Sonntag, 8. November 2015

Irrungen und Wirrungen

Mein Vater und meine Mutter waren bis zum letzten Atemzug geistig voll auf der Höhe und konnten sich niveauvoll zanken - mit uns Kindern. Was mich daran hinderte, dass ich rechtzeitig dafür Abbitte leisten konnte,  mich stets erbarmungslos über ihre Schrullen lustig gemacht zu haben. Dafür erlebe ich zurecht selbiges nun mit meinen Kindern.

Vergangenes und gerade Erlebtes vermischt sich in diesem Alter beim Dösen im Unterbewusstsein. Das gilt vor allem, wenn ich mich morgens noch einmal hinlege. Der vergangene Freitag war so ein Tag voller Irrungen und Wirrungen, dass die "Zweitbeste" meinte, ich solle mal meinen Lesern davon erzählen:

Die Ereignisse begannen damit, dass ein kleiner Mann mit Eulenaugen hinter seiner Brille, den Kopf schief haltend vor der Tür stand.

"Mein Name ist Hermes."

"Ah - wie der Götterbote. Haha!"

"Na ja, von einer höheren Instanz schon - aber nicht so weit oben angesiedelt..."

"Worum geht es denn?"

"Es geht darum, dass sie ganz oben auf der Rückruf-Liste stehen. Ihr BMI ist absolut nicht mehr zeitgemäß und ihre Abgasemission übertrifft alle Toleranz-Werte. Ihr Kalorienverbrauch ist viel zu hoch. Selbst wenn man einräumt, dass Sie das Doppelte von einem Norm-Menschen wiegen. Da sich Umrüsten nicht mehr lohnt, werden Sie aufgefordert, sich bei der Sammelstelle zur Entsorgung einzufinden."

Schweißgebadet schrecke ich aus dem Halbschlaf hoch, und schaue, ob es vielleicht schon der 13. ist.
Gut, dass das nicht der Fall ist. Aber auch ein normaler Freitag bedeutet, dass sich Family&Friends mittags im Sekt-Zelt auf dem Viktualien-Markt treffen. Mit der Traum-Sequenz im Kopf beschließe ich, dort ausnahmsweise hin zu radeln. Wer weiß, wie oft ich die alle noch sehe?

Als ich an der Feldherrenhalle vorbei düse, schaue ich ein paar Sekunden zu lang auf die jungen, schwarz gekleideten Männer mit entschlossen vor gereckten Kinnpartien, die dort Wache stehen. Ich übersehe den hohen Absatz und krache unsanft mit dem Vorderrad auf die Straße. Vor der Oper ist schon kaum mehr Luft drin, aber ich schaffe es trotzdem viel zu früh noch bis zum Markt.

Die "Zweitbeste" hatte mich gewarnt: Dann setzten sich die beiden Cs zu dir, die sind auch immer zu früh.

Nicht, dass ich etwas gegen die beiden Schwäger hätte, aber sie hören nicht gut und verstehen noch schlechter. Der eine fragt mich über meine Krankheiten aus, der andere gibt mir aus seinem reichen Erfahrungsschatz  Ratschläge, was mit dem platten Vorderreifen zu tun sei. Dann trudeln all die anderen ein, mit denen ich gerne mal wieder ein paar Worte gewechselt hätte. Aber das geht nicht, weil dieser November ja ein Mai ist. Trotz offener Zeltplanen ist es so voll und laut, dass ich nun auch nichts mehr verstehe.

Gut, dass sich die vernünftige Tante D. noch in dieses Bermuda-Dreieck des Unverständnisses quetscht. Nicht weil sie längst ein unsichtbares Hörgerät trägt, sondern weil sie die "Tante für alle Notfälle" ist. Während alle anderen in ihre Smartphones schauen, um den nächstgelegenen Radl-Tandler zu ermitteln, betet sie aus dem Kopf die Koordinaten für den Nächstgelegenen vor.

Ich trinke meinen Badischen Grauburgunder aus und mache mich das Rad schiebend auf den Weg.
Es sind noch nicht einmal fünf Minuten - wie Tante D. gesagt hat.

Die Pedal-Helden sind nicht nur schnelle Reparierer, sondern auch hervorragende Verkäufer. Sie identifizieren meine Reifen als den größten denkbaren Schrott. Zwanzig Minuten später radele ich auf den sogenannten "unkaputtbaren" City-Reifen wieder Richtung Milbertshofen. Zum Sekt-Zelt kehre ich nicht zurück. Schließlich hatte ich ja gesagt, ich komme nur auf eine Glas Wein vorbei...Ich grinse in mich hinein, und löse damit gleich die nächste Straf-Aktion aus.

Im Glashaus ist wieder einmal der Lift kaputt. Aber meine Muskeln sind ja noch warm und ich federe dermaßen geschmeidig die vier Stockwerke hoch, dass ich einen Moment daran denke, am nächsten Olympia-Turm-Lauf teil zu nehmen...

Hochmut kommt vor dem Fall.

Oben erwartet mich die Nachricht, dass meine Bankberaterinnen in den Ruhestand gehen und ich eine Neue bekomme. Als ich die Alten löschen und die Neue in mein Samrtphone eingeben will, habe ich komplett vergessen, wie das geht.

"Hermes, hol mich!"


Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen