Es ist ja keine Seltenheit, dass Journalisten in die Politik wechseln. In den Kindertagen der deutschen Demokratie waren Leute Reichstagsabgeordnete, die gleichzeitig Herausgeber eigener politisch kämpferischer Blätter waren. Die russische Revolution lenkte Lenin damit, dass er die Titelseite der von ihm aus dem Exil gegründeten und nach 1917 kontrollierten Prawda (Wahrheit) mit Aufrufen zu unfassbarem Terror gegenüber Andersdenkenden füllte. Assistiert wurde ihm dabei von Chefredakteuren mit so klangvollen Namen wie Stalin oder Molotow. Auch der Umstand, dass solche Blätter nicht selten Partei-Organe waren, mildert den Missbrauch des Wortes nicht.
Wer so eine Ausbildung am Wort erhält, weiß, wie leicht er durch das Verschieben einer Präposition, das Setzen von Anführungszeichen oder einen durch Gedankenstriche erzeugten, scheinbar doppeldeutigen Bezug den Leser manipulieren kann. Im Prinzip ist das kein Problem - so lange die Meinungsvielfalt durch ausreichend unterschiedliche Publikationen und TV-Kanäle gewährleistet wird. Vor 80 Jahren bei Hitlers Machtergreifung und darüber hinaus war der Medien-Unternehmer Alfred Hugenberg der publizistische Steigbügelhalter des Nazi-Terrors. Er kontrollierte 50 Prozent des damaligen Presse-Angebotes und missbrauchte es propagandistisch. Was ein Aufbegehren der parlamentarischen Opposition speziell aber auch Andersdenkender auf der Straße gegen die Rechtsbeugung bei der "Ermächtigung" chancenlos machte.
Da Meinung Machen für das politische Überleben so wichtig ist, haben sich die Mächtigen auch im Nachkriegsdeutschland gerne Profis als Propagandisten ins Boot geholt. Um nur zwei antagonistische Beispiele zu nennen: Willy Brandt verpflichtete den von Strauß gebeutelten SPIEGEL-Mann Conrad Ahlers und die Kanzlerin den ZDF-Frontmann Steffen Seibert, der davor schon bei den Wahl-Berichterstattungen als meisterhafte Jongleur von Zahlen aufgefallen war.
Der Unterschied in der Gewichtung der eingangs angedeuteten Problematik: Ein Journalist als Fraktionsmitglied im Plenarsaal hat nur eine Stimme. Ein Journalist als Regierungssprecher macht Stimmung. Dass er Regierungspolitik verkaufen muss, entbindet ihn von den ethischen Grundsätzen, die sich die Branche einst selbst auferlegte und heute immer stärker außer Acht lässt... (Ein köstliches Beispiel, wie der sehr blass um die Nase gewordene Seibert die geheim beschlossenen Waffenlieferungen an orientalische Unterdrücker-Staaten vor der Bundespressekonferenz rechtfertigen musste)
Ohne dass es sonderlich auffällt oder thematisiert wird, findet derzeit in Deutschland ein Massensterben bei Zeitungen und Zeitschriften statt, beziehungsweise Konzentrationsprozesse durch Fusionen von Verlagen und TV-Sendern. Vor diesem Hintergrund sollten jene Bundesbürger, die weder auf dem rechten oder dem linken Auge blind sind und eine tatsächlich liberale Gesinnung haben, ihre Aufmerksamkeit beim Zuhören erhöhen. Denn es werden zur Zeit wieder einmal Zahlen nach Gutsherren-Art offiziell verkündet und kaum hinterfragt kolportiert.
Deutschland ginge es noch nie so gut wie unter ihrer Regentschaft, meint die Kanzlerin, und die Statistik legt nach, indem sie vermeldet, dass noch nie so viele Menschen hier Arbeit gehabt hätten. Auch der faule Etat-Kompromiss, der im Verdacht steht, die europäische Entwicklung radikal abzubremsen, wird als einzigartig beschrieben.
All das ist - auf den aktuellen Stand ohne Aussicht berücksichtigend - sogar faktisch richtig. - Wenn keinerlei Bezugsgrößen hinzugezogen werden:
Beispielsweise Jobs, von denen man nicht mehr leben, geschweige denn später ausreichend Rente beziehen kann. Wieso dauert das wohl mit dem längst überfälligen Armutsbericht in diesem Wahljahr so lange?
Die vom Stern hochgepustete Sexismus-Debatte lenkt doch nicht zufällig davon ab, dass Frauen für die gleiche Arbeit immer noch schlechter bezahlt werden. Und wieso ist die Empörung über den Dirndl-Spruch eines politischen "Senilisten" größer, als bei den nicht eingehaltenen Versprechungen der Regierung gegenüber den zahlreichen Missbrauchsopfern? 100 Millionen waren denen vor zwei Jahren auf dem Höhepunkt der Betroffenheit für Entschädigung und Betreuung zugesagt worden. Nicht ein Euro ist bislang geflossen!
Aber der Vogel (wobei es ja gerade mal keine Hühner-Grippe gibt) wird ja jeweils von der Sophia Loren des Verbraucherschutzes, unserer Ministerin Ilse Aigner, abgeschossen: Ob Gammelfleisch, EHEC oder jetzt der Pferdefleisch-Skandal: Jedes Mal betreibt sie kurzzeitigen Aktivismus und verspricht erneut in eine verbesserte Kontrolle zu investieren... Eine Sauerei sei das, meint sie - zu unrecht im Hinblick auf das Pferd als Fleisch-Lieferanten, wohl um nicht wirklich Ross und Reiter nennen zu müssen.
Immerhin ist sie nicht so unverfroren wie einer ihrer Minister-Kollegen, der nach Gutsherren-Art doch glatt meinte: "Wer sich eine Lasagne für 1,98 Euro aus dem Kühl-Regal greift, weiß doch, dass da nix Gs'cheites drin sein kann."
Der HarzIV-Empfänger oder der Mini-Jobber mit vielleicht drei Jobs auf einmal, oder die Überstunden zum Nulltarif ableistende Hausfrau, die einfach nicht mehr selbst zum Kochen kommt, weil sie zu müde ist, wären demnach also selbst schuld. Auf keinen Fall aber die Verbrecher, die kontaminiertes Fleisch verarbeiten.
Und auch noch etwas zum Dauer-Spruch des mir ansonsten sehr sympatischen Multi-Kochers Alfons Schuhbeck: Die Leute zahlten klaglos 30 Euro für ein gutes Motoröl, sparten aber an einem g'scheiten Öl für die Küche...
Fonsä! Schon mal darüber nachgedacht, dass die meisten, die auf Billig-Produkte zurück greifen möglicherweise gar kein Auto haben?
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