Sonntag, 7. April 2024

Gentrifizierung und Marginalisierung

Die Schwaige an der Straße nach Schleißheim
Kupferstich von M. Wening
Kirschblüten-Hanami
im Petuelpark

Foto: Claus Deutelmoser

Warum fange ich heute nur an, den Hund mit dem Schwanz zu wedeln? Nach einem April-Wochenende, das als wärmstes aller Zeiten in der Klimastatistik vermerkt werden wird, sitze ich im früh erblühten Garten vom "Glashaus" und denke über die Marginalisierung nach. Für alle, die mit diesem Begriff nichts anfangen können: Er steht im Gegensatz zur Gentrifizierung. Die Gentrifizierung ist jedoch gleichzeitig auch der Katalysator der Marginalisierung. Wo der Speckgürtel rund um eine Metropole für den Wohlstand nicht mehr ausreicht, beginnt sich die Gentrifizierung vom City-Kern aus meist kreisförmig durch die Bestandsimmobilien voran zu fressen und macht Häuser, Wohnungen und Baugrund "upmarket". Das führt mittel- bis langfristig zu sozialen Verwerfungen. Vor allem, wenn der Soziale Wohnungsbau zum Stillstand kommt und dessen Altbestand Tummelplatz für Spekulationen wird, auf dem einst subventionierte Bauten bevor sie saniert werden müssten, untern Hammer kommen. Wo das geschieht, ist kein Raum mehr für bezahlbares Wohnen.
BMW-Welt mit Museum und Verwaltungsgebäude "Vierzylinder"
Foto: Fakultät für Tourismus LMU

München scheint im Moment, da Hamburg und Berlin in bestimmten Vierteln auch schon Symptome von "Clankriminalität" bekämpfen müssen,  bislang da noch mit einem weißblauen Auge davon zu kommen. Dabei verharren hier gegen den aktuellen Bundestrend nicht nur die Mieten, sondern vor allem die Immobilienpreise auf Rekord-Niveau. Einer der Gründe, weshalb es hier nicht zu einer neuerlichen Marginalisierung kommt, sind ausländische Investoren, die sich aus Städten wie London und Paris sowie auch aus New York zurückgezogen haben. Grund sind aus deren Sicht nicht nur die verhältnismäßigen Schnäppchenpreise, sondern vor allem das sichere Umfeld. Miet-Einnahmen sind für sie zweitrangig, weshalb sie die teuren Teile auch mal ungestraft leer stehen lassen. Zum 48. Mal in Folge wies die Münchner Kriminalstatistik für 2023 Bayerns Hauptstadt als sicherste Großstadt Deutschlands aus.

Als das "Glashaus" gebaut wurde, lag es am äußersten Rand des Teils von Milbertshofen, der von der bayrischen Bourgeoisie gemeinhin als Glasscherbenviertel apostrophiert wurde, Die 90er Jahre waren für die Eigentümer kein Zuckerschlecken: Unzuverlässige oder vandalisierende Mieter waren in dem schwer zu vermittelnden Neubau an der Tagesordnung. Eine von Streetwork angemietete Gewerbe-Einheit im Parterre war permanenter Anlass für Beschwerden der Bewohner, die von Belästigung, Bedrohung bis Diebstahl reichten. Oft wurde gar die Polizei gerufen. Der Wertverfall der Immobilie war evident.

Noch als wir die Wohnung hier 2010 alternativ zu unserer Italienischen Zweitheimat bezogen, waren die Zustände kritisch. Es ist nicht genau zu rekonstruieren, was der Anlass war, dass die Gentrifizierung über den Ring schwappte. War es der neu erschaffene Petuelpark, die BMW-Welt oder allein der Zeitfaktor? Dass die Randalierer erwachsen wurden und die Streetworker es nun mit einer "pflegeleichteren Generation" zu tun haben? Oder  weil hier die Mieten, doch noch etwas länger bezahlbar blieben als in den bereits gentrifizierten Vierteln?

Luxus-Appartements und Dachterrassen ab 6.000 €/qm
im Angebot sind nur Zwischenstationen
der Gentrifizierung in Milbertshofen
Foto: Immoscout 24
Multikulti ist geblieben und wird offenbar nun als Charme-Zuwachs empfunden. Aber wo ist der "Rand" hin gerutscht, der die nächste Marginalisierung anzeigt?

Ziemlich sicher ist dadurch, dass die AfD auch in Zukunft in der einstigen "Hauptstadt der Bewegung" kaum mehr als drei Stadträte haben wird. So lange die Grenzen der Marginalität nicht wieder sichtbarer werden, fällt es hier vermutlich schwer, Leute zu finden, die sich "abgehängt" fühlen.

Typisch für das Alt neben Neu:
Die Milbertshofener Kant-Straße.
Sie beginnt an der futuristischen BMW-Welt
und endet an der Knorrstraße.
Foto: Claus Deutelmoser
Mein "Blog-Spot"
Foto: Claus Deutelmoser




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