Freitag, 27. April 2018

Boracay und jetzt?

Mea Culpa! Ich habe es vorausgesehen, aber hätte ich nicht über diese Insel schreiben dürfen?

Hier in eigener Sache ein Auszug aus meiner Erzählung "Jojo" von meinem Blog "Der Burgschreiber". Das war vor 30 Jahren:

Nachdem sie sich in Kalibo deutlich hatten sehen lassen, waren sie in einem Jeepney zur Nachtfahrt nach Katiklan Wharf aufgebrochen. Es war keiner der üblichen wie Pfingstochsen herausgeputzten und auf historischem Chassis ausgebauten Armeelaster mit zwei gegenüberliegenden Sitzbänken und offenem Heckeinstieg gewesen. Es hatte sich vielmehr um einen kraftstrotzenden modernen Nachbau mit besserer Federung und drei Querbänken mit jeweils seitlichen Zustiegen gehandelt. Aber die Fahrt war dennoch zur Tortur geraten, weil Jojo dem Fahrer und freien Unternehmer im individuellen Regionalverkehr, den er eigentlich exklusiv angeheuert hatte, gestattete, unterwegs eigene Passagiere seines Vertrauens mit zu nehmen. - Auch philippinische Ministerial-Beamte wollten eben am Spesensparen verdienen...
  Es war schon weit nach Mitternacht gewesen, als sie am Rande der schlafenden Ortschaft, die noch keinen elektrischen Strom hatte, allein ausgestiegen waren. Als der Jeepney nur mit funzeligem Standlicht in der Schwärze des Dschungel-Trails verschwunden war, blinkte vom Strand her kurz eine Taschenlampe auf. Jojo hatte Johannes leise bedeutet, seine Hosen und Stiefel auszuziehen und sein Gepäck wie er auf dem Kopf zu balancieren. Dann waren sie gut hundert Meter in das anfangs knietiefe, totenstille Meer hinaus gewatet, wo bei hüfthohem Wasser ein nur als Schatten zu erahnendes Pump-Boat gewartet hatte. Johannes hatte nicht verstehen können, was da offenbar nicht ohne Wut gesprochen wurde, weil die Unterhaltung in Tagalog geführt worden war. Es ging - wie Jojo später erklärt hatte, um die Tatsache, dass der Bootsführer zur Gewinn-Optimierung und gegen die Absprache zwei amerikanische GIs auf Urlaub von der Clark Airbase mit ihren philippinischen Freundinnen zusätzlich an Bord genommen hatte. Als sich die Berufsparanoia bei Tageslicht als gegenstandslos erwiesen hatte, weil die Jungs aus Idaho und Texas mit ihren knapp Zwanzig gewiss keine CIA-Agenten waren, überwog bei Jojo dann die Freude, den "Transfer" für sie beide absolut kostenneutral gestaltet zu haben
  Die leise tuckernde Fahrt hinüber nach Boracay hatte Johannes in eine unglaubliche Euphorie versetzt. Schon beim Waten auf das Boot zu war ihm aufgefallen, dass die Körperteile, die im Wasser waren, durch den Planktonreichtum aufgeleuchtet hatten, als seien sie in bengalisches Licht getaucht gewesen. Auf dem Boot passierte dann ein ähnlicher Effekt. Nur war es da, als wären Funken gestoben. Jedes Mal wenn der Ausleger des primitiv motorisierten Katamarans unter die Wasseroberfläche geriet, war es als gäbe es eine elektrische Entladung. Am unsichtbaren Horizont erhellten Blitze eines fernen Gewitters für Bruchteile einer Sekunde die Kimmung, und über ihnen hatte sich ein Himmel mit bis dahin nicht gekannter Sternendichte gewölbt. Die Milchstraße war ein wahrhaft weißes Band gewesen...
  Und dann waren die nur von Strandfackeln erleuchteten Stelzen-Hütten wie eine Theaterkulisse, die aus dem Dunkel nur mit einem Scheinwerfer beleuchtet wird, im weiß reflektierenden Sand dieser Eskapisten-Insel aufgetaucht. Johannes hatte bei diesem Anblick nur eines traurig gemacht: Dass Joseph Conrads solche Szenen bereits lange vor ihm in so einzigartiger Weise hatte beschreiben können.
  Drei Tage hatte Johannes einmal mehr die privilegierte Seite seines Berufes erleben dürfen: Klischeehafte, paradiesische Verhältnisse mit der Badehose als wichtigstem Kleidungsstück und dem Stand der Sonne als absolut ausreichende, zeitliche Orientierung. Jojo, der sich mit dem Wohnen in Stelzenhäusern besser auskannte als Johannes, hatte dazu geraten, nicht unmittelbar am Strand zu wohnen, sondern eine der Hütten in einem Palmen-Hain über einer saftigen Wiese zu beziehen. Der Schatten der Bäume verhinderte, dass die Sonne direkt auf das Dach aus Palmwedeln brannte,  und der morgendliche Tau hielt die Kühle deutlich länger. Dazu gab es aber immer noch ausreichend Wind, um für eine angenehme Zirkulation frischer Luft zu sorgen.
    Johannes hatte sich nicht daran erinnern können, wann er das letzte Mal so entspannt geschlafen hatte. Dafür nahm er auch in Kauf, mit dem Hahn aufzustehen, der darauf bestand, seine Hühner im Morgengrauen ausgerechnet im Schatten unter ihrem Haus zu versammeln. Das Hängebauchschwein, dass sie gleich am ersten Tag adoptiert hatte und dachte, es könne sich grunzend und furzend ebenfalls als Untermieter einquartieren, hatte zwar von Jojo einen Karatetritt in die Schinken bekommen, bewies dann aber dennoch die Anhänglichkeit eines Hündchens, das überall mit hin getrabt war. Nur wenn die zwei im ersten Licht die drei Kilometer Strand entlang gejoggt waren, hatte es zum Warten schlauer Weise den feuchten Sand unter dem Rumpf eines der an Land gezogenen Boote vorgezogen.
