Freitag, 15. November 2013

Schweinehunde

Draußen ist das ja nicht mehr so oft zu hören, dass einer den anderen als Schweinehund bezeichnet - gleichgültig ob in heimlicher Begeisterung oder aus heißer Wut. Dabei sind sie auf freier Wildbahn noch haufenweise anzutreffen: Leute, die mit ihren Rüsseln erst etwas aufwühlen, dann alles niedertrampeln, aber  - wenn sie mal erwischt werden - sich winselnd davon machen und den Schwanz um die Eier wickeln. Also eine  "Hündigkeit" ""entwickeln - wie Zynismus in seiner griechischen Urbedeutung richtig übersetzt wäre. Der Heul-ich-bin-ja-so-ein-armer-Kerl-Hoeness gehört ganz sicher auch in diese Kategorie. - Aber lassen wir das!

Weit dramatischer, weil meist unerkannt, ist die Spezies "Innerer Schweinehund". Eine Charakter-Barrieren erzeugende Bestie, die weltweite Verbreitung gefunden hat und uns Menschen daran hindert, regelmäßig über unseren Schatten zu springen. Die Gattung ist aufgrund ihres vielfältigen Verhaltens nur schwer zu bestimmen, hat kein greifbares Erscheinungsbild und kommt deshalb in bildlichen Darstellungen meist nur als Karikatur vor (siehe Bilder zu Schweinehund auf Google). Im Google stehen zu Pig-Dog nur zwei Erläuterungen: Die Eine ist ein Trick beim Wellen-Reiten, die andere bezeichnet speziell zur Wildschwein-Jagd ausgebildete Hunde in Neuseeland. Das kann einem Obelix nicht gefallen...

Da muss einer schon ein wenig spiritistisch unterwegs sein,  um das Horror-Wesen greifbar zu machen.Wie der alte Bildschnitzer in dem Dorf  Ubud auf Bali. Dieses Dorf versorgte einst die unzählbaren Tempel und Andachtsstätten der Insel mit bunt bemalten Fabelwesen, bis die Künstler heraus fanden, dass sie mit schnell aus Palm-Holz gehackten Objekten für Touristen viel mehr verdienen konnten.

In Ubud also stolperte ich in seiner Hütte über ein unglaublich hässliches, vierbeiniges Monster, das zwar alt aussah, aber dennoch nicht farblich gefasst war.
"What's that?", fragte ich den Meister. "Is Pig-Dog", antwortete er.
Mein Reisebegleiter war derart fasziniert, dass er das Monster, das in die Kategorie der Tempel-Wächter gehörte, ohne zu feilschen erwarb und noch am selben Tag  per Schiffsfracht nach Deutschland schicken ließ.

"Was willst du denn mit dieser Scheußlichkeit?"
"Die stelle ich mir im Flur vor die Tür, damit ich mich täglich daran erinnere, meinen inneren Schweinehund zu überwinden,"

Das Teil kam drei Monate später mit aufgeplatzten Rumpf. Es war eben doch zu jung und nicht farblich gefasst oder eingelassen. So hatten wohl die diversen Klimazonen das Unheil angerichtet. Aber mein Freund, handwerklich und künstlerisch sehr begabt, schaffte eine Meisterleistung. Mit Holzkitt und Weichholz schloss er die Wunde, beizte das Tier dunkelbraun und schützte es vor den Unbilden der Zukunft mit Antik-Wachs. Dadurch stand es - da ja zumindest so groß wie ein deutscher Schäferhund - noch Furcht einflößender als zuvor auf Bali - in seinem Eingang.  Wo es vermutlich heute noch steht, denn wir haben keinen Kontakt mehr, weil er in der Folge vor lauter Schweinehund-Überwinden einen derartigen Zickzack-Lebenslauf hingelegt hat, dass ich ihm alsbald nicht mehr folgen konnte...

Als junger Mensch nimmt einer zwar den größeren Erfahrungsschatz der Älteren zur Kenntnis, aber hält ihn nicht für Ausschlag gebend: Weil ich meinen inneren Schweinehund stets mühelos überwinden konnte, maß ich ihm keine große Bedeutung bei. Aber als meine einst so unerschöpfliche Kraft zu schwinden begann, bemerkte ich, was für ein riesen Brocken der mittlerweile geworden war. Jetzt ist er eigentlich kaum noch zu überwinden.

Die Zweitbeste, von vorvorweihnachtlichen  Duft-Kerzen im Dämmerlicht zugedröhnt, meinte also gestern - und das obwohl sie noch nie in einem meiner Blogs auch nur einen Post gelesen hat:
"Schreib doch nicht immer so'n  pseudointellektuelles Zeug! In solchen Zeiten wollen die Leute etwas lesen, das zu Herzen geht.; vielleicht eine Liebesgeschichte, die natürlich gut ausgehen muss..."

Ich schaute die Frau, mit der ich bald fünfzig Jahre zusammen bin, lange an, ehe ich antwortete:
"Du meinst etwas über wahre Liebe? Und dann soll das auch noch gut ausgehen? Das nimmt mir doch niemand ab!"

"Versuch's nur mal. Überwinde deinen inneren Schweinehund und lass endlich mal Sonne in dein trübes Herz."

Draußen wabert der dicke November-Nebel, als ich zum Computer schleiche: Und da liegt er fett und feist in voller Breite unüberwindbar vor dem Schreibtisch: Mein innerer Schweinehund.

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