Montag, 25. Februar 2013

Circle Of Life

Vermutlich liegt es daran, dass der Alterungsprozess bei mir früher und heftiger eingesetzt hat, als bei vielen meiner Weggefährtinnen und -Gefährten: Immer häufiger erwische ich mich bei längerem Löcher in die Luft Starren. Wenn ich dabei überhaupt an etwas denke, dann ist das in die Vergangenheit gerichtet, während  meine Gedanken kaum noch der  verbleibenden, vor mir liegenden Zeit gelten.

Langsam wächst bei mir die Erkenntnis, dass wir keinen der Aggregatzustände des Seins - das Eltern Sein vielleicht ausgenommen - so unvorbereitet erreichen, wie das Alter. Ich war das jüngste Kind von zu meiner Geburt schon ziemlich alten Eltern. Meine Wahrnehmungen vom Vater waren die von einem weißhaarigen Mann. Meine Mutter hätte ich als Matrone gesehen, wäre mir da dieser Ausdruck schon bekannt gewesen...

Folglich waren meine Eltern, als ich mich als junger Mann vom Zuhause löste, schon sehr glückliche alte Menschen und  ein Leitbild für dieses Stadium meiner eigenen Zukunft. Da sie so fit und unternehmungslustig waren, richtete ich mein Leben also auf diesen imaginären Zustand aus. Das bedeutete in der Konsequenz, dass ich das pure Leben für einen Moment nach der Erwerbstätigkeit aufsparte und Dinge der persönlichen Wertschöpfung  - also Handlungen und Erbauungen ganz für mich allein - auf diesen diffusen Zeitpunkt in Richtung  "60plus" verschob.

Damit kein falscher Eindruck ensteht: Das Schicksal hat mir Erlebnisvielfalt in einer Dichte beschert, wie sie vermutlich nur wenigen Menschen zuteil wird. Was ich in nur einem Jahr erlebt habe, hätte andere für ein ganzes Leben befriedigt. Noch dazu sind meiner Familie und mir auch noch wirkliche Schicksalsschläge erspart geblieben. Was also beunruhigt mich? Wieso habe ich beim Löcher in die Luft Starren ein derart schlechtes Gewissen?

Ganz einfach. Es ist die völlig falsche Vorstellung, die ich in mir über diese Phase der Lebens genährt habe. Zunächst muss ich gestehen, dass ich mich mit dem Alter philosophisch erstmals beschäftigt hatte, als ich 23jährig mit einem französischen Allkampf-Weltmeister ein sportdidaktisches Buch über Karate verfasste. Er erklärte mir die Dan-Einteilung und deren jeweilige Farben der Gürtel, die gemäß des erreichten Könnens zum Kampfanzug getragen wurden. Er hatte natürlich einen Schwarzen der an einem Ende weiße Querstreifen als Zeichen der höchsten Meisterschaft hatte. Aber er meinte auch, er werde den Weißen nie mehr erreichen...

Und da war ich auf einmal mitten drin in der asiatischen Philosophie vom Kreislauf des Lebens. Den weißen Gürtel trägt nämlich nicht nur der reine Anfänger, sondern auch der Sensei und Leiter des Kodokan, der Meisterschule. Der Sensei hat demnach soviel Weisheit, Fähigkeit und  das Können erlangt, dass er sich am Ende des Kreises im 10. Dan wieder der Reinheit, Unkenntnis und Naivität des Schülers wohl wissend angleicht.

Damals fand ich diese Vorstellung erregend. Aber meine Reisen führten mich dann ja später selbst in die Länder des Judo (leichter Weg),  der Kara-Te (leere Faust) und zum Shaolin, dem Hort des Boxer-Mythos. Von den 1970ern (Bruce Lee) bis in die Jetztzeit (Ang Lee, der große Filmemacher) lebt ja dieser unsägliche Martial-Arts-Mythos konterkariert von dieser eigentlich niedlichen Gedanken-Welt fernöstlicher Unsterblichkeit, die vorne und hinten nicht stimmt und allenfalls dazu dient, Minderwertigkeitskomplexe ganzer Volksgruppen zu kompensieren.

Aber gibt es den "Circle Of Life", diesen Kreislauf, bei dem das Leben zum Ende quasi am Anfang anlangt? Der von mir sehr geschätzte italienische Kollege Tiziano Terzani, dessen Leben zu meinem viele Parallelen aufwies, hat nach finalen spirituellen Aufenthalten im Himalaya ein hinreißendes Buch über seinen Krebs-Tod geschrieben. Es ist mittlerweile auch  beeindruckend mit Bruno Ganz als Terzani verfilmt worden: La fine è il mio inizio. Das Ende ist mein Anfang.

Es käme demnach also nur darauf an, sich an der angehäuften (Alters?)Weisheit und dem erworbenen (körperlich bedingt aber nachlassendem) Können zu erfreuen, um die letzten Jahre - mögen sie noch so Schreckliches bereit halten - entspannt zu verbringen? Friedrich Nietzsche - unser Allkampf-Philosophie-Weltmeister - hat ja auch in diese Richtung gedacht, als er meinte, der wahre Autor schreibe, um sich im Alter daran selbst zu erfreuen.

Das ist ja alles gar nicht tröstlich! Was habe ich da noch für einen weiten, sich windenden Weg (Wild And Winding Way - The Beatles) vor mir? Im Moment bin ich - wenn ich mich mal aus der Altersstarre löse - noch gar nicht genug kontempliert. Nein, ich platze sogar vor Wut, dass es alte, selbstverliebte Säcke wie Peer Steinbrück, Rainer Brüderle oder diesen Botox-Maskenmann Berlusconi  gibt, die meinen, das Wohlergehen eines Staates hinge davon ab, dass sie noch einmal den Sensei gäben. Da wird mir ja sogar der deutsche Noch-Papst sympathisch, der wusste, wann es Zeit war, dem Alter exemplarisch Tribut zu zollen!

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen