Sonntag, 20. November 2016

Sammeln

Nie hat die Menschheit in ihrer Entwicklung das Jagen und Sammeln aufgegeben. Seit beides nicht mehr allein zum Erhalten der Existenz vonnöten war, diente Jagen und Sammeln als Kult beziehungsweise, um Reichtum und Macht nachhaltig zu demonstrieren. Deshalb gab es Hoch- und Nieder-Wild und Paläste voller erbeuteter Wertsachen, die ihren Namen forttragen.

Ohne Kaiser, Könige und Fürsten gäbe es vieles nicht, dass uns heute zum Staunen und Schwärmen bringt. Wir wollen uns auch nicht vorstellen, über welche gebeugten Rücken und Blutlachen die Pracht versammelt wurde. Während beispielsweise ein  französischer Louis nach dem anderen verschwenderisch Schönheit anhäufte, musste das einfache Volk, dem allein der Sonnenschein als Abglanz der königlichen Sonnen-Herrschaft blieb, hungern. Als ein Höfling der Marie Antoinette sagte, dass das Volk Brot brauche, mag sie gesagt haben: "Soll es doch Kuchen essen..."

Auch gönnerhaftes Mäzenatentum musste durch Leibeigenschaft und Knechtung "erwirtschaftet" werden. Das sogenannte Fußvolk kam erst durch Revolutionen und  den viel später folgendem, bürgerlichen Wohlstand überhaupt auf die Idee, über das Sammeln nachzudenken. Volkskunst war da zunächst erreichbar.

Die große, wertvolle Kunst, die einer breiteren Bevölkerung zugänglich wurde, kam erst durch die beiden Weltkriege in Reichweite. Als Handels- und Spekulations-Objekt von Kultur-Freibeutern. Aber man musste nicht nur Kenner sein, sondern auch die Wert-Vision haben. Maler deren Bilder heute Multimillionen  wert wurden - wie Van Gogh, Egon Schiele, die Künstler der "Brücke" und des "Blauen Reiter" - waren überwiegend ein Leben lang arme Schlucker.

Edvards Munchs "Vier Mädchen auf der Brücke" erreichte vergangenen Woche in New York einen Kaufpreis von 54,5 Millionen Dollar. 1996 hatte  es "nur"  7,6 Millionen gekostet. Die Markt-Explosion ist auch auf den Neu-Reichtum der Milliardäre in der Volksrepublik China zurück zu führen. China hat ja eigene Schätze während der sogenannten Kultur-Revolution rücksichtslos ideologisch zerstört...

Heute unter Freiheit und Gleichheit sind auch neuere Werke selbst für Wohlhabende nach kurzer Zeit schon unerschwinglich. Aber die großen Sammlungen sind immerhin durch Steuer-Gelder und "Zustiftungen" (zur Vermeidung von Steuern) wenigstens so preiswert zu bestaunen, dass es nicht mehr allein ums Haben gehen muss. Den Picasso-Erben ist so das einzigartige Musée Picasso in Paris zu verdanken.

Dennoch ist eine allgemeine Sammel-Leidenschaft im Volk so verbreitet, dass es diverse TV-Formate erfolgreich macht. Die Hoffnung, beim Stöbern auf Dachböden, Flohmärkten und in Haushalts-Auflösungen das e i n e Schnäppchen zu ergattern, stirbt hoffentlich nie.

Meine Frau und ich waren mehr die Sammler vom "Habenwollen-Typ", was natürlich zum Ballast für die Erben wird. Nicht, dass etwas wirklich wertvolles dabei ist, das erbschaftssteuerlich relevant wäre. Aber die Geschmäcker ändern sich eben auch.

Was haben wir als junges Paar weltweit für damals teure Stiche ausgegeben, die heute nur noch verramscht werden. Regale voller seltener, wertvoller Gläser, aus denen nicht mal getrunken wird, aus Angst, sie könnten zerbrechen. Und wie können Kinder und Enkel jemals verstehen, dass ich ein Teil ihres potenziellen Erbes in historischen Lock-Enten angelegt habe, die heute kein Mensch mehr sammelt? Oder sind die alle weggekauft worden?

Gut, dass diese großartige Frau an meiner Seite, ihre heutige Sammelleidenschaft platzsparend ausgerichtet hat:

Sie sammelt jetzt Bäckerei-Tüten, die sie sorgsam zusammen faltet und in einem zweckentfremdeten Brot-Körbchen schichtet. Wenn unter dem Bügel nichts mehr Platz hat, werde ich es einer Galerie als Objekt-Kunst anbieten. Man weiß ja nie...

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