Mittwoch, 16. Februar 2022

Beten auf beiden Seiten

Einmal vor langer, langer Zeit inmitten des Balkan-Krieges saß ich im "Sprinter " zum Flughafen nach Frankfurt. Das ICE-Abteil war zu dieser frühen Stunde bis auf einen Mann leer. Der las in der Bibel .

Auch Rabbiner sind Seelsorger beim Bund
Quelle: taz.de
"Guten Morgen! Da kann mir ja nichts passieren - mit Gottes Segen auf allen Wegen..." Sofort hätte ich mir am liebsten auf die Zunge gebissen für meine Flapsigkeit. Dennoch brachte sie ein Gespräch in Gang, das die ganze Fahrt anhielt. Ich entschuldigte mich. mit meinem üblichen Spruch, dass ich eben Agnostiker sei, aber eigentlich immer voller Respekt für alle Gläubigen...

War der erste Militärrabbiner
der Bundeswehr:
Zsolt Balla
Quelle: deutschlandfunk.de
Mein Gegenüber entpuppte sich als Feldkaplan der Bundeswehr. Mittlerweile heißen die Militärgeistliche. Seit 2020 gibt es qua Gesetz  auch Rabbiner und Imame im seelsorgerischen Dienst an SoldatInnen . Die Geistlichen werden für eine Zeit von bis zu sechs Jahren von ihren Landeskirchen dem Dienst beim Bund abgeordnet. Mein Reisegenosse damals fuhr gerade zu seinem Dienstantritt in Frankfurt-Hausen. Mehr durfte er mir wohl nicht verraten, weil ich mich ziemlich rasch als anerkannter Kriegsdienst-Verweigerer geoutet hatte. Das Gespräch war denkbar tiefgründig. Deshalb blieb es mir bis heute in Erinnerung.

Militärgeistliche in der Bundeswehr
Quelle: wikipedia-org
Es war nicht allein journalistische Neugier, sondern eine echte Gewissenfrage seit ich Kurt Tucholskys aus dem Zusammenhang gerissenen Sarkasmus "Soldaten sind Mörder" für mich relativiert hatte.
Mein Zwiespalt mit der Nachkriegs-Gesellschaft im Zusammenhang mit dem Fünften Gebot trieb mich noch um. Er war ein Argument in meiner Begründungs-Schrift vor dem Ausschuss gewesen, der meine Verweigerung offiziell anerkennen sollte...

Mein weniger radikales Fazit:
SoldatInnen sind immer durch Befehle gezwungen, nach dem übergeordneten Kodex zu gehorchen und so gegen das Gebot "Du sollst nicht töten!" zu handeln. Befehlsverweigerung, wird nach  Artikel 10 des Wehrgesetzes mit drei Jahren Gefängnis bestraft. Aber diesen immerwährend bestehenden "Befehlsnotstand" möchte ich hier gar nicht mehr thematisieren, sondern lieber auf den einzigen Militärgeistlichen, den ich je getroffen habe, zurück kommen. Natürlich war er dialektisch geschult und hatte quasi auf jede meiner Fragen eine Antwort.

Aber eine seiner Erläuterungen muss ich heute noch einmal sinngemäß hervor holen.  - An einem Tag, an dem möglicherweise ein Krieg ausbricht, dessen Folgen die ganze Welt nicht absehen kann:

Nariman Hammouti-Reinke
schärfte  mit ihrem Buch den Fokus auf
die Muslime in der Bundeswehr
Was ist, wenn auf beiden Seiten der Front zu dem einen, gleichen Gott um Unversehrtheit gebetet wird? Wen erhört er dann, wenn  beide voller Inbrunst glauben ,recht zu handeln? Oder was ist, wenn vor der Schlacht im Trupp gemeinsam gebetet wird? Ist der Tod des Einzelnen dann ein "Gottes-Urteil"?

Der Gottesmann musste nur wenig nachdenken und antwortete sinngemäß etwa so:
"Ich habe den Glauben, dass Gott alle seine Kinder liebt. Dass das Gebet aber in jedem Fall eine Zwiesprache ist. Da Gottes Wege aber unergründlich sind, und der Tod ja in unserem Glauben nur das irdische Dasein beendet. So muss Gott eben nicht wählen."

Die ganze Nacht auf heute habe ich darüber nachgedacht, was für ein Unterschied es machen könnte, ob ein griechisch-orthodox glaubender russischer Soldat auf Putins Geheiß oder ein seelisch betreuter, katholischer oder evangelisch betreuter Kämpfer der Bundeswehr auf Befehl des NATO-Oberkommandos "dran glauben muss".
 - In einem Konflikt, der bei mir den Glauben an eine übergeordnete Intelligenz des "Homo sapiens" langsam aber sicher austreibt...

Quelle: k.l.j.de



Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen