Montag, 2. Januar 2023

Der Mensch und sein Momentum

 Können wir nach diesem Neujahrs-Wochenende noch für einen Moment inne halten, aus dem Memento heraustreten, um sich allein ums eigene Momentum zu sorgen?
Der Papa Tedesco emerito hat nach dem Rücktritt die Reise zu seinem Gott angetreten. Auf Erden hatte er, den sie Ratzi nannten, wirklich ein bemerkenswertes Momentum. Allerdings aus der Sicht eines Ungläubigen waren da auch Irrungen und Wirrungen - also allzu schräge Kurven - in seinem Momentum.

Die zwei Päpste: Franziskus und Benedikt
Quelle: Kirchenbote

Rund ums Glashaus explodierte gestern soviel Feuerwerk wie kaum jemals zuvor am friedlichen Himmel über München. Gleichzeitig  als Memento prasselten die todbringenden russischen Raketen ohne Pause auf die Ukraine hernieder.

Das neue Jahr so lautstark zu begrüßen, ist ein alter Brauch, der zwar schön anzuschauen war, aber in Minuten die Luft derart mit Schwefelgeruch sättigte, als hätte der Teufel seine feurige Hand an den Zündern gehabt.

Rückt man das Memento mori, also die Erinnerung, dass wir alle sterben, in den Vordergrund des schlechten Gewissens, dann sollten wir ichbezogen tatsächlich immer feiern, als gäbe es kein Morgen; also dem Momentum des freudigen Augenblicks so lange folgen wie es geht.

Dumm nur, wenn das Raum-Zeit-Kontinuum doch noch so viel mehr Tragödie für uns vorsieht...

Die fürsorglichste alle meiner Ehefrauen jubelt immer, wenn die digitalen Uhren eine Schnapszahl anzeigen. So auch als die Zeitanzeige bei der ZDF-Sylvester-Show in der vorletzten Stunde des Horrorjahres 2022 auf 22:22:22 umsprang. Sie wertet solch Konstellationen immer als Glücksmoment - egal wie es uns in unserem privaten Momentum gerade generell geht.
Da fällt mir dann immer das Einstein-Zitat ein, nach dem die Zeit eine Erfindung des Menschen sei.

Erst im 14, Jahrhundert soll Homo sapiens damit begonnen haben, der Zeit Maß und Form zu geben Damit begann er dann, sein Leben gerade zu süchtig,  auf die von den Kirchen mythisch fixierten  Momente zu konzentriere. Allerdings um dann bald zu kapieren, dass solche Momente so flüchtig sind, dass er sie bis zum heutigen Tag reell eigentlich nicht recht zu fassen bekommt:

Wenn ein Moment zum Anfang eines Momentum wird 
Quelle: pixabay


Dem Vorschul-Kind erscheinen die Weihnachtszeit und die Tage "zwischen den Jahren" wegen der Rituale und Mythen fast schon unendlich fortzuschreiten, Je älter der Mensch jedoch wird, desto nüchterner verläuft sie, weil vielen dann der Glaube angesichts des Zustandes unserer Welt irgendwann abhanden kommt. Das wochenlange Momentum mit Dauerberieselung von Weihnachtsschlagern und Werbebotschaften zielt auf nur diesen einen Moment hin. Der endet meist in der nüchternen Erkenntnis, dass der ganze Zauber stets in nur wenigen Stunden vorbei ist.

Literatur-Nobelpreisträger (1972?
Heinrich Böll
1917 - 1985
Quelle: domradio.de
Heinrich Böll hat die Sucht nach der unendlichen Verlängerung dieses Gefühls in seiner Erzählung "Nicht nur zur Weihnachtszeit" köstlich verhohnepiepelt. Auf YouTube gibt es die gelungenen Verfilmung:
 https://www.youtube.com/watch?v=uNxgRkdhVjY.

Edith Heerdegen als weihnachtssüchtige
Tante Milla in der ZDF-Verfilmung von
"Nicht nur zur Weihnachtszeit" (1970)

Quelle TV-Spielfilm



Was am Ende vom Augenblick bleibt, ist allein die im Alter hinzu gewonnene Erkenntnis:

Jeder Moment verblasst irgendwann im Memento, davor kann uns selbst das eigene, noch so großartige Momentum nicht bewahren...



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