Freitag, 6. November 2020

Der lange Abschied von der Leitkultur

 Als ich 1949 in Hamburg zur Welt kam, war die Hansestadt britisch besetzte Zone. Noch lange vor der Währungsreform war mein Vater aus der Internierung durch die Engländer im ehemaligen KZ Neuengamme (mit 49 Kilo gerade noch lebend Gewicht bei 183cm Länge) zu seiner Frau und seinen beiden Töchtern zurück gekehrt. Er wurde als Folge der Mangel-Ernährung - wie er mir bei späteren Streits oft unter die Nase rieb - von fürchterlichem Gelenk-Rheumatismus geplagt, als er mich zeugte.

Genauso schnell wie sie ihn zunächst weggesperrt hatten, stellten sie ihm dann den sogenannten "Persil-Schein" aus und nötigten ihn als schnell beurkundeten Nicht-Nazi in die Verwaltung des deutschen Wiederaufbaus. Meine Mutter wurde wegen ihrer Englisch-Kenntnisse "Marketenderin" im Casino der britischen Elite-Offiziere, womit die Versorgung der nun fünfköpfigen Familie überproportional für jene Zeit sicher gestellt war.

Ich landete da schon sofort in den Schlagzeilen der spärlichen Presse, weil mein Geburtsgewicht 11,5 Pfund betrug. Später konnte ich nie darüber lachen, wenn sie lästerten, dass ich schon bei der Geburt ein "schwerer Junge" gewesen sei.

Opa sah mich
eher wie den
"kleinen Lord"

Bis ich neun war, und weil mein Großvater aus Köln  mir eine Art angelsächsischen Kleidungs-Stil aufnötigte, wann immer ich unter seiner Obhut war, sah ich die Tommies - wie sie im Volksmund genannt wurden - als Idole an. Das ging so weit, dass ich einmal für einen halben Tag von der Polizei gesucht wurde, weil ich am Geburtstag der Queen mit der Parade zu ihren Ehren mit marschiert war...

Dann wurde mein Vater nach München versetzt, und wir bezogen ein geräumiges Reihenhaus in einer "Housing Area" für Amerikaner, die zu seinem Verwaltungsbereich gehörte. Von Beginn an verband ich daher Amerikanisches mit Luxus und großer Lässigkeit. Erst nach und nach durch den Zuzug anderer deutscher Familien mit Vätern "spezieller Profile", aber auch durch unvorsichtige Tischgespräche meiner Eltern mit den erheblich älteren Schwestern bekam ich so eine Ahnung...

 - Auch durch genehmigungspflichtige  Aufenthalte in "nicht sicheren" Ländern, an denen die Eltern mit ungebrochener aber argwöhnisch  beäugten Reiselust festhielten, kam es mir nicht komisch vor, dass wir voraus geplant bei Konsuln oder ranghohen NATO-Offizieren zu Abendessen in privaten Kreisen geladen wurden. Ich fand das selbst noch als Heranwachsender normal. Ganz im Gegenteil war das eine weitere Bestätigung dafür, dass die Amis auf der ganzen Welt so lässig im Luxus lebten. Die Bewunderung ging sogar so weit, dass ich mitunter traurig war, selbst kein Amerikaner zu sein...

1996 führte ich noch ein Incentive in
Montana durch. Da war "Bonanza" leider schon
Fernseh-Geschichte

Als ich meine erste große Liebe fand, hatte ich die nachbarschaftlichen Verhältnisse aber längst durchschaut. Gloria war die Tochter einer chinesischen "Entschlüsslerin", also Kryptlogin, und eines afroamerikanischen Nachrichten-Offiziers, die in Frankfurt zur Welt gekommen war und daher Deutsch fließend hessisch babbelnd sprach. Die Hochbegabte war da aber schon längst auf dem Radar der Behelfs-Uni in der Münchner Mcgraw-Kaserne und wurde mit Stipendien von US-Elite-Unis regelrecht bombardiert. Kurz; dieses 150 cm kleine und nur etwas über 40 Kilo leichte, puppenhafte  Genie spielte intellektuell in einer ganz anderen Liga als ich, der desperate Schul-Abbrecher. Aber wir vertraten die selben politischen Ansichten - vor allem was den Vietnam-Krieg anbelangte. So schlau sie auch war, konnte sie allerdings nicht begreifen, dass ich sie in ihren Augen nicht genug liebte, um mir ihr - perspektivlos wie ich ja noch war - nach Amerika zu gehen. 

