Dienstag, 30. April 2024

Kindermund tut Spionage kund

Fortsetzung vom 28. April:

Das von Spionage umwobene "Dienstreihenhaus"
in München-Bogenhausen

Markus Wolf 2006 in einem 
denkwürdigen Interview mit dem WDR
 Ist es statthaft erfolgreiche Spione als Helden zu feiern? Am Leipziger Platz 9 in Berlin können Interessierte das "Deutsche Spionage-Museum" besuchen, wo die Helden der Schattenwelt ausführlich dokumentiert werden. An der Schnittstelle des Kalten Krieges hing doch der Status des geteilten Berlin nicht selten mit der Gefahr eines unmittelbaren atomaren, Dritten Weltkrieges zusammen. Als Guillaume seinen Kanzler verriet, war das spionagetechnisch die absolute Meisterleistung. Der Architekt der DDR-Auslandsspionage war Markus Wolf, ein eloquenter Intellektueller, mit der schriftstellerischen Begabung seines Vaters und einem Talent für den Rundfunk ausgestattet. Als linientreuer Kommunist war er der Gegenspieler des ranghohen Nazi-Offiziers Reinhard Gehlen, der die westdeutschen Geheimdienste strukturierte und koordinierte. An beiden Personalien wird die Absurdität dieses Berufszweiges besonders deutlich. Verrat als Arbeitsmodell wurde auf der ganzen Welt meist mit dem Tode bestraft. Reinhard Gehlen konnte mit dem Segen der Alliierten gleich effektiv für den  Westen weiter machen, während Markus Wolf sich nach dem Fall der Mauer und einer Odyssee durch den Ostblock von Glasnost und Perestroika in die Arme der wieder vereinten Deutschen Justiz getrieben fühlte. Die verurteilte ihn 1993 zu nur sechs Jahren, was Gehlen vermutlich in seinem Grab hätte rotieren lassen. Der  bereits 70jährige musste keinen Tag einsitzen. Er verstarb mit 83 Jahren friedlich in der Bundeshauptstadt (!) Schon 1995 war aber die Grundsatzentscheidung schon gefallen, DDR-Spione nicht länger strafrechtlich zu verfolgen...

So glücklich und dankbar ich als Niemand der Zeitläufte heute bin, das alles noch erlebt zu haben.  Ich muss doch noch davon erzählen, wie es in den 50er und 60er Jahren - ja bis hinein in in meinen Reporterjahre war, mit der Angst zu leben, bespitzelt zu werden.

Ob zu fünft im Käfer durch den eigentlich
damals noch gesperrten  Balkan, Ob zu viert
in die Türkei und nach Persien: Der kleine,
blonde Spion schnappte immer auf, was er nicht hören sollte
Lektion 3: Trotz seines Status als bedingter Geheimnisträger und trotz der Nachbarschaft ließ sich mein Vater nie von seinen damals noch abenteuerlichen Reiseplänen samt Familie abbringen. Schon 1956 ging es minutiös geplant, damals noch von Hamburg aus, in die Türkei, vier Jahre später sogar bis nach (ehemals) Persien. 1964 in die damalige Tschechoslowakei. Diese Reisen mussten angemeldet und genehmigt werden, was zu bizarren Begegnungen aber auch lebenslangen Bekanntschaften in Ländern führte, zu denen es ansonsten keinen Kontakt gab.
So speiste die gesamte Familie in Sofia, der Hauptstadt des streng stalinistischen  Bulgarien (durch das wir nur in von Militärs bewachten Konvois fahren durften) beim Amerikanischen Konsul. In Istanbul erwartete uns bei der ersten Reise ein "alter Bekannter" im Hotel. Beim zweiten Aufenthalt waren wir zu Gast in der Familie eines Hochrangigen Türkischen Verbindungs-Offiziers zur NATO.  Auf der Rückreise wurde mein Vater in Ankara auf der Botschaft getadelt, weil wir ein paar Tage hinter dem von ihm eingereichten Zeitplan her hinkten.
Erst als es nach meiner Konfirmation im Frühling nach Prag ging, machte ich mir erstmals  einen Reim auf die Zufälligkeit solcher Begegnungen. Ich war auf der Kleinseite an der Moldau unter blühenden Bäumen zum Fotografieren mit meiner neuen Kamera unterwegs. Da war ich noch ein Fan selbst entwickelter Schwarzweiß-Fotografie und schraubte daher ständig für weitere Aufnahmen an der Belichtung herum. Ein älterer Herr äußerst gepflegter Erscheinung sprach mich von hinten in einem Deutsch an, das Robert Musil vermutlich als kakanisch beschrieben hätte. - Jahrzehnte später hätte ich die einkreisenden Fragen, die er mir stellte, sofort einordnen können. Er erzählte über sich, um dann blitzschnell offenbar aus einem speziellen Wissen heraus, Fragen zu Details unserer Reise zu stellen, die ich aber zuvor gewiss nicht preisgegeben hatte. War er nun Freund oder Feind gewesen? Ich traute mich nicht, meinen Eltern von dieser Begegnung zu erzählen. aus Angst ich könnte etwas unbewusst verraten haben. Oder hatte er mir in Kenntnis von der Stellung meines Vaters Hinweise auf den sich anbahnenden politischen "Prager Frühling" gegeben. Es war jedenfalls der Beginn meiner latenten Paranoia, denn kaum zuhause angekommen, bombardierten mich auch die Eltern meiner Spielgefährten mit Fragen über Prag und das, was ich sonst noch im Land gesehen hätte.

