüngste Kind von zu meiner Geburt schon ziemlich alten Eltern. Meine Wahrnehmungen vom Vater waren die von einem weißhaarigen Mann. Meine Mutter hätte ich als Matrone gesehen, wäre mir da dieser Ausdruck schon bekannt gewesen...

Folglich waren meine Eltern, als ich mich als junger Mann vom Zuhause löste, schon sehr glückliche alte Menschen und  ein Leitbild für dieses Stadium meiner eigenen Zukunft. Da sie so fit und unternehmungslustig waren, richtete ich mein Leben also auf diesen imaginären Zustand aus. Das bedeutete in der Konsequenz, dass ich das pure Leben für einen Moment nach der Erwerbstätigkeit aufsparte und Dinge der persönlichen Wertschöpfung  - also Handlungen und Erbauungen ganz für mich allein - auf diesen diffusen Zeitpunkt in Richtung  "60plus" verschob.

Damit kein falscher Eindruck ensteht: Das Schicksal hat mir Erlebnisvielfalt in einer Dichte beschert, wie sie vermutlich nur wenigen Menschen zuteil wird. Was ich in nur einem Jahr erlebt habe, hätte andere für ein ganzes Leben befriedigt. Noch dazu sind meiner Familie und mir auch noch wirkliche Schicksalsschläge erspart geblieben. Was also beunruhigt mich? Wieso habe ich beim Löcher in die Luft Starren ein derart schlechtes Gewissen?

Ganz einfach. Es ist die völlig falsche Vorstellung, die ich in mir über diese Phase der Lebens genährt habe. Zunächst muss ich gestehen, dass ich mich mit dem Alter philosophisch erstmals beschäftigt hatte, als ich 23jährig mit einem französischen Allkampf-Weltmeister ein sportdidaktisches Buch über Karate verfasste. Er erklärte mir die Dan-Einteilung und deren jeweilige Farben der Gürtel, die gemäß des erreichten Könnens zum Kampfanzug getragen wurden. Er hatte natürlich einen Schwarzen der an einem Ende weiße Querstreifen als Zeichen der höchsten Meisterschaft hatte. Aber er meinte auch, er werde den Weißen nie mehr erreichen...

Und da war ich auf einmal mitten drin in der asiatischen Philosophie vom Kreislauf des Lebens. Den weißen Gürtel trägt nämlich nicht nur der reine Anfänger, sondern auch der Sensei und Leiter des Kodokan, der Meisterschule. Der Sensei hat demnach soviel Weisheit, Fähigkeit und  das Können erlangt, dass er sich am Ende des Kreises im 10. Dan wieder der Reinheit, Unkenntnis und Naivität des Schülers wohl wissend angleicht.

Damals fand ich diese Vorstellung erregend. Aber meine Reisen führten mich dann ja später selbst in die Länder des Judo (leichter Weg),  der Kara-Te (leere Faust) und zum Shaolin, dem Hort des Boxer-Mythos. Von den 1970ern (Bruce Lee) bis in die Jetztzeit (Ang Lee, der große Filmemacher) lebt ja dieser unsägliche Martial-Arts-Mythos konterkariert von dieser eigentlich niedlichen Gedanken-Welt fernöstlicher Unsterblichkeit, die vorne und hinten nicht stimmt und allenfalls dazu dient, Minderwertigkeitskomplexe ganzer Volksgruppen zu kompensieren.

Aber gibt es den "Circle Of Life", diesen Kreislauf, bei dem das Leben zum Ende quasi am Anfang anlangt? Der von mir sehr geschätzte italienische Kollege Tiziano Terzani, dessen Leben zu meinem viele Parallelen aufwies, hat nach finalen spirituellen Aufenthalten im Himalaya ein hinreißendes Buch über seinen Krebs-Tod geschrieben. Es ist mittlerweile auch  beeindruckend mit Bruno Ganz als Terzani verfilmt worden: La fine è il mio inizio. Das Ende ist mein Anfang.

Es käme demnach also nur darauf an, sich an der angehäuften (Alters?)Weisheit und dem erworbenen (körperlich bedingt aber nachlassendem) Können zu erfreuen, um die letzten Jahre - mögen sie noch so Schreckliches bereit halten - entspannt zu verbringen? Friedrich Nietzsche - unser Allkampf-Philosophie-Weltmeister - hat ja auch in diese Richtung gedacht, als er meinte, der wahre Autor schreibe, um sich im Alter daran selbst zu erfreuen.

Das ist ja alles gar nicht tröstlich! Was habe ich da noch für einen weiten, sich windenden Weg (Wild And Winding Way - The Beatles) vor mir? Im Moment bin ich - wenn ich mich mal aus der Altersstarre löse - noch gar nicht genug kontempliert. Nein, ich platze sogar vor Wut, dass es alte, selbstverliebte Säcke wie Peer Steinbrück, Rainer Brüderle oder diesen Botox-Maskenmann Berlusconi  gibt, die meinen, das Wohlergehen eines Staates hinge davon ab, dass sie noch einmal den Sensei gäben. Da wird mir ja sogar der deutsche Noch-Papst sympathisch, der wusste, wann es Zeit war, dem Alter exemplarisch Tribut zu zollen!

