Samstag, 30. November 2013

Herz- oder Bauchgefühl?

In der sich stetig verändernden Medienlandschaft ist auch die gute alte Süddeutsche Zeitung immer öfter für Überraschungen gut:
Gestern zum Beispiel schaffte es ein eher triviales Thema auf die Titelseite: Der Psychologe McNulty von der Florida State in Talahassee habe erforscht, dass eher das Bauchgefühl beim Ja-Wort die potenzielle Dauer einer Ehe verriete als ein vermeintlich schneller schlagendes Herz. Seine Studie widersprach auch der These vom verflixten siebten Jahr. Nach vier Jahren sei meist schon die Glut bei denen erloschen, die nicht auf das Grummeln des Nahrungscontainers gehört hätten...

Bei aller Wertschätzung für Florida sei zunächst angemerkt, ob in dem dort herrschenden permanenten Faulheitsklima überhaupt seriös geforscht werden kann. Dann scheint mir die Beschränkung auf amerikanische Verhältnisse wissenschaftlich unseriös. Wissen wir doch seit den Screwball-Comedies, dass die Amerikanerin als solche schon mit dem ersten Augenaufschlag nichts anderes verfolgt, als den ausgespähten Mann in den Hafen der Ehe zu bugsieren.

Wir in Europa haben unsere Dichter und Denker, die uns ganz anders auf diese Lebensentscheidung vorbereiten. Allen voran Schillers unsterbliche Erkenntnis:

Drum prüfe, wer sich ewig bindet. Ob sich das Herz zum Herzen findet! Der Wahn ist kurz, die Reu ist lang...


Wer Schillers "Lied von der Glocke" schon vorpubertär hat auswendig lernen müssen, weiß in unseren Breiten, dass Eheschließung eher eine Sache des Verstandes ist, und sich das Bauchgefühl beim Mann schwerkraftmäßig erst nach der  "Diät des werdenden Vaters" (Heimeran) einstellt.

Wieso dann doch nunmehr jede dritte Ehe in diesem unseren Lande (Indula nach Dr. Helmut Kohl) geschieden wird. müsste also per Forschungsauftrag möglichst rasch mit McNultys Ergebnissen abgeglichen werden.

Ich denke, es hülfe, wenn das auswendig Vortragen "Der Glocke" von beiden Partnern mit leeren Mägen bei der Bestellung des Aufgebotes qua Gesetz verlangt würde.

Die Zweitbeste - als sie noch meine allerbeste Geliebte war - und ich haben uns jedenfalls ziemlich lang geprüft. Was die Differenz der Jahre des Zusammenseins und die im Stand der Ehe verbrachten verdeutlicht:
In zwei Jahren wären wir fünfzig Jahre zusammen, ob wir allerdings die Goldene Hochzeit noch schaffen, ist fraglich. Es ist überhaupt fraglich, ob wir je geheiratet hätten, wenn ich nicht eines Tages gefragt hätte.

Damals, mühsam erwachend, meinte ich: "Jetzt sind wir schon so lange zusammen. Meist du nicht wir sollten mal heiraten?"
Worauf die allerbeste Geliebte schlaftrunken, aber trocken und dem alten Witz konform antwortete: "Ja. schon, aber wer will uns denn jetzt noch?"

Herz- oder Bauchgefühl hin oder her. Ich denke, wie jedes Match wird auch der Erfolg in einer Ehe im Kopf entschieden. Notfalls geht es in die Verlängerung oder wie beim Eishockey bis zum Sudden Death.

Donnerstag, 28. November 2013

Crossover

Der Vorname Arslan - aus dem Türkischen übersetzt - bedeutet Löwe. Die Eltern meines einen Block um die Ecke wohnenden, entfernteren Nachbarn haben sich und ihrem Nachwuchs angesichts des eigenen Kleinwuchses einst wohl im Umfeld der sie überragenden Germanen Mut machen wollen. Heute ist Arslan vierzig und fast genau so breit wie klein. Aber er ist der erste Deutsche in seiner ur-anatolischen Familie. Hätte er - der in Deutschland Geborene - noch die aktuellen Koalitionsverhandlungen und die Legislative der großen Koalition abgewartet, hätte er - der Fußballer - nun auch derart vom Doppel-Pass profitiert.

Die zweite Kuriosität seines Vornamens beruht aber darauf, dass der "Löwe" seit er auf seinen krummen, stämmigen Beinen laufen und kicken kann, nicht nur Fan, sondern auch Mitglied vom FC Bayern ist, obwohl er für Türk Gücü aktiv war. 1860 - die Löwen also - obwohl damals auch noch in der 1. Bundesliga gut unterwegs wäre ihm nie in den Sinn gekommen.

Arslans Kleintransporter, mit dem er seinen mobilen Hausmeister-Service in unserem Viertel betreibt, hängt voller FCB-Devotionalien, und er spricht auch wesentlich besseres Bayrisch als ich nach meinen bald sechs Jahrzehnten in der Landeshauptstadt. Einmal habe ich ihn sogar in Lederhosen und Haferlschuhen in Richtung Oktoberfest marschieren sehen.

Aber Arslan ist und bleibt auch Moslem; kein besonders streng Gläubiger, wie ich annahm. Bis ich seine Zwillingstöchter, die bei jedem Wetter zum Sophie-Scholl Gymnasium radeln, erstmals mit traditionell gebundenem Kopftuch zu Jeansjacke und Schultasche gesehen habe. Auch das wäre bei der bald istanbulischen Kopftuch-Dichte hier nicht bemerkenswert.

Es ist eher die eigentümliche Vorliebe für Weihnachtsdekoration, die Familie Cengiz außerhalb ihrer Dachgeschoss-Wohnung an zwei Gauben und dem kleinen Balkon zur Schau stellt: Da klettern alljährlich drei mit Geschenk-Paketen beladene Weihnachtsmänner an Leitern und Girlanden zu ihren Fenstern hoch.

