Samstag, 25. Januar 2014

Hospital der Herzen

Teil 1: In den Katakomben der Sozial-Touristen

Es gibt Anlässe zu Basis-Recherchen, auf die auch ein Alltags-Blogger wie ich gerne verzichtet hätte. Aber er war ja längst überfällig: Mein erster Herzinfarkt. Daher das Publikationsloch in dieser Woche - falls mich die immer noch zu überschaubare Leserschaft des "Glashauses" überhaupt vermisst hätte...

Doch so ein Ereignis macht nicht nur demütig, sondern schärft auch die Sinne, und deshalb gibt es an dieser Stelle eine dreiteilige "Doku-Soap" der besonderen Art. Und keine Angst, dies wird keine der üblichen Nabelschauen von Textern, die denken, ein solches Ereignis ereile sie einzigartig und exklusiv.

Kurz: Ich bin dankbar, dass ich in einem Land lebe, dessen Gesundheitswesen zu den besten der Welt gezählt wird: 
Um 18 Uhr am vergangenen Samstag typische Schmerzen in der linken Schulter, um 18Uhr15 Erstversorgung durch ein eingespieltes Notarzt-Team. 18Uhr30 Einlieferung in eine der städtischen Kliniken Münchens, die wegen ihrer enormen Defizite und trotz weltweit reputierter Fachkräfte vor dem Untergang stehen. 20 Uhr: Das erste Blutbild zeigt keine Auffälligkeiten. Doch nur falscher Alarm? 23 Uhr: Das zweite Blutbild lässt keinen Zweifel. Die Herzkatheter-Spezialisten laufen sich warm, indem sie mich um 1 Uhr selbst von der Notaufnahme ins Labor schieben. Personalmangel. Um zwei Uhr habe ich unter entspanntem Geplauder zwei Stents gesetzt und eine weitere Verengung mittels Ballon entfernt bekommen. Danach zwei Tage Intensiv-Station und drei Tage Test-Tretmühle für einen Privatpatienten im Einzelzimmer mit Chefarzt-Betreuung. Nach fünf Tagen bin ich wieder draußen.

Da ich auf der Intensiv völlig beschwerdefrei entsprechend viel Zeit zum Nachdenken hatte, der Denkapparat aber doch erschüttert war, verdichteten sich einige Beobachtungen zu Überlegungen, die ich gerne teilen möchte:

In der "Chest Pain Unit" versahen ein deutscher Arzt und eine asiatische Doktorin mit fehlerfreiem Deutsch den Notdienst. Eine OP-Schwester mit schwerem slawischen Akzent schwirrte zwischen den "Mitleidenden" herum, registrierte, setzte Injektionen, nahm Blut ab und verlor nicht einen Moment ihre entspannte Freundlichkeit. Und das obwohl neben mir eine noch stillende, rumänische Säuglingsmutter mit akuter Pankreatitis unter Schmerzen mitbekam, wie die Asiatin partout kein Mutter-Kind-Zimmer für sie finden konnte.Dabei beruhigte sie auch noch den vor dem Durchknallen stehenden Gatten . Der coole kahlköpfige deutsche Doktor hatte einen Greis mit Iktus samt der um ihn herum stehenden Familie und eine Bosnierin die wegen einer Allergie kaum mehr Luft bekam, am Leben zu erhalten. Dabei hatte er aber auch immer noch Zeit dem Herzinfarkt-Patienten, der sich angesichts der Dramen um ihn herum quasi schon als Simulant fühlte, ermunternd zuzuzwinkern, während er für ihn bereits die Kardiologen in Stellung brachte.

Keine babylonische Sprachverwirrung und schon gar kein unwirsches Wort. Nur Motivation und Mutmachen. 

Aus dem OP schob mich der für mich zuständige Nacht-Pfleger von der Intensiv: Ein wegen der Ayatollahs exilierter Iraner. Er rollte mich neben einen Griechen, der noch am Tage mehrere Stents bekommen hatte. Wegen der Vorhänge bekam ich von seiner Nachbarschaft nur zu hören. Er sprach so guttural, dass ich seine Nationalität erst erahnen konnte, als seine ungarische Frau aus der griechischen Heimat angereist kam. Die beiden sprachen gut Deutsch miteinander, während unser iranischer Pfleger mit seinem Deutsch an ihm ähnlich scheiterte wie eine in München wohnende Schwägerin nicht feststellbaren Hintergrundes, die sich mit ihrem Schwager mittels urbayrischer Dialog-Bausteine verständigte. Im Laufe der zwei Tage umschwirrten mich aber auch blutjunge, bildhübsche Schwestern mit 80Prozent-Beschäftigungsverhältnissen, denen die "Migrationshintergründe" (Sizilien und Bosnien) wegen ihres lupenreinen Deutsches nicht mehr anzuhören waren.

In der Folge wurde ich von Fahrdienstleistenden durch die endlosen Katakomben und Gänge der über Jahrzehnte ausgeuferten alten Klinik geschoben, die das gesamte prekär vereinigte Europa repräsentierten: Bosnier, Russen, Polen, Rumänen - und auch einer, der vor dem Niedergang seiner Heimatstadt Kemnitz Reißaus genommen hatte, kümmerten sich rührend um mich.
Alle hatten dabei etwas gemeinsam: Obwohl vermutlich lausigst bezahlt, versahen sie ihren Knochen-Dienst mit unerhörter Freundlichkeit und waren auf den Punkt zur Stelle.

Mir kam tief unter der realen Welt sozusagen erdrückt von den nackten Versorgungsleitungen dieses Heilungsmonsters der Gedanke, ob man die Christsozialen in Bayern nicht mal daran erinnern sollte, dass sich die ersten Christen gar aus dem Katakomben Roms ans Tageslicht kämpfen mussten, um die Christenheit auf den Weg zu bringen. Auch sie wurden - des Volkes Wählerstimmung heischend - verunglimpft und mit böser Nachrede bis aufs Blut verfolgt...

Es ist nicht damit zu rechnen, dass unsere nahezu absolutistisch auftretenden Landes- und Stadt-Fürsten Horst I von Seehofen und Christian der Ude Monacenses, je in den Genuss solcher Basis-Erlebnisse kommen werden, wie sie mir hier vergönnt waren. Sollte sie der Schlag treffen, gehen die natürlich wie weiland der Franz Josef zum Agirov. Agirov? Klingt aber wohl auch nach Migrationshintergrund  wiewohl mit "Gnade der frühen Geburt"...

Wie konnte ein Freistaat und eine Landeshauptstadt, die solche Kliniken finanziell nicht in den Griff kriegen. überhaupt nur ansatzweise über ein Milliarden verschlingendes Prestigeobjekt wie Olympische Winterspiele nachdenken?

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