Ein Jahr später stand sie plötzlich noch einmal vor der Tür, aber da war ich nicht nur schon mit meiner heutigen Frau zusammen, sondern auch aktenkundig geworden. Wegen eines "Sit-in" vor dem US-Konsulat drohte mir ein Verfahren wegen "Landfriedensbruch", und ich war auch bereits als renitenter Kriegsdienst-Verweigerer registriert. Zu der Zeit war  übrigens der amtierende General-Konsul noch unser Nachbar, dessen elf Kinder vorzugsweise früher Spielkameraden gewesen waren.

War es ihm zu verdanken, dass das Verfahren nicht aufgerufen wurde und ich sogar nur ein paar Jahre später anstandslos das Journalisten-Visum für die erste meiner rund 30 US-Reisen bekam?

Jedenfalls war diese spezielle Reise durch die verschneiten Rocky Mountains von Diskussionen über die Watergate-Affäre und das drohende Impeachment-Verfahren gegen Richard Nixon geprägt. Aus ihnen lernte ich, wie unversöhnlich sich die politischen Lager dieses Zweiparteien-Systems gegenüber stehen:

Vor allem Amerikaner der ersten Generation sind in ihrem Patriotismus so leidenschaftlich, dass sie der Führung des Staates, der ihnen "The American Way of Life" ermöglicht hat, alles verzeihen - sogar die Einberufung ihrer Söhne in einen keinesfalls vaterländischen Krieg gegen die weltweite kommunistische Bedrohung; My son fights in 'Nam for the freedom of the world!

Poltische Diskussionen fruchteten nur mit wenigen Berufs-Kollegen oder  welterfahrenen Uni-Eliten.

Wehe, du antwortest selbst bei nur kurzem, ersten Aufenthalt auf die Frage "how do you like America?" nicht sofort mit "great". "What's wrong with you?", wird dann gleich nachgehakt...

Willst du einen schönen Abend in Gesellschaft verbringen, vermeide es stets, aktuelle US-Politik zur Sprache zu bringen.

Jetzt bringt mich das aktuelle Verhalten Donald Trumps nach der Wahl zur Entsorgung  der Restbestände meiner einst doch so tief  in mir verankerten Leitkultur.

Fazit meiner 60 Lebensjahre unter dem Einfluss des Amerikanismus:

Selbst unter historischer Einbeziehung der rauen Epoche "When The West Was Won" war die US-Demokratie noch nie so am Arsch wie im Moment.

Es erweist sich, dass Watergate gemessen an der Regentschaft von Donald Trump ein Affärchen gewesen ist, aus dem sich Nixon durch seinen Rücktritt sogar noch mit halbwegs Anstand heraus gezogen hat.

Alle Filme und TV-Serien über die schurkischen Verwicklungen von amerikanischen Politikern werden durch die bizarre Schein-Realitäten-Schau von Donald Trump nicht nur konterkariert, sondern bei weitem und bedrohlich übertroffen.

Weswegen noch durfte Kevin Spacey den skrupellosen Frank Underwood in "House of Cards"  nicht mehr weiterspielen??? Jedoch Pussy-Grabber Trump  durfte als Präsident ungeniert die ganze Welt anhaltend in Atem halten!!! Eine der schlimmsten Eigenschaften im "Land of The Free" ist nämlich die Heuchelei - Hypocrisy...

Vor fast zwei Jahrhunderten dichtete unser hoch verehrter Poet und Politiker noch:

Amerika, du hast es besser
Als unser Kontinent, das alte,
Hast keine verfallene Schlösser
Und keine Basalte.
Dich stört nicht im Innern
Zu lebendiger Zeit
Unnützes Erinnern
Und vergeblicher Streit.

                                               Johann Wolfgang von Goethe

Der hat sich wohl genauso blenden lassen wie ich.

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