Donnerstag, 21. Februar 2013

Zahlenspiele nach Gutsherren-Art

Es ist ja keine Seltenheit, dass Journalisten in die Politik wechseln. In den Kindertagen der deutschen Demokratie waren Leute Reichstagsabgeordnete, die gleichzeitig Herausgeber eigener politisch kämpferischer Blätter waren. Die russische Revolution lenkte Lenin damit, dass er die Titelseite der von ihm  aus dem Exil gegründeten und nach 1917 kontrollierten Prawda (Wahrheit) mit Aufrufen zu unfassbarem Terror gegenüber Andersdenkenden füllte. Assistiert wurde ihm dabei von Chefredakteuren mit so klangvollen Namen  wie Stalin oder Molotow. Auch der Umstand, dass solche Blätter nicht selten Partei-Organe waren, mildert den Missbrauch des Wortes nicht.

Wer so eine Ausbildung am Wort erhält, weiß, wie leicht er durch das Verschieben einer Präposition, das Setzen von Anführungszeichen oder einen  durch Gedankenstriche erzeugten, scheinbar doppeldeutigen Bezug den Leser manipulieren kann. Im Prinzip ist das kein Problem - so lange die Meinungsvielfalt durch ausreichend unterschiedliche Publikationen und TV-Kanäle gewährleistet wird. Vor 80 Jahren bei Hitlers Machtergreifung und darüber hinaus war der Medien-Unternehmer Alfred Hugenberg der publizistische Steigbügelhalter des Nazi-Terrors. Er kontrollierte 50 Prozent des damaligen Presse-Angebotes und missbrauchte es propagandistisch. Was ein Aufbegehren der parlamentarischen Opposition speziell aber auch Andersdenkender auf der Straße gegen die Rechtsbeugung bei der "Ermächtigung" chancenlos machte.

Da Meinung Machen für das politische Überleben so wichtig ist, haben sich die Mächtigen auch im Nachkriegsdeutschland gerne Profis als Propagandisten ins Boot geholt. Um nur zwei antagonistische Beispiele zu nennen: Willy Brandt verpflichtete den von Strauß gebeutelten SPIEGEL-Mann Conrad Ahlers und die Kanzlerin  den ZDF-Frontmann Steffen Seibert, der davor schon bei den Wahl-Berichterstattungen als meisterhafte Jongleur von Zahlen aufgefallen war. 

Der Unterschied in der Gewichtung der eingangs angedeuteten Problematik: Ein Journalist als Fraktionsmitglied im Plenarsaal hat nur eine Stimme. Ein Journalist als Regierungssprecher macht Stimmung. Dass er Regierungspolitik verkaufen muss, entbindet ihn von den ethischen Grundsätzen, die sich die Branche einst selbst auferlegte und heute immer stärker außer Acht lässt... (Ein köstliches Beispiel, wie der sehr blass um die Nase gewordene Seibert die geheim beschlossenen Waffenlieferungen an orientalische Unterdrücker-Staaten vor der Bundespressekonferenz rechtfertigen musste)

Ohne dass es sonderlich auffällt oder thematisiert wird, findet derzeit in Deutschland ein Massensterben bei Zeitungen und Zeitschriften statt, beziehungsweise Konzentrationsprozesse durch Fusionen von Verlagen und TV-Sendern. Vor diesem Hintergrund sollten jene Bundesbürger, die weder auf dem rechten oder dem linken Auge blind sind und eine tatsächlich liberale Gesinnung haben, ihre Aufmerksamkeit beim Zuhören  erhöhen. Denn es werden zur Zeit wieder einmal Zahlen nach Gutsherren-Art offiziell verkündet und kaum hinterfragt kolportiert.

Deutschland ginge es noch nie so gut wie unter ihrer Regentschaft, meint die Kanzlerin, und die Statistik legt nach, indem sie vermeldet, dass noch nie so viele Menschen hier Arbeit gehabt hätten. Auch der faule Etat-Kompromiss, der im Verdacht steht, die europäische Entwicklung radikal abzubremsen, wird als einzigartig beschrieben. 

All das ist - auf den aktuellen Stand ohne Aussicht berücksichtigend - sogar faktisch richtig. - Wenn keinerlei Bezugsgrößen hinzugezogen werden:

Beispielsweise Jobs, von denen man nicht mehr leben, geschweige denn später ausreichend Rente beziehen kann. Wieso dauert das wohl mit dem längst überfälligen  Armutsbericht in diesem Wahljahr so lange?

Die vom Stern hochgepustete Sexismus-Debatte lenkt doch nicht zufällig davon ab, dass Frauen für die gleiche Arbeit immer noch schlechter bezahlt werden.  Und wieso ist die Empörung über den Dirndl-Spruch eines politischen "Senilisten" größer, als bei den nicht eingehaltenen Versprechungen der Regierung gegenüber den zahlreichen Missbrauchsopfern? 100 Millionen waren denen vor zwei Jahren auf dem Höhepunkt der Betroffenheit für Entschädigung und Betreuung zugesagt worden. Nicht ein Euro ist bislang geflossen!

Aber der Vogel (wobei es ja gerade mal keine Hühner-Grippe gibt) wird ja jeweils von der Sophia Loren des Verbraucherschutzes, unserer Ministerin Ilse Aigner, abgeschossen: Ob Gammelfleisch, EHEC oder jetzt der Pferdefleisch-Skandal: Jedes Mal betreibt sie kurzzeitigen Aktivismus und verspricht erneut in eine verbesserte Kontrolle zu investieren... Eine Sauerei sei das, meint sie - zu unrecht im Hinblick auf das Pferd als Fleisch-Lieferanten, wohl um nicht wirklich Ross und Reiter nennen zu müssen.

