|
Siegfried Freund 1856 - 1930 Quelle: Wikipedia |
Vor ein paar Tagen textete ich ja über meine Träume. Am 4. November 1899 erschien vordatiert auf 1900 Siegmund Freuds Hauptwerk "Die Traumdeutung". Diese zum Teil durch seine persönlichen Erlebnisse animierte Grundlage zur akademischen Psychoanalyse gilt heute immer noch als richtungsweisend für viele Therapeuten. Freuds Thesen mögen im Ansatz stimmen, aber sie sind ohne die kritischen Einwände seines Freundes und späteren Widersachers Carl Gustav Jung leicht ein fehlerhaftes Werkzeug für jene "Seelen-Klempner", die sie allein und klassisch anwenden. Nicht umsonst gilt ja C.G. Jung als eigentlicher Begründer der analytischen Psychologie.
|
Carl Gustav Jung 1875 - 1961 Quelle: amazon.de |
Wenn ich hier und heute über das Thema schreibe, dann nicht aus Kenntnis beider Arbeit und Veröffentlichungen, sondern als ein Opfer dilettierender Epigonen. Eventuell Betroffenen könnte das vielleicht die Augen zu öffnen:
Mitte der 1980er litt ich durch meine selbst verursachte, ehrgeizige Arbeitsüberlastung an Symptomen, die man heute als ernste Erkrankung unter dem Namen "Burnout" anerkennt. Als Vielflieger begann es damit, dass ich in Flugzeugen Panik-Attacken bekam, wenn ich beim "Boarding" gestresst war. Tunnel, schneller Lichtwechsel oder Staus im Straßenverkehr brachten mich zunehmend durch Schnappatmung an den Rand einer Ohnmacht. Musste ich irgendwo in größere Menschenansammlungen eintauchen, fehlte nicht viel und ich hätte um mich geschlagen...
Komischer Weise funktionierte ich dann bei der Arbeit aus meiner Sicht tadellos, was meine Mitarbeiter in meinem Umgang mit ihnen vielleicht nicht so empfanden. In einer ruhigeren Phase las ich von einer Versuchsgruppe, die das Max Planck Institut zusammenstellen wollte. Ich hätte schon vorgewarnt sein sollen, dass ich derart begeistert aufgenommen wurde. Ich bekam eine Berufsanfängerin als psychologische Begleitung aber vor allem einen Vierteljahres-Vorrat eines Medikamentes, das gerade in den USA zugelassen worden war. Armeebraune Kapseln, die ich nach einem Steigerungsplan unter psychologischer Begleitung einnehmen sollte. Am Ende dieses Vierteljahres brachten mich auf Reportage unüberwindbare Träume zum ersten Mal in die Nähe eines Suizids. Ich wollte nach der Rückkehr sofort aus dem Programm raus. Die Nachbearbeitung machte ein Arzt, den ich durch Zufall beim Squash traf. Wir tranken ein Weißbier zusammen, und er eröffnete mir: "Du bist im Prinzip nicht in Gruppen threrapierbar. Wie viele Schreiberlinge leidest du an dem, was wir intern als Hemingway-Syndrom bezeichnen. Versuch es besser mal mit Einzelanalyse."
Nach einer Probeanalyse durch einen Vertrauensarzt wies mir meine Krankenkasse einen Analytiker zu, der mir bei der ersten Besprechung gleich mitteilte, dass ihm der Stundensatz der Kasse bei mir nicht reichte. Er verlangte einen stattlichen Zuschlag pro Sitzung mit der Begründung, dass ich seine Arbeit wertschätzen müsse - und außerdem, weil ich es mir ja leisten könne...
|
Quelle: de.dreamstime.com |
Und so begannen durch die freudsche Einzelanalyse auf der klassischen Couch zwei Jahre, in denen ich bei jeder Sitzung meine Träume vortrug, die ich zuvor auch noch haarklein handschriftlich aushändigen musste. Dass der Analytiker ein arroganter und eitler Fatzke war, der sich hinter mir - nichts von meinem weiten Gesichtsfeld ahnend - durch Gesten über meine Freudlosigkeit lustig machte, hätte ich gut verkraften können. Denn im Prinzip hielt er mir ja charakterlich nur den Spiegel vor.
Aber nach einem Jahr Therapie fand ich mich im Zentrum von Madrid in den ersten Morgenstunden auf der Dachterrasse meines Hotels wieder, nachdem mich eine würgende Depression zum Durchdrehen gebracht hatte. Diesmal war ich noch näher am Springen. Es war jedoch die Zeit der sogenannten "Movida". Der Vorplatz und die Bürgersteige waren voller fröhlich lärmender Nachtschwärmer. - Was, wenn ich auf einen fiele? Und was würde aus meiner Familie? Ich kehrte in mein Zimmer zurück und verschlief traumlos den halben Tag. Als ich dem Therapeuten davon erzählte, meinte er nur lapidar: "Und sind sie gesprungen? Ich werte das schon mal als riesen Erfolg."
Ich begann den Kerl aufrichtig zu hassen, und als ich im nächsten Jahr im Beisein meines Art-Directors beim Bildrechte Einkaufen im entsetzlich heißen New York vor einem Gemälde in der Paul Whitney-Gallery eine Art Nervenzusammenbruch hatte, war Schluss mit Herumdoktoren. Nachdem ich auch den Heimflug nur so ach und krach überstanden hatte, rief ich den Meister meiner Träume zur vereinbarten Stunde an und sagte ihm, dass ich nicht mehr käme. Er meinte nur kühl: "Aber den angefangenen Monat müssen Sie noch zahlen!"
|
Mein Acryl-Wut-Gemälde: Die "Midas Apokalypse" entstand 2020 nach einem meiner eher harmloseren Träume |
Als wir uns beim Radeln fast ein Jahrzehnt später zufällig begegneten, strahlte er mich an und erkundigte sich nach meinem Befinden, ohne die Therapie zu erwähnen. Tatsächlich waren die Symptome trotz noch höherer Arbeitsbelastung nahezu verschwunden. Aber das verdankte ich nicht ihm, sondern einem Beitrag, den ich im Autoradio gehört hatte. Da wurde das Thema Depressionen diskutiert, und einer der Experten sagte etwas, das seither mein Mantra ist:
Im Gegensatz zu anderen ernsten Erkrankungen sollte sich der Patient vergegenwärtigen, dass jede Depression nicht von Dauer ist, Also kann er sie auch überwinden, wenn er ihr wie einer Erkältung begegnet - also sie annimmt, sowie Geist und Körper die entsprechend erforderliche Ruhe gönnt...
|
Quelle: traumdeutung.de |
Beim Erwachen erinnere ich mich immer noch - als Erbe aus der Therapie - an die meisten meiner Träume bis ins kleinste Detail. Und oft wird dadurch eine Depression ausgelöst, die mich vor allem deswegen ärgert, weil ich durch sie mittlerweile weiß, dass ich manches in meinem Leben immer noch nicht richtig aufgearbeitet habe. Dass meine Träume allerdings jemals "Wunschvorstellungen" nach freudscher Lesart waren, kann ich dabei nicht bestätigen.