Dienstag, 30. April 2024

Kindermund tut Spionage kund

Fortsetzung vom 28. April:

Das von Spionage umwobene "Dienstreihenhaus"
in München-Bogenhausen

Markus Wolf 2006 in einem 
denkwürdigen Interview mit dem WDR
 Ist es statthaft erfolgreiche Spione als Helden zu feiern? Am Leipziger Platz 9 in Berlin können Interessierte das "Deutsche Spionage-Museum" besuchen, wo die Helden der Schattenwelt ausführlich dokumentiert werden. An der Schnittstelle des Kalten Krieges hing doch der Status des geteilten Berlin nicht selten mit der Gefahr eines unmittelbaren atomaren, Dritten Weltkrieges zusammen. Als Guillaume seinen Kanzler verriet, war das spionagetechnisch die absolute Meisterleistung. Der Architekt der DDR-Auslandsspionage war Markus Wolf, ein eloquenter Intellektueller, mit der schriftstellerischen Begabung seines Vaters und einem Talent für den Rundfunk ausgestattet. Als linientreuer Kommunist war er der Gegenspieler des ranghohen Nazi-Offiziers Reinhard Gehlen, der die westdeutschen Geheimdienste strukturierte und koordinierte. An beiden Personalien wird die Absurdität dieses Berufszweiges besonders deutlich. Verrat als Arbeitsmodell wurde auf der ganzen Welt meist mit dem Tode bestraft. Reinhard Gehlen konnte mit dem Segen der Alliierten gleich effektiv für den  Westen weiter machen, während Markus Wolf sich nach dem Fall der Mauer und einer Odyssee durch den Ostblock von Glasnost und Perestroika in die Arme der wieder vereinten Deutschen Justiz getrieben fühlte. Die verurteilte ihn 1993 zu nur sechs Jahren, was Gehlen vermutlich in seinem Grab hätte rotieren lassen. Der  bereits 70jährige musste keinen Tag einsitzen. Er verstarb mit 83 Jahren friedlich in der Bundeshauptstadt (!) Schon 1995 war aber die Grundsatzentscheidung schon gefallen, DDR-Spione nicht länger strafrechtlich zu verfolgen...

So glücklich und dankbar ich als Niemand der Zeitläufte heute bin, das alles noch erlebt zu haben.  Ich muss doch noch davon erzählen, wie es in den 50er und 60er Jahren - ja bis hinein in in meinen Reporterjahre war, mit der Angst zu leben, bespitzelt zu werden.

Ob zu fünft im Käfer durch den eigentlich
damals noch gesperrten  Balkan, Ob zu viert
in die Türkei und nach Persien: Der kleine,
blonde Spion schnappte immer auf, was er nicht hören sollte
Lektion 3: Trotz seines Status als bedingter Geheimnisträger und trotz der Nachbarschaft ließ sich mein Vater nie von seinen damals noch abenteuerlichen Reiseplänen samt Familie abbringen. Schon 1956 ging es minutiös geplant, damals noch von Hamburg aus, in die Türkei, vier Jahre später sogar bis nach (ehemals) Persien. 1964 in die damalige Tschechoslowakei. Diese Reisen mussten angemeldet und genehmigt werden, was zu bizarren Begegnungen aber auch lebenslangen Bekanntschaften in Ländern führte, zu denen es ansonsten keinen Kontakt gab.
So speiste die gesamte Familie in Sofia, der Hauptstadt des streng stalinistischen  Bulgarien (durch das wir nur in von Militärs bewachten Konvois fahren durften) beim Amerikanischen Konsul. In Istanbul erwartete uns bei der ersten Reise ein "alter Bekannter" im Hotel. Beim zweiten Aufenthalt waren wir zu Gast in der Familie eines Hochrangigen Türkischen Verbindungs-Offiziers zur NATO.  Auf der Rückreise wurde mein Vater in Ankara auf der Botschaft getadelt, weil wir ein paar Tage hinter dem von ihm eingereichten Zeitplan her hinkten.
Erst als es nach meiner Konfirmation im Frühling nach Prag ging, machte ich mir erstmals  einen Reim auf die Zufälligkeit solcher Begegnungen. Ich war auf der Kleinseite an der Moldau unter blühenden Bäumen zum Fotografieren mit meiner neuen Kamera unterwegs. Da war ich noch ein Fan selbst entwickelter Schwarzweiß-Fotografie und schraubte daher ständig für weitere Aufnahmen an der Belichtung herum. Ein älterer Herr äußerst gepflegter Erscheinung sprach mich von hinten in einem Deutsch an, das Robert Musil vermutlich als kakanisch beschrieben hätte. - Jahrzehnte später hätte ich die einkreisenden Fragen, die er mir stellte, sofort einordnen können. Er erzählte über sich, um dann blitzschnell offenbar aus einem speziellen Wissen heraus, Fragen zu Details unserer Reise zu stellen, die ich aber zuvor gewiss nicht preisgegeben hatte. War er nun Freund oder Feind gewesen? Ich traute mich nicht, meinen Eltern von dieser Begegnung zu erzählen. aus Angst ich könnte etwas unbewusst verraten haben. Oder hatte er mir in Kenntnis von der Stellung meines Vaters Hinweise auf den sich anbahnenden politischen "Prager Frühling" gegeben. Es war jedenfalls der Beginn meiner latenten Paranoia, denn kaum zuhause angekommen, bombardierten mich auch die Eltern meiner Spielgefährten mit Fragen über Prag und das, was ich sonst noch im Land gesehen hätte.

Lektion 4: Die Häuser-Reihe uns gegenüber jenseits der großen Spielwiese  wurde direkt neben  den beiden Häusern des Konsuls von einem US-Spitzenagenten bewohnt, der durch eine Serie einer deutschen Illustrierten öffentliche Berühmtheit erlangte. Der in Deutschland geborene und als Jude noch rechtzeitig 1938 emigrierte Nachrichten-Offizier war mit der "Operation  Greenup" beauftragt worden. Mit seinen Kameraden, die allesamt per Fallschirm in den winterlichen Ötztaler Alpen abgesetzt worden waren, sollte er Bahnlinien zerstören, den Bau von Hitlers "Alpenfestung" behindern und gegebenen Falles dort festgehaltene prominente Geiseln befreien. Tatsächlich gelang es ihm noch, nachdem er bereits gefangen genommen, gefoltert worden war und beinahe schon auf den Erschießungstod gefasst war, dass ihm Innsbruck von den beängstigten Nazi-Statthaltern als "frei Stadt" übergeben wurde. Die Behauptung er, habe Deutschland nach dem Krieg nie wieder besucht, stimmt also - aus welchen Gründen auch immer, - nicht. Seine beiden kleinen Töchter aus einer Ehe mit einer Filipina versuchten uns einmal hinter unserem Haus gepflückte Blumen an unserer Vordertür zu verkaufen. Früh krümmt sich, was ein Häkchen werden will.

