Montag, 13. Januar 2020

Wenn wieder die Massen wild wogen

Unterwegs in einer unsicheren Welt:
Der Autor und sein Vater 1960
im Basar von Täbris
In der ersten Klasse am Gymnasium hatte ich eine persische Mitschülerin. Sie hieß Gholi Aghsa, und ich konnte bei ihr gut landen, da ich in den großen Ferien zuvor im Iran war. Aus welchen Gründen auch immer meine Eltern in den unruhigen 1960ern den abenteuerlichen Überland-Trip durch all die auch damals schon als nicht sicher geltenden Staaten mit einer meiner Schwestern und mir angetreten hatten, darauf gibt mir auch mein heutiges Wissen keinen Hinweis. Damals genoss ich all die Eindrücke und einzigartigen Erlebnisse, die mich später wohl zum unermüdlichen Traveler machten,,,

Unter merkwürdigen Umständen war in Täbris Endstation, obwohl Teheran das Ziel gewesen war. Der Stadtkommandant und Hitler-Fan, der unsere Pässe für 48 Stunden einbehalten hatte, nötigte unmissverständlich zur sofortigen Rückreise in die Türkei. Was wir heute wissen, aber damals wegen der löchrigen Nachrichtenlage meine Eltern nicht ahnen konnten: Wir waren mitten in einen demokratischen Umsturz-Versuch geraten.
Der amtierende Ministerpräsident und mit dem Schah verschwägerte Manutscher Eghbal konnte sich dem Erfolg der neuen Oppositions-Parteien nur durch massiven Wahlbetrug und dem Machtwort des Reza Pahlavai erwehren.

Das schöne Emblem
des schrecklichen SAVAK
Quellen: Wikipedia
In der Folge wütete der SAVAK, der drei Jahre zuvor gegründete Geheimdienst des Schahs, unter den Andersdenkenden, wie heute die Revolutionsgarden der Ayatollahs.
Gholis Vater, der - glaube ich mich zu erinnern - ein Medizin-Professor war, musste etwas geahnt haben. Denn er hatte Jahre vor der Flucht ins Exil seine Tochter an der Deutschen Schule in Teheran eingeschrieben. So sprach sie in unserer Klasse schon gut Deutsch und viel besser Englisch als wir, aber sie war auch schon geistig und körperlich weiter. Sie versprach eine Schönheit aus "Tausend und eine Nacht" zu werden...

Aber nach meinem Krankenhaus-Aufenthalt wegen einer Blinddarm-Operation im Spätherbst war sie schon nicht mehr da.
Das erzählte ich daheim beim Abendessen. Die Reaktion meines in den "Diensten" verwobenen Vaters war schmallippig. Sie wurde noch schmallippiger, als bei Anti-Schah-Demonstrationen in Berlin 1967 der Student Benno Ohnesorg von dem Polizisten Karl Heinz Kurras durch einen Pistolen-Schuss aus nächster Nähe in den Hinterkopf ermordet wurde. Kurras stand zu diesem Zeitpunkt als IM auch auf der Gehaltsliste der Stasi...
Quelle: deutschlandfunkkultur.de

Mein Vater hatte es schon als gehobener Bundes-Beamter  mit mir, dem Kriegsdienst-Verweigerer, nicht leicht. Nun drohte sein Sohn, sich offenbar zu radikalisieren. Denn dem Hausfriedensbruch vor dem US-Konsulat bei einer Vietnam-Demo wurde nur wegen der guten, nachbarschaftlichen Beziehungen bei unserer Wohnadresse nicht nachgegangen. Sie stand allerdings noch zur Diskussion, als ich sechs Jahre später meine "politischen Aktivitäten" längst als völlig wirkungslos aufgegeben hatte und ein Presse-Visum für die Vereinigten Staaten brauchte. Denn da standen tatsächlich alle Demos in den Akten, an denen ich in meiner ernüchternden "Gewerkschafts-Zeit" teilgenommen hatte.

Ich kannte mich - um die lange Einleitung zu erklären - eben auch persönlich mit den wild wogenden Massen aus. Ein Grund, weshalb ich mit der Sport-Schreiberei aus dem Stadion heraus nie recht warm wurde und bis heute Ansammlungen und Menschenmengen konsequent meide. Denn, es bedarf noch nicht einmal eines geschulten Agent provocateurs, um die Gruppendynamik in verhängnisvolle Richtungen zu lenken.

Noch leichter wurde das Manipulieren der Massen durch die sozialen Medien. Da entstehen Kräfteverhältnisse, die einem Außenstehenden Reaktionen absurd erscheinen lassen:

Noch vor drei Tagen schien es , als sei der gesamte Iran wegen des US-Attentats auf seinen General auf der Straße. Menschen ließen sogar ihr Leben, weil dabei Massenpanik ausbrach. Dann schoss die Raketen-Abwehr des Landes ein Verkehrsflugzeug ab, und die Regierung leugnete das zunächst hartnäckig. Schon waren die zuvor in den Hintergrund getretenen Massenproteste gegen die Ayatollah-Regierung wieder aktiv. Da gab es dann Tote, weil die Revolutionsgarden in SAVAK-Schwarz auf die unterdrückten Bürger einprügelten.

Jüngster "Schildbürger-Streich" der Mullahs. Gezielter Shitstorm gegen die Chef-Schiedsrichterin der Frauen-Schach-WM in Shanghai: Shohreh Bayat habe unterm Kopftuch zuviel Haar gezeigt. Darauf nahm sie am vierten Turniertag das Kopftuch gänzlich ab. Sie wird wohl nicht in ihre Heimat zurück kehren können...

Da der Iran offenbar mit rechtsstaatlichen Mitteln gar nicht zur Ruhe kommen kann, muss die Internationale Staaten-Gemeinschaft unerbittlich - notfalls auch ohne Trump und seine gespaltenen USA - darauf drängen, dass das Atom-Abkommen nicht nur erhalten, sondern auch ohne Gewalt-Androhung nachgebessert werden kann. Das setzt aber voraus, dass die Supermächte ihr angedrohtes, alles vernichtendes Wettrüsten wieder einstellen!

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