Immerhin ist sie nicht so unverfroren wie einer ihrer Minister-Kollegen, der nach Gutsherren-Art doch glatt meinte: "Wer sich eine Lasagne für 1,98 Euro aus dem Kühl-Regal greift, weiß doch, dass da nix Gs'cheites drin sein kann."

Der HarzIV-Empfänger oder der Mini-Jobber mit vielleicht drei Jobs auf einmal, oder die Überstunden zum Nulltarif ableistende Hausfrau, die einfach nicht mehr selbst zum Kochen kommt, weil sie zu müde ist, wären demnach also selbst schuld. Auf keinen Fall aber die Verbrecher, die kontaminiertes Fleisch verarbeiten.

Und auch noch etwas zum Dauer-Spruch des mir ansonsten sehr sympatischen Multi-Kochers Alfons Schuhbeck: Die Leute zahlten klaglos 30 Euro für ein gutes Motoröl, sparten aber an einem g'scheiten Öl für die Küche...

Fonsä! Schon mal darüber nachgedacht, dass die meisten, die auf Billig-Produkte zurück greifen möglicherweise gar kein Auto haben?

Dienstag, 19. Februar 2013

Vom Multikulti zum explosiven Kultur-Cocktail

Als meine Eltern in meinem jetzigen Alter waren, hingen sie gerade wegen des Krieges um Bangladesh zwischen der Pakistanischen und der Indischen Grenze fest. Das Ende dieses Krieges ist jetzt 40 Jahre her, und gestern gab es Massenkundgebungen, weil die Kriegsverbrechen in der bitter erkämpften parlamentarischen Demokratie des ehemaligen Ost-Pakistans noch immer nicht juristisch aufgearbeitet wurden. 

Meine Eltern waren damals sicher nicht aus einem  naiven Antrieb heraus auf einer Weltreise in ihrem VW-Camper unterwegs. Sie waren aufgebrochen, weil die politische Großwetterlage es erlaubte, dass die Pensionäre ihren Traum von der Erdumrundung auf Höhe der Tropen verwirklichen wollten. Dass der Wind dauerhaft umgeschlagen war, bekamen sie dann in den folgenden Wochen und Monaten auf dem Indischen Subkontinent und auf Ceylon mit. Desillusioniert ließen sie ihr Schneckenhaus in Mumbai (damals noch Bombay) auf einen deutschen Frachter verladen und kehrten heim nach Bremerhaven. 

Mein Vater starb kurz vor der Wiedervereinigung, meine Mutter erlitt den Sekunden-Tod,  gerade nachdem sie noch für die Opfer des Tsunami 2004 in ihrer Altersresidenz eine Spendenaktion organisiert hatte. Obwohl sie später weitere Reise-Fragmente ihrer Umrundung dann noch mit Flieger und Leihwagen anfügten, waren die folgenden Eindrücke nie mehr derart elementar und dauerhaft ungetrübt. Ihren Glauben an das Weltbürgertum verloren sie dennoch nie, obwohl sie letztlich überzeugt davon waren, in ihrem oberbayerischen Dorf am besten aller Plätze auf diesem Globus zu leben...

Ich schicke das voraus, weil ich kurz rekapitulieren will, was danach in den vier Jahrzehnten auf ihrer ersten Reiseroute alles passierte: Afghanistan wurde und wird zwischen den Extremen des Islam hin und her gebombt. Der Iran zahlte in dieser Glaubensfindung einen ebenso hohen Blutzoll. Vor unserer Haustür auf dem Balkan hatten wir   - nachdem der Eiserne Vorhang gefallen und Deutschland überraschend wieder vereinigt wurde - den kaum zu verstehenden Krieg zwischen den im Kommunismus noch geeinten jugoslawischen Völkern. Immer hatten die Auseinandersetzungen auch eine islamische Komponente. Auf Sri Lanka wütete ein ähnlich abstruser Krieg zwischen Tamilen und Singhalesen, und bei den Golf-Kriegen ging es nicht allein ums Öl, sondern auch nachgeordnet bis heute um muslimische Glaubensrichtungen. Gerade aber weil sich das nicht so leicht auseinander halten ließ, konnten sich Antiamerikanismus und radikaler Islamismus zum Terror der Al Quaida vermengen.

Auch mich hatten meine Reisen in jener Zeit in Länder mit zunehmend schwelenden separatistischen Religionskonflikten geführt. Ob im Kaschmir oder auf den Philippinen und ganz besonders in der malaiischen Inselwelt: 

Den Schwelbrand habe ich schon gerochen, aber das er sich zu so einem Feuersturm rund ums Mittelmeer und bis hinein in die Europäische Union ausbreiten könnte, das muss ich wohl verdrängt haben. Für mich waren die liebenswürdigen, freundlichen Türken meiner Kindheit und Jugend hier in Deutschland stets ein Garant, dass radikale, islamistischen Tendenzen eingedämmt blieben. Da haben wir wohl etwas durch die lasche Auffassung von Aufklärung bei den NSU-Morden verbockt. Und die schleichende Auflösung des verfassungsmäßigen Laizismus im türkischen Mutterland ist vor diesem Hintergrund auch nicht beruhigend.

Es gilt vor allem der Radikalität hier aufgewachsener und noch aufwachsender, junger Leute mehr als nur die Forderung nach freiwilliger Integration entgegen zu halten. Wir müssen das Verwirrende entwirren. 