Die Häuser neben seinem wurden von den Männern der Konsulatswache bewohnt. Alles  hoch dekorierte "Ledernacken", die gerne ihren Frust an mir als hoch aufgeschossenen blonden "Nazi-Boy" mit Jiu Jitsu-Würfen abarbeiteten. Allerdings war ich dann mit 14 doch schon so groß, und schwer, dass ich ihre Ansätze mit abgeguckten Gegengriffen kontern konnte. Woraus sich eine Art freundschaftliche Beziehung ergab. Auch weil ich schnell zu einem Meister an ihrem Grill  wurde und bei den Gelagen manches erfuhr, was möglicherweise der Geheimhaltung oblag. Meine Fertigkeiten am Grill waren  aber auch bald nicht mehr geheim, und so wurde ich auch mit stattlich Trinkgeld in Dollar belohnt der Party-Griller des jüdischen US- General-Staatsanwaltes für Europa. Dessen beide Töchter, die mir alljährlich Valentins-Karten schickten, hatten ein Auge auf mich geworfen. Ihnen wurde aber in dem Moment der Umgang mit mir verboten, als meine erste große Liebe in der "Housing Area" bekannt wurde. Die war eine winzige "Afro-Eurasierin". Ihr schwarzer Vater war Funktechniker, ihre chinesisch stämmige Mutter Dechiffriererin. Entsprechend misstrauisch waren sie mir gegenüber.

Lektion 5: Und dann waren wir plötzlich alle "erwachsen", und die geheimen Verbindungen ließen mich trotzdem nicht los. Als ich ein Interview mit Valdemar Cierpinski, dem Marathon-Olympiasieger von Montreal und Moskau für meine Serie "Die Kehrseite der Medaillen" machen wollte, wurde mir das Journalisten-Visum für die DDR verweigert, weil ich mich angeblich bei den Olympischen Winterspielen von Innsbruck 1976 mehrfach zu abfällig über ihre Athleten geäußert hätte.
Das von der DDR-Führung
verhindert Interview:
Doppel-Olympiasieger
Waldemar Cierpinski
Quellen: Laufen 57
und Stadtsportbund Halle Saale

Mein erstes US-Journalisten-Visum bekam ich übrigens auch nur durch die Fürsprache unseres früheren Konsul-Nachbarn. Und dann hatte ich bei meinen Ostasienreisen mehrfach das Gefühl, ich sei ins Spektrum der CIA geraten. Merkwürdige Typen stellten mir an merkwürdigen Orten merkwürdig strukturierte Fragen. Aber da war ich wohl nicht mehr die "Person of  Intrest". Es lag wohl daran, dass ich bei einer Reise über Indonesien,  und die Philippinen bis nach Hongkong meinen Lieblingsschwager dabei hatte. Der wiederum hatte später bei einer Familienfeier scheinbar harmlos preis gegeben, er arbeite für die "Bundesvermögensverwaltung". Da fiel es meinem Vater und mir wie Schuppen von den Augen: Mein Vater war ja der Leiter der Bundesvermögensstelle gewesen. Über seinem Büro in der Kaufinger Straße hatte die Bundesvermögensverwaltung auch eines, Nur wussten wir, die "Vermögensverwaltung" war einer der Tarnnamen für die ansonsten in Pullach angesiedelten Dienste... 

Sonntag, 28. April 2024

Wir sehen was, was ihr (noch) nicht wisst...

Quelle: Wikipedia
Guillaume, der "Kanzler-Flüsterer"
Kinder, wie die Zeit vergeht! In der vergangenen Woche war nicht nur der 50. Jahrestag der Aufdeckung der Guillaume-Affäre, die Kult-Kanzler Willy Brandt vor der Zeit zum Rücktritt zwang (Auch für Zeitzeugen ein Wiedererkennungswert in der Mediathek der ARD). Gleichzeitig wurde auch noch eine Hand voll Spione aufgescheucht, die im Verdacht stehen, gegenwärtig entweder für China oder Russland zu arbeiten. Nicht verwunderlich, dass dabei die bei Neo-Nazis so populäre AfD wieder einmal in den Fokus geriet.

Witzig ist allerdings, dass sich Deutschland, das aktuell mindestens drei "Geheimdienste" unterhält, von denen auch mäßig Interessierte wissen, sich sogleich empört, als täte es so etwas nicht. Vor allem wenn der Jetzt-Kanzler gerade zum Wohle der Wirtschaft bei dem möglicherweise bald wieder als "Reich der Mitte" zu bezeichnenden Handelspartner Nummer Eins weilt.

Jiang Zemin wurde nach seiner
Zeit als Bürgermeister
 von Shanghai Nachfolger
 von Deng Xiao Ping
in fast allen von dessen Ämtern.
Er starb 2022.
Kann ich mich als China-Experten bezeichnen, weil ich dort exakt zur Zeit der Wirtschaftsliberalisierung den zweiten Langnasen-Führerschein (驾照Jiàzhào) gemacht habe? Absolut nein! Aber immerhin habe ich mit dem kommenden Polit-Superstar und späteren Vorsitzenden des Zentralrats Brüderschaft getrunken. 1986 - das kann ich zusichern - hatte der ganz andere Vorstellungen vom "Wandel durch Annäherung". Den Begriff konnte er übrigens auf Deutsch zitieren.

Als Reporter war ich nie in Russland und in dessen Einflussbereichen, weil ich für die Reisezeitschrift, die ich verantwortlich redigierte das Credo ausgegeben hatte, nur von Reisen durch die "Freie Welt" zu berichten. Welche Geschichtsbücher und Politanalysen ich auch las, ich bin dem "Wesen des Bären" nie auf die Spur gekommen. Aber ich habe miterlebt, wie die Neureichen des dortigen "Turbo-STAMOKAP" (Staatsmonopolistischer Kapitalismus) in den europäischen Skigebieten mit Geld um sich schmissen und dabei die Preise und die Benimmregeln veränderten. Das könne nicht gut gehen, dachte ich schon damals ganz für mich.

Bin ich denn ein Kenner der Deutschen Geheimdienst-Szene? Jetzt kann ich es ja sagen: Ja, von klein auf. Die Leute auf die ich abhebe und von denen ich auch später welchen bei meiner Arbeit begegnete, waren zum Beispiel Nachbarn.
Und das kam so: Als mein Vater zum Leiter der Bundesvermögensstelle nach München berufen wurde, bekamen wir im Nobelviertel Bogenhausen eine großzügig große Dienstwohnung in einer Reihenhaus-Siedlung zugewiesen, in der Amerikaner vom Konsulat und hohe Offiziere wohnten. Der General-Konsul wohnte uns gegenüber jenseits der Spielwiese gleich in zwei Häusern, weil er elf Kinder hatte.

Neben uns zogen nach und nach weitere Deutsche Beamte  und Dienstränge in die vom US-Personal frei gemachten Häuser:

Lektion 1: Agenten sterben nicht einsam. Wenn sie gut sind, bekamen sie damals so ein Altersdomizil, das heute im renovierten Zustand fast 3000 Euro Miete kostet. Die "Agenten" hatten nicht nur Ehefrauen sondern auch Kinder. Das war der Schachpunkt dieses Wohnkonzeptes. Denn Kinder, die bald mehrsprachig kommunizieren, bildeten schnell über Nationalitäten hinweg eine Art "Fünfte Kolonne" und bekamen durch Hörensagen oft mehr mit, als den  Eltern und den Behörden wohl lieb sein konnte.

Lektion 2: Bis ich aufs Gymnasium kam, waren alle Eltern von uns Kids enttarnt. Unmittelbar neben uns wohnte ein ausbildender Führungsoffizier des MAD (Militärischer Abschirmdienst). Er hatte Sohn und Tochter etwa gleich alt.