Die letzte Weihnachtszeit in München hatten wir ja verpasst, aber diesmal radelte ich gerade vorbei, als der "Löwe" die rotweißen Gabenbringer montierte. Ich rief ein paar lustig gemeinte Bemerkungen zur religiösen Widersprüchlichkeit seines Tuns hinauf. Aber er konterte nur trocken:

"Was hat denn bitte der Weihnachtsmann mit Religion zu tun?"

Dienstag, 26. November 2013

Warenkorb? Welcher Warenkorb!

Das Schönste an München ist nun mal die Weihnachtszeit (siehe auch Blog "Der Burgschreiber" zum 1. Advent). Und wenn dem Blogger dann gar zu wohl ist, mischt er sich unter die Mitmenschen, damit er am Puls der Zeit bleibt.

Heute war ich zum Weißwurst-Essen im Sedlmayr - einen Steinwurf vom Viktualienmarkt entfernt. Obwohl mein einstiger, verklemmt schwuler, dramatisch zu Tode gekommener Lieblingsschauspieler hier bei seiner von ihm inszenierten Schmankerl-Oase leider nicht mehr das Zepter schwingt,  lebt seine Idee  doch fort,

Zwar nicht unbedingt bei Weißwurst und Brez'n, dafür aber bei solchen Highlights wie "Koibsfüaß" paniert, "Koibsbackerl" mit Remoulade und ausgebratener Blutwurst mit Püree. Ein absoluter Ankommer ist auch die gefüllte Kalbsbrust, und die Zweitbeste geht sowieso nur in diese Boaz'n, weil es da die geschmorten Rindsbacken in einzigartiger Zubereitung gibt.

Ich war vorher noch nie in diesem Etablissement, aber ich werde da jetzt Stammgast wie meine Frau.  Nicht wegen dieser Rettungsringe aus Hüftspeck erzeugenden Speisen, sondern eher der Tisch-Genossen halber. Denen - weil es immer voll ist - wirst du einfach zugeteilt - wie im Club Mediterranée:

Mei war das lustig:
Ein Herren-Rentner-Stammtisch und ein Ehepaar, und wir haben miteinander geredet, als träfen wir uns seit Jahren genau an diesem runden Tisch bei der Küche zum aktuellen Diskurs...


Wia ma halt so red:
Es stellte sich heraus, dass das ältere Ehepaar genau so emigriert war wie die Zweitbeste und ich. Nur, dass sie sich ein Haus im (leider immer nationalsozialistischer werdenden)  Ungarn nahe Budapest gekauft haben. -Was sie sich hier - nach eigenem Bekunden - nie und nimmer für den Ruhestand hätten leisten können.

Schon in zahlreichen nach dem Krieg erschienen Romanen wird ja beschrieben, dass Emigranten schnell eine besondere Wellenlänge zueinander finden. Wobei diese Situation ja nun nicht vergleichbar gewesen wäre, wenn wir - in etwa gleich alt - nicht den entsprechenden  Einstieg für unser Gespräch gefunden hätten:
Den kaufkräftigen Mehrwert im Ausland.

Der ermögliche in Ungarn - so das ur-münchnerische Ehepaar - trotz komplizierter Umrechnung in Florint ein Leben , das die deutsche Rente hier  in der Heimat nicht mehr hergebe.

Natürlich ist mir bei dem Gespräch bewusst gewesen, dass Italien  (von Berlusconi wirklich befreit?) - was die Lebenshaltung angeht - vermutlich mit Ungarn nicht mithalten  kann, aber ich führte dabei  den statistischen Begriff  "Warenkorb" an.

Das machte die Neu-Ungarn wirkliche fuchsig:
"Warenkorb? Welcher Warenkorb! Unser  Hausarzt, wegen dem wir gerade in München sind, macht seine Praxis dicht, weil die Miete von 2500 Mark einst, auf 4500 Euro heute gestiegen ist. Unser tägliches Leben - immer noch  in Forint zu berappen - hat sich zwar in Ungarn mittlerweile auf Mark-Niveau erhöht, aber nur dadurch  kommen wir noch mit unserer Rente klar. - Trotz der 100 Prozent Inflation, die uns der Euro zwischenzeitlich bei unserer auf Mark ausgerichteten Altersversorgung beschert hat."

Bestürzt dachte ich daran, dass das Wohngeld für unsere Eigentumswohnung hier jetzt in Euro die Summe erreicht hat, die wir noch vor zwölf Jahren an Miete in Mark verlangt haben.

Und schon war der nur scheinbar günstige Preis für mein neues mit allen Schikanen ausgestattetes City-Bike vom "Radlbauer" auf einmal relativiert. Autos, Waschmaschinen, Kühlschränke und Möbel, die sich doch niemand allzu oft anschafft, sind ja in der Tat preisgünstiger geworden, aber davon kannst du halt nicht abbeißen. Gerade zuvor hatte ich in der Hofpfisterei einen Vollkorn-Wecken für 1,20 Euro erstanden - und eine (zwar große) Williams-Birne vom Marktstand für 1,80...

Samstag, 23. November 2013

Die Post geht ab

Wenn wir vom Mikro-Kosmos unserer Kreuzung ausgehen, ist die Welt der analogen Kommunikation noch in Ordnung. Gegenüber direkt neben der Bäckerei stehen zwei Briefkästen: einer für Empfänger im Bereich der Stadt, der andere für auswärts.

Da es die zweitbeste aller Ehefrauen mit e-mails nicht so hat und daher noch viel "Schneckenpost" mit Sonderbriefmarken verschickt, hätten wir es also sehr bequem, weil wir immer einen stattlichen Vorrat Briefmarken haben. Wohlgemerkt hätten wir. Da es aber der Post AG gefällt, bald schon im Halbjahres-Rhythmus die Kosten für einen Standardbrief nur um Cents zu  erhöhen, kleben wir dann entweder zuviel drauf oder müssen doch zur Post, um Marken für die Ergänzungsbeträge zu kaufen...

Aber wo ist die denn? Gestern musste ich als ausschließlicher e-mail-Schreiber ausnahmsweise etwas zur Bekämpfung der galoppierenden Altersarmut per Einschreiben verschicken. Wie immer wusste die Zweitbeste natürlich bescheid. Wir mussten bei der Kälte das Auto nehmen. vier Blocks und drei Querstraßen entfernt hielt sie vor einem Schreibwaren-Geschäft mit zudekorierten Schaufenstern und nicht einem Hinweis, dass hier Post-Dienste angeboten werden.

