Donnerstag, 7. November 2013

Boulevard der Widersprüchlichkeit

Für einen Steine werfenden Glashaus-Blogger bietet die Münchner Abendzeitung beinahe täglich pures Entzücken:

Am Montag schreibt Chefredakteur Arno Makowsky zur Hoeness-Affäre einen Kommentar von beispielhafter Präzision und lässt das dann von seinen Hoch-und-nieder-Schreibern im Sportteil  gleich wieder konterkarieren. Eine ganze Seite mit dem Tenor quasi, wieso der Präsident der FC Bayern eben kein gieriger, super reicher Steuersünder, sondern ein wohltätiger Gutmensch sei, dem halt mal ein Fehler unterlaufen ist (und der eine zweite Chance verdient habe, wie der "Kaiser" meint). Bedrückender als der immer wohlfeile Franz Beckenbauer sind aber die unter diesem Beitrag abgedruckten Stellungnahmen der Fan-Clubs.

Zwar weiß jeder von  Übertragungen oder mitunter Körper schädigenden Selbstversuchen im Stadion, dass die Zugehörigkeit zum organisierten Schlachtenbummeln den Verzicht aufs individuelle Nachdenken zugunsten eines rauschhaften Verblödungszustandes verlangt. Da schafft sich  nun aber offenbar doch eine von den Medien gelenkte Helden-Verehrung Platz, die kollektiv bereits gedanklich gegen Spielregeln des Rechtsstaates verstößt. Gesetze, die auf kleinere Sünder umso drastischer angewendet werden.

Wer aber in der Masse denkt, dass die dort oben anderen Maßstäben unterliegen, ist auch bald wieder bereit für den nächsten Führer...

Heute wird in dem immer noch zweckdienlichen Kultur-Teil der Abendzeitung die Verkommenheit der Welt, wie sie sich derzeit in der Rundum-Nachrichtenlage darstellt, von gegensätzlicher Seite verharmlost: Der messianische Wohlfühl-Barde mit den kryptischen Texten, Xavier Naidoo,  gibt da in einem Interview sinngemäß folgenden Schluss zum Besten: Wenn die Welt und die Menschen derart schlecht seien, wie uns immer gesagt werde, wieso gäbe es dann Stevie Wonder oder Kate Bush? Geht's noch?

Der Mann ist ja kein Dummer, sondern arbeitet seit Jahren nach einer genau kalkulierten Masche. Ich mag übrigens seine Musik, um das klar zu stellen. Ganz besonders seine jüngste Live-Einspielung mit dem Orchester des Bayrischen Rundfunks, aber wenn er schon Stellung bezieht, sollte er nicht länger kryptisch bleiben, sondern Tatsachen beim Namen nennen, um mit ihnen klar und unmissverständlich seine Stimme zu erheben.

Interpreten, die die Welt nachhaltig verändert haben waren eher Joan Baez, Bob Dylan, Harry Belafonte und auch noch viele Andere, die Naidoo offenbar nicht  kennt, weil er zum Zeitpunkt ihres mutigen Einstehens vielleicht selbst noch als Quark im Supermarkt-Regal stand. Das kann ihm ja auch keiner zum Vorwurf machen. Aber den Grad der Schlechtigkeit unserer Welt und der auf ihr lebenden Menschen quasi als Propaganda zu bezeichnen, ist nur peinlich. Statt dessen sollte er sich vielleicht selbst mal direkt umschauen, um dann auch mal richtig wütend zu werden. Dieser Weg wird für ihn dann wirklich kein leichter sein.

Heile-Welt-Gesänge sichern aber vermutlich in dieser abgehörten, von Videos überwachten, unterdrückten und täglich  Blut vergießenden Aktualität eben doch mehr Konzertbesucher, die dann Tränen überströmt pseudo-religiöse Texte mitsingen. Womit sie sich dann wiederum von organisierten Fußball-Fans, die euphorisch die Hymne des FC Bayern anstimmen, nicht sonderlich unterscheiden...

Panem et circenses sind angesagt! Die Geschichte wiederholt sich.

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