Zunächst als Nazi-Spion von
den Alliierten dingfest
gemacht, wollten die dann
alles von ihm lernen:
Reinhard Gehlen, Begründer
der "Organisation Gehlen"
in einer Zeit, als Spione 
noch aussahen wie solche

Neben denen wohnte ein betagtes Mitglied des Deutschen Hochadels und Weggefährte von Reinhard Gehlen, dem Chef der Spionage-Abwehr. Da waren Kinder - wenn es welche gab - vermutlich schon aus dem Haus. Noblesse oblige - mit denen gab es so gut wie keinen nachbarschaftlichen Kontakt. Neben den Blaublütigen wohnte ein Spezialisten-Ehepaar mit slawischem Hintergrund. Die hatten zwei erwachsene Söhne und einen in meinem Alter, mit dem mich eine fast lebenslange Freundschaft und später eine berufliche Zusammenarbeit verband.  Daneben wiederum wohnte ein ganz junges Paar mit drei ganz kleinen Kindern, die von uns nicht "enttarnt" werden konnten, weil es eben keine  "Ansprechpartner" beim Spielen gab. Die restlichen beiden Häuser wurden von Spezialisten mit einschlägigen Fähigkeiten bewohnt. Der übergriffige Bundeswehroffizier mit zwei etwas älteren, weiblichen Teenies und einem nahezu erwachsenen Sohn hatte offenbar nicht nur ein Alkohol- sondern auch ein Führungsproblem. Am spannendsten für uns Kids - besonders an Silvester und am Independence-Day war jedoch ein Sprengstoff-Spezialist im letzten Haus der Reihe. Er hatte nicht nur eine Teenie-Tochter, die so hübsch war, dass sie Knaben-Träume beflügelte, sondern auch einen Bruder, der obwohl er älter war, gerne auf der Wiese zwischen den Häuserreihen Fußball oder Football mit uns spielte. Sein Vater war fähig, aus für uns unsichtbaren Zutaten in leeren Gurken-Eimern farbige Explosionen oder spannende bengalische Effekte zu erzeugen.

Fortsetzung mit den Lektion 3 bis 5 am Mittwoch, dem 1.Mai...

Der Tanz mit Agenten-Kindern:
Der Autor mit der 
unerreichbar schönen Nachbarin



Nur immer gut nachschauen, meinte Mutter,
was der Sprengstoff-Experte
da so für Partys zusammen mischte

Donnerstag, 25. April 2024

Das Ich nicht über das Wir stellen?


Quelle: pixabay
Die Umkehrung des "Souveräns" durch manipulative Politik

Manche Sätze kommen so wohlfeil daher, als kämen sie aus einem Manifest. So haben sie eine zeitverzögerte Wirkung, die einen zu spät drüber nachdenken lässt, ob sie überhaupt in den persönlichen Kontext passen. Ich kann mich deshalb nur noch schwach daran erinnern, aber ich glaube es war unser aller Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier. Von dem denke ich, dass er gemessen an seinen Ministerämtern, wohl den politischen Einfluss beim Repräsentieren vermisst. Vielleicht zwingen ihn aber auch die wirren Weltverhältnisse dazu, sich immer mehr als "Bundes-Außen-Präsident" zu sehen, Das tatsächlich im Kontrast zu den mädchenhaften Auftritten unserer jungen Außenministerin.

Quelle: deutschlandfunk.de
Zar Putin bei Steinmeier 2017 zu Gast
in der Deutschen Botschaft Moskau
im Hintergrund Außenminister Lawrow:
Repräsentieren gegen Allmachtstreben
"Das Ich nicht über das Wir stellen!", hat er seine Zuhörer bei dem mir leider nicht mehr so präsenten Auftritt aufgefordert. Großartige Umschreibung für den Begriff Solidarität dachte ich zunächst. Dann sprang in den letzten Tagen die Studie zur Befindlichkeit der jungen Deutschen in die Schlagzeilen. Gebeutelt und isoliert von Korona und seit Ausbruch diverser Schattenkriege bombardiert mit beinahe ausschließlich beängstigenden Nachrichten. - Auch was ihre wirtschaftlichen Aussichten angeht, sollte es doch wieder einmal Frieden geben. Sorgen die sich dann nicht verständlicher Weise erstmal allein ums Ich? Weil sie den eingefahrenen, politischen Systemen nichts mehr zutrauen, treibt sie das an, ihre Stimmen vorrangig einer Partei zu geben, die in schöner Regelmäßigkeit beschuldigt wird nicht konform mit unserer Verfassung zu gehen und in der Umstürzler agieren und die Spionage aus China und Russland unterstützten.

Quelle: alphaPROF
Wenn der Geschichtsunterricht an unseren Schulen zumindest ein Befriedigend bekommen hätte, könnte ein ehemaliger Gymnasial-Geschichtslehrer im Range eines Oberstudienrate nicht in Thüringen als Kandidat für den dortigen Ministerpräsidenten im Wahlkampf ungestraft mit Naziparolen schwadronieren. Hatten doch gerade die Nazis von jungen Menschen, die zäh wie Leder und hart wie Kruppstahl sein sollten doch hunderttausendfach verlangt, sich mit hintangestelltem Ich für das Wir einer verwirrten Elite in verbrecherische Schlachten zu stürzen und  - zu opfern... 
Das Wir über dem Ich kann verflucht mitreißend sein...
Je länger ich über die Überschrift zu diesem Post nachdenke, desto mehr bin ich überzeugt, dass gerade die Politik diese Opferbereitschaft  nicht explizit wieder unterschwellig von den Menschen in hehren Reden verlangen sollte. Wer jemanden auffordert sein Ich nicht über das Wir zu stellen, muss das bedingungslos vorleben. Besser wäre eine generelle Stimmung im Land, bei der es jedem aus innerer Überzeugung und auch ganz freiwillig leicht fällt, sich für das Wir stark zu machen.

Diese Stimmung haben wir zur Zeit ganz gewiss nicht.

Dienstag, 23. April 2024

Dystopische Utopien versus utopische Dystopien

 

Quelle: fototapete.de
Mit Laser-Schwertern in der Hand, wird der Krieg der Sterne wohl kaum gebannt

Es gibt wohl kein Metier, das den wesentlichen Charakterzug des Homo sapiens mehr entlarvt, als das Schreiben oder Filme Machen über eine Welt, wie sie in Zukunft sein könnte. Von Jules Verne über George Orwell bis hin zu Frank Herbert, Stanislaw Lem und Stanley Kubrick. Die Menschheit bleibt auch in den galaktischen Welten weiter so brutal und herrisch, wie sie in Gene Roddenberrys und George Lukas' Epen "Star Trek" und "Star Wars" auf Basis der realen Historie vor exerziert wurde:
Gleich nach dem Entdecken "neuer Welten" geht es sofort ums Erobern und Unterwerfen, Dann folgt die Ausbeutung, und letztlich sinnen die Unterworfenen und Ausgebeuteten nach Rache unter dem Vorwand, eine Freiheit wieder zu erlangen, die sie ja auch vorher als Individuum nie hatten.

Quelle: Hellenic Word Index
Selbst wenn Science Fiction unter dem Deckmantel von Fantasy auftritt, ist sie niemals lieb und sinnlich, sondern rauscht meist surfend auf einer Welle von Gewalt und Blutvergießen dahin. Der Mensch als Gattung folgt also stets einer Blaupause, in der der Krieg wirklich der "Vater aller Dinge" zu sein scheint. Heraklit von Ephesos, der griechische Philosoph, hat dies angeblich 520 v. Chr. - also selbst noch vor Sokrates - derart ultimativ erdacht.

Tatsächlich hat jeglicher Krieg die Menschheit jeweils aus ihren Trümmern wieder ein Stück weiter voran gebracht. Bis die Atom-Bomben auf Hiroshima und Nagasaki stürzten. Der "atomare Schreckensfrieden" zwischen den Großmächten hat aber bis heute nicht dazu geführt, dass nicht kleinere, gemeinere und keineswegs weniger blutige Auseinandersetzungen stattgefunden hätten; nicht selten sogar innerhalb einer Nation...

Jeglicher dieser sogenannten Stellvertreterkriege birgt in sich stets das Potenzial, für einen großen, alles vernichtenden atomaren Flächenbrand. - Also eines Krieges, nach dem wohl niemand mehr die  "Vaterschaft" kommender Dinge übernehmen kann, weil es dann für die Menschheit keine Zukunft mehr gibt.

Quelle: Vecteezy
Von Gaza und Irak zur Ukraine und nach Myanmar: Sind dies schon Stellvertreterkriege,
die uns auf die Apokalypse vorbereiten sollen?

Den Machtlosen bleibt da nur, hilflos staunend, zuzusehen, wie unsere Erde, die wir ja ohnehin schon durch unsere Lebensstandards und das industrielle "Wachstum auf Teufel komm raus" grenzenlos geschädigt haben,  zu einem Spielball wird, dem die Luft ausgeht.

Hat das Unterhaltungswert? Offenbar schon! Sonst würden gerade im Angebot aller Streamingdienste nicht Dystopische Utopien und utopische Dystopien überhand nehmen. Selbst in animierter "Fantasy" zerfetzen sich die gezeichneten Zappelfiguren mit allem was KI und die Computer technisch zur Umsetzung hergeben.

Quelle: Overwatch 2
Es ist macht keinen Unterschied, dass die sich im Chaos bekriegenden Elemente
 nur gezeichnet und animiert sind

Wenn die Unterhaltung aber nur noch die gewaltvolle Auseinandersetzung propagiert und offenbar unattraktive friedliche Lösungen als quasi unmöglich darstellen, was wird dann aus dem Weltbild unserer Kinder?  War die Friedensbewegung der vergangenen "Nachkriegsjahre" denn wirklich so naiv?

Dystopische Schilderungen aus einer ungewissen Zukunft  sollten doch wohl eher dazu aufrütteln, solche Verhältnisse nicht zuzulassen. Und wenn Weltfrieden auch in Zukunft nichts als Utopie für die Machtlosen sein wird, wäre doch für ihn zu kämpfen, erst recht absurd.

Interessant ist unter diesem Gesichtspunkt, dass Sprachforscher jüngst einen positiven Trend, bei der Einordnung des Begriffes Utopie entdeckt haben wollen:

Das Denkmodell
des Thomas Moore
sah Utopia als Insel
Definition: Was ist "Utopie"?

Eine Utopie (altgr. "ou": "nicht" und "tópos": "Ort", also "Nichtort") ist eine mögliche, gewünschte oder erträumte Lebensweise, Weltanschauung respektive Gesellschaftsordnung, die sich an einem anderen Ort, in der Zukunft oder in der Fiktion entfaltet. Im namensgebenden Roman "De optimo rei publicae statu deque nova insula Utopia" ("Vom besten Zustand des Staates oder von der neuen Insel Utopia") von Thomas Morus aus dem Jahre 1516 ist Utopia eine Insel mit einer idealen Gesellschaft.

Quelle: pinterest

Montag, 22. April 2024

Nachlassen beim Nachlass

 Vor ein paar Wochen ist der Bruder meiner Frau gestorben. er war eher ein Eremit und Einzelgänger, weshalb ich ihm nie besonders nahe stand. Umso mehr belastet sein Ableben meine Frau, die sich mit ihren beiden Schwestern und den Nichten um die Hauhaltsauflösung kümmern muss.
Die Familie meiner Frau ist im Jahre 1960 von Berlin in die Dienstwohnung meines Schwiegervaters nach München gezogen. Seither hat mein Schwager - mit Ausnahme arbeitsbedingter Aufenthalte woanders - sein Leben lang dort gehaust . Er hat weder nach Todesfällen noch seinem Geschmack folgend für sich allein je etwas an dieser Wohnung und ihrer Einrichtung verändert. Was sich da in beinahe 64 Jahren  an Wert und Krempel anhäuft, kann sich einer nur schwer vorstellen.

Ich bin in so einem Fall eher zum Nachlassverweigerer als  zum Nachlassverwalter geeignet. Als mein Elternhaus ausgeräumt werden musste, habe ich das eiskalt meiner Frau und einer meiner Schwestern überlassen. Was ich mir später nie verziehen habe, weil ich sie zum Schutz meiner eigenen Befindlichkeit ungeschützt der Raffgier und Rachsucht des Schwagers überlassen hatte.

Ich hab eindeutig Probleme mit persönlichen Hinterlassenschaften und Orten, die mein Leben zeitweise bestimmt haben.. Ich kann sie nicht betreten oder gar besuchen, ohne in den Kokon einer Zeitreise rückwärts eingewoben zu werden. "Lost Places" stürzen mich in depressive Erinnerungen, die mich dann ewig lang nicht loslassen. Ich habe den Wohnort meiner Eltern nach deren Tod nie wieder besucht. So wie ich auch nie wieder an Wohnungen und Häusern, die uns mal gehört haben, vorbei fahren möchte. Ganz schrecklich wird es bei Dingen, die von der Familie einst gemeinsam geschätzt wurden oder die von ihren Sammelleidenschaften zeugen. Diese  posthum ebenso zu schätzen, ist mir nahezu unmöglich. Ich bin absolut unfähig angesichts eines Nachlasses loszulassen.

Meine Frau und ich am 1.Januar 1976 frisch verheiratet
im verschneiten Garten des Elternhauses.
Viel zu schöne Erinnerungen, um sie von einer anderen Realität trüben zu lassen

Mein Schwager war bis einige Jahre vor seinem Tod ein derart extrem starker Raucher, dass sein komplett auf Nichtraucher umgeschwenkter Arbeitgeber ihm sogar bis zu seiner Pensionierung für sein Büro eine Sondererlaubnis zum Paffen erteilt hatte. Und er trank gerne Pils aus sogenannten "Tulpen". Meine Frau hat seine Sammlung kuriosester Feuerzeuge in unsere Wohnung mitgebracht und in unserem Gläserschrank stehen jetzt ein paar der schönsten Pils-Gläser die die namhaftesten Brauereien jemals herausgegeben haben.

Zum Davonschwimmen!
 Meine an die 30 Lock-Enten waren einmal groß in Mode
und sehr teuer. Nun kräht kein
Hahn mehr nach ihnen

Ich rauche schon seit mehr als zwei Jahrzehnten nicht mehr, aber an und mit den Pilsgläsern arbeite ich meine Nachlass-Phobien jetzt doch gerne etwas ab. Aber dabei wird mir plötzlich auch klar, dass unsere Kids ja bald vor dem gleichen Dilemma stehen.
Ich ahne schon , was für eine Zumutung meine Hinterlassenschaft für sie sein wird: Was passiert mit meinen über hundert Gemälden und Grafiken? Was geschieht mit meiner fotografischen Hinterlassenschaft, den tausenden Dias von meinen Reportagen aus einer untergegangenen Welt, die noch nicht digitalisiert sind? Oder  - wenigstens überschaubarer - mit meiner Enten-Sammlung und den venezianischen Gläsern, die wir unbedingt haben mussten und die so viel Geld "verschlungen" haben?
"Going digitally" führte zu einem Bruch beim Erinnern.
Was wird aus all meinen Fotos, die ich nicht mehr digitalisieren kann?
Mehr als 10.000 Dia-Unikate von den Reisen meiner Eltern landeten leider  achtlos im Müll



Aber dann leuchtet vor lauter "Besinnungslosigkeit" endlich das helle Licht am Ende meines Tunnels finsterster Ahnungen:

...Ist doch komplett scheißegal! Denn ich bin ja dann sowieso nicht mehr. Sollen die, die bleiben. sich den Kopf darüber zerbrechen.
Mein geschätzter Freund im Alter, der geniale, international ausgezeichnete, erfolgreiche Kameramann wollte seine Memoiren noch verfassen. Jetzt müssen seine Filme, seine Kreativität, bei denen für sich selbst sprechen, die den Vorspann lesen oder beim Abspann nicht gleich umschalten.

