Die Innenwelt der Außenwelt der Innenwelt offenbart: Jeder Tag ist nicht ein Tag wie jeder andere!
Als ich noch ein junger Buchhändler war, gab mir der heutige Nobelpreis-Träger Peter Handke mit seinen ersten Bühnenstücken und Manuskripten den Mut, selbst ein wenig mit der Sprache zu jonglieren. Dass ich ihn heute zur Einleitung meines Posts gleich zweimal zitiere, zeigt, dass ich ihm seine parteiischen Einschätzungen zum Grauen des Balkan-Krieges als leider typische Entwicklung eines Schriftstellers nachsehe. Rudyard Kipplings wunderbaren, frühen Romanen nimmt die Tatsche seiner späteren Nazi-Gesinnung in meinen Augen auch keinen Glanz. So wie die Schilderung von Pippi Langstrumpfs Vater Ephraim als "Neger"-Häuptling mich als Leser in der folge nicht zum Rassisten gemacht hat.
Der mit meinen verschwiemelten Texten vertraute Konsument ahnt schon, heute geht es angesichts der virologisch verursachten, kommenden gesellschaftlichen Krise um das Miteinander auf engstem Raum und die Toleranz, die es uns abverlangt.
Tatsächlich ist unser Appartement im Glashaus die Innenwelt der Außenwelt die mit Blick auf die Innenwelt der anderen so manches offenbart:
Seit der Kommunal-Wahl habe ich das Haus nicht mehr verlassen. Müsste sich die Fürsorglichste all meiner Ehefrauen nicht auch noch dreimal die Woche um ihren hinfälligen Bruder kümmern, wäre ansonsten kein persönlicher Kontakt mehr gegeben. Aber so geht sie dann auch noch gleich einkaufen und versorgt mich mit Korona-Klatsch von unserem Metzger gegenüber, vor dem die Warteschlangen jeden Tag länger werden und schon allein auf diese Weise Handkes "Weissagung" erfüllen.
Doch der täglich fortschreitende "Zustand" oder Stillstand konterkariert die Tage auch durch stetig wachsende Scharen von Joggern, die jetzt die Straße bei spürbar weniger Auspuffgasen und umso mehr "Freizeit" schadlos entlang traben: ein heiteres Bild!
Den dramatischsten Wandel aber bietet unsere verkehrsreiche Kreuzung nächtens. Der stete Fluss des Verkehrs ist total verebbt und hinterlässt eine beängstigende Stille, die uns nicht schlafen lässt. Der Eiswind dieser Tage beschert uns hier eine Stadtluft von ungeahnter Qualität. Die Fenster können wir trotzdem nicht offen lassen, weil die Amseln, die ab vier Uhr früh mit ihrem Gesang beginnen, ihre "Verkehrsübertön"-Tonlage nicht geändert haben. Und dann noch das laute Ticken unserer bretonischen Pendule am anderen Ende der Wohnung; als ob das Schlagwerk in Stärke einer Kirchenglocke - einmal zur halben und zweimal zur vollen Stunde - allein nicht reichte, um mir das Vergängliche der Zeit zu Gehör zu bringen...
In den drei Stunden, die ich vergangene Nacht wach war, konnte ich zum einen erkennen, dass es nicht wenigen Nachbarn in den umliegenden Häusern ähnlich ging. Was wird uns erst zum anderen widerfahren, wenn Samstag-Nacht wieder die Sommerzeit beginnt? Noch mehr Zeit, die dann totgeschlagen werden muss.
Apropos Totschlag: Beim nächtlichen Grübeln wurde mir schlagartig klar, dass Covid-19 nicht nur eine gesundheitliche Bedrohung darstellt, sondern angeheizt durch eine übervorsorgliche Ratgeberitis täglich mentale Dramen in unserer Psyche geradezu programmiert.
Der offenbarte Zerfall der "Europäischen Idee", der wieder hervor geholte individuelle Nationalismus sind ja nur Katalysatoren für eine neu Schuld-Suche, die auch vernünftige Mitmenschen unbewusst ereilt.
Gestern musste ich meiner Frau zum Thema Pandemie in Italien Zahlen gegen ihre Vermutung vorlegen, dass daran dort die vielen Chinesen Schuld seien. Tatsächlich sind die Fallzahlen in Provinzen, in denen am wenigsten Chinesen leben mit Abstand am höchsten, während die zentrale Toskana mit ihrer China-Township in Prato die geringste Infektions-Rate hat.
Bei der Behauptung, dass die Rückhol-Aktion unseres Außenministers Heiko Maas jedoch hohe Risiken birgt, musste ich ihr zustimmen, weil die "Rückkehrer" offenbar gar nicht oder nicht gut genug getestet werden. Anders wären ja trotz Befolgung aller Auflagen der überproportionale Anstieg der letzten Tage nicht zu erklären
Am vergangenen Samstag kam ein Ehepaar, mit dem wir seit den 70ern eng befreundet sind, verfrüht vom alljährlichen, mehrwöchigen Aufenthalt in Florida zurück. Sie musste abbrechen, weil ihre für morgen gebuchten Flüge annulliert wurden. Direkt zurück ging es also nicht mehr. Mit Müh und Not gerade noch über den US-Pandemie-Hotspot New York. - Weder bei der Ausreise noch nach der Landung in München wurden sie jedoch getestet...
Sie haben sich selbst sofort daheim - versorgt von ihren Söhnen und Enkeln, die ihnen alles vor die Tür stellen - in eine selbst auferlegte vierzehntägige Quarantäne begeben. Aber was haben die anderen aus dem proppenvollen Flieger gemacht, die sich das vielleicht so nicht leisten konnten?
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen