|
Horror in Überlänge von Charles Robert Maturin 1782 - 1824 |
Mir ist natürlich klar, dass Happyend ein Begriff ist, der vom Kino stammt und auch in der Literatur verwendet wird. Die fürsorglichste aller meiner Ehefrauen zum Beispiel guckt und liest eigentlich nur Handlungen die am Ende "gut ausgehen". In unserer ersten gemeinsamen Zeit hat sie sogar mitunter den Schluss zuerst gelesen, um auf Nummer sicher zu gehen... Später hat sie mich trickreich noch als Test-Leser eingespannt, obwohl ja sie es war, die noch als Buchhändlerin arbeitete und tonnenweise Lese-Exemplare von den Verlagsvertretern mit nach Hause schleppte. Das Ende dieses "Vorlesens" waren eine edle Dünndruck-Ausgabe von William Thakerays "Jahrmarkt der Eitelkeiten" und gleich darauf eine Neuauflage von "Melmoth der Wanderer" von Charles Maturin, Genau weiß ich es nicht mehr, aber die Lektüre von mehr als tausend Seiten hatten mir fast einen ganzen Urlaub versaut.
"Das ist ja total unverdauliches Zeug," teilte ich meiner Frau erschöpft mit.
Sie darauf: "Dann brauche ich es ja nicht mehr zu lesen. Und bestellen muss ich es für
meine Kundschaft erst recht nicht!"
|
William Makepeace Thakeray 1811 - 1863 Selbstbildnis Quelle: wikipedia |
Als wir nach Italien umzogen, umfasste die eingebaute Bücherwand in Deutschland etwas mehr als tausend Bände. Wir trennten uns von allem, was wir nicht noch einmal lesen würden. Neuerscheinungen, zu denen wir nicht mehr gekommen waren, zogen mit um, aber auch unsere Lieblingsbücher. Ein Jahrzehnt etwa luden wie aus der Bestseller-Liste nach, aber dann fragte uns auch schon keiner mehr wie früher nach Literatur-Tipps.
Mein Amerikanistik studierender Sohn lud mir aus dem "Gutenberg Projekt" kostenlos Autoren der Amerikanischen Moderne auf meinen "Reader", und als ich die durch hatte, war auf einmal auch Schluss mit Schmökern. Mir fielen nach ein paar Seiten die Augen zu oder ich las Texte zweimal, weil deren Sinn mein Verständnis nicht mehr erreichte. Bei Hörbüchern ging es mir genauso. Die hervorragende Leserin Gaby Dom zum Beispiel wirkte auf mich besser als jedes Schlafmittel. Hören während langer Autofahrten war deshalb - wie eigentlich geplant - . kein Lektüre-Ersatz.
Im vergangenen Sommer begann für meine Frau auf der Burg gewissermaßen der weite Frühling des Lesens. Es hatte sich auf einmal ganz von selbst ein automatischer "Ringtausch" unter den Burggeistern ergeben. Eine deutsche Nachbarin hatte damit begonnen: Ausgelesene Bücher liegen seither auf einem geschützten Sims bei den Mülltonnen. Bei der erweckten Leselust konnte ich natürlich nicht hintan stehen. Also begann ich zuerst die noch nicht gelesene Bände aus unseren Regalen und danach alte Lieblings-Literaten wieder zu lesen. Es flutschte zwar nicht mehr wie in früheren Zeiten, als ich noch mindesten fünf Bücher pro Monat gelesen hatte, aber ich war auch nicht mehr so ungeduldig. Also als Leser gab es schon deshalb kein Happyend, weil mich das zur Sucht gewordene "Streamen" von Spielfilmen, Serien und Dokus allein schon zeitlich ziemlich beanspruchte.
Gezwungenermaßen erinnerte ich mich dann beim Bedienen meiner Blogs an den Satz eines gleichaltrigen Kollegen: "Das bisschen, was ich noch lese, schreibe ich mir wohl selbst."
