Dienstag, 10. Januar 2017

Gestern in Tunesien

Wenn es so bitterkalt ist, und Schnee liegt wie in den letzten Tagen, dann bin ich dankbar für den tunesischen Supermarkt schräg gegenüber. Er ist gleichermaßen Anlaufstelle für alle die in unserem Viertel Arabisch sprechen und einheimischen  Gourmets, die gerne exotisch kochen, aber auf den Preis schauen müssen.

Für Lamm, Ziege und Hammel sowie die entsprechenden afrikanischen Gemüse dazu ist in München kein besseres und preiswerteres Angebot zu finden. Es gibt auch eine Auswahl der besten getrockneten Bio-Datteln, und in der Winterzeit ein frisches Angebot an diversem Honig-Gebäck und Spezereien.

Im Kühl-Regal stehen neben den Gazi-Jogurdu-Produkten und Milchspeisen, die halal (erlaubt) sind, aber auch Quark und Milch von Weihenstephan. Vieles lässt einen staunen, wie in Tausend und eine Nacht, und lädt die aus anderen Kultur-Kreisen zu Entdecker-Reisen mit dem Gaumen ein. Der Laden brummt; besonders am Freitag und Samstag. Er bräuchte also europäische Kundschaft nicht. Zumal eine Straßen-Ecke weiter auf der anderen Seite ein sehr gut geführter, ebenfalls preislich reeller und bestens frequentierter Penny-Supermarkt seine Waren anbietet. - Allerdings alles portioniert und in Plastik verpackt, was für einen Zwei-Personen-Haushalt oft nicht ideal ist... Beim Tunesier kann ich die Dinge einzeln kaufen.

Ein kurzer Rückblick; Die Selbstverbrennung eines tunesischen Gemüse-Händlers am 17. Dezember 2010 löste den sogenannten "Arabischen Frühling" aus, der in der Folge - leider ohne nachhaltige Veränderungen - drei nordafrikanische Diktaturen beendete. 2013 taten sich die vier mächtigsten Organisationen des Landes zum "Tunesischen Quartett" zusammen, um den nahen Bürger-Krieg abzuwenden. Für das Quartett gab es den Friedens-Nobelpreis. Schon bei der Verleihung brachen aber die gegensätzlichen Standpunkte wieder hervor. Seither ist - auch durch den permanenten IS-Terror aus dem Wüsten nahen, bitterarmen  Süden des Landes - nicht mehr viel vom Frühling übrig geblieben.

Trauriger Höhepunkt nach all den Attentaten im eigenen Land ist das Weihnachtsmarkt-Attentat von Anis Amri in Berlin. Verständlicher Weise wollen die Tunesier diese "Gefährder" nicht zurück, was wiederum die Sicherheits-Debatte im deutschen Wahljahr entsprechend befeuert und die Tunesier in unserem Land unter General-Verdacht stellt.

Da es  mehrere dieser Supermärkte im Bundesgebiet gibt, läge tatsächlich der Verdacht nahe, dass so eine Kette mit überwiegend arabischer Kundschaft auch konspirativ sein könnte. Zumal das tunesische Personal viel rotiert und darunter auch Männer mit weißer Häkel-Kappe sind.
Aber gerade durch das Rotieren habe und hatte ich ein gutes Gefühl, weil ich in verschiedenen Einzel-Gesprächen auch das Gefühl für die Arbeits-Situation der Leute bekomme. Sie sprechen einigermaßen Deutsch, das sie gelernt hatten, als Tunesien noch ein Lieblings-Ziel Pauschal-Reisender war. Bei 40 Prozent Arbeitslosigkeit in der Heimat sind sie glücklich über die Jobs, die ihnen ihr Landsmann hier anbietet - auch wenn sie flexibel sein müssen. Was sie auch können, weil sie daheim natürlich Familien zu versorgen haben.

Beim Betreten des Ladens ehre ich sie mit einem Salem Aleikum, während die schon bald mit einem Grüß Dich! antworten.

Wie fühlen sie sich nach dem Anschlag? Schwer zu sagen. Tatsache ist, dass sie noch freundlicher und hilfsbereiter geworden sind, und so eine harmonische Multikulti-Atmosphäre erzeugen, in der es zu Crossover- Dialogen wie gestern kommen kann:

Es gibt immer stapelweise frische Eier zum unschlagbaren Preis. Offenbar ein Pärchen - er Araber, sie Deutsche, - deckt sich nach den Feiertagen mit neuen Vorräten ein. Er greift nach einem Zwölfer-Karton. Sie bremst ihn:
"Die nimm nicht! Die sind nicht bio, sondern aus Käfighaltung"
Er mit noch gutturalem Deutsch:
"Dann nehme ich sie aus Solidarität. Mit Käfighaltung kenne ich mich seit meiner Flucht gut aus."



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