Samstag, 7. Dezember 2013

Die gute, alte Zeit

Die "Zweitbeste" war schon von je her eine Meisterin der Abschottung. Dazu gehört, dass sie vornehmlich nur Bücher liest, die gut ausgehen und Filme gar nicht sehen möchte, in denen das Böse obsiegt. Nun gleitet sie langsam in eine Phase, in der sie Nachrichten-Formate wie "heute" oder die "Tagesschau" nicht mehr gucken will, weil sie die immer dichter werdenden Berichte über Katastrophen - natürlicher aber vor allem menschlicher Ursachen - nicht mehr erträgt. Dieses Unbehagen drückt sie stets mit dem gleichen Satz aus, weil sie mittlerweile auch zu Wiederholungen neigt:

"Weißt du, in früheren Zeiten haben all die Grausamkeiten sicher noch viel schlimmer stattgefunden, aber bis die Leute hier davon erfahren haben, waren sie bereits Geschichte. Heute musst du dich tagtäglich mit all diesen Dramen - am besten noch live - global auseinandersetzen."

Ich weiß genau, was sie meint. Als gläubige Christin mit einem ausgeprägten Helfer-Syndrom ist sie verzweifelt, dass sie im Prinzip nur zuschauen kann, wie die Menschheit von einer Katastrophe in die andere schlittert. Die Beispiele, in denen auf Erden irgend ein Konflikt mit Vernunft und nicht mit Gewalt gelöst wurde, lassen sich ja auch an den Fingern abzählen.

Vielleicht gibt sie sich deshalb so freimütig der Weihnachtsbotschaft hin, und versucht die ganze Sippe in Friede, Freude, Eierkuchen zu betten? Ich hingegen werde von Jahr zu Jahr wütender. Vom immer lauter werdenden Gesäusel der sogenannten "staden Zeit" schlägt mein Gemüt komplett ins Gegenteil um.

Während in Sanaa Bomben-Terror herrscht, in Syrien der Bürgerkrieg nicht anhält, sondern nachrichtentechnisch nur in die zweite Reihe getreten ist wie das Aufbegehren der Menschen in Ägypten, Thailand und der Ukraine. Während Hollande seine Truppen nach Afrika schickt, um die nächsten Kriegsherde aufzuplustern, da feiert sich unsereiner bei Spenden-Marathons für sein "Gutmeschentum", bestärkt durch  Fernseh- und Rundfunk-Moderatoren, die sich dazu mit  heiligmäßigen Kommentaren feierlich und geistig einen runterholen.

Der nachhaltigste Zweck solcher Weihnachtsaktionen - den ich in helfend lindernden, verschwindend kleinen Einzelfällen gar nicht infrage stellen möchte - dient allein der Tatsache, dass wir uns für einen Moment in diesem weltweiten Drama des schlechten Gewissens berauben; des Unbehagens, dass es uns inmitten  all diesen Schreckens so saugut geht...

Einmal habe ich meine Mutter gefragt, welches denn ihr schönstes Weihnachten gewesen sei. Und sie antwortete ohne nachzudenken: "1944. Pappi hatte Fronturlaub, und deine Schwestern waren da ja schon auf der Welt."

In einem Album fand ich später sogar noch ein Foto von jenem letzten Kriegs-Weihnachtsbaum, und mir fiel auch die Geschichte ein, dass mein Vater, weil er nur diesen einen, viel zu großen ergattern konnte, kurzerhand die Spitze und  die unteren Zweige abgesägt hatte, damit er in das Notquartier passte: Ein trostloses Etwas mit zwei dürren Etagen, an dem Lametta und Sterne aus Zigaretten-Papier hingen und drei, vier unterschiedlichste Kerzen brannten...

Meine Eltern waren im Alter - mein Vater hatte ja immerhin zwei Weltkriege überlebt - auch immer noch der Ansicht, dass das Leben früher menschlicher gewesen sei. Auch hatten sie ja auf ihren Reisen die ganze Welt gesehen, und waren von dieser Vorstellung dennoch nicht abzubringen. Bis zum Tode war ihnen das Weihnachtsritual - obwohl beide Agnostiker - als Familien-Zusammenkunft unheimlich wichtig. Es wurde sogar in die Kirche gegangen.

Unsere heutige Rührseligkeit im Advent und an Weihnachten  ist im Prinzip aber auch nur ein Beleg für die sich immer wiederholenden, geschichtlichen Abläufe und die Unfähigkeit der Menschheit sie zum Positiven zu korrigieren:

Sie wurde nämlich vom Biedermeier geprägt. einer Zeit, die sich selbst so erfolgreich derart schön färbte, dass die Leute sie später auch "die gute, alte Zeit" nannten. Die Bürger schotteten sich so ab in ihrer Heimeligkeit und ihrem privaten Wohlergehen, dass sie gar nicht bemerkten, was sich im "Vormärz" der Revolutionen zusammen braute. Die Lyrik Heinrich Heines und Georg Büchners wurde ja nur in der romantischen Oberfläche wahrgenommen, und viele wollen ja bis heute nicht begreifen, dass auch die Gebrüder Grimm, die Märchensammler,  sozialistische Vordenker des bald blutigen  Umbruchs waren und deshalb mit Berufsverbot belegt und ins Exil gezwungen wurden.

Immerhin, der Merkel-Weihnacht mit dem Danaer-Geschenk der "Großen Koalition" wird man später zu recht nicht absprechen können, dass sie vielleicht der Höhepunkt einer einzigartigen Epoche war:
Über 60 Jahre Friede auf Deutscher Erde. Das hatte es noch nie gegeben...

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