Montag, 13. Februar 2023

Vom Erträumten

Quelle: Traumdeutung

Unsere Sprache ist schon manchmal ziemlich unlogisch. Zum Beispiel erträumt sich kaum etwas im Schlaf, sondern es bedarf des Wachzustandes für die Verwirklichung konkreter Wünsche. Einer der wenigen Vorzüge am Alter ist, dass die Tagträume sofort als "Schäume" erkannt und mangels noch zur Verfügung stehender, zeitlicher Perspektive belächelt werden können.

Tatsache ist, dass man sich nach und nach von früher Erträumtem und dann vielleicht Realisiertem verabschieden muss. Das schmerzt eine gewisse Zeit. Aber auch Verluste vergisst man mit den Jahren irgendwann. Jeder muss sich damit arrangieren. Ob Konfuzius den folgenden Spruch wirklich so formuliert hat ist fraglich, aber ich bezweifle, dass er ihn wirklich allein auf den Tod gemünzt hat. Auch das konfuzianische Denken basiert ja auf einer Art Wiedergeburt.

Konfuzius
Quelle: National Geographic

Schöne Tage: Nicht weinen, dass sie vorüber, sondern sich freuen, dass sie gewesen...

Neulich war ich zum Essen mit einigen ehemaligen Skikameraden. Wie alle sind im gleichen Alter und jeder hat ein Zipperlein, dass ihn körperlich derart einschränkt, dass er seinem Lieblingssport ade  sagen musste. Trotzdem haben wir die ganze Zeit über die Abenteuer auf Ski schwadroniert, die wir zum Teil gemeinsam erlebt haben. "Weißt du noch - diese rauschende Frühjahrs-Abfahrt. Von oben bis unten Firn, und am letzten Hang sind bei jedem Schwung die Himmelschlüsselchen weg gespritzt..."

Das "weißt du noch" ist ein wesentlicher Faktor, der von Jahr zu Jahr zunimmt und uns bis zur unvermeidlichen Demenz erhalten bleibt, wenn uns der Tod nicht vor ihr bewahrt. Erinnerungen sind gelebtes Leben, und ich schäme mich nicht mehr, dass sie oft das einzige sind, was ich noch groß erzählen kann.

Meine Mutter, die fast genauso viel von der Welt gesehen hat wie ich, hatte ein tolles Rezept zum Einschlafen. Vor allem als mein Vater zum Ratschen nächtens für das "weiß du noch" nicht mehr neben ihr lag:
Sie rief sich in alphabetischer Reihenfolge alle Länder und Städte auf, die sie bereist hatte. Das ging meist immer nur ein paar Buchstaben weit. Aber sie konnte sich in der folgenden Nacht immer noch erinnern, wie weit sie gekommen war und machte dort  dann weiter, bis Morpheus sie in seine Arme schloss. Sie hatte zum Zeitpunkt ihres Sekundentodes - wie manche sagen würden - mehr gesehen, als sie sich vielleicht in den Kriegsjahren mit ihren zwei Töchtern "erträumt" hatte. Aber in Wahrheit hat sie sich die Dinge, die sie sich wünschte oder wollte, mit Hartnäckigkeit und unerschütterlicher Furchtlosigkeit  und nicht durch Träumereien erfüllt

Die Formulierung "Das hätte ich mir im Traum nicht gedacht..." ist auch nicht logisch. Nicht erst seit Traumdeuter Sigmund Freud wissen wir ja, dass wir das Träumen nicht mit unserem Verstand kontrollieren können. Ganz im Gegenteil unser Gehirn braucht die Schlafenszeit, um die im Wachen gesammelten Eindrücke im Unterbewusstsein zu verarbeiten und abzuspeichern. Die passive Redewendung "das hätte ich mir nicht träumen lassen" machte also eher Sinn.

Lustig finde ich immer, wenn Spitzensportler bei Sieger-Interviews mit solchen Floskeln ihren Erfolg kommentieren. Als schämten sie sich dafür, dass sie tatsächlich - anstatt davon zu träumen - alles eben allein durch quälendes Training und Zielstrebigkeit erreicht haben. Achtet da mal in den kommenden Weltmeisterschaftswochen drauf.

Quelle: de.depositphotos.com


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