Der Kameramann des cineastischen
Meisterwerks "Der Junge Törless":
Franz Rath, im Gegenschuss
beim "Cena in Piazza"


"He was not going digitally", hat er immer wieder gesagt. Das zumindest habe ich ihm voraus. Meine mehr als tausend Posts auf den drei Blogs wären für die elektronische Ewigkeit, wenn sich denn meine Nachkommen um meine digitale Hinterlassenschaften kümmerten. Es sei denn, sie verpuffen beim Einschlag einer von Putins angedrohten, taktischen Atomwaffen. Aber dann war's das wohl auch mit dem, was die Menschheit in ihrer kurzen Geschichte auf Erden der Welt hätte hinterlassen können...

Donnerstag, 18. April 2024

Gendern weiter im Schlendern

Quelle: Gesellschaft für Deutsche Sprache

 O je! Erst schafft der Bayrische Landes-Übervater Marcus Söder das Gendern behördlich ab. Dann riskieren Niedersachsens Abiturienten gerade eine schlechtere Note, sollten sie Sternchen und Unterst
riche dafür in ihren schriftlichen Prüfungen verwenden. Ist das ein letzter Versuch der christlich sozialen Machos, die ja auch das Recht der Frau auf Abtreibung weiter einschränken und behindern wollen, das weibliche und "andere Geschlechter" wieder mehr ins Abseits zu rücken?

Seit den 1960ern schlendert die Bestrebung, die Deutsche Sprache zu gendern bis heute so dahin. Was man in dieser Beziehung zu lesen oder hören bekommt, geschieht alles auf freiwilliger Basis ohne gesetzliche Grundlage. Lediglich ein Urteil des Bundesverfassungsgericht vom 10. Oktober 2017 sichert Betroffenen den Eintrag eines dritten Geschlechts im Geburten-Register zu (1BVR 2019/16).

Als männlicher Blogger habe ich mich stets bemüht, diesem um sich greifenden Gendern zu folgen oder beim Texten Begriffe mit multiplem Geschlechtsbezug zu finden. Aber mitunter ist dieses Bemühen Gewürge, und für mein Befinden muss Sprache sprechbar bleiben. Ich bin Rentner und habe viel Zeit. Deshalb macht es mir nichts aus, für Leserinnen und Leser zu schreiben, und Leser/Innen gefällt mir da schon wegen des bestimmenden, hartem I nach dem Schrägstrich nicht.

Alternativen - aufgezeigt von der Augsburger Allgemeinen

Vorlesenden und Vortragenden ist es auch zu zumuten, dass sie ihre Reden beschleunigen um die jeweils entsprechenden Versionen unterzubringen. Anstatt mitten im Wort Atem zu holen. Nehmt als Beispiel die Pharma-Industrie. Die hat das in der Werbung bei dem Hinweis  auf Nebenwirkungen prima hinbekommen 

Wenn es beim schriftsprachlichen Gendern  allen mit der Inklusion gleich ernst ist. Wieso hieße es bei formellen Anreden dann nicht streng genommen immer: Sehr geehrte Damen, Herren und Transgender!

Alles kann, nichts muss. Die Inklusion schafft sich ihre Wege hoffentlich von alleine. Aber bis dahin kann ein wenig juristischer Rat nicht schaden. Ich habe mir erlaubt, diesen sehr gelungenen Leitfaden, den ich bei "Lawpilots.com" entdeckt habe, etwas länger als üblich zu zitieren:

Goethe-Institut



Gängige Methoden des Genderns im Deutschen 

Wie bereits erwähnt, gibt es keine festen Rechtschreibregeln bezüglich des Genderns im Deutschen. Es gibt daher verschiedene Methoden, um geschlechtergerechte Sprache zu verwenden. Die gängigsten sind:

  • Binnen-I: Dabei wird ein großgeschriebenes „I“ innerhalb eines Wortes verwendet, um beide Geschlechter zu repräsentieren. Beispiel: StudentInnen.
  • Schrägstrich: Hierbei werden die männliche und weibliche Form durch einen Schrägstrich getrennt. Beispiel: Lehrer/in.
  • Gender-Gap: Ein Unterstrich (_), oft auch Gender-Gap genannt, wird zwischen der männlichen und weiblichen Endung eingefügt. Er soll Menschen einschließen, die sich weder als Mann noch als Frau identifizieren. Beispiel: Lehrer_in.
  • Gendersternchen (oder Gender-Stern): Ein Sternchen wird zwischen der männlichen und weiblichen Endung platziert. Es soll ebenfalls die geschlechtliche Vielfalt jenseits des binären Systems repräsentieren. Beispiel: Lehrer*innen.
  • Doppelpunkt: Ein relativ neuer Ansatz, bei dem ein Doppelpunkt verwendet wird, um geschlechtliche Vielfalt darzustellen. Beispiel: Student:innen. Diese Schreibweise wird von Screen-Readern als kurze Pause interpretiert und gilt daher als inklusiv für Sehbehinderte.
  • Klammern: Hier werden die Endungen in Klammern gesetzt. Beispiel: Lehrer(innen).
  • Wechselform: In einem Text werden männliche und weibliche Formen abwechselnd verwendet, um beide Geschlechter gleichermaßen anzusprechen.
  • Beidnennung: Auch die konsequente Beidnennung ist eine Möglichkeit. Beispiel: Lehrer und Lehrerinnen 
  • Neutralformen: Hierbei werden geschlechtsneutrale Begriffe oder Formulierungen gewählt. Beispiel: das Lehrpersonal statt die Lehrer oder die Lehrerinnen.
Der Link zum vollständigen Beitrag:
https://lawpilots.com/de/blog/compliance/gendergerechte-sprache/#:~:text=Die%20Geschichte%20des%20Genderns&text=Die%20Bewegung%20hin%20zu%20einer,Formulierung%20%E2%80%9EVerk%C3%A4ufer%2Finnen%E2%80%9C.

Dienstag, 16. April 2024

Der falsche Stolz auf das US-Rechtssystem

Quelle: pixabay
Es droht ein "Trump" in vielerlei Bedeutung**

Das Groteske an den Amis ist, dass sie immer noch vom "Land Of The Free" singen und sich dabei gläubig ans Herz fassen. Sie glauben dabei auch immer noch an die Legende "If  You  can make it here, You can  make it everywhere!". Dabei wird ihnen täglich in tollen TV-Serien und meisterlichen Movies vorgeführt, dass sich eigentlich seit den Tagen als "The West Was Won" nichts an ihrem fatalen "Faustrecht der Freiheit" geändert hat.

