Mittwoch, 16. November 2011

Zeit-Reise 5: Und ewig fällt der Imam in Ohnmacht

Fortsetzung des Posts vom 13. 11. 2011 - Kulurgut Küche

In meiner Kindheit und Jugend war Essengehen noch etwas besonderes. Der Umzug von Hamburg nach München offenbarte dann dem noch unerfahrenen Gaumen allein schon eine abenteuerlich kulinarische, innerdeutsche Bandbreite: Von fischlastigen Gaststätten im Norden zu wurstwuchtigen Wirtshäusern im Süden oder quasi vom Labskaus zum Leberkäs. Auch ein echtes Spektakel war es in den fünziger und sechziger Jahren, wenn es hieß, es geht zum Chniesen; meistens an unseren Geburtstagen...Und natürlich wurde mit Stäbchen gegessen.

Aber dann lernten wir auf unseren Orientreisen noch eine neue delikate Dimension kennen: Die osmanische.
Viele Experten vermeiden den Begriff türkische Küche ja bewusst, weil ein kulturhistorischer Rückblick doch schnell offenbart, wieso es zwischen der kleinasiatischen und zum Beispiel der griechischen Kochkunst soviele Parallelen gibt, obwohl das ja Angehörige beider Nationen gar nicht gerne hören: Ein Sakrileg, Raki und Uuzo sowie Döner und Gyros zu vergleichen oder gar die Blätterteig-Fleischpasteten! Auch wieso Schaschlik kaukasisch eigentlich dem Sis Kebab  so ähnelt?...

Ich befürchte, dass mich die Türkei nicht nur zum Gourmet, sondern leider auch zum stets mit dem Gewicht kämpfenden Gourmand gemacht hat. Denn was es im Occident eben nicht gab, das war der einzigartige Vorteil, dass man in die Küchen der türkischen Lokantasi hinein durfte, um sich vom Herd oder Grill das auszusuchen, was einem mit dem verlockendsten Duft in die Nase stieg oder am leckersten aussah.
Später als für mich das Abenteuer etwas selber zu kochen dazu kam, habe ich oft versucht, diese genialen türkischen Geschmackserlebnisse meiner Kindheit durch eigene Leistung in Erinerung zu rufen. Es ist mir nicht gelungen, obwohl doch die türkische Küche von der Zubereitungsart als so "einfach" gilt:
Zum Beispiel das über der Holzkohle geröstete Küken im Brotfladen mit grünem Koriander, Petersilie und roten Zwiebeln - gelöscht durch gepfefferten Joghurt. Heute sind rote Zwiebeln bei uns ja in jedem Supermarkt eine Selbstverständlichkeit. Damals gab es in den deutschen Gemüseläden meist nur die weißgrün gestreifte deutsche Zwiebel.
Oder Biber Dolmasi - eben nicht nur bloß mit Hackfleisch gefüllte Paprikaschoten, sondern in drei Varianten auf dem Teller: mit Reis, Pinienkernen und Rosinen..
Die fritierten Sardinen mit Okra waren einmal eine Spezialität, bevor das Altin Balik im Bosposrus zum Bauchtanz-Bums verkommen ist.
Die vielen Zubereitungsarten von Kebab und Köfte; letztere klingen als Keftedes in Griechenland zwar ähnlich, aber die Fleischbällchen - ob gegrillt oder fritiert - werden im Islam eben ohne Schweinefleisch aber dafür als Lamm-Rind-Kalb-Gemisch oder in der Geflügelvariante zubereitet.
Und dann fällt natürlich immer noch der Imam in Ohnmacht, obwohl diese wohl berühmteste Spezialität, ein Auberginen-Hackfleisch-Gericht auch sehr häufig besser schmeckende Pendants und artverwandte Varianten rund ums Mittelmeer zeitigt. Beispeilsweise in Tunesien mit sogenannten Baby-Auberginen.
Und wer von Lübecker Marzipan als einzigartig schwärmt, glaubt seinem Gaumen nicht, wenn er erstmals die kleinen, gepuderten Rollen aus Dolma Bahce probiert hat.

Während ich heute kulinarische Reise-Erinnerungen hierzulande im Restaurant nicht selten sogar auf Gourmet-Niveau auffrischen kann, wird mir das von unseren türkischen Mitbürgern meist nur unbefriedigend auf grauslichem Fastfood-Niveau gewährt.
Wir gehen zwar zum Nobel-Italiener um die Ecke und haben griechische Stammkneipen. Wir hauen uns beim All-You-Can-Eat stylishes Sushi vom Fließband rein, aber einen Nobel-Türken, zu dem wir in die Küche dürfen, um uns ein Menü im erstklassigen osmanischen Stil zusammen zu stellen, kenne ich nicht. Die türkische Küche definiert sich zumindest hier in München  über Döner-Kabuffs, die in den seltensten Fällen wirklich einladend wirken.

Warum ist das so? In der Lindwurmstraße gibt es einen grandiosen türkischen Bäcker, zu dem aus der ganzen Stadt und ihrem Umkreis auch Nicht-Türken pilgern. Der türkische Gemüse-Händler hier um die Ecke besticht durch preiswerte Spitzen-Qualität. Und das Lamm, das es bei Saladin schräg über die Straße gibt, schlägt alles, was ich bisher in München kaufen konnte. Was hält also die türkischen Köche davon ab, für ihre Küche Ehre auf höherem Niveau einzulegen?

Ich habe zwei Theorien:
Erstens: Sie verweigern und verschanzen sich genauso wie bei der Integration hinter diversen Vorurteilen.
Zweitens: Ihnen reicht es, mit dem "Döner-Tier" schnell Kohle abzugeifen...

                                        Ende der Zeit-Reisen

Demnächst hier: Die Ritter der Radwege

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