Wie kann man von jungen Muslimen, die daheim von der alten Struktur beigebracht bekommen, dass Beziehungen zu "Ungläubigen" zu Recht mit dem Tode zu bestrafen seien,  verlangen. dass sie offen für die Gesellschaft sind, in der sie leben und arbeiten? Wie kann man ihnen erklären, dass Frauen, die kein Kopftuch, sondern tiefe Ausschnite tragen, und Minis mit Highheels deshalb noch lange keine Nutten sind? Wie erklärt man ihnen dann auch noch unsere derzeitige Sexismus-Diskussion, wenn die Berichte über Gruppenvergewaltigungen in anderen Ländern sogar jetzt schon - wie gestern in München - Nachahmungstäter unter unseren eigenen Jugendlichen generieren?

Unserem Ja zum Multikulti müssen in Zusammenarbeit aller Maßnahmen entgegen gehalten werden, die unsere Gesellschaft nicht in schleichender Reaktion zum explosiven Kultur-Cocktail mixt!


Sonntag, 17. Februar 2013

Schreib doch wieder mal was Nettes!

Natürlich war das vorauszusehen: Dass ich, sobald ich im Glashaus sitze und wild mit Steinen um mich schmeiße, nur halb so viel Leser anlocke wie durch meine eher unverbindlichen "Briefe von der Burg". Das ist nicht gefühlt, sondern durch die Zugriffsstatistik, die es zu jedem Blog gibt, leider belegt. Und schon beginnt wieder - wie einst - das Grübeln: Ist meine Meinung uninteressant? Oder ist sie nur zu mies formuliert? Wollen die meisten meiner Leser in beiden Blogs lieber Harmonie - wie meine Frau, die bekanntlich "Zweitbeste von allen", die sich seit neustem nur noch Filme anschaut, die gut ausgehen und schon immer den Schluss eines Buches zuerst gelesen hat, damit sie weiß, dass die Helden überleben oder sich bestenfalls auch "kriegen"?

Das Problem mit den Statistiken im Internet ist, dass sie manipuliert oder zumindest gezielt beeinflusst werden können. Zum Beispiel durch bestimmte Schlagworte in der Überschrift oder den Eintritt in soziale Netzwerke, in denen sich das Freundschaften Schließen dann auch auf die Zugriffszahl auswirkt...

Aber nein! Ich habe ja kein Sendungsbewusstsein, sondern nütze eine Möglichkeit, die sich während meines Berufslebens wegen diverser Zwänge nie ergeben hat. Ich kann publizieren, ohne jemanden lange betteln zu müssen, mich zu verlegen. Ich kann im Rahmen meiner eigenen ethischen Vorstellungen meine Meinung kundtun, ohne materiellen oder ideellen Schaden für meine Publikationen oder Betroffene befürchten zu müssen. Und, was am allerwichtigsten ist - ich muss meinen Stil nicht verbiegen, ihn syntaxmäßig irgendwelchen Modeströmungen anpassen, wie - leider - meine noch aktiven Kollegen - die nebenbei bemerkt auch noch lausiger bezahlt werden als in den goldenen Zeiten des Autoren-Journalismus. Ich halte meinen derzeitigen Status als Gratis-Blogger für den großartigsten  meines Daseins als Autor. Das wollte ich  hiermit einmal betonen.

Vor ein paar Tagen erreichte mich nämlich der Anruf einer Leserin. Ja, das geht, denn die meisten Nutzer sind mir ja persönlich bekannt. Die liebe Freundin, die über die Burgbriefe "Follower" wurde, leidet derzeit genauso wie ich unter dem Lichtentzug. (Man stelle sich das mal vor! In den sieben Wochen, die wir nun im Glashaus ausharren, gab es laut ARD-Wetterstatistik nur 27 Sonnenstunden - davon sieben allein an einem Tag.) Sie bat mich: Schreib doch mal wieder was Nettes! Ich vermisse die "Briefe von der Burg" so!

Das hatte ich mir dann eigentlich für heute vorgenommen. Irgendein Thema mit Vorfrühlingshoffnung wäre mir schon eingefallen, aber dann kam in den ARD-"Tagesthemen" - kurz nachdem wir aufgelegt hatten - dieser entsetzliche mit Videos belegte Beitrag von der systematischen Vergewaltigung einer Demonstrantin auf dem Tahrir Platz in Kairo durch offenbar bezahlte Schergen der heimlichen Machthaber.

Am nächsten Morgen war ich einkaufen beim nordafrikanischen Supermarkt. Der Manager war hohlwangig und stoppelig. Vermutlich hat er wieder die ganze Nacht im Netz verbracht, um darüber zu verzweifeln, dass sein Heimatland nach all dem arabischen Frühlingsrausch gerade wieder bei den Zuständen angelangt ist, wegen denen er es einst verlassen hat. In Pakistan starben währenddessen wieder fast 100 Menschen bei einem Bombenanschlag...

Mag ja sein, dass einen die ligurische Sonne vom zuviel schlechte Nachrichten Gucken abhält, hier aber kann ich mich von denen nicht zurück ziehen, und ich muss dann gleich das schreiben, was mir dabei durch den Kopf geht. 

Vielleicht ist das ja gar nicht so wirkungslos. Obwohl ich ja nur maximal dreimal pro Woche poste, sehe ich in der Statistik, dass sich in den letzten beiden Wochen fast täglich eine  gleichstarke Leserschaft im Glashaus einfindet. Das nährt die Hoffnung, dass dann auch ältere Beiträge mal gelesen werden. Vielleicht auch die, in denen ich bereits im vorletzten Winter das Scheitern des sogenannten Arabischen Frühlings begründet prognostiziert hatte...



