Mittwoch, 11. November 2020

Mega! Bombe!

Habe das wirklich ich gestern ins telegram an meine Tochter getippt? Töchterchen hatte uns ein Stück Rinderfilet überlassen, dessen Reifungsprozess ihr suspekt vorkam. Es habe beim Öffnen so einen starken Blutgeruch gehabt, monierte sie. Am Abend dann hat die Fürsorglichste das Fleisch einfach abgewaschen und gründlich trocken getupft, kurz auf allen Seiten scharf angebraten, um es dann in abklingender Resttemperatur ruhen zu lassen. Das Fleisch schmeckte göttlich, ließ sich medium rear mit der Zunge am Gaumen zerdrücken und ging mit einem "Gröstl" aus in Würfel geschnittener Sellerieknolle, frischer Roter Beete und Kartoffel zu gleichen Teilen, angegossen mit einem Schuss Sahne als absoluter Gourmet-Schmaus durchs Ziel.

Aber musste ich deshalb wirklich schreiben, dass das Fleisch "Bombe" gewesen sei. Letztlich ertappte ich mich sogar dabei, wie ich Bekannten erzählte, dass ich etwas "mega" gefunden hätte. Verliere ich langsam meine stets behütete Sprach-Linie, um eine Art Generationen-Anpassung nachzuholen?

Meine Tochter ist bereits 40 und mein Sohn ist es bald. Da wäre es doch eher heischend, mich ihren Sprachgewohnheiten anpassen zu wollen... Als sich in ihrer Entourage unser damals sehr geräumiges Haus stets mit Heranwachsenden in Teamstärke füllte, war das Phänomen einer eigenen Jugendsprache noch nicht so markant. Die Kids stammten alle aus Familien und besuchten Schulen, wo noch sehr auf die Umgangssprache geachtet wurde. Allenfalls fanden außergewöhnliche amerikanische Redewendungen in ihre Alltagssprache, weil sie ja in diversen Bands ihre Songs ausschließlich in Englisch texteten. Hätte mein Sohn sein Linguistik-Studium abgeschlossen, könnte er mir bestimmt erklären, wieso kaum einer in dem jetzt mitten im Leben stehenden Freundeskreis auf seinen Taufnahmen hört.

Solche Namen wie Bente, Boba, Pand, Stoffel und so weiter kann ich noch von früher zuordnen, aber wer mit neuen "Pseudonymen" hinzukommt, ist nur noch durch Nachfrage zu identifizieren. Dabei sind deren Kinder alle noch so klein, dass man allenfalls mit Elementen einer Baby-Sprache rechnet. Das ist irgendwie awesome im Sinne von befremdlich!

Genau an dieser heute in jener Altersgruppe so beliebten Bekundung von Begeisterung kann ich aber den stetigen Wandel der Begrifflichkeit gut nachvollziehen. Als ich jung war, bedeutete awesome schlicht genial, heute reicht es von "Spitze!" bis "abgefahren" im Ernstfall ist es auch mit "fremdartig" oder "schrecklich" negativ belegt.

Droht uns bald eine Allerwelts-Sprache
wie in Bladerunner? 

Klar, Konversation färbt ab, dass weiß ich von der Sozialisierung mit unserer Schweizer Freundin auf der Burg. Irgendwie aber bin ich doch beruhigt, dass es bislang noch zu keinem "Cityspeak" wie im Film "Bladerunner" gekommen ist. Denn welchen Einfluss Rollenbilder aus TV- oder Streaming-Serien auf die nun Heranwachsenden haben, erlebe ich an manchen Abenden lautstark unter meinem Fenster bei der Klientel der Streetworker, die an der Ecke ihr Büro haben. Befeuert von den  kruden Texten deutscher "Gangsta-Rapper" kommen die Buben mit rollenden Schultern gutturale Laute ausstoßend daher und "mandeln" sich auf, wie man früher in diesem Stadtteil zu sagen pflegte.

Aber wer bin ich, mich darüber aufzuregen, wenn ich alter Depp Dinge "mega" oder Bombe" finde?

Eine empfehlenswerte
Lektüre für Leute,
die das Unverständliche
begreifen wollen


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