Mittwoch, 4. Mai 2022

Meine Ehe und der Krieg

Das linke Engelchen wurde später auf Erden
ein recht streitbares Teufelchen
Offen gestanden war ich in meiner Teeny-Zeit völlig unpolitisch. Als ich am zweiten Tag meiner Lehrzeit als Verlagsbuchhändler einem blauäugigen Engelchen gegenüber saß, hätte ich an Raffaello denken müssen, aber da waren meine Hormone schon zu sehr in Wallung und dann kam in Sekundenschnelle auch erhöhter Puls dazu. Heute sagt man wohl schockverliebt, damals war es eindeutig  "Liebe auf den ersten Blick".
Als wir gemeinsam das Abbild meiner jungen Liebe an der Decke der Sixtinischen Kapelle bestaunten, hatten wir schon unsere kleinen Kinder dabei. Das war Mitte der 80er Jahre, und um im Gleichschritt mit meiner rebellische Frau zu bleiben, war Politik unser permanentes Thema in schwierigen Zeiten geworden. Eine Diskussion über den Sechstage-Krieg zwischen Israel und Ägypten am gemeinsamen Arbeitsplatz hätte die Romanze eigentlich nach kurzer Zeit beenden müssen, weil ich sie altklug mit eigens angelesenen Wissen vollquatschte. Später gestand sie mir, dass sie mich in jenem Moment für ein "riesen A..." gehalten hat. Tatsächlich hat mich das kleine Energiebündel erst durch feste Ansichten ernsthaft politisiert. Sie war wegen Willy Brandt in die SPD eingetreten. Ich legte jedoch nach kurzer Zeit mein Amt als Gewerkschafts-Abgeordneter fürs Lehrlingswesen nieder. Die 68er hallten noch nach, und die Gewerken gefielen sich in einem quasi unverständlichen, revolutionären Geschwafel, anstatt dafür zu sorgen, dass Lehrlinge weniger als billige Arbeitskräfte ausgebeutet wurden, um stattdessen eine wirklich fundierte  Ausbildung zu erhalten.

Wieso ich euch das alles erzähle? Nach mehr als fünf gemeinsamen Jahrzehnten gerieten meine Frau und ich vorgestern bei dem Interview-Format "Was nun ?" im ZDF wieder in alter Manier aneinander. Es spiegelte sich in unserem Streit-Gespräch das wieder, was unsere Nation abgesehen von der Diskussion über die Lieferung "schwerer Waffen" nahezu hälftig spaltet: Sollte der Kanzler besser kommunizieren, um jeden seiner Schritte zu erläutern? Oder - wie ich finde - sich davor hüten, sich von der in dieser  Krisen-Zeit äußerst respektlosen Presse und den Moderatoren permanent madig machen zu lassen?
https://www.zdf.de/nachrichten/politik/olaf-scholz-interview-was-nun-ukraine-krieg-russland-100.html

Dass Angela Merkel, den gleichen reservierten Stil pflegte, ist niemandem aufgefallen, weil sie sich für ihre Moderation mit Steffen Seibert einen ausgekochten Profi als Sprecher und Leiter der Bundespressekonferenz sowie des Presseamtes ausgesucht hatte. Wieviel der vom Gesicht her ja den meisten bekannte Fernseh-Mann in 11 Jahren Dienst für die Bundeskanzlerin abgefangen hat, ist daran nachzuvollziehen, dass der 61jährige heute älter aussieht als seine mit Bravour durch alle Schlachten gegangene Chefin.

Quelle: Bundespresseamt
Der andere Steffen, nämlich Steffen Rüdiger Hebestreit, ist 62. Er ist auch in Doppelfunktion wie Seibert gleichzeitig Sprecher und Leiter des Presseamtes. Seine langjährige Erfahrung als Journalist und Pressesprecher hat ihn jedoch nicht darauf vorbereitet, sein Amt quasi unter Kriegs-Bedingungen auszuüben.
Dreißig Jahre habe ich mir auch den Presse-Spagat und die Mehrfachbelastung zusätzlich zu meinen Chefredaktionen in allerdings viel unwichtigeren Umfeldern zugemutet. Ich war mit 58 total ausgebrannt, weshalb ich heute sehr wohl weiß, was Öffentlichkeitsarbeit einem antun kann.
Seither habe ich nach tiefer gehenden Recherchen in dieser Hinsicht nun auch großen Respekt vor meinem einst total von mir verkannten Großvater, der vom Pressesprecher beim Oberkommando West im Ersten Weltkrieg quasi nahtlos von Reichspräsident Friedrich Ebert als "Wirklich geheimer Legationsrat" zum Sprecher des ersten Deutschen Reichstages berufen wurde und später auch Sprecher des Friedensnobelpreisträgers Gustav Stresemann im Außenministerium wurde.

https://www.google.com/search?q=Erhard+Deutelmoser&oq=erhard&aqs=chrome.0.69i59j69i57j46i67j0i512j46i175i199i433i512j0i512j46i512j69i60.5229j0j7&sourceid=chrome&ie=UTF-8

Die erste von drei verschiedenen,
versandten und weiter geleiteten Versionen des
verhängnisvollen Telegramms aus Ems,
das den Deutsch-Französischen Krieg 1870/71
ausgelöst hat

Quelle. Bundesarchiv
Wie sehr hat mein Opa tatsächlich beim permanenten Umfärben seiner Person im Dienste der Realpolitik Federn lassen müssen? Und wie hat sich das auf seine beiden Söhne und seine Frau ausgewirkt?
Sprecher für andere zu sein, frisst einen auf. Die richtige Wortwahl an den Klippen vorbei bei der undeutbaren, möglichst neutralen Interpretation zu finden, ist eine ungeheuerliche Nervenbelastung. Hoffen wir für den Moment, dass kein Staatsmann - wie Bismarck beim verhängnisvollen "Redigieren" des Telegrams von Heinrich Abeken, am 13. Juli 1870, der sogenannten  "Emser Depesche" - mit Verschlimmbesserung ohnehin schon fragwürdiger Wahrheiten einen weiteren Krieg auslöst.

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