Recht haben und Recht zu bekommen, ist in den USA noch immer abhängig von der Macht und der Menge des Geldes mit der jemand vor den Kadi tritt. Alle, die staunend und kopfschüttelnd bis zur Ohnmacht (bingewatching) die beispielhafte Anwaltsserie "Suits" verfolgt haben, erleben jetzt im Reality-TV, wie ein ehemaliger US-Präsident, der sich im kommenden November zur erneuten Wahl stellt, dank seiner Anwälte mit Gerichten und Richtern umspringen kann.

Obwohl Donald Trump ja vor den Augen der ganzen Welt seine Anhänger zum Umsturz aufgewiegelt hat, Wahlfälschungen begehen wollte, Steuerhinterziehungen begangen und geheime Akten aus seiner Amtszeit "privatisiert" hat, ist seine Wiederwahl wohl nur durch die Wählerinnen und Wähler selbst zu verhindern. Denn auch wenn er noch rechtzeitig in einer Strafsache zu Gefängnis verurteilt würde, wäre das bei einem "Ersttäter" möglicherweise noch zur Bewährung auszusetzen. Eine Vorstrafe disqualifizierte ihn nicht - wie in den meisten Demokratien - für ein so hohes öffentliches Amt. Es sei denn er säße tatsächlich im Gefängnis. Denn aus dem Gefängnis zu regieren, geht selbst im "Land der unbegrenzten Unmöglichkeiten nicht...

Quelle: Wikipedia
Gemälde von Théodore Chassériau 

Alexis de Toqueville
1805 - 1859
Wieso die Verfassung der Vereinigten Staaten und in Folge dessen auch ihre Jurisprudenz von solch bisweilen "abenteuerlichen" Charakteristika geprägt wurde, hat zwischen 1835 und 1840 der Begründer der Vergleichenden Politikwissenschaften, Alexis de Toqueville, analysiert. Der als Politiker und Historiker profilierte Franzose bereiste die noch junge US-Demokratie und verfasste sein berühmtes Werk "De la démocratie americaine" auch unter dem Aspekt der nach 1792 gescheiterten Première République Francaise. Die Schwächen, die er dabei exemplarisch hervor hob schrieb er dem Umstand zu, dass die US-Demokratie ja fortwährend von der anhaltend schnellen Ausdehnung nach Westen und durch die bestehenden kulturellen Unterschiede zwischen den Nord- und den Südstaaten geprägt wurde.

Von der Abenteurer-Mentalität und ihren Legenden einerseits sowie der blutigen Auseinandersetzung von europäischer Tradition mit den Ethnien der Ureinwohner und der Sklaven grenzt es andererseits in diesem kurzen, historischen Zeitraum überhaupt an ein Wunder, dass die US-Demokratie nach dem Aderlass des American Civil War, also dem Sezessionskrieg, zur Führungsnation der "Freien Welt" aufstieg. Verständlich, dass da im Stolz auf das in der Vergangenheit Erreichte die immer wieder erforderliche Anpassung an die Gegenwart hinterher hinkte.

Ein aktuelles Beispiel hierfür: Die sichtbare Manipulierbarkeit des US-Supreme-Courts durch Trumps vorausblickenden Personalien mit undemokratischem Ansinnen hat nun in Deutschland sofort zu Anstrengungen geführt, den Bundesgerichtshof besser vor Missbrauch durch Partei-Politik zu schützen. Trump, der noch während seiner Amtszeit schlau für eine mehrheitlich republikanische Gesinnung der auf Lebenszeit berufenen Richterinnen und Richter gesorgt hatte, kann so möglicherweise bei seinem Spiel auf Zeit mit der Justiz diverser Bundesstaaten im zweiten Anlauf zum POTUS bei letztinstanzlichen Fällen auf deren wohlwollende Ablehnung hoffen.

Quelle: Depositphotos
Wo Richterinnen und Richter als Partei-Gänger nach der Ernennung auf Lebenszeit
durch den Präsidenten eine politische Mehrheit über jeweilige Amtszeiten hinaus
manifestieren könnten, ist die Unabhängigkeit Justiz per se nicht mehr gegeben...
Der US-Supreme-Court


Alle Demokratien deren Verfassungen auf dem Glauben an das Gute im Menschen fußen, sind vorgewarnt. Nicht nur durch deren - wie sich weltweit zeigt - leicht möglichen, rapiden Abbau ihrer empfindlichen Segnungen (hier vor allem im Osten der EU)! Sondern  auch dem liberalen Westen insgesamt muss langsam angst und bange werden, wenn der möglicherweise nächste Präsident der Vereinigten Staaten auf die eben unpräzise Rechtsprechung bauend, seinen Gegnern vor allem aber seinen Richtern in Allmacht und Immunität mit Rache (vengeance*) und Blutvergießen (bloodshed*) droht...


* Durch Tondokumente belegte, jüngste Aussagen des republikanischen Präsidentschaftskandidaten:

https://www.google.com/search?sca_esv=b0a2a50fd2778424&rlz=1C1VDKB_deDE1082DE1082&sxsrf=ACQVn0_KjZs-LXWMvI9He-Iu9yEqzp0hOQ:1713260183144&q=Tonaufnahmen+von+Trump+-+vengeance+and+bloodshed&spell=1&sa=X&ved=2ahUKEwi_1_7Et8aFAxVu8rsIHVmhDiEQBSgAegQIBhAC&biw=1280&bih=559&dpr=1.5#fpstate=ive&vld=cid:c7847677,vid:IXcYfs5CFDM,st:0

https://edition.cnn.com/videos/politics/2023/03/05/trump-sot-cpac-i-am-your-retribution-molly-jong-fast-acostanr-vpx.cnn

**https://de.pons.com/%C3%BCbersetzung/englisch-deutsch/trump

Sonntag, 14. April 2024

Mit "New Work" zur "Work-Life-Balance"

Quelle: freepik
Wenn man nicht allzu vergesslich wird, sind die Erfahrungen eines längeren Lebens durchaus hilfreich.
Deshalb weiß ich noch, wie sich die ganze Familie fühlte, als ziemlich gleichzeitig bei meinem verbeamteten Vater und mir als Volksschüler der Samstag zur Freizeit wurde. In unseren Familien arbeitet seither niemand mehr an einem Samstag, es sei denn, es gäbe einen außerdienstlichen Anlass oder eine Dienstreise.

Die Lehre zum Verlagsbuchhändler war eine erzwungene Idee meiner Eltern, die nicht wollten, dass ich durch meine künstlerischen Ambitionen auf die schiefe Bahn geriete. Meine drei kurzen Anstellungen waren ein Desaster. Deshalb musste meine mir beinahe alles verzeihende Mutter auch meinen Schritt in die Selbständigkeit mit Unterschriften flankieren, denn damals war jemand ja erst mit 21 volljährig und entsprechend geschäftsfähig. Wieso ich - der in der Schule nie eine bessere Note als "ausreichend" im Fach Deutsch hatte, sie überzeugen konnte, als freier Autor Fuß fassen zu können, ist mir selbst zwei Jahrzehnte nach ihrem Tod immer noch ein Rätsel. Das noch größere Rätsel war, wieso ich für Aufträge nie in Redaktionen antichambrieren musste. Jemand las mein Geschreibsel und wollte für seinen Verlag auch etwas davon. Die 1970er waren die Blühte des Autorenjournalismus.

