Mittwoch, 4. November 2015

City Speak

Ja, unsere Gesellschaft wird sich verändern. Und unsere Sprache auch. Wie sehr, erlebt beispielsweise, wer sich englische oder amerikanische Spielfilme im Original anschaut. Das Amerikanische ist ja nicht abgedriftet. Es hat sich nur grammatisch und umgangssprachlich abgeschliffen unter dem Einfluss der Vielen, die die Sprache erst haben erlernen müssen.

Es ist auch nicht unbedingt gesagt, dass Sprachen und künstlerische Qualitäten von Zugewanderten keine Bereicherung bedeuten:

Die Russin Natascha Tscherniak begründete als Nathalie Sarraute den Nouveau Roman, der der streng bewachten französischen Sprache völlig neue literarische Impulse gab.
Der vor dem armenischen Holocaust geflohene Schahnur Waghinak Asnavurjan, erscheint uns heute als 90jähriger Charles Aznavour immer noch als urfranzösischer Chansonnier.

Aus aktuellem Anlass möchte ich allen, die verstehen wollen, die Werke von Suheil Fadél empfehlen, der als Chemiker aus Syrien fliehen musste und als Rafik Schami einige der großartigsten Romane der Deutschen Literatur geschrieben hat.

Deutsch war ja nie eine Brücken-Sprache wie Englisch, Spanisch oder Französisch. Jetzt wird sie es werden - ob wir wollen oder nicht. Schon vor der Flüchtlingswelle haben sich die Menschen verschiedenster Nationalitäten in unserem Viertel miteinander nur mit ihrem rudimentären Deutsch unterhalten können. Das habe ich auf den zahlreichen Baustellen oder in den speziellen, nationalen Supermärkten erlebt. Seit wir wieder ein Standbein in München haben, hat sich die Zahl Deutscher, die beispielsweise im arabischen Supermarkt einkaufen der der nordafrikanischen Kunden angeglichen. Liebe geht durch den Magen, und wenn einer erst einmal herausgefunden hat, dass es hier das beste Lamm in ganz München gibt, und Süßigkeiten wie  aus "Tausend und  einer Nacht", wird er Stammkunde.

Damit ich nicht gänzlich auf der faulen Haut liege und mich regelmäßig bewege, schickt mich die "Zweitbeste" mit dem Rad zum Einkaufen auf den Elisabeth-Markt in Schwabing. Eine Einkaufsquelle, der wir seit beinahe 50 Jahre frönen, weil sich  auf ihm verglichen mit dem Viktualienmarkt so gut wie nichts verändert. Ein unverfälschtes Stück München?

Nicht ganz. An der Westseite befindet sich die "Städtische Berufsschule für Fahrzeug- und Luftfahrt-Technik". Der Anteil an Schülern mit Migrationshintergrund wäschst ständig, und wenn die in den Pausen und bei Unterrichtsschluss dann über den Markt strömen, habe ich zuerst immer Schwierigkeiten die Dialoge zu verstehen.Ich bin mir aber zunehmend im Klaren, dass ich hier der Generation Zukunft begegne.

Eigentlich mag ich  Science Fiction nicht. Aber der Film "Bladerunner" ist dennoch ein Film dessen Perspektive mir immer wieder unter die Haut geht. Besonders der ungekürzte  Director's Cut von Regisseur Ridley Scott.

Der Film nimmt vorweg, was die UN gerade für das Jahr 2050 vorausgesagt haben. Nämlich, dass zwei Drittel der Menschheit in Großstädten leben werden. In diesem cineastischen Chaos wird genial in einer Sprache gesprochen die sich "City Speak" nennt. Quasi eine sich selbst bildende Kunstsprache, die - anders als Esperanto - von der täglichen Veränderung lebt.

An die musste ich gestern beim Heimradeln denken.

München ist ja eine gute Radel-Stadt. Deshalb gibt es ganze Straßenzüge, auf denen Radfahrer Vorrechte haben. Was einem Engländer offenbar entgangen war, der in einem offenen MG durch sie hindurch preschte, als führe er in Brands Hatch.

Als er an der roten Ampel halten musste, beugte sich der ältere Radler, den er fast auf ein parkendes Auto gedrängt hatte, zu ihm hinunter:
"Woast scho! This is fei a typical Munich Radlstraßna. Nix speedy Gonzales!"

Der Brite starrte ihn an wie ein U-Boot auf Tauchgang. Deshalb fühlte ich mich als Kosmopolit genötigt einzugreifen. Gerade fiel mir noch ein, dass es verständlicher sei, das Wort Cycling zu verwenden.

"Cycling has priority in these Streets!"

"I'm not interested in Recycling", sagte der Tommy, und ließ die Reifen qualmen, weil es gerade grün wurde.

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