Donnerstag, 14. Februar 2013

Wir haben ja nur die "zweite Wahl"

Der verblüffendste Begriff in diesen von Unruhen erschütterten Zeiten ist der der Experten-Regierung.  So eine wird  gebildet, wenn eine von politischer Parteitreue geprägte  Administration  so gründlich gescheitert ist, dass es kein Fort- oder Entkommen mehr gibt: 

Griechenland brauchte so eine, die von Mario Monti wollte es so in Italien richten, und deshalb will Tunesien  jetzt auch eine haben. Anscheinend ist so ein Bedarf an Expertentum ansteckend, denn für gescheiterte Großprojekte in Deutschland wie der  "Fluchafen Berlin" oder das pompöse Milliardenloch "Stuttgart 21" werden ja jetzt auch besondere Experten zur Entlastung der offenbar völlig überforderten "politischen" Aufsichtsräte berufen.

Da muss ein Wahlbürger schon mal ganz naiv nachfragen. Geht er doch davon aus, dass die von ihm mehrheitlich gewählte Administration von den besten Kräften besetzt ist, die für unsere Steuergelder zu haben sind. Tatsächlich ist dies aber ein Macht erhaltendes Posten-Schachern zwischen Seilschaften, bei dem ein Bäcker im zweiten Bildungsweg Berufspolitiker und dann Verkehrsminister wird. Oder weil niemand den Karren Energiewende aus dem Sumpf ziehen wollte, muss ein getreuer Beamter und Partei-Soldat als Minister ran, in dessen Vita sich nicht der winzigste Hinweis auf eine besondere Affinität zur Umwelt findet.

Bevor ich Peer Steinbrücks aus dem Zusammenhang gerissenes Klagen über die Kanzler-Besoldung deshalb als heutiges Thema noch vertiefe, wäre auch da die Frage angebracht, was einen überproportional Schulden angehäuft habender und deshalb als gescheitert zu betrachtender Ministerpräsident nun im Rentenalter dazu befähigen sollte, als Kanzler gewählt zu werden...

Vor allem besteht natürlich Klärungsbedarf bei der Motivation zur Berufswahl "Politiker". Wer die Web-Präsentationen der Kabinettsmitglieder durchklickt, stößt auf  verwinkelte Lebensläufe, die einen Personalvorstand nicht unbedingt veranlassen würden, den Mann zu engagieren. Allenfalls die in der Amtszeit geknüpften Netzwerke machen einen ausgestiegenen Politiker - wie beispielsweise  Roland Koch - später noch interessant für einen Spitzen-Job in der freien Wirtschaft. Andere müssen dann halt überdotierte Vorträge bei nahe stehenden Organisationen halten, um nicht der von ihnen herauf beschworenen Altersarmut anheim zu fallen..

Auch  auf nur zwei Amtszeiten festgelegte US-Präsidenten, die im übrigen weniger verdienen als unsere Kanzlerin (auf mögliche Lebenszeit), sind auf solche Vortragshonorare zur Altersabsicherung angewiesen. Aber da ist es Bestandteil des Systems. 

In den 1990ern war ich einmal bei einem Essen eines der größten Unterhaltungskonzerne der Welt, bei dem der damals als bestbezahlter Manager geltende Redner ungeniert bekannte, die Lobbys müssten in den USA deshalb so stark sein, weil die Wirtschaft wisse, dass in den Parlamenten und Kabinetten nur Leute "zweiter Wahl" säßen. Entweder seien sie so reich, dass sie Politik nur als Hobby betrieben oder eben nicht gut genug, um in der Wirtschaft eine vergleichbar dotierte Spitzen-Position zu erreichen.

Gestern war in Deutschland "politischer Aschermittwoch". Was dieses Persönlichkeiten verletzende, primitive Eingepöbel auf den Gegner bei den anstehenden Wahlen noch mit Klärung politischer Sachfragen zu tun haben soll, verschließt sich offenbar nur mir. Das angetrunkene Wahlvolk jedenfalls war begeistert.

Redner, die sich von ihren Schreibern - gleichgültig welcher Couleur - mit derartigen Plattitüden versorgen lassen und sie auch noch zu Gehör bringen, können nur zweite Wahl sein. Und demzufolge sollte jeder Gewählte auch mit dem Salär, das wir Volk ihm zahlen, zufrieden sein.

Es ist richtig, dass unsere omnipräsente Kanzlerin - wenn man ihre Bezüge durch die immens vielen abgeleisteten Arbeitsstunden für unser Land dividiert - nicht gerade überragend abschneidet. Aber das tun die ohne Mindestlohn mehrere Jobs machen müssenden Opfer ihrer Wirtschaftspolitik auch nicht.

Dienstag, 12. Februar 2013

Ein Gayus oder eine Pontifexine Maxima

Vor 700 Jahren - beim letzten Rücktritt eines Papstes- wäre ich für das, was ich heute schreibe, auf dem Scheiterhaufen gelandet. Nicht nur, weil ich gar ein abtrünniger Lutherischer bin, sondern vor allem wegen meines Zweifels an der Rechtmäßigkeit des katholischen Dogmas.

Wenn den "neutraleren" historischen Aufzeichnungen über das Konstanzer Konzil im Jahre 1417  "Glauben geschenkt" werden darf, dann waren die Kardinäle am Rande des Konklave in sexuellen Dingen damals - kurz vor Ende des Mittelalters - wesentlich aufgeschlossener. Die Stadt am Bodensee verzeichnete in jenen Tagen einen Bedarf an Liebesdienerinnen, die aus allen Teilen der kirchlichen Welt requiriert wurden, um in den Badehäusern am schwachen Fleisch der willigen Geistlichen vollen Körpereinsatz  zu leisten.

