Montag, 17. Januar 2022

Im Zwiespalt

Dass ich alt bin, und meine Zeit langsam abläuft, ficht mich nicht so an, Was wirklich schlimm für mich ist, sind die ausbleibende, gemütliche Gelassenheit, die ich mir fürs Alter vorgestellt habe, als ich noch jung war. Stattdessen gerate ich immer mehr in Wut darüber, wie die Welt sich bei all unseren Errungenschaften zusehends in allen Lebensbereichen verschlechtert. Vor allem gerate ich in Rage, weil ich die Dinge, die ich doch nicht ändern kann, viel zu nah an mich heran lasse. Im Moment rege ich mich vor allem darüber auf, dass ich so schnell zornig werde.

Hier ein Beispiel:
Am Wochenende wurde vielfältig über die drohende, humanitäre Katastrophe berichtet, die sich in Afghanistan anbahnt. Zur Winter-Kälte kommt dort eine unfassbare Hungersnot auf die Menschen zu, weil die Taliban-Herrscher mehr damit zu tun haben, ihre Vorstellungen von einer islamisierten Gesellschaft mit der Präsenz von schwer bewaffneten Mudjaheddin umzusetzen. Im Straßenbild patrouillieren sie bedrohlich, anstatt tatsächlich zum Volkswohl beizutragen. Die Wirtschaft am Hindukusch ist nicht nur eingebrochen, sie ist quasi schon am Boden. Ohne ausländische Hilfe sind gut 50 Prozent der Bevölkerung über kurz oder lang verloren. War das das Ziel des sogenannten "Heiligen Krieges"? Erst die bösen Fremden mit Gewalt vertreiben,  dann aber um ihre Unterstützung bitten?


Seit Jahrhunderten ist Afghanistan eine "Problemzone", in der ausländische Mächte aus verschiedensten Gründen. mit heftigen Militär-Einsätzen nach Fremd-Herrschaft strebten. In drei Jahrzehnten nach dem Zweiten Weltkrieg erlangte das Land mit einem pluralistischen Miteinander dennoch wieder eine gewisse Blühte. Der Afghanische Schriftsteller Khaled Hosseini beschreibt den dann einsetzenden Untergang in seinen absolut lesenswerten, literarisch äußerst wertvollen Romanen "Drachenläufer" und "Tausend strahlende Sonnen". Man erfährt darin viel  über die Leidensfähigkeit der Menschen in diesem überwiegend staubigen und kargen Land.

Quelle: amazon
Weil ich seine Romane gelesen habe, und auch die "Karawanen der Nacht" von James A. Michener, wuchs in mir mit den ergänzenden Reiseerlebnissen meiner Eltern der Wunsch, einmal als Reporter von Kabul zum Khyberpass zu reiten. Daraus wurde aber auch nach Ende der ersten Taliban-Herrschaft nie etwas.
Meine Eltern waren mit ihrem VW-Campingbus 1971 wohl mit die letzten Touristen, die das da noch gastfreundliche Land frei bereisen konnten. Danach wurde bereits um das arme Land im Namen Allahs gepokert, und dann spielten die Russen und Amerikaner am Hindukusch ihr Macht-Pingpong. Schon da war vorhersehbar, dass der Taliban jedes mal stärker in das jeweilige politische Vakuum vorstieße. Aber die Niederlage, die er im vergangenen Jahr den NATO-Schutztruppen bereitetet hat, war ein weiterer Beweis dafür, dass von den USA  geführte Außenpolitik mit Waffengewalt einmal mehr nicht funktioniert (siehe Irak und Syrien). Der übereilte Truppenabzug war im Gegenteil ein neuerlicher Aufruf für den Vormarsch der islamischen Gottes-Krieger

Ich mag Tom Hanks nicht nur als Schauspieler sehr, aber sein Film "Der Krieg des Charlie Wilson" aus dem Jahr 2007 ist aus der Sicht von heute keine Persiflage mehr, sondern die blutige Wahrheit eines Versagens der US-Afghanistan-Politik.

Die Wahre Geschichte wird
zur Persiflage amerikanischer
Außenpolitik: Julia Roberts
und Tom Hanks in:
"Der Krieg des Charlie Wilson"
Quelle: kino.de

Aber nun zurück zu meinen Wut-Anfällen:
Wir westlich-humanitären Polit-Lämmchen sind uns nicht zu blöde, angesichts des Hungers in Afghanistan wieder zu Spenden aufzurufen. Aber wo gingen die dann hin, wenn der Taliban eine NGO nach der anderen schließt, anders Denkende umbringt und Frauen zurück in ein mittelalterliches, verschleiertes und ungebildetes Leben schickt? Wir westlichen Steuerzahler haben doch zwanzig Jahre lang nicht nur Geld, sondern auch das Blut unserer Soldaten gespendet. Für eine Nation, die keine ist, sondern - wie auch jetzt - heimlich von den Warlords der einzelnen, teils verfeindeten Stämme mit ihren Milliarden aus weltweitem Hasch- und Opium-Verkauf  gesteuert wird. Sollen die doch Lebensmittel und Behausungen finanzieren!

Aber denke ich wirklich so? Der Zwiespalt, der gerade mein Denken erfasst, ist es ja, der uns Humanisten so schwächt. Anstatt die Bevölkerung Afghanistans endlich einmal sich selbst zu überlassen, werden wir wieder Wege finden, den zivilen Opfern zu helfen, auch wenn wir damit indirekt die Taliban-Regentschaft unterstützen. Das alles im festen Glauben, dass der Missbrauch des Korans mit vorgehaltener Waffe irgendwann durch einen weisen, (wort)mächtigen Mufti gebannt wird...

Kaum Wasser und noch weniger zu essen. Aber Hauptsache,
die Frauen sind wieder verschleiert!
Quelle: aktiongegenhunger.de




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