Mittwoch, 28. April 2021

Solidarität ist kein Individualsport

 Gut, man könnte der Meinung sein, dass die Priorisierung und das Einteilen der Impfungen in Klassen von Haus aus falsch herum gedacht waren. Klar, dass die besonders gefährdeten Bewohner von Altenheimen Vorrang hatten. Aber wieso mussten da schon alle warten, die mit jenen und anderen Infizierten Zwangskontakt hatten? Weshalb  musste Personal, das Dienst an der sozialen "Front" der Pandemie verrichtete - also Busfahrer, U-Bahn-Fahrer, Pflege-Kräfte - da noch warten? Gänzlich unverständlich aus meiner Sicht, und dabei bleibe ich - ist der Umgang mit Professoren, Lehrern Studenten und Schülern, die doch die Zukunft unseres Landes nach Corona verkörpern.
Aber nun ist es eben anders gelaufen im politischen Hickhack unserer Regierungen. Leicht gemacht haben es sich die Entscheidungsträger ganz sicher nicht, auch wenn sich mancher gewünscht hätte, dass dabei weniger Wahlkampf gemacht worden wäre...


Es ist wie es ist! Sie verwalten nur noch den hausgemachten Impf-Stau. Der sogenannte "Impfgipfel" löste nun sogar eine Diskussion über Aufhebung "eingeschränkter Grundrechte" aus, die für mich nur schwer zu ertragen ist. Im Morgenprogramm von BR3 durften sich vorgestern alle gegensätzlichen Ansichten unverblümt austoben. Bisweilen musste ich sogar Leuten recht geben, obwohl ich das ganz anders sehe. Natürlich wollen die Leute, die bereits zweimal geimpft worden sind, einen Teil ihrer verlorenen Lebensqualität einfordern. Dabei sind ihnen die, die frühestens beim Aufheben der Priorität mit dem Impfen dran sind, völlig schnuppe. Hauptsache wir dürfen feiern, Urlaub antreten und endlich wieder Shoppen gehen. Der Wirtschaft täte das nur gut. Und Finanz-Minister Peter Altmaier präsentierte gestern stolz seine steil nach oben gerichtete Kurve zum Wirtschaftswachstum noch in diesem Jahr. Dabei hat er wohl seine schleppenden Auszahlungen an tatsächlich tödlich Betroffene ganz vergessen. Es wird auch gleichzeitig begeistert vermeldet, dass RB-Leipzig-Trainer Julian Nagelsmann mitten in der Krise zu einer für Trainer nie dagewesene Ablöse zum FC Bayern wechselt. Wieviel wert ist denn ein Mensch in diesen Zeiten?

Mein Enkel war jetzt 16 Monate nicht mehr in seiner privat organisierten Kita. Meine beiden Kinder sind in ihren Jobs, so aufgestellt, dass ihnen anderthalb Jahre im "Home-Office" immerhin leichter fallen als vielen anderen, die nicht am Computer arbeiten und verdienen können. Aber so richtig hart trifft es meinen Schwiegersohn, der als Sous-Chef in einem  gerade noch vor der Pandemie eröffneten Gourmet-Restaurant seine Karriere am Herd fortsetzen wollte. Er weiß bisher nicht, ob sein Arbeitsplatz Ende Mai überhaupt noch existiert. Dem Schwiegersohn einer Freundin hängt seine teure Ausbildung zum Verkehrs-Piloten bei einer großen Airline als Wackerstein um den Hals, während er nur sporadisch für Flüge eingesetzt werden kann. Corona schickt uns nicht nur beim Impfen wieder in eine Gesellschaft zurück, in der die einen oben sein wollen, aber immer mehr ganz unten sind.

Dass sind doch alles ebenso wenig Einzel-Schicksale, wie sie durch leere Bühnen oder  Konzertsäle künstlerische Existenzen bedrohen...

Wie wäre es mit ein wenig mehr Solidarität im Lockdown. Solidarität zu leben, darf nicht zu einer Art Individualsport werden. Sonst brauchen wir - mehr noch als in der Wirtschaft - einen gesellschaftlichen Wiederaufbau.

Quelle; dgb.de


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