Ohne Handy und Internet war
die Arbeit allerdings
mitunter auch Abenteuer

Bevor die Elektronik und die Computer unser Leben und unsere Arbeit beherrschen sollten, lag mein Erfolg wohl daran, dass ich für mich schon immer eine Arbeitsweise wollte, die heute gerne mit "Work-Life-Balance" beschrieben wird. Als meine spätere Frau und ich unsere ersten Reisen unternahmen, die bis zu vier Wochen dauerten, war meine Adler-Reiseschreibmaschine immer dabei. Ich hatte mich für diese Reisezeiten stets mit Aufträgen eingedeckt. So konnte es passieren, dass ich an einem einsamen Strand an der Westküste Korsikas bei Kitschmusik im Sonnenuntergang auf der Terrasse einer Strandkneipe bei kuscheliger Wärme Berichte über Skigebiete verfasste aber auch zwei Erzählungen zu Papier brachte, die alle Reisekosten nicht nur abdeckten, sondern auch für Rücklagen sorgten. Es war die Zeit einer absoluten nie mehr wieder erlebten Freiheit. Dann kamen die Kinder, und ich wurde zum Alleinverdiener, der eine breitere und sicherere Plattform schaffen musste.

Das Reporter-Leben durfte als Boss aber nicht
 hinter dem Schreibtisch enden.
Bis an die Schmerzgrenze lebte ich es meinen Mitarbeitern oft vor

Später als eines zum anderen Gekommen war und ich in meinem Büro bisweilen  mehr als 14 Leute auf der "Payroll" hatte und zudem satte Honorare ausschüttete, wollte ich meinen Mitarbeitern eine gewisse Freiheit bei ihrem Schaffen auch bieten. Die anfallende Arbeit bis zum Abgabe-Termin druckreif zu machen, war das Maß aller Dinge, nicht der Zeitraum, in dem sie realisiert wurde. Diejenigen, die am besten mit diesen Arbeitsbedingungen umgehen konnten, blieben mir bis zu zweieinhalb Jahrzehnte treu.  Die mehr als ein dutzend Volontäre, die sich in meiner Redaktion vom ersten Tag an entfalten konnten, blieben oder nahmen später Spitzenpositionen in der Branche ein.

Man Hätte sie also schon vor über zwei Jahrzehnten als Kinder von "New Work" bezeichnen können. In jedem Fall brachte ich sie aber auf die Spur einer "Work-Life-Balance".


https://www.tagesschau.de/wirtschaft/arbeitsmarkt/arbeit-new-work-100.html

https://www.tagesschau.de/wirtschaft/arbeitsmarkt/generation-z-arbeitsmarkt-100.html

Donnerstag, 11. April 2024

Die Rückkehr der Suggestiv-Fragen

DRINKUNGKAGYÜ
Togdan Rinpoche
Als ich noch ziemlich am Anfang meiner Arbeit in der Entourage von Heinrich Harrer zur Inthronisation des Togdan Rinpoche von Kaschmir über die Pässe nach Ladakh als Beifotograf für sein Buch reiste, bekam ich zu all den unvergesslichen Eindrücken von Heinrich auch noch eine für den Journalismus essentielle Gratis-Lektion in punkto Interview-Technik. Er sprach ja durch seine sieben Jahre als Lehrer des Dalai Lama fließend Tibetisch.
International Campaign for Tibet
Heinrich Harrer mit seinem einstigen Schüler,
dem buddhistischen Oberhaupt Dalai Lama

Wenn wir unterwegs in den tiefen Tälern Einheimische trafen, kam er immer schnell ins Gespräch mit ihnen, obwohl er erst einmal eine Weile auf sie einsprach.

Als ich wissen wollte, wieso er das machte, gab er mir folgenden Rat: "Wenn du etwas in einer fremden Welt von den dort lebenden Menschen erfahren möchtest, musst du zunächst auch etwas von dir und deiner Welt preis geben. Aber das wichtigste ist, dass du keine Suggestiv-Fragen stellst. Wenn jemand auf die Mutmaßungen in deinen Fragen nur mit Ja oder Nein antworten kann, erfährst du nichts!

Heute sorgt das Internet mit seinen vielen Anfragen für schnelle, persönliche Entscheidungen beispielsweise auf Fragebögen, oder endlose Allgemeine Geschäftsbedingungen (AGB) sowie durch die bald nur noch elektronischen Kundendienste dafür, dass wir oft in Kästchen nur noch Ja oder Nein, beziehungsweise akzeptieren oder ablehnen anklicken können. Offenbar führt das als Begleiterscheinung  auch immer häufiger dazu, dass auch oder vor allem in Interviews, bei denen es um Politik geht,  die Befragten durch suggestive Annahmen der Fragesteller zu persönlichen Wunsch-Antworten verleitet werden soll. Die Meinungsbildung soll also durch die Fragestellung und nicht etwas durch die Antwort erfolgen.

Quelle:freepik


Das hat zumindest aus meiner Sicht zu einer nahezu unerträglichen Einmischung - um nicht zu sagen Manipulation - durch Talkmaitressen und -Master geführt, die sich dem Publikum wohl als viel kundiger präsentieren wollen als die zu den Antworten Geladenen.

Offenbar traut sich keine verantwortliche Redaktionsleitung mehr, ihre so selbst erzeugten Stars auf dem Gebiet ihrer allwissend heischenden Eitelkeit auch mal wieder einzubremsen. Sonst käme es nicht immer wieder zu solch lächerlichen Momenten:

Quelle: SZ Talkshow-Kritiken
Lars Klingbeil versus Sandra Maischberger.
Nur, dass sie dem SPD-Vorsitzenden offenbar
seine Partei erklärt. Senkt sie die Stimme vor lauter Wichtigkeit,
bleibt dem Publikum oft nur die nackte Zukunftsangst

Moderator oder Moderatorin: "Ich bitte Sie ganz kurz mit einem Satz hierzu noch..." Dann wird die verklausulierte Frage aber so lang und mit  so viel eigenem Wissen gestellt, dass für eine Antwort kaum noch Sendezeit bleibt, nicht selten sogar eine weitere nötig wäre...

Achtet mal darauf

Jahrmarkt-Schreier der Eitelkeiten:
Wenn er nach vorne rutscht
und heischend sein Kinn vor reckt,
geht es meist mehr um den 
Inhalt seiner Fragen
als um die Antworten seiner Gäste
Quelle: www.fr.de

Dienstag, 9. April 2024

Vom Bejahen und Verneinen

Am vergangenen Montag hat Boris Pistorius in dem ZDF-Interview-Format  "Was nun Herr Pistorius" einmal mehr bewiesen, weshalb er in allen Umfragen zur Zeit der beliebteste Politiker ist. Dass ausgerechnet dem emphatischen Verteidigungsminister soviel Sympathien zufliegen, hängt wohl einerseits mit  unser aller Angst vor einem neuerlichen Weltkrieg, aber auch mit seiner Fähigkeit zusammen, die nicht einfachen Verhältnisse, mit denen er umzugehen hat, ungeschminkt zu erläutern. Selbst dem unseligen Taurus-Narrativ hat er mit wenigen kompetenten Worten die Lunte herausgerissen, an der Freund und Feind aus Opposition und Ampel nicht müde werden, zu zündeln. Ich denke, jede Nation sollte stolz sein, dass sich ein Mann ohne Profilneurose um die militärische Sicherheit kümmert.