  Die Mahlzeiten nahmen sie in einer flachen Strandhütte ein, die durch Bastwände variabel mit Durchzug gegen die Moskitos versorgt werden konnte. Unter den groben Tischen und Bänken standen die Füße im feinen Sand des Strandes. Es gab philippinisches Frühstück: gebratenen Knoblauchreis mit Ei und gegrillte Trockensardinen - und für die Potenz rohe, ausgelöste Seeigel. Mittags und abends gab es gegrillte Fische, Schalentiere oder Schweinerippchen dazu jede Menge tropischer Früchte samt ihrer mit Tuba oder Arak gemixten Säfte.  Tag und Nacht lief als einzige Reminiszenz an die Gegenwart der Generator für die Stromversorgung, der von einer Stereo-Anlage mit Tapes der aktuellen Hitparaden noch übertönt wurde.
  So kurz vor der Monsun- und Taifun-Saison waren nur noch wenige Fremde auf der Insel gewesen. Neben den beiden Amis mit ihren Bräuten kam noch ein junger iranischer Erdöl-Ingenieur im Dienste der Kuwaities mit seiner Frau zum Essen. Gläubige Moslems waren wohl beide nicht, weil sie Berge von Rippchen verschlangen. Die junge Perserin nützte offenbar auch gründlich die Gelegenheit, den strengen Auflagen ihrer Arbeitsheimat entronnen zu sein, um eine üppige Körperlichkeit zur Schau zu stellen, die völlig unzureichend nur von wenigen Quadratzentimetern diverser Bikinis gebändigt werden konnte. Jojo war sofort hin und weg von ihr, und sie genoss seine Blicke.
  Die beiden Filipinas im Dienste der US-Streitkräfte hingegen provozierten die Rotnäckigkeit ihrer permanent bierbeduselten "Arbeitgeber", in dem sie Johannes beim Essen mit den Augen verschlangen. Profis, wie sie, fielen auf die Schwulen-Masche offenbar nicht herein... Johannes entfloh daher dieser immer knisternder werdenden Atmosphäre, indem er nach den Mahlzeiten zu der anderen Bar an der Nordspitze wanderte, um seinen Digestiv unbehelligt  zu nehmen. Wohl aber auch  damit Jojo ein paar freie Minuten für sich hatte.
  Dort war allerdings auch nicht viel mehr los: Zwei australische Rucksackpärchen und ein japanisches sowie ein Schweizer mit einer Edelnutte aus Manila, die ihre Landsleute, sich lasziv in einer Hängematte räkelnd, herrisch herum kommandierte. Der Schweizer trug zu den Mahlzeiten einen weißen Leinen-Anzug und gab dem ganzen Ambiente damit etwas Koloniales. Im schleppenden Berner Dytsch hatte er den etwa gleichaltrigen Johannes als Klagemauer für seine Weltsicht auserkoren. Dieser ließ es geschehen, weil der Mann ein ganz lausiger Poker-Spieler war, und somit die meisten Drinks auf ihn gingen. Es kostete ja alles ohnehin nur wenige Pesos, und wenn man in Dollar bezahlte, noch weniger.
  Tuba, der frische Palmwein mit nur 5 Prozent Alkohol und der daraus gebrannte Arak (mit um die vierzig) machen mitunter fürchterliche Kater, und obwohl Johannes ja eigentlich nicht "frei" gehabt hatte, war er auf Boracay manchmal nicht ganz "frei" von Folge-Beschwerden aufgewacht... Jojo hatte indessen offenbar eine andere nächtliche Bleibe gefunden, kam  aber pünktlich nach dem ersten Hahnenschrei zum Joggen. Und sie hatten den einsamen im morgendlichen Schatten liegenden Strand neuerlich auch genutzt, um Karate-Grundtechniken wieder aufzufrischen. - Da merkte Johannes die etwa acht Jahre Altersunterschied!
  Am zweiten Tag rief die Pflicht. Jojo und Johannes waren auf die Korallen-Klippe im Osten der schmalen Insel geklettert, auf dem noch eine Sippe von Aita hauste, die man aus dem Dschungel von Kalibo vertrieben hatte. Es wurde viel Unverständliches palavert, aber durch die Fragen von Johannes, die Jojo mühselig hin und her übersetzte, schien sich wieder einmal die Fähigkeit des Deutschen durchzusetzen, Argwohn abzubauen. Die gut aussehenden, schwarzhäutigen Männer hatten sich dann sogar bereit erklärt, sie mit ihrem Katamaran am nächsten Tag um die Insel zu segeln.
  Johannes hatte nach der Frischwasser-Versorgung gefragt und staunte dann, als er auch erfuhr, dass keiner der Fische, die er verzehrt hatte, auf dem flachen Schelf zwischen den Inseln gefangen werden konnte. Es gab aus heimischer Produktion also nur das Fleisch von den Ziegen, den Schweinen,  sowie aus dem Meer Muscheln und Krabben; dazu die Kokosnüsse, Früchte und Gemüse von den wenigen fruchtbaren Flächen der Insel. Das reichte gerade mal für den Grundbedarf der etwa hundert Einheimischen. Alles andere für die Touristen kam von weit her aus Kalibo und von Plantagen im Südwesten von Panay. Das "echte" kleine Dorf im Zentrum der Insel Boracay lebte da bereits im Wesentlichen von touristischen Dienstleistungen und der Fertigung "einheimischer" Andenken.

