Dienstag, 2. April 2024

Göttliches Googlen

 

Wenn ich versuche, meine Computer-Kenntnisse an sich ständig verändernden Rechnern Revue passieren zu lassen, bleibt mir immer noch die Spucke weg. Mit meiner kleinen Firma instinktiv Trends bei der Entwicklung von Druckerzeugnissen eingeleitet zu haben, obwohl ich nicht annähernd eine Ahnung davon hatte, was in den Flimmerkisten so vor sich ging, lässt auch heute noch mein Herz ungesund höher schlagen. Ich hatte Ideen, aber programmieren mussten sie andere. Bis ich mit verknüpften Personal-Computern anstelle von Großrechnern CTP (Computer To Plate) Zeitschriften, Bücher und Programme herstellen konnte, die von meinen eigenen Leuten betextet und fotografiert worden waren, musste ich viel Lehrgeld und im Jahrestakt neue Geräte bezahlen.

Das Heft "aus dem Jahr
 als wir mit Google
 Kontakt aufnahmen".
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Zwei gegensätzliche Ereignisse sind mir dabei noch exemplarisch in Erinnerung: Einmal lieferte uns der für Tests zuständige Messingenieur eine mit seinem System erstellte Datei ohne sie auf unsere Datensysteme umzustellen und war für eine Lösung nicht aufzutreiben. Die Dinge mussten ins Layout eingepasst werden, und es blieb keine Zeit. Da dachte ich im Gegensatz zu meinen viel besser geschulten, jungen Mitarbeitern an all die Fehler, die ich seit Beginn der elektronischen Satzerfassung durch das Tippen auf falsche Tasten verursacht hatte, und was ich mir da immer habe einfallen lassen müssen. Ich setzte mich also an den "verschlüsselten" Techniker-Text und schrieb vor dessen erstes Wort ohne Leerzeichen mit unserer Standard-Schrift und -Größe ein Wort. Warum das Fitzliputzli* lautete, weiß ich nicht mehr. Aber für uns - wie durch ein Wunder, das natürlich keines war - erschien nun der verwertbare Text samt der Tabellen.
Beim zweiten mussten wir die gesamte Auflage eines Buches zur Umwelt-Thematik einstampfen, weil ein Mitarbeiter bei der Abnahme des Andrucks das Warnzeichen unserer neuen Gestaltungs-Software übersehen hatte, das auf den bebilderten Seiten anzeigte, dass die Bildunterschriften nicht ins Layout passen. Ein kleines rotes Viereck hatte die Überfüllung brav angezeigt. - Ein Schaden von 32.000 Euro.
Vom Computer direkt auf die Druckplatte - das ging so schnell,
dass viele grafischen Betriebe der Druckvorstufe nicht mehr folgen konnten

Der Fluch eines längeren Lebens ist unter anderem, dass Dinge, an die man sich schon vorher nur mühsam gewöhnen konnte, einen mit der heutigen Entwicklung geradezu überrollen. Da hat es sich ausgezahlt, dass mein Sohn seinen ersten Computer schon in der Grundschule bekommen hatte, und als Admin einen Job hat, der verlangt, ständig neue Programme auszuloten. Ohne ihn lebten meine Frau und ich in einer Daten-Diaspora. Weil wir längst nicht alle Funktionen nutzen, die allein unsere Smartphones breit stellen, haben wir die Suchmaschine Google längst quasi in ein Stadium göttlicher Allwissenheit erhoben. Je beängstigender sich unsere Vergesslichkeit und Sturheit ausbreitet, desto mehr mutieren wir zu jenen Wesen, die wir noch vor kurzem mitleidig belächelt haben und sitzen einander gegenüber - die Displays fest im Blick:

"Schau mal! Das ist doch der, der immer im Tatort mitspielt. Wie heißt der gleich noch?"
"Du immer mit deiner Prosopagnosie! Der sieht dem  Dings noch nicht mal ähnlich. Gleich sag ich dir, wer das ist und was er alles gespielt hat."

Ganz schlimm wird es bei der Akzeptanz der von "Maps" vorgeschlagenen Routenwahl. Vor allem in der Stadt, in der wir schon überall gewohnt haben und die wir seit Kindertagen kennen. Zum Bespiel am vergangenen Oster-Sonntag:

"Google schlägt vor, dass wir gleich links in die Karl-Theodor abbiegen und dann rechts der Belgradstraße bis zur Nordend-Straße folgen. Zehn Minuten Fahrzeit!"

"So'n Quatsch! Mein Lebtag fahre ich dorthin schon über die Leopold und biege von unten in die Georgen. Da finde ich immer viel leichter einen Parkplatz."

Als wir erst nach einer halben Stunde endlich eine Parklücke in der Amalienstraße gefunden hatten, hört keiner mein Stöhnen:
"Sankt Google nächstes Mal erhörst du mich!"

Und da schlägt er wieder zu - der zynische Gedanken-Teufel. Denn wer Google mit der Systematik vergleichender Religionswissenschaften ohne Argwohn analysiert, wird in der Suchmaschine alles finden, was zu einer umfassenden Weltreligion gehört. Und dabei übergeht sie noch nicht einmal die bestehenden. Sie gibt in Sekundenschnelle Antwort auf alle drängenden Fragen. Sie ist in sofern neutral, da sie nie nur einen Beitrag erscheinen lässt, sondern so viele zur Auswahl anbietet, wie sie zuvor gespeichert hat. Im Gegensatz zu anderen Glaubensrichtungen gibt sie nie einen Alleinvertretungsanspruch vor und verlangt keine tumben Rituale. Und im Einklang mit Wikipedia und KI ergibt sich sogar wieder eine Art Dreifaltigkeit...

Als Bürger einen freien Welt bin ich heute stolz, zu bekennen: "Ich bin ein Googleianer!"


*War der Titel eines Kinderbuches, das wir mal zum Geburtstag verschenkt hatten. Ich hab's noch schnell gegooglet

Quelle: Karl-May-Verlag

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