Quelle www.verpasst.de
Boris Pistorius im Kreuzverhör von Beate Schausten und Anne Gellinek

Aber weil wir uns eben mit der Ampel im Dauerstreit mitten in einem wichtigen Wahljahr befinden, müssen sich Opposition und Opportunisten - vielleicht sogar gegen ihren Willen - am derzeit besten Pferd im Koalitions-Kabinett abarbeiten. Dabei wird hier gerade in Krisenzeiten eine Schwäche der demokratischen Auseinandersetzung evident: Wegen des eigenen Profils aber auch der Partei-Raison muss verneint werden, was eigentlich ein generelles Bejahen verlangt. Auch wenn das innen und außen auch Schäden hervorrufen könnte, die wir uns angesichts noch nicht erreichter Verteidigungsbereitschaft gar nicht leisten können.

Ich verzichte hier auf eine Gegenüberstellung von einzelnen Themen, bei denen das Verlangen mit der Machbarkeit längst nichts zu tun hat. Denn alles verursacht ja Kosten, deren Deckung mit dem derzeit überlasteten Haushalt nicht gewährleistet werden kann. Nur das bloße Avisieren löst ja schon wieder den Widerspruch jener Sparapostel aus, die vorher lautstark nach verbesserter Wehrtüchtigkeit geschrien haben.

Quelle: Tagesschau
Mit einer neuen Cyberarmee in der Kommandostruktur
der Bundeswehr zielt Pistorius auf die Trolle Putins.
Hoffentlich wird die von ausreichend "Prätorianern" geschützt

Bestes Beispiel ist ja die Diskussion um die Wiedereinführung der allgemeinen Wehpflicht, die einst der Herr von und zu aller christlich sozialsten Verteidigungsminister für "politische Bonusmeilen" unvorbereitet abgeschafft hatte. Keiner hat derzeit eine Idee davon, was so eine Wehrpflicht bei Wiedereröffnung längst geschlossener Kasernen und zeitgemäßer, kampftauglicher Ausrüstung an Kosten generieren wird. Vor allem aber, ob die dann wirklich eine Qualitätsverbesserung für die akute Verteidigung brächte.

Pistorius plant über das Ende der derzeitigen Koalition hinaus und macht keinen Hehl daraus, dass er das, was er vor 15 Monaten angefangen hat, gerne - möglichst in Frieden - zu ende bringen möchte.

Der Name Pistorius leitet sich übrigens - entlehnt aus dem Lateinischen - vom Handwerk des Bäckers ab. Auch wenn er gemäß der jetzigen Planung ja fast zwangsweise "kleine Brötchen" backen muss, könnte er dereinst die Welt damit überraschen, dass er geschichtlich zum Prätorius oder besser als umsichtiger Heerführer als Prätor zum Friedensbewahrer aufsteigt. Mögen ihn dabei die "Prätorianer" für seine neu aufzustellende Cyberarmee schützen...

Sonntag, 7. April 2024

Gentrifizierung und Marginalisierung

Die Schwaige an der Straße nach Schleißheim
Kupferstich von M. Wening
Kirschblüten-Hanami
im Petuelpark

Foto: Claus Deutelmoser

Warum fange ich heute nur an, den Hund mit dem Schwanz zu wedeln? Nach einem April-Wochenende, das als wärmstes aller Zeiten in der Klimastatistik vermerkt werden wird, sitze ich im früh erblühten Garten vom "Glashaus" und denke über die Marginalisierung nach. Für alle, die mit diesem Begriff nichts anfangen können: Er steht im Gegensatz zur Gentrifizierung. Die Gentrifizierung ist jedoch gleichzeitig auch der Katalysator der Marginalisierung. Wo der Speckgürtel rund um eine Metropole für den Wohlstand nicht mehr ausreicht, beginnt sich die Gentrifizierung vom City-Kern aus meist kreisförmig durch die Bestandsimmobilien voran zu fressen und macht Häuser, Wohnungen und Baugrund "upmarket". Das führt mittel- bis langfristig zu sozialen Verwerfungen. Vor allem, wenn der Soziale Wohnungsbau zum Stillstand kommt und dessen Altbestand Tummelplatz für Spekulationen wird, auf dem einst subventionierte Bauten bevor sie saniert werden müssten, untern Hammer kommen. Wo das geschieht, ist kein Raum mehr für bezahlbares Wohnen.
BMW-Welt mit Museum und Verwaltungsgebäude "Vierzylinder"
Foto: Fakultät für Tourismus LMU

München scheint im Moment, da Hamburg und Berlin in bestimmten Vierteln auch schon Symptome von "Clankriminalität" bekämpfen müssen,  bislang da noch mit einem weißblauen Auge davon zu kommen. Dabei verharren hier gegen den aktuellen Bundestrend nicht nur die Mieten, sondern vor allem die Immobilienpreise auf Rekord-Niveau. Einer der Gründe, weshalb es hier nicht zu einer neuerlichen Marginalisierung kommt, sind ausländische Investoren, die sich aus Städten wie London und Paris sowie auch aus New York zurückgezogen haben. Grund sind aus deren Sicht nicht nur die verhältnismäßigen Schnäppchenpreise, sondern vor allem das sichere Umfeld. Miet-Einnahmen sind für sie zweitrangig, weshalb sie die teuren Teile auch mal ungestraft leer stehen lassen. Zum 48. Mal in Folge wies die Münchner Kriminalstatistik für 2023 Bayerns Hauptstadt als sicherste Großstadt Deutschlands aus.

Als das "Glashaus" gebaut wurde, lag es am äußersten Rand des Teils von Milbertshofen, der von der bayrischen Bourgeoisie gemeinhin als Glasscherbenviertel apostrophiert wurde, Die 90er Jahre waren für die Eigentümer kein Zuckerschlecken: Unzuverlässige oder vandalisierende Mieter waren in dem schwer zu vermittelnden Neubau an der Tagesordnung. Eine von Streetwork angemietete Gewerbe-Einheit im Parterre war permanenter Anlass für Beschwerden der Bewohner, die von Belästigung, Bedrohung bis Diebstahl reichten. Oft wurde gar die Polizei gerufen. Der Wertverfall der Immobilie war evident.

Noch als wir die Wohnung hier 2010 alternativ zu unserer Italienischen Zweitheimat bezogen, waren die Zustände kritisch. Es ist nicht genau zu rekonstruieren, was der Anlass war, dass die Gentrifizierung über den Ring schwappte. War es der neu erschaffene Petuelpark, die BMW-Welt oder allein der Zeitfaktor? Dass die Randalierer erwachsen wurden und die Streetworker es nun mit einer "pflegeleichteren Generation" zu tun haben? Oder  weil hier die Mieten, doch noch etwas länger bezahlbar blieben als in den bereits gentrifizierten Vierteln?

Luxus-Appartements und Dachterrassen ab 6.000 €/qm
im Angebot sind nur Zwischenstationen
der Gentrifizierung in Milbertshofen
Foto: Immoscout 24
Multikulti ist geblieben und wird offenbar nun als Charme-Zuwachs empfunden. Aber wo ist der "Rand" hin gerutscht, der die nächste Marginalisierung anzeigt?

Ziemlich sicher ist dadurch, dass die AfD auch in Zukunft in der einstigen "Hauptstadt der Bewegung" kaum mehr als drei Stadträte haben wird. So lange die Grenzen der Marginalität nicht wieder sichtbarer werden, fällt es hier vermutlich schwer, Leute zu finden, die sich "abgehängt" fühlen.

Typisch für das Alt neben Neu:
Die Milbertshofener Kant-Straße.
Sie beginnt an der futuristischen BMW-Welt
und endet an der Knorrstraße.
Foto: Claus Deutelmoser
Mein "Blog-Spot"
Foto: Claus Deutelmoser