Montag, 31. Oktober 2022

Einzelschicksale von Individuen

Im wahrhaftigen Tod gibt es keine
Hoffnung mehr

Quelle: ersbistum-koeln.de
 Morgen, an Allerheiligen gehen Familien der Tradition nach zu den Gräbern der Verstorbenen, um ihrer zu gedenken. Ich gehe aus Prinzip nicht mehr auf Friedhöfe, weil ich überzeugt davon bin, dass der Tod eine endgültige Sache ist und dass das Gedenken im Kopf  allein in Form von Erinnerungen stattfinden sollten. Meine Familie habe ich gebeten, mich im billigsten Pappsarg verbrennen zu lassen und in einer biologisch abbaubarer Urne auf einer anonymen Friedenswiese zu vergraben. Wenn ohne Grab und Gedenkstein die Erinnerung an mich schnell verblasst, habe ich es nicht anders verdient.

Wenn mir mitunter erzählt wird, was die Bestattungs-Industrie den Hinterbliebenen heutzutage so abknöpft, muss ich an all die Massengräber denken, die diverse Kriege gefüllt haben. Das Geborenwerden ist ein neunmonatiger Vorgang, auf den das Neugeborene genauso wenig Einfluss nehmen kann wie auf seine Zeugung. Alles, was danach mit ihm geschieht, ist reine Erziehungssache. Was man den Menschen im Laufe ihres Lebens über das Sterben und den Tod erzählt, sind Vermutungen aus zweiter Hand, die vielleicht mit religiöser Beeinflussung leichter zu ertragen sind.

Neun Monate wächst das Leben in einer Mutter, um im Krieg binnen Sekunden schmerzvoll sofort oder in Minuten qualvoll zu enden. Am Ende jener Zeitspanne von neun Monaten wird der Krieg in der Ukraine die Millionen-Grenze an Opfern auf beiden Seiten überschritten haben. Dem Tod ist es völlig gleichgültig, wen und warum er diesen Zivilisten oder jenen Soldaten in einem Krieg ereilt, denn er trägt ja keine Verantwortung dafür. Je nach Verursacher - ob in Verteidigung oder Angriff - wird er genauso wenig zur Rechenschaft gezogen, wie die wahrhaft Schuldigen oft nicht nur nicht belangt werden, sondern meist auch unversehrt munter in einem feudalen Exil weiter leben dürfen. Typische Beispiele:  Kaiser Bonaparte, Kaiser Wilhelm II, Bokassa,  Idi Amin, "Baby Doc" Duvallier  und so weiter.

Die erste Verfilmung von 1930
 kam unter zunehmend
"braunem Schatten" nur zensiert
und gekürzt zur Uraufführung

Wenn die Vernunft den Glauben an die Wiedergeburt ausblendet, wird klar, dass das kostbare Gut des Lebens eine einmalige Zuteilung ist, über die andere eigentlich keine Verfügung haben dürften. Aber sind wir uns immer selbst bewusst, dass das Leben eine einmalige Angelegenheit ist? Denn solche Typen wie Putin, al Assad oder Xi beispielsweise tun es gewiss nicht. Mit salbungsvollen Worten verlangen sie von ihren Untertanen, sich für eine Sache zu opfern. die oftmals gar nicht die ihre ist. Dabei wird auch der Machtberauschte im sicheren Tod enden...

Was Putin bei mir persönlich geschafft hat, ist die Erkenntnis, dass mein Streben, Denken und Leben als Pazifist wohl ein luxuriöser Irrweg war. Aber "Frieden schaffen durch Waffen" ist auch eine Illusion. Der Krieg ist deshalb eine immer wiederkehrende Entartung unserer Wesensart als "Homo sapiens". All unser Wissen hat es nicht vermocht,  Kriege direkt an ihren Wurzeln zu veröden. Der Zahn der Zeit leidet deshalb an unheilbarer Parodontose...

Ernest Borgnine spielte in der
Verfilmung von 1979 eine
herausragende Rolle

Gerade hat Netflix die vierte Verfilmung von "Im Westen nichts Neues" nach Skizzen des Antikriegs-Romans von Erich Maria Remarque ins Programm genommen. Mit all den modernen Bild-Techniken ist das ein erschreckend schmutziges und an sinnloser Brutalität nicht zu  überbietendes Gewalt-Opus geworden. Die Leichenberge und Explosionen machen jedoch erneut nur zu deutlich, dass das wahre und traumatische Unwesen des Krieges nicht darstellbar ist. Was aber in der 2022-Version gelungen ist, sind die Gegenschnitte in den drei letzten Kriegstagen des WK I: Hier die Kapitulations-Verhandlung im Salon-Wagen von Compiègne, bei denen den Delegierten alles an denkbar Kulinarischem aufgetischt wird. Und dort - im sinnlosen letzten Aufgebot vor Inkrafttreten des Waffenstillstands -  trinken die durstigen Kämpfer das verschlammte Wasser aus Bombentrichtern, in dem gefallene Kameraden liegen.

In der Verfilmung von 1983 trugen die Akteure
Pickelhauben, was vereinzelt der Wahrheit entsprach
Quelle: kino.de

Die Drohnen-Aufnahmen von dem schier endlosen, mit Gefallenen übersäten Schlachtfeld verdeutlichen einmal mehr, dass im Krieg jeder meist gar nicht heldenhaft sondern erbärmlich für sich alleine stirbt. Für den Befehlshaber sind das allenfalls dem Ziel geschuldete Einzelschicksale von Individuen. Tote und teilweise Zerfetzte deren Erkennungsmarken zum Registrieren eingesammelt werden, und denen dann noch die intakten Uniformteile vom toten Körper gezogen werden, um sie gereinigt und geflickt dem nächsten Rekruten anzupassen. Den vielen nicht Identifizierten wird verlogen mit einem "Grabmal des unbekannten Soldaten" und ewig brennenden Flammen gedacht. Wäre ja auch organisatorisch gar nicht machbar, von jedem Kriegsopfer oder Kanonenfutter den Lebenshintergrund zu erfassen.

Die modernen kinematographischen
Möglichkeiten von 2022 überlagern
leider oft die außergewöhnlichen
schauspielerischen Leistungen
Quelle:md-de

Die "Neue Zürcher Zeitung" hat es im Gesellschaftsteil ihres Internet-Auftritts  beispielhaft anhand ukrainischer Opfer versucht:
https://www.nzz.ch/gesellschaft/sie-waren-baecker-dichter-ol-laeufer-dann-wurden-sie-ukrainische-soldaten-nun-sind-sie-tot-das-sind-ihre-geschichten-ld.1694248

Diese Lektüre wäre eine sinngebende Beschäftigung für alle, die morgen nicht an irgendeinem Grab stehen,  aber dennoch irgendwie gedenken wollen...

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