"Woher weißt du das?"
"Das wüsstest du, wenn du auch mal zum Tengelmann einkaufen gingst!"
"?"
Tatsächlich ist dieses Schreibwaren-Geschäft innen mit allen Schikanen zum Versenden von Post, Päckchen und Paketen ausgestattet. Und zwischen allerlei buntem Kriegsspielzeug kann einer sogar, das zu Verschickende fotokopieren...

Da der Blogger "post-analog" offenbar noch in der Steinzeit sendet, aber das Gesicht nicht endgültig verlieren möchte, stößt er nur ein fragendes "McPaper?" aus. Schallendes Gelächter.

Wieder daheim vor dem Glashaus trifft er auf den Briefträger. Einen ordentlich in Post-Uniform gekleideten und ein mit großen gelben Taschen bestücktes, gelbes Rad neben sich herschiebend. Man kennt sich schon von diversen Begegnungen und dem Kampf gegen Werbung als Postwurf-Sendung; ein Postler mit türkisch-preußischen Tugenden und immer höflich.
"Von welchem Postamt holen Sie denn eigentlich ihre Post."
"Nix Postamt - Depot!", dann stopft er unverdrossen auch in alle Briefschlitze auf denen "Keine Werbung bitte!" steht, einen gefühlten Doppelzentner buntester Post zwischen diverse Gratis-Stadtteil-Zeitungen.
Letzere sind daran schuld, dass ich das Zeug nicht einfach unbesehen in dem im Eingang stehenden Container entsorgen kann. Weil nämlich  die Zweitbeste auf deren Lektüre scharf ist. Ich weiß zwar nicht, wie sie das auch noch konsumiert, weil sie mit dem Finger unter jeder Druckzeile ja für die Abenzeitung allein schon fast einen Tag braucht, aber im Erklären eines Ehe-Krieges ist sie eben noch so schnell wie eh und je.

Ja, und dann erfahre ich aus einer ARD-Panorama-Sendung, dass um das Zustellen von Post und postähnlichen Sendungen ein unglaublicher Mindestlohn-Krieg entbrannt ist. Der soll vor allem von Behörden und Gemeinden entfacht worden sein, die Unternehmen beschäftigen, bei denen die Austräger nicht nur die von ihnen aus zu tragende Post selbst vorsortieren müssen, sondern pro Stück auch nur 8 Cent Lohn bekommen. Das ist so wenig, dass die Austräger zusätzlich HartzIV beantragen müsssen. Was darauf hinausläuft, dass wir Steuerzahler diese Schurken-Unternehmen quasi auch noch subventionieren.

Gestern lief dann auch noch mit prophetischem Instinkt im Free-TV - wie das im Neu-Deutsch heißt - The Postman mit Kevin Kostner. In dem überlangen Epos mit US-Moral wie sie unsere spionierende Schutzmacht gerne hätte, streift ein Schurke mit der Uniform eines toten Briefträgers auch dessen professionellen  Ethos über und retten so eine post-apokalyptische Rest-Menschheit vor der Tyrannei.

Hoffentlich steckt dereinst  in einer von der Bundespost übrig gebliebenen Uniform noch genug Ethos, wenn es denn bei uns so weit wäre....


Mittwoch, 20. November 2013

Mitten in einer moralischen Krise

Scherzhaft könnte das so gesehen werden:
Wäre die gestrige Folge der VOX-Sendung "Das perfekte Dinner" in Russland ausgestrahlt worden, wären die Protagonisten samt Programm-Chef und Produzenten direkt wegen Werbung für die Homo-Sexualität in den Archipel Gulag verfrachtet worden.
Ja, gut, dass wir in einem Land moralischer Freizügigkeit leben und nicht unter Putins Fuchtel! Aber wenn diese lockere Moral zur General-Verblödung des Zusehers derart  in Form eines Abnormitäten-Panoptikums missbraucht wird, lässt sich ahnen, was der russische Präsident in Wahrheit befürchtet. Denn Medien ohne Basis-Moral fällt es in der Tat leicht, unter Vorspiegelung grenzenloser Toleranz eine Verhältnismäßigkeit herzustellen, die mit tatsächlichen gesellschaftlichen Strukturen nichts zu tun hat.

Ich traue mich ohne sonderliche statistische Erhebung zu sagen- auch wenn ich mit dieser Behauptung anecke: So schwul wie es derzeit in den dayly Soaps und angeblichen Dokumentationen der Prekariats-Medien dargestellt wird, ist Deutschland nicht. Wenn es sich bei den Darstellungen aber um bewusste Überhöhung zum Füttern von Sensationsgier handelt - wo ist dann der Unterschied zur Diskriminierung?

Ein anderes Beispiel, um aus der Schmunzel-Ecke heraus zu kommen:
Vergangenen Freitag lief ein ZDF-Krimi mit dem Titel "Unter Feinden", bei dem Drogenwracks mit Dienstausweis (Zitat SPIEGELonline) die deutsche Polizei nach amerikanischem Vorbild als verkommenen Haufen korrupter Krimineller darstellen. Den Vogel schießt Regisseur Lars Becker aber damit ab, dass sich nur eine Staatsanwältin iranischer Herkunft als partielle Kopftuch-Trägerin (vor Gericht verzichtet sie auf die schwarze Umhüllung) daran macht, diesen Sumpf trocken zu legen.

Die meisten Bildungsbürger sind sicher in der Lage, die Handlungen von Spielfilmen und Soaps zu relativieren. Aber was ist mit all den frustrierten, in Bildung und Job zu kurz gekommenen Jugendlichen, die die Schimanski-Methode, erst zu zu hauen und dann zu befragen, nicht als eigentlichen Straftatbestand erkennen, sondern darin ein Faustrecht der Freiheit sehen? Der Hinweis, dass Sendungen für Zuseher unter 16 Jahren nicht geeignet seien, ist da doch genauso lächerlich wie die Ausstrahlung nach 22 Uhr. Wo doch mittlerweile jeder weiß, dass sich die Kids - selbst wenn sie noch minderjährig sind - erst weit nach Mitternacht zur Disco aufmachen.