Es war ja schon vorher klar, dass Papst Benedikt XVI eine derart weltliche Öffnung in sexuellen Dingen nicht zulassen würde. Seine Einstellung zum Zölibat, zu möglichen Priesterinnen, aber auch zur Homosexualität und sein Zaudern bei der Aufarbeitung der weltweit zunehmenden Missbrauchsfälle in den diversen Einrichtungen der von ihm geleiteten Kirche hängen seiner Amtszeit nach.

Seine zeitgemäße Einschätzung für die Erfordernisse unverbrauchter Management-Qualitäten im Amt des Papstes, die ja nun zu seinem historischen Rücktritt geführt haben, nötigen Respekt ab. Genauso wie seine erstmals deutlichen, politischen Äußerungen während der Weihnachtszeit. Wer da meine Burgbriefe gelesen hat, weiß, dass ich dieses jähe Ende des deutschen Papstes quasi erahnt habe.

In meiner Zweitheimat Italien haben sie il Papa Tedesco nicht wirklich gemocht. Das Mutterland der Kirche hat sich quasi in diesen acht Jahren am Vatikan vorbei weiter entwickelt und die auch dort  weniger werdenden Gläubigen sehnen sich bei der anstehenden Wahl nach einem Johannes XXIII: Einem väterlichen Erneuerer mit weniger Dogmatismus, der im wahrsten Sinne des Begriffes Brücken baut: zum 21. Jahrhundert, zu anderen Weltreligionen (ohne Alleinvertretungsanspruch), zur eigenständigen Sexualität; vor allem aber zu den Opfern seiner Hirten, die - welcher Versuchung auch immer - nicht widerstehen konnten.

Heute habe ich die Aussage einer jungen Katholikin und Theologie-Studentin zum Papst-Rücktritt gelesen. Apriori forderte sie,  die Kirche müsse sich so weit öffnen, dass zumindest auch mal eine Päpstin oder gar ein sich geoutet habender Schwuler auf dem Stuhl Petri denkbar wäre.

Ich werde das nicht mehr erleben, dass eine "Potifexine" oder ein "Gayus Maximus" den "Urbi et Orbi"-Segen erteilt. Aber vielleicht wird die heute 19jährige dereinst mal die erste Päpstin des Neo-Katholizismus.

Samstag, 9. Februar 2013

Zurück zur Kleinstaaterei?

Der nationale Egoismus hat gesiegt beim Budget-Gipfel der EU. Ein Pyrrhussieg für die Briten, die einfach nicht einsehen wollen, dass ihre Steuergelder, die in die EU fließen, keine Subvention, sondern eine Investition in die Zukunft sind. Diese fiskalische Nabelschau einzelner Nationen wird sich noch als negatives Beispiel auf andere auswirken, wenn sie nicht gar die Entwicklung der "Vereinigten Staaten von Europa" bis zum Stillstand abbremst.

Aber was erwarten wir denn? Dass wir nach etwas mehr als zwei Jahrzehnten diesen Verschmelzungsprozess hinbekommen, bei dem die Amerikaner nach 100 Jahren quasi auf halbem Wege im Bürgerkrieg den größten Blutzoll ihrer Geschichte zu entrichten hatten? Auch da hat es neben der Sklaverei das dramatische Nord-Süde-Gefälle gegeben - wie in der EU. Nur, dass die jetzt die Niedriglohn-Sklaven aus sich selbst heraus generiert.

Um die Schavan-Problematik ein wenig ins Spiel zu bringen: Haben die Volkswirte, Wirtschaftswissenschaftler und Historiker ihre Akademischen Grade alle in der Wundertüte gewonnen? Wie konnte es zu derart krassen Fehleinschätzungen kommen.

Vor etwas mehr als zwanzig Jahren kam ich bei einer Gartenparty neben einem führenden Volkswirt der damals noch existierenden Vereinsbank zu sitzen. Der schwärmte so über die Zukunftsaussichten des Euro, dass die Segnungen eines Schlaraffenlandes dagegen reine Magerkost waren. 

Ich habe und hatte nie eine Ahnung von den angeblichen wirtschaftlichen Gesetzmäßigkeiten und fragte nur, wie die Währungsunion denn die gewaltigen Unterschiede der Volkswirtschaften ausgleichen würde. Jeder hat ja im Physik-Unterricht gelernt, dass kommunizierende Röhren den gleichen Inhaltslevel nur erreichen, indem der Hochstand so lange verliert, bis der Niedrigstand auf gleicher Höhe ist... Das erreichten die Regulative der freien Marktwirtschaft ganz von alleine, meinte damals der Banker. 

Nach einem guten Dutzend Jahren Euro (im Bank- und Börsengeschäft gab es die Währungseinheit ja schon früher) müssen wir Älteren nach einem krassem Wertverfall des eigenen Barvermögens feststellen, dass da irgendetwas nicht so richtig geklappt hat. - Nur, dem Individuum, dem einfachen  Steuerbürger, wird dieser Verlust nicht ersetzt, während ja die, die für die Verluste mit ihren Schummel-Geschäften verantwortlich waren, auch noch durch Fonds gerettet werden. Auf Europa zu beharren, verlangt von jedem einzelnen Bürger Großmut, den die Politiker und die Menschen an den Schaltern der Finanzmacht eigentlich schon lange nicht mehr verdienen.

