Mittwoch, 4. März 2020

Besitz und Eigentum

Wer unter der didaktischen Dauerberieselung eines Juristen aufwuchs, der zudem noch Liegenschaften des Bundes zu verwalten hatte, lernte den juristischen Unterschied zwischen Eigentum und Besitz in vielfältigen Lektionen. Vor allem dann, wenn im Zusammenhang mit Vaters Wirken auch  merkwürdige Menschen mit noch merkwürdigerem Lebensunterhalt am Tisch saßen.

Besonders gerne ging ich zu einem Herrn Boch, der vor den Toren Hamburgs einen Gutshof mit privatem See bewohnte, in dem ich angeln und auf dem ich mit dem Ruderboot herum kreuzen durfte. Außerdem gab es da eine gleichaltrige Tochter, in die ich als Neunjähriger ziemlich verknallt war...
Herr Boch sprach von seiner einst adeligen Ehefrau immer in der dritten Person. Das hörte sich in etwa so an:
"Das hat sich aber gelohnt, dass Frau Boch heute so lange in der Küche stand, schmeckt wirklich großartig Schatz."
Der ungezogene Knabe fragte dann irgendwann indiskret, wieso Herr Boch - auch wenn Frau Boch zugegen war - von ihr stets als Frau Boch und nie als meine Frau sprach. Er hatte das Aussehen eines Schauspielers und den Bariton eines Sängers. Deshalb blieb fast alles, was er sagte, für immer in Erinnerung:
"Minjong - wenn du mal groß bist, wirst du hoffentlich beherzigen, dass eine Frau niemals dein Eigentum ist und du stolz sein musst, wenn du sie gelegentlich besitzen darfst."

Damit es nicht zu romantisch wird:
Hier noch eine weitere Lektion über Eigentum und Besitz.
Die Idee fand in München vor ein paar Jahren
Nachahmer: Die ausrangierte Utting
vom Ammersee dient jetzt
auf einem alten Bahndamm als Lokal mit Biergarten
Mein Vater hatte damals auch mit einem staatenlosen Mann zu tun, der im Hamburger Freihafen, für dessen Liegenschaften mein Vater verwaltungstechnisch zuständig war, ein feudales und spannend ausgestattetes Hausboot bewohnte, das sein Eigentum war. Es lag am Kai einer Werkshalle in seinem Besitz. Dort fertigte er maschinell aus alten Förderseilen und anderem Draht-Geflecht  - zollfrei als Schrott eingeführt - neuen Stacheldraht, den er wiederum zollfrei in die vielen Krisenherde der Nachkriegs-Welt ausführte.
Da er nicht nur schlau, sondern auch sparsam war, fragte der Wirtschaftswunder-Millionär eines Tages, als ihm die Liegegebühren für sein Hausboot zu hoch wurden, was dagegen spräche, wenn er das Hausboot auf das Dach der Werkshalle hievte. Der Eigentümer des Hausbootes fragte den Eigentümer der Werkshalle, deren Besitzer er ja auch war. So entstand womöglich für Jahrzehnte ein Hingucker für die Besucher des Freihafens, aber da war mein Vater ja schon längst mit höheren Rang nach München versetzt worden.

Väterchen Timofei und seine
Natascha 1952 beim Bau
ihrer Ost-West-Friedenskirche
Quelle: Wikipedia
Wo ihn die heiklen Fälle aber auch nicht nicht los ließen: Väterchen Timofei war dabei sein wohl prominentester. Der russische Kohlen-Kutscher (Details bei Wikipedia) hatte sich am Rande des ehemaligen Flugfeldes auf dem Oberwiesenfeld gemeinsam mit seiner Frau Natascha  in einem Akt widerrechtlicher Landnahme aus Trümmern des Krieges eine Eremitage samt kleiner Kapelle errichtet. Die stand aber beharrlich auf dem Gelände, auf dem der Olympiapark für die Spiele 1972 entstehen sollte.

Die Rechtslage war eindeutig, aber die Münchner Bevölkerung - angestachelt von den Boulevard-Blättern - verlangte, dass München den Beinamen "Weltstadt mit Herz" Ehre einlegen sollte. Der ambitionierte, oberste Dienstherr meines Vaters, der damalige Finanzminister Franz Josef Strauß, ließ meinen Vater mit dem bereits erteilten Räumungs- und Abriss-Befehl allein im Regen stehen.
Das Olympia-Gelände wurde tatsächlich um Timofeis Eremitage herum neu geplant.

Wieso ich meinen Blog heute mit "ollen Kamellen" bestreite hat aktuelle Denk-Anstöße.
Nämlich die MeeToo-Debatte und der erneut unermesslich hohe Bedarf an Stacheldraht, um Menschen auszugrenzen.

Mag sein, dass die Welt in der erweiterten Nachkriegszeit zumindest bei uns irgendwie einfacher gestrickt war. Weder das Boch-Theorem zur Ehre der Frauen noch handgemachter Stacheldraht oder gar geduldete Einsiedeleien von Flüchtlingen berührten derzeit noch die Herzen...

Dabei sollte uns doch eines klar sein: Auch wenn wir Menschen zeit- und stückweise Eigentümer auf ihm sind, werden wir unseren Planeten Erde niemals auf Dauer allein besitzen!

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