Die freiwillige Selbstkontrolle, die einst zu recht als spießig überzogen empfunden wurde, hat sich im Freigeist derart aufgelöst, dass sie nun in der moralischen Verkommenheit der restlichen Welt, die uns täglich in den Nachrichten übermittelt wird, gänzlich untergeht

Denn Moral hängt nicht allein von individueller Betrachtungsweise und Erziehung ab. Wenn ein Schurkenstaat den anderen entgegen der Prinzipien seiner eigenen Verfassung bespitzelt, Ideen aus dem Internet klaut und Menschen, die wegen dieses Tuns die Öffentlichkeit suchen, mit einer weltweiten Fatwa belegen, sind das ideale Rahmenbedingung für einen generellen Ethos-Verfall.

Angesichts einer Religion, in der sich die eigenen Anhänger wegen unterschiedlicher Auslegungen Menschenleben verachtend bekämpfen, abschlachten, vertreiben und dabei auch vor Giftgas nicht zurückschrecken, kommt der Außenstehende schon ins Grübeln. Vor allem bei der gleichzeitigen Inanspruchnahme einer dogmatischen Moral, die die Frauenrechte ignoriert und das Kopftuch wieder ultimativ zum Symbol erhebt.

Man muss nur lange genug den willigen Geist penetrieren, um zu einem gewünschten Ergebnis zu kommen:
Ob das nun Tattoos und Piercings oder Kopftücher und Zottelbärte sind. Irgendwann weiß einer eben nicht mehr, wann und wie er moralisch von den Mächtigen manipulierte worden ist; auch mächtige Medien gehören eben dazu.

Bei der täglichen Bomberei und der Zurücksetzung der Frau in ihren Ursprungsländern, frage ich mich, wer hält die jungen Migrantinnen hier im Stadtteil davon ab, sich einen eigenen Durchblick zu verschaffen? Während ausgerechnet die iranischen Mullahs in diesen Tagen das Verhüllungsgebot weitgehend aufgehoben haben, wächst hier in Milbertshofen die Zahl junger Kopftuchträgerinnen zusehends. Seit das neue Lehrjahr begonnen hat, sehe ich sie - dieses Attribut nicht ohne modischen Pfiff tragend - in der Apotheke, beim Bäcker, im Drogeriemarkt und vielen anderen Ausbildungsbetrieben.

Für Thilo Sarrazin mögen diese Mädchen als zukünftige Mütter eine potenzielle Bedrohung durch religiöse und gesellschaftliche Unterwanderung darstellen. Ich sehe das anders:

Es bieten sich daraus Kontakt- und Gesprächsmöglichkeiten, weil die jungen Migranten Moral haben und die Ausbildung nach deutschen Maßstäben suchen. Sei wollen zu der Gesellschaft gehören, deren Verfassung ihnen die freie Religionsausübung garantiert. - allerdings ja nur so lange, wie die  generellen eigenen Moral-Vorgaben jeweils geschützt werden und intakt bleiben können.

Wenn nicht, dann hat wohl die aktuelle Erinnerung an Deutschland im November vor 60 Jahren auch nichts mehr bewirkt...

Freitag, 15. November 2013

Schweinehunde

Draußen ist das ja nicht mehr so oft zu hören, dass einer den anderen als Schweinehund bezeichnet - gleichgültig ob in heimlicher Begeisterung oder aus heißer Wut. Dabei sind sie auf freier Wildbahn noch haufenweise anzutreffen: Leute, die mit ihren Rüsseln erst etwas aufwühlen, dann alles niedertrampeln, aber  - wenn sie mal erwischt werden - sich winselnd davon machen und den Schwanz um die Eier wickeln. Also eine  "Hündigkeit" ""entwickeln - wie Zynismus in seiner griechischen Urbedeutung richtig übersetzt wäre. Der Heul-ich-bin-ja-so-ein-armer-Kerl-Hoeness gehört ganz sicher auch in diese Kategorie. - Aber lassen wir das!

Weit dramatischer, weil meist unerkannt, ist die Spezies "Innerer Schweinehund". Eine Charakter-Barrieren erzeugende Bestie, die weltweite Verbreitung gefunden hat und uns Menschen daran hindert, regelmäßig über unseren Schatten zu springen. Die Gattung ist aufgrund ihres vielfältigen Verhaltens nur schwer zu bestimmen, hat kein greifbares Erscheinungsbild und kommt deshalb in bildlichen Darstellungen meist nur als Karikatur vor (siehe Bilder zu Schweinehund auf Google). Im Google stehen zu Pig-Dog nur zwei Erläuterungen: Die Eine ist ein Trick beim Wellen-Reiten, die andere bezeichnet speziell zur Wildschwein-Jagd ausgebildete Hunde in Neuseeland. Das kann einem Obelix nicht gefallen...

Da muss einer schon ein wenig spiritistisch unterwegs sein,  um das Horror-Wesen greifbar zu machen.Wie der alte Bildschnitzer in dem Dorf  Ubud auf Bali. Dieses Dorf versorgte einst die unzählbaren Tempel und Andachtsstätten der Insel mit bunt bemalten Fabelwesen, bis die Künstler heraus fanden, dass sie mit schnell aus Palm-Holz gehackten Objekten für Touristen viel mehr verdienen konnten.

In Ubud also stolperte ich in seiner Hütte über ein unglaublich hässliches, vierbeiniges Monster, das zwar alt aussah, aber dennoch nicht farblich gefasst war.
"What's that?", fragte ich den Meister. "Is Pig-Dog", antwortete er.
Mein Reisebegleiter war derart fasziniert, dass er das Monster, das in die Kategorie der Tempel-Wächter gehörte, ohne zu feilschen erwarb und noch am selben Tag  per Schiffsfracht nach Deutschland schicken ließ.