Lektion 4: Die Häuser-Reihe uns gegenüber jenseits der großen Spielwiese  wurde direkt neben  den beiden Häusern des Konsuls von einem US-Spitzenagenten bewohnt, der durch eine Serie einer deutschen Illustrierten öffentliche Berühmtheit erlangte. Der in Deutschland geborene und als Jude noch rechtzeitig 1938 emigrierte Nachrichten-Offizier war mit der "Operation  Greenup" beauftragt worden. Mit seinen Kameraden, die allesamt per Fallschirm in den winterlichen Ötztaler Alpen abgesetzt worden waren, sollte er Bahnlinien zerstören, den Bau von Hitlers "Alpenfestung" behindern und gegebenen Falles dort festgehaltene prominente Geiseln befreien. Tatsächlich gelang es ihm noch, nachdem er bereits gefangen genommen, gefoltert worden war und beinahe schon auf den Erschießungstod gefasst war, dass ihm Innsbruck von den beängstigten Nazi-Statthaltern als "frei Stadt" übergeben wurde. Die Behauptung er, habe Deutschland nach dem Krieg nie wieder besucht, stimmt also - aus welchen Gründen auch immer, - nicht. Seine beiden kleinen Töchter aus einer Ehe mit einer Filipina versuchten uns einmal hinter unserem Haus gepflückte Blumen an unserer Vordertür zu verkaufen. Früh krümmt sich, was ein Häkchen werden will.

Die Häuser neben seinem wurden von den Männern der Konsulatswache bewohnt. Alles  hoch dekorierte "Ledernacken", die gerne ihren Frust an mir als hoch aufgeschossenen blonden "Nazi-Boy" mit Jiu Jitsu-Würfen abarbeiteten. Allerdings war ich dann mit 14 doch schon so groß, und schwer, dass ich ihre Ansätze mit abgeguckten Gegengriffen kontern konnte. Woraus sich eine Art freundschaftliche Beziehung ergab. Auch weil ich schnell zu einem Meister an ihrem Grill  wurde und bei den Gelagen manches erfuhr, was möglicherweise der Geheimhaltung oblag. Meine Fertigkeiten am Grill waren  aber auch bald nicht mehr geheim, und so wurde ich auch mit stattlich Trinkgeld in Dollar belohnt der Party-Griller des jüdischen US- General-Staatsanwaltes für Europa. Dessen beide Töchter, die mir alljährlich Valentins-Karten schickten, hatten ein Auge auf mich geworfen. Ihnen wurde aber in dem Moment der Umgang mit mir verboten, als meine erste große Liebe in der "Housing Area" bekannt wurde. Die war eine winzige "Afro-Eurasierin". Ihr schwarzer Vater war Funktechniker, ihre chinesisch stämmige Mutter Dechiffriererin. Entsprechend misstrauisch waren sie mir gegenüber.

Lektion 5: Und dann waren wir plötzlich alle "erwachsen", und die geheimen Verbindungen ließen mich trotzdem nicht los. Als ich ein Interview mit Valdemar Cierpinski, dem Marathon-Olympiasieger von Montreal und Moskau für meine Serie "Die Kehrseite der Medaillen" machen wollte, wurde mir das Journalisten-Visum für die DDR verweigert, weil ich mich angeblich bei den Olympischen Winterspielen von Innsbruck 1976 mehrfach zu abfällig über ihre Athleten geäußert hätte.
Das von der DDR-Führung
verhindert Interview:
Doppel-Olympiasieger
Waldemar Cierpinski
Quellen: Laufen 57
und Stadtsportbund Halle Saale

Mein erstes US-Journalisten-Visum bekam ich übrigens auch nur durch die Fürsprache unseres früheren Konsul-Nachbarn. Und dann hatte ich bei meinen Ostasienreisen mehrfach das Gefühl, ich sei ins Spektrum der CIA geraten. Merkwürdige Typen stellten mir an merkwürdigen Orten merkwürdig strukturierte Fragen. Aber da war ich wohl nicht mehr die "Person of  Intrest". Es lag wohl daran, dass ich bei einer Reise über Indonesien,  und die Philippinen bis nach Hongkong meinen Lieblingsschwager dabei hatte. Der wiederum hatte später bei einer Familienfeier scheinbar harmlos preis gegeben, er arbeite für die "Bundesvermögensverwaltung". Da fiel es meinem Vater und mir wie Schuppen von den Augen: Mein Vater war ja der Leiter der Bundesvermögensstelle gewesen. Über seinem Büro in der Kaufinger Straße hatte die Bundesvermögensverwaltung auch eines, Nur wussten wir, die "Vermögensverwaltung" war einer der Tarnnamen für die ansonsten in Pullach angesiedelten Dienste... 

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