Dass ich nicht vor Wut platze, verdanke ich persönlich zum Beispiel einem regelmäßigen Blick in die Geschichtsbücher. - Was ich übrigens  nicht nur den "Doktores" unter unseren  Politikern dringend anempfehlen möchte: 

Unmittelbar nach Ende des Ersten Weltkrieges war Europa ein kleinstaatlicher Horror. Schwankend zwischen der Restaurierung überkommener Monarchien und kopflosen Räterepubliken herrschte ein Chaos, das in sich bereits die Dimension fürchterlicher Gewalt trug: 

Antisemitismus, Faschismus, Kommunismus, Militarismus. Das alles hat nach dem größten Blutvergießen der Geschichte Europa mit Größe und im Großen und Ganzen friedlich überwunden.  Noch sind keine 100 Jahre seither vergangen. Wir hätten also noch Zeit, einen multinationalen Bürgerkrieg zu verhindern. Da scheint jede Milliarde, die dieses Konzept Vereintes Europa menschlich voran bringt, doch besser investiert als in Rüstung, die dann ja letztlich überflüssig wäre...

Dienstag, 5. Februar 2013

Es sterbe der Sport!

Nicht, dass im antiken Olympia der Sport so edel war, wie sich Pierre de Coubertin das bei der Wiederbelebung der Olympischen Spiele neoromantisch vorgestellt hatte. Im Hain von Olympia und im Stadion-Rund sei es nach neuesten Erkenntnissen der Sporthistoriker ziemlich zur Sache gegangen. Verlierer mussten glücklich sein, nicht zu Tode geprügelt zu werden, und Sieger nutzten schon damals jede Möglichkeit zur Vorteilsnahme.

Auf Leben und Tod der Gladiatoren ging es zur Volksbelustigung später nicht nur in den römischen Arenen, sondern auch bei den noch nicht entdeckten Azteken, deren Ballsportler in die Nähe von Göttern gerückt wurden, während Loser nicht selten damit rechnen mussten, auf den Altären das Sportlerherz bei lebendigem Leibe herausgerissen zu bekommen.

Sport stand dann immer auch im Verhältnis zu Wehrertüchtigung und Jagdfieber. Erst im 18. Jahrhundert bekam die körperliche Ertüchtigung im Einklang mit der Natur durch den Philosophen Jean-Jacques Rousseau eine Dimension, die seine weitere Entwicklung partiell veredelte. Es war ja auch der Adel der beiderseits des Ärmelkanals mit Athletik so eine Art Alternative ins gesellschaftliche Leben brachte.

Beim Jeu de Paume - dem Vorläufer des heutigen Tennis in Frankreich - rief man dem Gegenüber beim Aufschlag mit der Handfläche (paume) noch höflich zu "nehmen Sie" - tennez! Daher der spätere Name Tinnes oder Tennis. Als die Engländer, die es als "Sphairistike" eigentlich schon erfunden hatten, auch mit Schlägern abgegrenzte Spielfelder in den Ballspiel-Häusern bespielten, war das Regelwerk noch so krude, dass man feste Einrichtungen wie Zuschauer als "Vorbande" mit einbeziehen konnte . Der Schwur der Stände zum Auftakt der französischen Revolution fand übrigens  in so einer Arena mit überdachten Rängen statt...

Je geregelter der Sport in seinen Disziplinen desto mehr wurde sein Umfeld zu wüsten Wetten und Manipulationen missbraucht und bekam früh schon auch eine politische Dimension. Die Birkebeiner, norwegische Skiläufer, befreiten 1206 ihren Prinzen Haakon Haakonson.  Zwei Bauern aus der schwedischen Provinz Dalarna rannten 1520 einem Revoluzzer namens Gustav Erikson hinterher, um ihm die Unterstützung der von Dänen unterdrückten Bevölkerung zu zu sichern. Aus ihm wurde später Schwedens König Gustav I, der Vasa. Die Rolle der Boxer beim 55tägigen Aufstand 1900 in Peking musste je nach nationalem Blickwinkel des öfteren neu interpretiert werden. Und noch 1969 bekamen sich Honduras und  El Salvador wegen eines Qualifikationsspiels zur Fußball-Weltmeisterschaft im 100-Stunden- Fußball-Krieg militärisch in die Haare.

Je attraktiver der Sport, je mehr Zuschauer, desto wahrscheinlicher, dass sich Menschen für den Sport oder Menschen den Sport für sich missbrauchen. Die Fälle Lance Armstrong und Jan Ullrich sowie der mutmaßlich darin verwickelte spanische Arzt Fuentes machen aber nur deutlich, wie leicht wir uns durch Sport-Heroismus als Ersatzdroge verführen lassen. Der Kater der Enttäuschung bei Täuschung ist das Schlimmste, was Sportler ihren Fans und dem Sport antun können. Was, wenn man keiner Leistung mehr trauen kann? Dann läuft mehr als Emotion aus dem Ruder

Panem et Circenses, das funktionierte als politische Manipulationsformel schon immer. Ich lese bei der kolportierten Empörung Prominenter, die jetzt wegen des Wettskandals im Weltfußball laut wird, diverse Namen, die bei anderen Gelegenheiten des großen Geldes wegen tapfer zur Seite geschaut haben. 

