Mittwoch, 22. Oktober 2014

Zeit-Gewinn

Dass wir unser Zeitgefühl alljährlich immer noch von Verwaltungshengsten  in Winter- und Sommerzeit zerteilen lassen, macht gemäß diverser Untersuchungen längst keinen Sinn mehr. Angefangen hatten mit dieser Zeitumstellung die weit im Lauf der Sonne ausgebreiteten Vereinigten Staaten von Amerika mit ihren diversen Zeitzonen. Als "Daylight Saving Time" schien das aber Sinn zu machen. Seit es die im Vergleich zu den USA immer noch winzigen Vereinigten Staaten von Europa gibt, die zuvor ja schon  Eastern Time und Greenwich Mean Time hatten, ist das Hin- und Her durch die eine Stunde für die meisten Europäer nur noch ein Ärgernis.

Von gut einem Dutzend massiver Timelags pro Jahr gebeutelt, hat mir das früher aber nichts ausgemacht. Heute, da mein Bio-Rhythmus von diversen Medikamenten beeinflusst wird, stelle ich jedoch fest, dass diese eine Stunde hin und her tatsächlich ein störender Eingriff ist, Obwohl ich den ja frei von Verpflichtungen schlafend ignorieren könnte. Meine innere Uhr kann das aber nicht.

Den meisten älteren Menschen, mit denen ich darüber spreche und die auch ähnlich wie ich vom Licht abhängig sind, geht es genauso:
Sie lassen sich ab Ende März von den "längeren Tagen" sachte euphorisieren, dann aber sind sie durch die eine Stunde plus mitten im Tagesgeschehen und oft über längere Zeit zu "spät dran".
In unseren Wahrnehmungen sind wir zwar nicht mehr so sensitiv wie Tiere, aber unser Unterbewusstsein reagiert auf die sich so früher ankündigende Herbstzeit quasi im "Standby-Modus".
Hinzu kommt, dass das Kürzer-Werden der Tage einem mit zunehmenden Jahren erheblich schneller vorkommt als das Herannahen von Frühling und Sommer. So wird der August oft schon mal zum ersten Herbstmonat.

Und dann ist da aber auch noch der Klima-Wandel. Der September 2014 ist weltweit der wärmste seit Beginn der systematischen Wetter-Aufzeichnung gewesen.

So ein Sonntag wie der 19. Oktober verwirrt dann total. Mittags bin ich durch meine noch immer kaum eingefärbten Laub-Tunnel rund um den Olympia-See zum Luitpold-Park hinunter, habe die Kurve im Petuel-Park angehängt und bin dann Richtung Schleißheim. Mein neuer Helm in Schwarz sorgte - obwohl ich nur ein T-Shirt und kurze Hosen anhatte, dafür, dass ich so geschwitzt habe, wie selbst in Italien nicht, Zum Abschluss meiner 45-Minuten-Runde fahre ich immer gerne im Zickzack durchs nördliche Milbertshofen, weil ich da um die Mittagszeit meine Nase immer auf eine kleine Weltreise schicken kann:

Von Nord nach Süd umwoben mich Duftwolken in dieser Reihenfolge:
Asiatische Schmortöpfe mit Kokos-Milch und Curcuma.
Auf Holzkohle nordafrikanisch Gegrilltes mit Kreuzkümmel.
Lammbraten mit reichlich Knoblauch oder Keftedes
Dann aber war da ja auch noch Kirchweih, und es roch zwischendurch verführerisch nach Gänsebraten und Rotkraut.

Mein Fabulier-Hirn stellte sich dabei vor, dass alle Köchinnen und Köche unseres Viertels  einmal wahlweise friedlich am Tisch der oder des anderen sitzen könnten, um gegenseitig diese Köstlichkeiten zu probieren...

Die Tanke gegenüber zeigte bei meiner Heimkehr 25,5 Grad an - ein Multi-Kulti-Sommertag in München hatte seinen Höhepunkt erreicht.

Aber wie der Frieden ward auch  die Seele nach diesem Wonnebad 24 Stunden später in eisigen Regen-Fluten ertränkt. Der echte Herbst kam mit Orkanen, die schwere Wolken wie Federn vor sich her trieben und alles in Kälte erstarren ließen.

Der Morgen danach war so dunkel wie die Nacht finster. Jetzt kann der Mensch die Stunde Zeit-Gewinn am Wochenende tatsächlich gut vertragen...


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