Entlehnt macht der Begriff Happyend in diesen Zeiten überhaupt keinen Sinn mehr. Der Krieg in der Ukraine wird gewiss zu keinem glücklichen Ende gelangen. Und auch für den Zustand unseres Planeten ist die Gelegenheit zum Happyend längt abgelaufen. Nach diesem merkwürdigen Winter, in dem auch im Privaten einiges an Unglücken geschah, ordne ich das "Glück am Ende" nachdenklich neu ein. Langjährige Freunde und Bekannte, die ein glorreiches Leben geführt hatten, starben elendig lang an schleichenden Krankheiten oder vor allem weil sie einfach alt geworden waren.
Meine Meinung zum Enden: Seien wir doch mehr für den Augenblicke eines möglichen Happyends in dem Bewusstsein dankbar, dass sie nur Momentaufnahmen eines Films oder gelungene letzte Zeilen eines Textes sind. Aber glücklicher Weise verrät das schönste, fiktionale Happyend nicht, wie alles wirklich einmal enden wird.
Dieser Gedanke wiederum ruft mir einen der brillantesten Humoristen Deutscher Sprache in Erinnerung: Kurt Tucholsky erkannte - wegen der Nazis im schwedischen Exil ausharrend und dort sterbend - dass es für ihn kein Happyend in Deutschland mehr geben würde... Umso erstaunlicher wie er im Lied
"Danach" das Happyend berlinernd auf die Schippe nimmt!
Es wird nach einem happy end
im Film jewöhnlich abjeblendt.
Man sieht bloß noch in ihre Lippen
den Helden seinen Schnurrbart stippen –
da hat sie nun den Schentelmen.
Na, und denn – ?
Denn jehn die beeden brav ins Bett
Naja ... diß is ja auch janz nett.
A manchmal möchte man doch jern wissen:
Wat tun se, wenn se sich nich kissen?
Die könn ja doch nich immer penn ... !
Na, und denn – ?
Denn säuselt im Kamin der Wind.
Denn kricht det junge Paar 'n Kind.
Denn kocht se Milch. Die Milch looft üba.
Denn macht er Krach. Denn weent sie drüba.
Denn wolln sich beede jänzlich trenn ...
Na, und denn – ?
Denn is det Kind nich uffn Damm.
Denn bleihm die beeden doch zesamm.
Denn quäln se sich noch manche Jahre.
Er will noch wat mit blonde Haare:
vorn doof und hinten minorenn ...
Na, und denn – ?
Denn sind se alt.
Der Sohn haut ab.
Der Olle macht nu ooch bald schlapp.
Vajessen Kuß und Schnurrbartzeit –
Ach, Menschenskind, wie liecht det weit!
Wie der noch scharf uff Muttern war,
det is schon beinah nich mehr wahr!
Der olle Mann denkt so zurück:
wat hat er nu von seinen Jlück?
Die Ehe war zum jrößten Teile
vabrühte Milch und Langeweile.
Und darum wird beim happy end
im Film jewöhnlich abjeblendt.
Hier eine Blues-Interpretation von Ulrich Julius
https://www.google.com/search?q=Wer+hat+Tucholskys+%22Danach%22+gesungen&biw=1280&bih=577&tbm=vid&sxsrf=AJOqlzVj_zJ-VnN6Cx7Ofp4T4dwWA09ZNQ%3A1674904217771&ei=mQLVY5zaLraK9u8P-IqvuAc&ved=0ahUKEwjciru3kOr8AhU2hf0HHXjFC3cQ4dUDCA0&uact=5&oq=Wer+hat+Tucholskys+%22Danach%22+gesungen&gs_lcp=Cg1nd3Mtd2l6LXZpZGVvEAMyBwgAEB4QogQyBwgAEB4QogQyBQgAEKIEMgUIABCiBDIFCAAQogQ6BwgjEK4CECc6BggAEBYQHjoGCAAQHhANOggIABAFEB4QDToFCCEQoAFQhCBY2LUBYK3JAWgAcAB4AIABkwGIAYEOkgEEMTEuN5gBAKABAcABAQ&sclient=gws-wiz-video#fpstate=ive&vld=cid:09bbad02,vid:CIqViF3LjmA
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen