Freitag, 13. Januar 2012

Wundersamer Wandel moralischer Instanzen

Was an dieser wulffschen Würgerei am meisten wütend macht, ist der Umstand, dass ausgerechnet die Springer-Presse durch sie Gelegenheit erhält, sich als moralische Instanz zu positionieren. Dabei ist es in Google-Zeiten so einfach, das manipulative Spiel des Hoch- und Niederschreibens, wie es in BILD und der WELT seit jeher betrieben wird, chronologisch zu rekapitulieren:

Was haben die "Diekmannen" da den Garnicht-Wuschkandidaten und seine junge Zweitfrau als ideale Verkörperung des First-Couple odengleich in den Himmel geschrieben; gerade so wie den "begabtesten Staatsmann" seit Bismarck und Andenauer - Karl Theodor zu Guttenberg.

Dass man die Mächtigen dann auch gerne hinrichtet, wenn sie nicht mehr zu halten sind (der auf dem Titelblatt von BILD liegende Kohl als "Umfallkanzler"), ist nicht etwa berichterstattender Ausgewogenheit geschuldet, sondern dem selbst verliehenen Anspruch als regulierende Macht - als Machtmacher und staatstragende Instanz solange die den Verkaufszahlen dient.

Aber es wäre auch von mir alles andere als ausgewogen, würfe ich Steine nur auf jene hinlänglich bekannten Schreibtischtäter. Viel schlimmer sind ja eigentlich die, die jetzt massenweise in Talkshows auftreten.  Moral-Apostel, die sich wiederum mit den Feigenblättern angeblich lupenreiner journalistischer Institutionen tarnen und selbst nur in Ausnahmen standhielten, legte man an sie die gleichen Maßstäbe an, wie sie dies nun bei unserem zur Schießbuden-Figur verkommenen Präsidenten für unabdinglich halten.

Tatsache ist, dass es keinen Berufsstand gibt, der anfälliger für passive Bestechung ist und unverfrorener der Vorteilsnahme frönt wie der Journalismus. Als Glashaus-Insasse, Steinewerfer, Ex-Autor aller deutschen Großverlage und auch nach 30 Jahren in Chefredakteurspositionen weiß ich  durch eigene Vergehen, wovon ich schreibe.

Es wäre wünschenswert, dass der oberste Mann im Staat frei wäre von menschlichen Regungen wie Habgier und Eitelkeit, aber er ist eben - wie schon geschrieben - nur der Erste unter Gleichen. Auch präsidiale Scheidungen kosten viel Geld, und standesgemäße Auftritte wären dann durch die eine oder andere Vorteilsnahme leichter zu kompensieren...  Vermutlich wäre das auch dem ähnlich gelagerten Wahlvolk piepegal, würde es nur in Maßen ruchbar. Kaum einer hat doch anfangs verlangt, der Präsident möge zurücktreten. Diese Forderungen wurden ja erst laut, als die präsidiale Moral mit der dem Amt eigenen, diesbezüglichen Instanz in Konflikt geriet. Auch so lange das private Nehmen nicht ein amtliches Geben zeitigt, könnten diverse Augen immer noch zugedrückt werden. Kritisch wird es erst beim Überschreiten der unterschiedlich wahrgenommenen Grenzen.

Ob da allerdings Journalisten die geeigneten Mahner zur Moral sind?

Ich fange daher mal mit mir an:

Ich saß mal auf einem vom Verlag bezahlten nächtlichen interkontinentalen Heimflug in einem vollen Flieger einer aisatischen Airline. Da trat die Purserin an mich heran, um mir mitzuteilen, dass sie mich wegen Überbuchung umsetzen müßte; von der Touristenklasse in die First mit Sleeper-Seats... Habe ich mich gewehrt? Ich habe mich auch nie gewehrt, wenn ich in einem Hotel anstatt das bezahlte Standardzimmer zu beziehen, plötzlich in einer Suite landete. Das alles kann nämlich auch anderen Reisenden "promotional" widerfahren.
Nur als sich diese Vergünstigungen im Laufe der Jahre wundersam häuften, und ich auf dem Flughafen Heathrow dann durch eine Unachtsamkeit einer Schalterkraft zufällig ein Bildschirm füllendes weltweit im Intranet verbreitetes Dossier über meine Funktionen, Vorlieben und Reisefrequenzen einsah, hätte ich dem spätestens Einhalt gebieten müssen.

Ich tat es nicht.  Meine Ausrede: Es waren ja immer Dienstreisen. Nie gab es auch nur eine private Verknüpfung.  Aber auch so schon hatte ich aus meiner Sicht keinerlei moralische Rechtfertigung mehr, mich beispielsweise über einen Wirtschaftsredakteur der Süddeutschen Zeitung zu mokieren, der mit seiner ganzen Familie First in den USA-Urlaub flog - oder über die Ehefrau eines öffentlichrechtlichen Star-Sportmoderators, die sich regelmäßig und gratis aus der Muster-Kollektion eines Modemachers bediente.

Es gab und gibt aber eben auch (durchaus mit Hintergedanken, wie sie den Gunstgewährern des Präsidentpaares unterstellt werden),  seitens der Industrie immer wieder gezielte Versuchungen und massive Eingriffe in die Berufsmoral - nicht nur von Journalisten: Dann nennt man das Korruption.

Einmal bin ich selbst, weil der Motor-Redakteur verhindert war, zu einer Fahrzeugvorstellung in Deutschland gefahren und fand in der persönlichen Pressemappe einen Scheck zur Begleichung meines Spesenaufwands. Als ich den diskret mit der Bemerkung an die Gastgeber zurückreichte, die Spesen seien ja vom Verlag gedeckt, meinte der nur, 'wer habe schon etwas gegen ein Extra-Taschengeld einzuwenden'... Ich hatte! Und ich ließ mir daraufhin rückwirkend alle Abrechnungen solcher Reisen vorlegen. Am meisten ärgerte ich mich über das komplett fehlende Unrechtsbewusstsein der Ertappten.

Den Gipfel  journalistischer Doppelmoral erlebte ich allerdings bei einem hochbezahlten Starautor, der mir als große Insider-Chance eine Reportage über einen kommenden, touristischen Aufsteiger in Afrika vorschlug: Wenn der Spesenrahmen stimme und das Honorar, könne er sich vor Ort um einen Fotografen kümmern. Beides wurde im erforderlichen Maß bereit gestellt. Die Reportage erschien exklusiv und war bildschön. Sie hatte nur einen Haken: Erst nach ihrem Erscheinen erfuhr ich, dass der Autor samt Freundin vom PR-Manager eines großen Tabakkonzerns, dem dort einige Liegenschaften gehörten, komplett eingeladen worden war...

Also:
Wer von Euch ohne Sünde ist, der werfe den ersten Stein! (Johannes Evangelium 8.7.)

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