"Was willst du denn mit dieser Scheußlichkeit?"
"Die stelle ich mir im Flur vor die Tür, damit ich mich täglich daran erinnere, meinen inneren Schweinehund zu überwinden,"

Das Teil kam drei Monate später mit aufgeplatzten Rumpf. Es war eben doch zu jung und nicht farblich gefasst oder eingelassen. So hatten wohl die diversen Klimazonen das Unheil angerichtet. Aber mein Freund, handwerklich und künstlerisch sehr begabt, schaffte eine Meisterleistung. Mit Holzkitt und Weichholz schloss er die Wunde, beizte das Tier dunkelbraun und schützte es vor den Unbilden der Zukunft mit Antik-Wachs. Dadurch stand es - da ja zumindest so groß wie ein deutscher Schäferhund - noch Furcht einflößender als zuvor auf Bali - in seinem Eingang.  Wo es vermutlich heute noch steht, denn wir haben keinen Kontakt mehr, weil er in der Folge vor lauter Schweinehund-Überwinden einen derartigen Zickzack-Lebenslauf hingelegt hat, dass ich ihm alsbald nicht mehr folgen konnte...

Als junger Mensch nimmt einer zwar den größeren Erfahrungsschatz der Älteren zur Kenntnis, aber hält ihn nicht für Ausschlag gebend: Weil ich meinen inneren Schweinehund stets mühelos überwinden konnte, maß ich ihm keine große Bedeutung bei. Aber als meine einst so unerschöpfliche Kraft zu schwinden begann, bemerkte ich, was für ein riesen Brocken der mittlerweile geworden war. Jetzt ist er eigentlich kaum noch zu überwinden.

Die Zweitbeste, von vorvorweihnachtlichen  Duft-Kerzen im Dämmerlicht zugedröhnt, meinte also gestern - und das obwohl sie noch nie in einem meiner Blogs auch nur einen Post gelesen hat:
"Schreib doch nicht immer so'n  pseudointellektuelles Zeug! In solchen Zeiten wollen die Leute etwas lesen, das zu Herzen geht.; vielleicht eine Liebesgeschichte, die natürlich gut ausgehen muss..."

Ich schaute die Frau, mit der ich bald fünfzig Jahre zusammen bin, lange an, ehe ich antwortete:
"Du meinst etwas über wahre Liebe? Und dann soll das auch noch gut ausgehen? Das nimmt mir doch niemand ab!"

"Versuch's nur mal. Überwinde deinen inneren Schweinehund und lass endlich mal Sonne in dein trübes Herz."

Draußen wabert der dicke November-Nebel, als ich zum Computer schleiche: Und da liegt er fett und feist in voller Breite unüberwindbar vor dem Schreibtisch: Mein innerer Schweinehund.

Dienstag, 12. November 2013

Der "Kaiser" und die Demokratie

Muss ich mich von einem, den sie - als er noch nicht so berühmt war - auf dem Fußballplatz hinter seinem Rücken Dummi genannt haben, heute als Dummkopf beschimpfen lassen?
Bei aller Hochachtung vor seiner Lebensleistung: Die zwei letzten öffentlichen Statements von Franz Beckenbauer weisen eindeutig darauf hin, dass der "Kaiser" langsam selbst damit beginnt, an sich als imperiale Lichtgestalt zu glauben. Bislang stand er zu den Erhöhungen, die ihm stets durch seine Hof-Schreiber zuwuchsen, bei Kommentaren ja immer noch mit einer gewissen Ironie auf  Distanz zu sich selbst. Aber jetzt?

Erst nimmt er den massiven Steuersünder und einstigen  Co-Weltmeister Uli Hoeneß mit einer frei erfundenen Glaubensanleihe aus der katholischen Kirchen-Lehre aus dem Vorwurf der vorsätzlichen Straftat. (Die "zweite Chance", die er da herbei führen möchte, hätten alle in der Kirchengeschichte zu unrecht Verbrannten, Verbannten und Vertriebenen sicher auch gerne gehabt). Und dann gibt er es in einem Wutanfall all jenen, die gegen Olympia 2022 in München gestimmt haben, mal so richtig. Nicht nur, indem er denen vorwirft, eine riesen Dummheit begangen zu haben. Er wird auch noch zum bösen Propheten: Das werde - meint er - allen noch sehr Leid tun.

Nun könnte man das  bei all seinem Charme  und diplomatischen Geschick als einen seiner mitunter verblüffenden Wutausbrüche einstufen (Golfpartner können ein Lied davon singen), aber in diesem Fall ist es eben die Äußerung eines Spitzenvertreters jener sich über das Volk erhebende Oberschicht, die auch meint, sie müsse Luxus-Uhren bei der Einreise nicht verzollen .

Es ist da eine neue Art von Sport-Despoten bei der Machtentfaltung gestört worden, die bislang schalten und walten konnte wie es ihr beliebte. Weil sie unbefragt vom Bürger auf die Resourcen zurück greifen konnte, die sie - die Steuerzahler - ohne detailliertes Mitsprache-Recht bereit gestellt haben. Dabei hat bereits in den 1970ern die Stadt Denver im US-Bundesstaat Colorado schon einmal gezeigt, dass man Olympische Winterspiele auch ablehnen kann, um danach dennoch weiter zu prosperieren. Die Blatters, Bachs und Hörmanns sollten sich ihr autoritäres Von-oben-herab noch einmal als Konsequenz aus diesem Debakel überlegen, sonst sind vielleicht sie es am Ende, die es bereuen werden...

Mag sein, dass Beckenbauers Demokratie-Missverständnis unter diesem permanenten - einem Kaiser wohl gebührenden Anhimmeln - gelitten hat. Aber ich erinnere mich auch noch gut daran, wie er als junger Weltstar und (natürlich) Hätschelkind von Franz-Josef Strauß den frei zum Bundeskanzler gewählten Willy Brandt als "nationales Unglück" bezeichnet hatte. Er hatte also von seiner Natur her -  bevor er zum Kaiser gekrönt wurde - bereits Schwierigkeiten mit Mehrheiten, die anderer Meinung waren als er.

