Natürlich war das vorauszusehen: Dass ich, sobald ich im Glashaus sitze und wild mit Steinen um mich schmeiße, nur halb so viel Leser anlocke wie durch meine eher unverbindlichen "Briefe von der Burg". Das ist nicht gefühlt, sondern durch die Zugriffsstatistik, die es zu jedem Blog gibt, leider belegt. Und schon beginnt wieder - wie einst - das Grübeln: Ist meine Meinung uninteressant? Oder ist sie nur zu mies formuliert? Wollen die meisten meiner Leser in beiden Blogs lieber Harmonie - wie meine Frau, die bekanntlich "Zweitbeste von allen", die sich seit neustem nur noch Filme anschaut, die gut ausgehen und schon immer den Schluss eines Buches zuerst gelesen hat, damit sie weiß, dass die Helden überleben oder sich bestenfalls auch "kriegen"?
Das Problem mit den Statistiken im Internet ist, dass sie manipuliert oder zumindest gezielt beeinflusst werden können. Zum Beispiel durch bestimmte Schlagworte in der Überschrift oder den Eintritt in soziale Netzwerke, in denen sich das Freundschaften Schließen dann auch auf die Zugriffszahl auswirkt...
Aber nein! Ich habe ja kein Sendungsbewusstsein, sondern nütze eine Möglichkeit, die sich während meines Berufslebens wegen diverser Zwänge nie ergeben hat. Ich kann publizieren, ohne jemanden lange betteln zu müssen, mich zu verlegen. Ich kann im Rahmen meiner eigenen ethischen Vorstellungen meine Meinung kundtun, ohne materiellen oder ideellen Schaden für meine Publikationen oder Betroffene befürchten zu müssen. Und, was am allerwichtigsten ist - ich muss meinen Stil nicht verbiegen, ihn syntaxmäßig irgendwelchen Modeströmungen anpassen, wie - leider - meine noch aktiven Kollegen - die nebenbei bemerkt auch noch lausiger bezahlt werden als in den goldenen Zeiten des Autoren-Journalismus. Ich halte meinen derzeitigen Status als Gratis-Blogger für den großartigsten meines Daseins als Autor. Das wollte ich hiermit einmal betonen.
Vor ein paar Tagen erreichte mich nämlich der Anruf einer Leserin. Ja, das geht, denn die meisten Nutzer sind mir ja persönlich bekannt. Die liebe Freundin, die über die Burgbriefe "Follower" wurde, leidet derzeit genauso wie ich unter dem Lichtentzug. (Man stelle sich das mal vor! In den sieben Wochen, die wir nun im Glashaus ausharren, gab es laut ARD-Wetterstatistik nur 27 Sonnenstunden - davon sieben allein an einem Tag.) Sie bat mich: Schreib doch mal wieder was Nettes! Ich vermisse die "Briefe von der Burg" so!
Das hatte ich mir dann eigentlich für heute vorgenommen. Irgendein Thema mit Vorfrühlingshoffnung wäre mir schon eingefallen, aber dann kam in den ARD-"Tagesthemen" - kurz nachdem wir aufgelegt hatten - dieser entsetzliche mit Videos belegte Beitrag von der systematischen Vergewaltigung einer Demonstrantin auf dem Tahrir Platz in Kairo durch offenbar bezahlte Schergen der heimlichen Machthaber.
Am nächsten Morgen war ich einkaufen beim nordafrikanischen Supermarkt. Der Manager war hohlwangig und stoppelig. Vermutlich hat er wieder die ganze Nacht im Netz verbracht, um darüber zu verzweifeln, dass sein Heimatland nach all dem arabischen Frühlingsrausch gerade wieder bei den Zuständen angelangt ist, wegen denen er es einst verlassen hat. In Pakistan starben währenddessen wieder fast 100 Menschen bei einem Bombenanschlag...
Mag ja sein, dass einen die ligurische Sonne vom zuviel schlechte Nachrichten Gucken abhält, hier aber kann ich mich von denen nicht zurück ziehen, und ich muss dann gleich das schreiben, was mir dabei durch den Kopf geht.
Vielleicht ist das ja gar nicht so wirkungslos. Obwohl ich ja nur maximal dreimal pro Woche poste, sehe ich in der Statistik, dass sich in den letzten beiden Wochen fast täglich eine gleichstarke Leserschaft im Glashaus einfindet. Das nährt die Hoffnung, dass dann auch ältere Beiträge mal gelesen werden. Vielleicht auch die, in denen ich bereits im vorletzten Winter das Scheitern des sogenannten Arabischen Frühlings begründet prognostiziert hatte...
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