Montag, 25. Februar 2019

Sehnsucht

Vermutlich geht es vielen so: Ein Wort, ein Blick oder ein Bild machen aus der Seele plötzlich eine Hüpf-Burg. Wir werden auf einmal von Emotionen überwältigt, die irgendwo im Verborgenen geschlummert haben. Erweckt wirken sie wie eine Neu-Entdeckung.

Gefühle, die über Jahre kontrolliert unterdrückt wurden, brechen hervor, und lassen uns dann darüber nachdenken, ob die eingeschlagenen Wege im Leben immer die richtigen waren. Ob vielleicht Sehnsüchte durch rationales Verhalten als Luftschlösser eingeordnet wurden.


Meine in den "Burgbriefen" gelegentlich für ihr Gardemaß angeschwärmte Schweizer Freundin ist nach sechs Jahrzehnten strengen Weges dort angekommen, wo ich vermutlich niemals hinkomme.
Sie war ein gefeierter CEO bei bekannten Firmen, nun wird sie an der Seite ihrer späten Liebe eine ligurische Landfrau. Sachte aber konsequent hat sie ihr altes Leben hinter sich gelassen und baut nun mit ihrem Geliebten ein "Agriturismo" auf. Variantenreiches Gemüse, ein Schwimm-Teich mit Fischen und nun auch Hühner für erlesene Bio-Eier. Ihr Schatz  - nicht nur im Geiste - folgt dem Grundsatz, nichts zu essen, was er nicht selbst heranwachsen gesehen hat.


Gestern nun, schickte diese neue "Heidi im Großformat" per Mail  Bilder von ihrem Familien-Zuwachs, mit der Frage, wo wir denn blieben, damit wieder Leben auf die Burg käme und postete  eines ihrer fünf Mädchen nämlich Carletta. Die anderen heißen Limona, Amanda, Berta und Matilde.
Sie sollen schon mit der Oster-Produktion begonnen haben.

Die gute Carletta, hat bei mir die oben geschilderten Gefühle ausgelöst. Habe ich in Ligurien denn alles so gemacht, wie ich es mir  ursprünglich einmal vorgestellt habe? Wir wollten das einfache Leben, aber dann hat uns das Haus alles abverlangt, bis es so war, wie wir es uns vorgestellt haben. Jetzt gibt es leider keine Kraft mehr für ein Landleben, aber sie ist immer noch da. Die Sehnsucht wächst mit jedem Monat, in dem wir in München sind, bis wir es gar nicht mehr erwarten können, zu wechseln.

Das Land- und Burgleben zu schildern, ist ja auch eine Möglichkeit, Sehnsüchte für die Nachwelt fest zu halten, auch wenn es möglicherweise eine Flucht vom Hier und Jetzt dieser Welt und dem übrigen Italien ist. Schon allein für das Erlangen dieses  "bisschen Friedens" haben wir wohl doch einiges richtig gemacht.

Selbst der Donner grollende Germanen-Komponist Richard Wagner brauchte am Rande von Bayreuth eine Refugium der Stille: "Hier, wo mein Wähnen Frieden fand, Wahnfried sei dieser Ort genannt."

Man muss ja nicht gleich auf die Kesselpauke hauen, um Sehnsüchte zu befriedigen.

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