Was muss das dann für Beckenbauer gestern - am gleichen Tag seines despektierlichen  Statements - eine schallende Ohrfeige gewesen sein. Ausgerechnet der mit absoluter Mehrheit wieder gewählte Landesvater Horst Seehofer versprach, trotz oder gerade wegen der überraschenden Ablehnung von Olympia, künftig noch viel mehr Basis-Demokratie durch Bürger- und Volksentscheide  wagen zu wollen...

Übrigens: Die Zweitbeste und ich - nach anfänglicher Gewogenheit für die Winterspiele - sind der Abstimmung fern geblieben. Erstens, weil wir glauben, dass das Zustimmen vor allem den Generationen gebühre, die das ganze dann auch bezahlen müsse, und zweitens weil wir nur einen Skiflug vom Olympia-Park entfernt wohnend schon heute erleben, wie der Verkehr hier  tagtäglich zu einer immer größeren Belastung wird. Im Vorfeld einer erneuten Olympia-Bewerbung war damals nach der Wiedervereinigung und zu Baubeginn des Glashauses der Petuel-Park viel länger geplant gewesen. Er sollte bis zur heutigen BMW-Welt reichen, und die Straße, durch die hier gegenwärtig auch nachts Tank-Lastzüge donnern, sollte zu einer verkehrsberuhigten Allee umgestaltet werden...

Als einer, der als Berichterstatter bei  vier Olympischen Spielen dabei war, blutet mir das Herz wegen der Ablehnung, aber ich erinnere mich auch an massive "postolympische" Probleme in den meisten  Ausrichter-Städten.

Sonntag, 10. November 2013

Drogen, Draghi, der Papst und die Deflation

Echt wahr Leute! Schmerz geplagt habe ich drei Wochen durchgehalten. Dann musste ich  aber doch zu der ärztlich verordneten Anti-Schmerz-Bombe greifen. Aber duselig wach war ich dennoch nächtens aufrecht im Bett, weil ich aus irren Träumen hoch schreckte. Nach denen bin ich immer besonders anfällig dafür, dass mir der Satire-Schalk  mit voller Wucht in den Nacken springt.

Die Junkies unter meinen Lesern kennen das bestimmt:
Mitten im Wabern der Gedanken - das noch gefühlte 100 Duftkerzen verschlimmern, die die Zweitbeste der Romantik halber zu dieser dunklen Zeit bis Mitternacht brennen lässt - kommt ein klarer Blick auf die Dinge. Gepaart mit der Alters-Paranoia entstand in meinem geplagten Hirn eine neue Theorie kirchlicher Verschwörung:

Der Draghi, dieser Spross einer von Banken gebeutelten Nation, die einst dieses Wesen, das zum Unwesen wurde, erfunden hat, ließ ja als Super-Mario der EZB vergangene Woche den Leitzins gegen Null schrumpfen und lieferte eloquent gleich die Gebrauchsanweisung dazu.

Die niedrigen Zinsen sollen es seinen europäischen Bank-Genossen ermöglichen, die im Konsum-Klima boomenden Unternehmen mit noch günstigeren Krediten zu versorgen, auf das das Wachstum nachhaltig werde. Gleichzeitig sollen für den kleinen, dummen, verängstigten Sparer die Zinsen so unerträglich niedrig werden, dass er lieber sein Geld mit vollen Händen verkonsumiert...

Blöd nur, dass die private Pro-Kopf-Verschuldung die meisten europäischen Konsumenten in die Dispo-Falle zwingt, in der sie eine Differenz von oft mehr als 10 Prozent zum EZB-Leitzins zu berappen haben. Die Alten - wie ich einer bin -, die blumig beworbene Lebensversicherungen abgeschlossen haben, werden gleichzeitig ebenso zum Konsum-Verzicht gezwungen, weil ihre Policen nicht nur ein Null-Wachstum, sondern wegen dieser jetzt schon jahrelang anhaltenden Geldpolitik der Niedrig-Zinsen sogar bereits eine Plus-Schrumpfung aufweisen.

Das aber ist genau das Gespenst, vor dem Draghi ja eigentlich gewarnt hat: Konsumverzicht bei gleichzeitiger Schnäppchenjagd, die die Preise dann noch weiter  nach unten treibt: Deflation also!

Und dann kommt noch dieser argentinische Gutmensch dazu, den sie zum Papst gewählt haben, in der Hoffnung, dass er die Milliarden-Vermögen seiner Kirche zu neuer Größe einsetzt. Aber der Franziskus spielt nicht mit, trägt keine Prada-Schühchen, wohnt bescheiden und predigt Liebe als höchsten Wert - selbst wenn sie gleichgeschlechtlich ist oder im Pfarrhaus heterosexuell unter dem Siegel des Zölibats vollzogen wird.

Was machen die Finanz-Haie in der Soutane, die unser deutsches Papsttum in den verzweifelten Verzicht getrieben haben? Sie ersinnen Gegenmaßnahmen. Eine "Nachhilfe" zur verkürzten Amtszeit - wie bei Johannes-Paul I, dem 33-Tage-Papst - käme ja nicht noch einmal infrage. Schließlich sind wir ja nicht mehr bei den Borgias.

Aber Hilfe kommt aus einem kleinen Bistum, das bisher nur durch stinkenden Käse auf sich aufmerksam gemacht hatte. Tebartz-Van wird zum erlösenden Konsum-Gegenpapst. Der bischöfliche Badewannen-Fetischist stellt gleich wieder die wahre Wertigkeit der Mutter Kirche her. Und weil er wegen der Peanuts im Vergleich zum Vermögen der Kirche (Kommentar eines deutschen Kirchen-Kämmerers) gleich bußfertig nach Rom reist, erfährt auch der Rest der Welt von diesem eher lokalen Ereignis.

Aber der Gläubige - wegen der Kirchensteuer, die ihm vom Einkommen abgezogen wird, auch irgendwie Gläubiger - reagiert nicht Tebartz-Van nacheifernd mit Konsum, sondern spart gleich da, wo es direkt angebracht ist: Durch Kirchen-Austritt.

