Montag, 5. Dezember 2011

Mir fällt nix ein!

Es gibt so überragende Momente im Leben, die einen erst empor tragen und dann auf die eigene Ebene  kümmerlichster sprachlicher Existenz zurückschmettern...

Gestern gab es so einen Moment zur Eröffnung des SPD-Parteitages.
Als die SPD noch sozial und die FDP noch liberal war, habe ich jene Koalition mit großer Überzeugung und einer politischen Euphorie gewählt, zu der vermutlich nur junge Menschen ohne richtige Lebenserfahrung fähig sind. Mit jedem  neuen Lebensjahr wächst dann aber die Ernüchterung angesichts realpolitischer Machbarkeiten. Wer so viele Menschen erlebt hat, die sich wegen des Machterhalts verbogen oder haben verbiegen lassen, dem stehen die verklausulierten Um-den-Brei-Rede-Hülsen letztendlich weit über dem Scheitel.

Und dann wird da ein Greis im Rollstuhl auf die Redner-Tribüne geschoben und dokumentiert in einstündiger Präzision, dass  Politik einfach und verständlich auf den Punkt gebracht und staatsmännisch vorgetragen werden kann.

Als Helmut Schmidt Jung-Senator in meiner Geburtsstadt Hamburg war, nannten sie ihn "Schmidt-Schnauze", aber schon bald hatte er bei der Flut-Katstrophe die Gelegenheit, vielen Worten auch Taten folgen zu lassen - auch als Minister, als Kanzler in den dramatischen Stunden von Mogadischu und letztlich in seiner Funktion als Herausgeber der "Zeit", die bis heute ein letztes überparteiliches Manifest des in dieser Form sterbenden Journalismus darstellt.

Aber dass er gestern als 92jähriger in der Lage war, das alles noch einmal richtungsweisend zu übertreffen, macht mich sprachlos. Da fällt mir nix mehr ein!

Nur opositionelle Einfaltspinsel werden unterstellen, dass sich der Mann bei dieser Rede hat helfen lassen. Wer eine Ahnung von Dialektik hat, gewinnt eine befreiende aber auch gleichzeitig bedrückende Erkenntnis:
Der "Elder-Statesman" hat mit schärfstem Verstand nicht nur jedes Wort, jede Pause und jede Betonung so gemeint, wie er das vorgetragen hat, sondern er  hat in persona auch Maßstäbe dafür gesetzt, wie wir Deutschen uns im europäischen Verbund zu verhalten haben: mit Understatement, demütig der Geschichte gegenüber, aber gleichzeitig im Mobilisieren der besten Gedanken, die dieses Volk immer noch zu produzieren in der Lage ist.

Und da wird dann auch das Dilemma der SPD deutlich, wenn der 92jährige immer noch als kaum zu erreichender, wachrüttelnder Vordenker herhalten muss.

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