Donnerstag, 11. Januar 2024

Staatstrauer

Foto: SZ
Was für Pele recht war, muss für Franz Beckenbauer billig sein: eine Art Staatsbegräbnis. Für beide Weltfußballer gilt, dass sie mit ihrer Ballbehandlung einen Kultstatus erreicht haben, der weit über das Fan-Volk hinaus reichte und deshalb so mancher Fehltritt verziehen wurde. Das wäre auch ein Stadium, das sich mancher Politiker oder Funktionär für das eigene Ansehen wünschte. Ist das ein Grund, weshalb sie dem am vergangenen Sonntag verstorbenen "Doppelweltmeister" mit offiziell ausgelegten Kondolenz-Büchern und einer Groß-Trauerfeier in der Allianz-Arena huldigen? Sollte Fußball nicht immer die "schönste Nebensache" der Welt bleiben? Aber in einem Super-Wahljahr wie 2024 ist die Verlockung eben besonders groß, sich von der Lichtgestalt - selbst wenn sie tot ist - einen gewissen Abglanz zu sichern. Doch bin ich der Einzige, der sich darüber aufregt, dass der Tod - wie auch bei Wolfgang Schäuble - immer wieder kollektives Vergessen zeitigt?

Da war im Bayrischen Fernsehen zu sehen, wie sich nach dem ständig kamerapräsenten Ministerpräsidenten Markus Söder auch die mit Tränen kämpfenden "Bayern-Granden" (Zitat SZ) in staatsmännischer Kondolenz übten. Unter ihnen der verurteilte Steuersünder, Knasti und WM-Mannschaftskamerad Uli Hoeneß.
Genau bei diesem Anblick hatte ich meinen Flashback: O tempora, o mores. Wie hat sich der Fußball doch verändert, seit ich 1974 als Berichterstatter und Ghostwriter von Kicker-Legende Fritz Walter beim Endspiel der Weltmeisterschaft im Münchner Olympiastadion saß. Rastlos war ich zuvor von Stadion zu Stadion gerast, hatte im InterCity die Sekretariate und das Personal genutzt, um meine Spielberichte und das, was "der Fritz" mir am Telefon auf Tonband kommentierte, auf dem Bahnsteig in München einem Verlagsboten für die Redaktion zu übergeben.

Dass ich überhaupt eine vierjährige Zeit als Fußballschreiber hatte, verdankte ich meinem journalistischen Ziehvater Karl-Heinz Huba, der als Herausgeber die Sportbücher des Copress-Verlags verantwortete.
Vom Ski-Schreiber
zum Fußball-Historiker:
Für die Porträts
verflossener Größen
reiste ich in diverse 
Bibliotheken und musste
exotische Pseudonyme
für mich erfinden

Wenn ich heute auf die Bücher schaue, an denen ich im Rausch der bevorstehenden WM im eigenen Land mitgewirkt habe, dann wird mir ein Phänomen klar: Je weiter du von einem Idol entfernt bist, je mehr du über es recherchieren und in den Archiven nachforschen musst,  desto größer die Empathie. Je intensiver du dich mit Idolen beschäftigst, desto mehr erkennst du, in welchen Zwickmühlen sie, die eigentlich in erster Linie gut Fußball spielen wollten, gerieten

Ich bin Beckenbauer - der als Weltmeister eigentlich permanent von einer Entourage von Höflingen begleitet wurde - nur dreimal persönlich abseits der Fußballplätze begegnet. Wobei die zweite Begegnung für mich eine zweifelhafte Veränderung mit sich brachte. Im Rahmen der Kitzbüheler Hahnenkamm-Skirennen wurde abends ein Promi-Tennisturnier veranstaltet. Je ein Journalist mit einem Sportstar als Doppel. Wir wurden gegen Beckenbauer und einen ORF-Reporter gelost. Eigenen Angaben zufolge hatte Beckenbauer damals erst kürzlich mal einen Tennisschläger in die Hand bekommen. Er strafte seine Aussage durch Sprungkraft statt Stellungsspiel und reaktionsschnelles Eingreifen am Netz Lügen. Geschickt von seinem Partner eigesetzt, hatten wir keine Chance. Dabei war er da bereits in seinem ersten Jahr bei "Cosmos New York", was viele despektierlich als seinen "Austrag" bezeichnet hatten.
Damit der Kaiser auch bei Interviews unmittelbar nach dem Spiel proper aussah, hatten ihm die Cosmos-Leute eine Dauerwelle verpassen lassen. Als der Franz nach dem Duschen meine nass herunter hängenden Schnittlauch-Strähnen betrachtete, meinte er nur: "Das täte dir auch passen. Schau, nur mit dem Handtuch rubbeln, kein Föhnen mehr - fertig."

Wer lehnt schon einen Mode-Tipp von seiner Majestät ab, auch wenn er dann aussieht wie ein Riesen-Schaf!
Unsere dritte Begegnung fand übrigens während eines Charity-Turniers auf einem Golfplatz statt. Und es ist keine üble Nachrede, wenn ich konstatiere, dass der Kampf mit dem kleinen Ball aus dem stets höflichen und freundlich jovialen Idol einen wutschnaubenden Berserker machte... RIP Franz!

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