Armer Franzl, möchte man meinen. Jetzt ist er zu Reformen bereit, und dann laufen ihm die deutschen Schäfchen in Herden davon. Sogar in Bayern, wo sie ja bekanntlich noch so duldsam sind wie einst als Lämmer...

Von da stammt auch der Rest meines Alptraum-Szenarios:
Die Koalitionsverhandlungen scheitern. Statt in der Kirche vereinigen sich all die aus ihr ausgetretenen Bayern christlich sozial in einer Einheit, die es versteht, Geld in solchen göttlichen Investitionen wie der mit dem wohlklingenden Namen "Hypo -Alpe-Adria" zu verschwenden. Das ist die kongregate Vereinigung,  die ja trotzdem - und gerade wegen des Fleißes ihrer Glaubensbrüder in einer paradiesischen Heimat - immer besser da steht als nur soziale...

Der Seehofer Horstl in Personal-Union auch noch als neuer, freistaatlicher Borgia mit mehreren Frauen und durchgemischter Kinderschar als sakral schief grinsendes Oberhaupt. Das wär doch was. Endlich wieder ein Bayrischer Papst!

Schönen Sonntag noch!

Donnerstag, 7. November 2013

Boulevard der Widersprüchlichkeit

Für einen Steine werfenden Glashaus-Blogger bietet die Münchner Abendzeitung beinahe täglich pures Entzücken:

Am Montag schreibt Chefredakteur Arno Makowsky zur Hoeness-Affäre einen Kommentar von beispielhafter Präzision und lässt das dann von seinen Hoch-und-nieder-Schreibern im Sportteil  gleich wieder konterkarieren. Eine ganze Seite mit dem Tenor quasi, wieso der Präsident der FC Bayern eben kein gieriger, super reicher Steuersünder, sondern ein wohltätiger Gutmensch sei, dem halt mal ein Fehler unterlaufen ist (und der eine zweite Chance verdient habe, wie der "Kaiser" meint). Bedrückender als der immer wohlfeile Franz Beckenbauer sind aber die unter diesem Beitrag abgedruckten Stellungnahmen der Fan-Clubs.

Zwar weiß jeder von  Übertragungen oder mitunter Körper schädigenden Selbstversuchen im Stadion, dass die Zugehörigkeit zum organisierten Schlachtenbummeln den Verzicht aufs individuelle Nachdenken zugunsten eines rauschhaften Verblödungszustandes verlangt. Da schafft sich  nun aber offenbar doch eine von den Medien gelenkte Helden-Verehrung Platz, die kollektiv bereits gedanklich gegen Spielregeln des Rechtsstaates verstößt. Gesetze, die auf kleinere Sünder umso drastischer angewendet werden.

Wer aber in der Masse denkt, dass die dort oben anderen Maßstäben unterliegen, ist auch bald wieder bereit für den nächsten Führer...

Heute wird in dem immer noch zweckdienlichen Kultur-Teil der Abendzeitung die Verkommenheit der Welt, wie sie sich derzeit in der Rundum-Nachrichtenlage darstellt, von gegensätzlicher Seite verharmlost: Der messianische Wohlfühl-Barde mit den kryptischen Texten, Xavier Naidoo,  gibt da in einem Interview sinngemäß folgenden Schluss zum Besten: Wenn die Welt und die Menschen derart schlecht seien, wie uns immer gesagt werde, wieso gäbe es dann Stevie Wonder oder Kate Bush? Geht's noch?

Der Mann ist ja kein Dummer, sondern arbeitet seit Jahren nach einer genau kalkulierten Masche. Ich mag übrigens seine Musik, um das klar zu stellen. Ganz besonders seine jüngste Live-Einspielung mit dem Orchester des Bayrischen Rundfunks, aber wenn er schon Stellung bezieht, sollte er nicht länger kryptisch bleiben, sondern Tatsachen beim Namen nennen, um mit ihnen klar und unmissverständlich seine Stimme zu erheben.

Interpreten, die die Welt nachhaltig verändert haben waren eher Joan Baez, Bob Dylan, Harry Belafonte und auch noch viele Andere, die Naidoo offenbar nicht  kennt, weil er zum Zeitpunkt ihres mutigen Einstehens vielleicht selbst noch als Quark im Supermarkt-Regal stand. Das kann ihm ja auch keiner zum Vorwurf machen. Aber den Grad der Schlechtigkeit unserer Welt und der auf ihr lebenden Menschen quasi als Propaganda zu bezeichnen, ist nur peinlich. Statt dessen sollte er sich vielleicht selbst mal direkt umschauen, um dann auch mal richtig wütend zu werden. Dieser Weg wird für ihn dann wirklich kein leichter sein.

Heile-Welt-Gesänge sichern aber vermutlich in dieser abgehörten, von Videos überwachten, unterdrückten und täglich  Blut vergießenden Aktualität eben doch mehr Konzertbesucher, die dann Tränen überströmt pseudo-religiöse Texte mitsingen. Womit sie sich dann wiederum von organisierten Fußball-Fans, die euphorisch die Hymne des FC Bayern anstimmen, nicht sonderlich unterscheiden...

Panem et circenses sind angesagt! Die Geschichte wiederholt sich.

Montag, 4. November 2013

Jeder bekommt die Maut, die er verdient

Es macht vermutlich wenig Sinn, dem Seehofer Horst Matthaeus 16:26 entgegen zu halten:
Was hülfe es dem Menschen, wenn er die ganze Welt gewönne und nähme doch Schaden an seiner Seele...
Der Herrscher über Bayrisch-Schlaraffenland gäbe vermutlich mit seinem berühmt schiefen Lächeln zu bedenken, ob Politiker überhaupt eine Seele haben, und wenn ja, dass die dann durch gebrochene Versprechen und Wahlkampf-Lügen eh schon dermaßen geschädigt sei, dass einem dann auch Gott und die Welt wurscht sein könne.

