Dienstag, 2. Januar 2024

...Allein mir fehlt der Glaube


Faust:
Was sucht ihr, mächtig und gelind,
Ihr Himmelstöne mich am Staube?
Klingt dort umher, wo weiche Menschen sind.

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Die Botschaft hör’ ich wohl, allein mir fehlt der Glaube

Das Wunder ist des Glaubens liebstes Kind.
Zu jenen Sphären wag’ ich nicht zu streben, 


Quelle: FAZ

Goethe im Deutschunterricht zu lesen und dann gar interpretieren zu müssen, war für mich eine schreckliche Qual. An Bayrischen Gymnasien war der Faust ja bis 2016 als Pflichtlektüre unumgänglich. Aber ein paar Jahre bevor ich mich erstmals mit ihm auseinandersetzen musste, war der Faust 1960 grandios mit Gründgens als Mephisto verfilmt worden. Und so sah ich mir - statt zu lesen - den Film sehr intensiv im Fernsehen an und studierte die Kritiken von unseren Kultur-Gurus dazu. Daraus - unterst
ützt von Gründgens diabolischer Mimik - zimmerte ich mir meine als Referat zu haltende Interpretation und erhielt so - meiner Erinnerung nach - die einzig vorzeigbare Note, die ich jemals im Fach Deutsch bekam.

 
Ja, die Erinnerung! Tatsächlich ist mir vom Faust nur das verkürzte Zitat als Überschrift zu diesem Blog im Gedächtnis haften geblieben. Schuld daran war aber später auch der kongeniale Klaus Maria Brandauer, der in den beiden Mephisto-Filmen von 1981 und 2000 zweimal unter der meisterhaften Regie von Istvan Szabo derart penetrant schauspielerische Repliken von der verkappten Gründgens-Karriere im Gunst-Kreis der Nazis mimte, dass einem der Komplex "Kultur und Politik" selbst heute noch aufstößt wie Teufelsgebräu. 
 
Beide Bilder: kino.de
Dass mit zunehmenden Lebensjahren die Bandbreite für Interpretationen wächst, bemerke ich jetzt gerade beim Texten. Faust antwortet ja im obigen Vers auf die "Chöre der Weiber und Engel", die ihn an seine Verletzlichkeit und die Vorsehung erinnern. Aber als Mann der Wissenschaft spricht aus ihm eben auch der Agnostiker.

Leider fehlte mir das komplexe Denken, das Goethe da genial im moralischen Stickrahmen seiner Zeit verwoben hat: Etwa "Das Wunder ist des Glaubens liebstes Kind." Dennoch setzt er seinen Protagonisten den listigen Versuchungen des gefallenen Engels Mephisto aus. Damit macht er klar, dass  sich der Konflikt - trotz der  "leibhaftigen Darstellung" des Leibhaftigen  - allein im Gehirn von Faust abspielt, Gut und Böse schlummern im Wesen eines jeden Menschen:  Daher "Zwei Seelen wohnen, ach, in meiner Brust1"

Das war gut gedichtet, lieber Goethe! Aber es ist nur eine Teil-Antwort auf einen inneren Konflikt der mich im vergangenen Jahr immer wieder heim gesucht hat. Da habe ich  - der verbriefte Agnostiker - bei diversen Situationen gebetet, weil ich mir zum Beispiel Sorgen darüber gemacht habe, wie gläubige Moslems in Nahost bei dem verheerenden Erdbeben weiter an ihren Allah glauben können, während auch wenig später Fanatiker des selben Glaubens in der Nachbarschaft kriegerisches Blutvergießen provozieren und der IS sich in Syrien weiter austoben darf. Aber auch, dass Orthodoxe Christen seit bald zwei Jahren auf beiden Seiten der Front dieses perfiden Krieges gegen die Ukraine ihren Glauben an Gott immer noch nicht verloren haben. Oder weshalb in Fernost - nur weil es der neuen Staatsraison gefällt - sich Buddhisten trotz ihrer ach so betonten Friedefertigkeit innerhalb einer Nation immer wieder gegenseitig abschlachten. 

Wer erhört denn all deren Gebete? Und zu wem bete ich alter Trottel, wenn ich an die Existenz "höherer Wesen und ihre Verehrung" nicht glaube? (Immer noch eine der besten literarischen Satiren des sehr gläubigen Katholiken Heinrich Böll:  "Dr. Murkes gesammeltes Schweigen").
Meine Gebete sind wohl mit dem "Goethischen Denkmodell" aus Faust auch nicht zu erklären. Denn mein Beten ist ja nicht zielgerichtet, sondern Ausdruck von Angst und Hilflosigkeit gegenüber Zuständen, die andere herbei führen und die ich deshalb allein durch Flehen sowieso nicht mehr ändern kann. 

Ja, mir fehlt zu meinen Gebeten der Glaube, aber ich bin wohl angesichts der stetig waschsenden Zahl von Kirchenaustritten in unserem Land zumindest nicht allein...

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