  Die Inselumkreisung unter dem primitiven Dreieckssegel mit flexibler Rahstange war, als hätte Paul Gauguin eine seiner gemalten Szenen in die Wirklichkeit entlassen. Die beiden Söhne des Stammesältesten hingen faul aber dekorativ mit buntroten, selbst gewebten Tüchern um die Hüften auf den Auslegern. Der Häuptling selbst steuerte diese Mini-Arche rittlings im Lendenschurz vom Heck des Einbaum-Rumpfes und Jojo und Johannes waren gewissermaßen die badebehosten "Kielschweine". Das Segel war malvenfarben, der Einbaum durch Brandimprägnierung so schwarz wie die Aitas. Das alles schwamm auf türkisem Glas über weißem Sand. Die Mitte des Bildes wurde geteilt durch eine Kimmung bei der makellose Flächen Aquamarin auf Kobaltblau trafen.
  Es gäbe trotz der ökologischen und versorgungstechnischen Grenzen dieses Eilands genügend Touristiker, die skrupellos alle Hindernisse beseitigen würden, um diese Szenerie zahlungskräftigen Kunden zu erschließen, da war sich Johannes sofort sicher. Der Mann, der denen dabei helfen könnte, hatte seine autark versorgte, große steinerne Villa im Leeschatten des Dschungels an der Nordspitze. An seinem Landungssteg machte auch sein Wasserflugzeug fest, das immer öfter, nur mal so kurz über das Wochenende Staatsgäste einflog. Auch Jojo und Johannes hätten ursprünglich so anreisen sollen. Das Paradies war also schon verloren gewesen, bevor eine Deutsche Zeitschrift Johannes - eindeutig identifizierbar aber ohne seinen Namen ausdrücklich zu nennen – später als dessen Totengräber diffamieren sollte.

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