Ginge es dem christlich-sozialen Kraftmeier wirklich allein um die Maut-Gerechtigkeit in Europa, müsste er mehr auf die Experten hören, die auch aus Lagern stammen  (allen voran der Lobby-Verein ADAC), die seine Politik und seinen Wahlkampf ansonsten ja unterstütz haben. Mit der Maut sei nichts zu gewinnen, meinen jene, weil EU-Bürokratie, Kontroll- und Verwaltungsaufwand den erhofften Geld-Segen für den heimischen Straßenbau nicht nur vernichten, sondern im Gegenteil sogar weitere Mittel-Verknappung für das vermutlich auch in Zukunft CSU-geführte Bundes-Verkehrsministerium bedeuten würde.

Also weshalb machen Seehofer und seine Adepten das? Weil es ihnen stinkt, dass sie als starke Männer nach der Pfeife einer starken Frau tanzen müssen und weil sie obendrein den Frieden einer potenziellen Großen Koalition von vornherein  derart ausdünnen wollen, damit sie vielleicht doch noch zu Neuwahlen zu kommen...

So gesehen hat das bayrische "Wer ko, der ko" im Vergleich zum amerikanischen "Yes we can", das ja im Ursprung zumindest idealistisch war, nur scheinbar eine soziale Komponente. Denn die Maut als solche, die ja älter ist als die Demokratie, wurde schon immer von den Pfeffer-Säcken an den kleinen Mann weiter gereicht.

Als Pan-Europäer, der zwischen zwei Wohnsitzen hin und her pendelt, bin ich ein dreifach geschundener Maut-Zahler und kann das Preis-Leistungsverhältnis ganz gut ermessen:

Die Schweizer Jahres-Vignette ginge auch nach der anstehenden Preis-Erhöhung noch in Ordnung. Sie wäre auch dann immer noch deutlich billiger, als die von Ramsauer anvisierten 100 Euro. Die Routen über den Bernardino oder den Gotthard sparen im Vergleich zu Österreich/Italien oder Frankreich allein soviel Geld, dass die Vignette schon bei einmaliger Urlaubsnutzung wieder eingefahren würde.

Echte Wegelagerei betreibt Österreich - wo ja zum Teil die Tunnels und Teilabschnitte wie am Brenner noch extra kosten. Die geht sogar so weit, dass dreiste Fallen aufgebaut werden, in denen Fahrer von Autos ohne Vignette selbst dann von der Gendarmerie abgezockt werden, wenn die Unterhaltskosten für das Teilstück vom deutschen Steuerzahler aufgebracht werden. Wie auf dem Kilometer  von der Nordausfahrt des Pfändertunnels bis zur Grenze, auch wenn man erst in Herfatz auf die Autobahn fährt.

In Italien kann jeder, der sich auskennt und die nötige Zeit hat, auf Routen ausweichen, die die ja stets für Strecken-Abschnitte erhobene Maut kompensieren. Zeit- und Sprit-Kosten-Aufwand lässt einen allerdings schnell reumütig auf die Autostrade zurück kehren.

Was aber wird Seehofers überwiegend ländliche Wählerschaft wohl dereinst sagen, wenn ausländische Urlauber bald der Maut und den Staus auf unseren Autobahnen ausweichen, indem sie bestärkt  durch einschlägige Apps und ihr Navi auf den schönsten Landstraßen durch Bayern rollen?

Freitag, 1. November 2013

gott.de

Gestern chauffierte mich die Zweitbeste über den Ring. Deshalb fiel mir ein auf der Parallelstraße geparktes Auto auf, das ein Schild auf dem Dach montiert hatte, auf dem in ungelenker Schrift stand: gott.de

Ich fragte meine allererste  Instanz in jeglichen Glaubensfragen und immer noch sporadisch praktizierende Katholikin am Steuer, ob es denn sein könne, dass selbst Gott nun einen Web-Auftritt habe. Und sie meinte, dass das doch wohl selbstverständlich sei.

Ach hätte ich nur ein Smartphone gehabt, das ich mir bislang noch nicht leisten wollte... Ich hätte noch während der Beifahrt meinen Agnostizimus durch einen Chat mit Gott himself aufgeben können.

So musste ich bis zum Abend warten, um endlich wieder meiner Netz-Sucht frönen zu können:

gott.de war die erste Homepage, die ich in diesem Zusammenhang aufsuchte. Ihr könnt Euch meine Enttäuschung vorstellen, als ich einen durchaus irdischen Auftritt vor mir hatte. Kein Hauch von Elysium. Noch nicht mal ein Heiligenschein erhellt diese düstere Seite, auf der unter anderem auch ein Gottesbeweis gegen den Physiker Stephen Hawking formuliert wird. Jener hatte ja kürzlich erst in seiner Eigenschaft als Astrophysiker die Behauptung aufgestellt, das Universum respektive die Schöpfung brauche keinen Gott.

Da ich all diese Pro- sowie die Kontra-Argumente schon kannte und nichts Neues auf beiden Seiten fand, ritt mich schnell der Leibhaftige:

Also gab ich mal teufel.de ein, und hätte mich dort aber anstelle von Schwefel-Gestank und Bockfuß online lediglich mit satanisch preisgünstiger Lautsprecher- und Tonwiedergabe-Technik versorgen können. Teufel auch!

Was macht ein Agnostiker, der nun schon mal anfänglich cybermäßig  in seinem Agnostizismus erschüttert wurde? Klar doch! Er tippt agnostiker.de ein und wird alsbald auf das Agnostiker-Netzwerk umgeleitet. Sektierertum? - Nein Danke!

Es reizte mich natürlich auch halloween.de einzugeben, aber da war mir schon unbesehen klar, dass ich vermutlich mit einem Angebot von Horror-Schmarren belästigt werden würde. Also gab ich gleich allerheiligen.de ein, um zu sehen, ob es da eine Grabpflege-App  mit  geeigneten Besucher-Tipps geben würde. So eine Webside existiert aber leider gar nicht. So konnte ich der Zweitbesten diesbezüglich nichts mit auf den Weg geben, wenn sie sich heute traditionell mit dem gläubigen Teil der Familie am Grab trifft.

Ich selber gehe derweil lieber auf  friedhof.de und trauere still vor mich hin. Aber nicht wegen dem Tod, sondern weil ich eine Jugend verbringen musste, in der ich  nicht in allen L e b e n s l a g e n  virtuell bedient wurde...