Donnerstag, 17. Dezember 2015

Krähen

Spätestens seit Alf  Hitchcocks Film "Die Vögel" ist das Image dieser Unterart der Raben-Vögel endgültig versaut. Die Krähe ist ein Singvogel, aber keiner käme auf die Idee, ihr im Winter Futterstellen einzurichten wie den Meisen, Amseln und Pfaffen.

Die Krähen pfeifen auf jegliche menschliche Hilfe, und wer mag schon sagen, dass ihre hungrigen, krächzenden Schreie kein Gesang sind. Joe Cocker immerhin hat es damit zu einer Welt-Karriere gebracht.

Meine von Kindesbeinen bestehende Empathie für Außenseiter und Minderheiten hat schon Krähen eingeschlossen, als sie in Kinder-Erzählungen noch allein als Unglücksbringer und Totenschänder diskriminiert wurden...

Inzwischen weiß die Forschung, dass die Intelligenz der Krähen in manchen Bereichen sogar die der niedlich hochgelobten Delphine übertrifft - und zwar ohne, dass sie eigens auf gewisse Reaktionen dressiert werden müssten. Heute gehen manche Ornithologen sogar davon aus, dass gewisse Unterarten intelligenter sind als Primaten - weil sie kombinieren und Probleme lösen können.

Noch weiß man nicht , ob gewisse individuelle und kognitive Fähigkeiten aus einer Art Schwarm-Intelligenz resultieren, aber das scheint mir nahe liegend. Denn ich habe vor bald 50 Jahren gewisse Erfahrungen am Lohrberg bei Frankfurt gemacht, wo ich als Lehrling an der Deutschen Buchhändler-Schule war.

Da ich immer Anlauf-Schwierigkeiten mit neuen Menschengruppen hatte, bin ich oft auf dem weiten Hügel mit den Schreber-Gärten und Wiesen spazieren gegangen, um mich dort auf eine Bank zu setzen.

Meine Einsamkeit wurde mir durch eine einzelne Krähe vertrieben. Sie setzte sich in Reichweite meines Armes auf die Lehne und schaute mich mit schrägem Kopf so lange an, bis ich aus meinen Taschen irgendetwas zu Essen kramte. Dann keckerte sie freundlich, verweilte noch einen Moment und flog davon. Egal auf welche Bank ich mich an anderen Tagen setzte. Sie machte mich ausfindig und wiederholte das Ritual. Es war Frühling. Deshalb hatte ich wenig Möglichkeiten die Leckerli zu verstauen. Mal war es die Hemd- mal die Hosentasche. Erstere links, letztere rechts Hatte ich kein Hemd mit Brusttasche an hopste sie automatisch nach rechts. Sie war leicht an ihren verkrüppelten linken Fuß zu erkennen.

Vierzehn Tage des sechswöchigen Seminars ging das so, dann hatte ich mich in eine Gruppe integriert, der ich das  mit der Krähe zeigen wollte. Aber sie spielte nicht mit. Sie flog mich zwar noch aggressiv an, aber dann dreht sie auf nimmer Wiedersehen ab, und keiner wollte mir die Geschichte glauben.

Jetzt kam sie mir wieder in den Sinn, denn beinahe jeden Morgen sehe ich Krähen im Riesen-Schwarm am Schlafzimmer-Fenster vorbei ziehen. Es sind Hunderte, und zeigen stets das gleiche Flugbild.; Erst ein dichter Pulk, dann eine Gruppe von Nachzüglern und  dann vereinzelte Trödler , die nachhängen. Geradezu wie bei der Tour de France oder beim Schul-Wandertag. Da sie von West nach Ost fliegen, nehme ich an, sie haben ihren "Krähenbaum" im Olympia-Park und steuern den Englischen Garten an.

Sie regen meine Phantasie in diesen Tagen im besonderen Maße an, seit ich weiß, dass ihr Sozial-Verhalten äußerst demokratisch ist. Krähen wollen zwar gelegentlich individuell die Oberhand über einen Gefährten haben, aber der Anspruch dehnt sich nie auf den ganzen Schwarm aus. Fressen wird geteilt und Überschüsse in gemeinsamen Vorräten angelegt. Auch in kargen Zeiten reicht das meist für alle. Einzelgänger, die ich nach dem Schwarmflug gegenüber auf dem Nachbarhaus beobachte, sind vermutlich mit Späher-Aufgaben zur Sicherung beauftragt...

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