Der Fisch hat schon immer vom Kopf her  begonnen zu stinken. Wenn also jetzt Fans aus Nürnberg einen Bus mit Schlachtenbummlern aus Fürth überfallen, nur weil die im Gegensatz zur eigenen Mannschaft ein Match gewonnen haben, dann ist das zwar ein Auswurf der Gesellschaft, aber nicht ihre Schuld. Das sind die Mechanismen die aus "der schönsten Nebensache der Welt" eine Art Ersatzkrieg stilisiert haben.

Es sterbe der Sport!


Samstag, 2. Februar 2013

Elite-Denken

Eulen - Symbol-Vögel der Gelehrsamkeit - können ihren Kopf blitzschnell in einem Radius von 270 Grad drehen. Damit sie diese Fähigkeit nicht schwindelnd vom Ast taumeln lässt, bedienen sie sich in ihren Köpfen bereit stehender Blutdruck-Reserven, die den Sauerstoffgehalt in ihren Hirnen nicht absinken lassen.

Beim Lesen dieses Hinweises im Wissen-Teil der Süddeutschen Zeitung kam mir sofort die Assoziation zu unserem Landesvater, dem Seehofer Horrrst. Wieso, vermag ich nicht zu sagen. Vermutlich, weil meinen kleinen grauen Zellen schon beim heftigen Kopfschütteln über dessen Wendehalsigkeit mit meiner stiernackig bedingten maximalen Amplitude von 160 Grad der Sauerstoff ausgeht.

Seehofer hinterlässt bei mir mitunter den Eindruck, er könne sein hohes Haupt gar um 360 Grad drehen, wenn es gilt, einen neuen Standpunkt auszuspähen. Damit ihm dabei etwaige Defizite von Sauerstoff-Zufuhr nicht anzumerken sind, bedient er sich dieses eingefrorenen Dauergrinsens. 

So auch vorgestern wieder, als der Erfolg des Volksbegehrens zur Abschaffung der Studiengebühren an Bayrischen Universitäten bekannt wurde: Er wäre ja sofort bereit gewesen auf Volkes Stimme zu hören, wenn der liberale Koalitionspartner nicht auf die Festschreibung der Studiengebühren im Koalitionsvertrag pochen würde. Das tut die FDP, die "Partei der besser Verdienenden", ja auch weiterhin, und so wird es wohl zum  Staatssäckel zusätzlich belastenden Volksentscheid kommen. Aber der Freistaat hat es ja. Er macht seinen eigenen Termin zur Landtagswahl am 15. September, anstatt wie die Hessen gleichzeitig mit der Bundestagswahl wählen zu lassen. Er pocht ja auch weiter auf das umstrittene Betreuungsgeld, das ja zur gedanklichen Kompensation der Nichterreichbarkeit des gesetzlichen Kita-Anspruchs ab August dienen soll. Von dem übrigens eine Reihe führender Soziologen glaubt, es würde das Prekariat mit Migrationshintergrund zusätzlich von der dringend erforderlichen Basisbildung zur Integration abhalten (siehe Post "Toleranz").

Aber was ist überhaupt Volkes Stimme in dieser Bildungsangelegenheit?

Noch nie sind die Zweitbeste und ich von unserem persönlichen Umfeld derart angegriffen oder im harmloseren Fall bezweifelt worden, wie durch den Umstand, dass wir beide uns im Rathaus in die Liste eingetragen haben. Wir taten das, obwohl das Studium unseres Sohnes ja bereits 6.000 Euro an Gebühren gekostet hatte, und keiner aus diesem Freundes- oder Bekanntenkreis Nachkommen hätte oder gehabt hätte, für die zu bezahlen gewesen wäre...

Ich gebe hier einmal unkommentiert nur ein paar der Argumente wieder, wieso die Studiengebühr hätte beibehalten  werden sollen:

*"Was nix kost', taugt nix", sagte einer, dessen Söhne noch gebührenfrei bis zum Staatsexamen kamen.
*"Weshalb soll ich mit meiner Steuer den Bedarf der Universitäten mitfinanzieren?", sagte einer der gar keine Kinder hat und selbst dereinst gebührenfrei studierte.
*"Wir haben sowieso zu viele Studenten, die ihre Zeit nur abbummeln und in einem Handwerksberuf viel besser aufgehoben wären."
*"Kindergärten und Kitas kosten ja schließlich auch etwas!"
*"Wer wirklich ernsthaft studieren will, der kann ja auch einen Kredit aufnehmen oder sich nebenher einen Job suchen, so wie ich das getan habe."
*"Die Abiturienten-Schwemme hat dafür gesorgt, dass schon Gärtnereien und Schreiner keine Hauptschüler mehr als Lehrlinge nehmen. Es will doch keiner mehr auf einer Baustelle arbeiten", beklagte eine, die sich darüber ärgert, dass nur noch Albaner bei einer Renovierung in ihrem Wohnhaus eingesetzt werden.
*"Wenn unsere Studenten alle so toll wären, wieso brauchen wir dann so dringend ausländische Fachkräfte?"

Dazu fällt mir nichts ein, außer vielleicht der Verdacht, dass da die Öffentlichkeitsarbeit im Sinne mancher Eliten besonders bei jenen gefruchtet hat, die viel haben und wenig teilen wollen.

Da passt dann das Ergebnis einer Untersuchung der Hans-Böckler-Stiftung als Warnung nur allzu gut in den Tenor. Die hat herausgefunden, dass der Einstieg ins Berufsleben für die meisten Hochschulabsolventen nur noch über befristete Arbeitsverträge möglich sei. Selbst 34 Prozent der Akademiker mit bereits einem absolvierten Berufsjahr arbeiteten noch in befristeten Beschäftigungsverhältnissen.