Samstag, 6. April 2013

Offshore

Ganz schnell, bevor vielleicht wieder ein anderes Thema in den Vordergrund rückt:
Das internationale Offshore-Leaks "investigativer Journalisten" lässt die Empörung so aufbrausen, dass man annehmen könnte, niemand habe schon früher davon gewusst. Dabei haben die Banker im Zusammenspiel mit den Reichen und Mächtigen schon immer verborgene Geldreserven geschaffen, um ihre und deren Macht zu erhalten. Die Welser und Fugger hatten allerdings noch keine Inseln dafür.

Wo bitteschön sind denn all die Ruhestand-Millionen geparkt worden, von denen die Drittwelt-Despoten ihre Luxusleben im Exil bestritten? Und wenn unser stets hinterher schlauer Wirtschaftsminister vorgibt, von der Existenz solcher Eilande nichts zu wissen, dann tut er das, um seinen für Entwicklungshilfe zuständigen Minister zu schützen, der fleißig unsere Steuergelder in diese Oasen pumpt.

Die Offshore-Leaks-Journalisten können zwar momentan im Helden-Nimbus erstrahlen, aber wenn sie weiter recherchieren, werden sie leider auch auf Kollegen treffen, die nur allzu willig als Steigbügelhalter für "Offshore-Finanzprodukte" fungiert haben. Denn ohne "spread the news" können auch die Banker kein "geheimes" Umfeld für ihre Investoren schaffen.

Dass das im Jahre 1980 nicht anders war, ist in der folgenden Episode aus dem Leben von Johannes Goerz nach zu lesen. Mein  mehr oder weniger fiktives Erzähl-Alter-Ego hatte nach der Geburt seines Christkindes auch so seine Existenz-Ängste:


   Was Johannes in der Weihnachtserzählung für seine Tochter mit der "Weichenstellung" zu einer sichereren  Existenz angedeutet hatte, war im Rückblick viel risikoreicher gewesen, als erwartet. Sein kleines Büro musste wachsen, weil es von großen Verlagen die komplette redaktionelle Geschäftsbesorgung von Zeitschriften übernehmen wollte. Ohne den Enthusiasmus der 80er und den naiven Glauben an seine vermeintlich unerschöpflichen Kräfte, hätte er so etwas nicht einmal andenken dürfen. Dass ihn das Arrangement ermöglichen würde, mehr bei seiner Familie zu sein, war ebenfalls eine riesige Illusion gewesen. Esther und Martha waren keine drei Tage zu Hause, da saß er einen Tag nach Neujahr schon wieder im Flieger nach Florida - den Rattenfänger Hark van Nytorf an seiner Seite...
  
  Nachdem die auf zehn Tage angelegte Produktion nach der Hälfte der Zeit schon im Kasten war, ließ ihn der alte Fuchs wie ein Dompteur wieder einmal durch den Krokodil-Rahmen (benannt nach dem Markentier einer damals noch exklusiven Sportmode) springen. Er wolle auf den Bahamas noch ein paar einflussreiche Verlagsmanager und Finanziers treffen, das sei doch auch für seine zukünftige Firma nicht uninteressant. Die Spesen für sich müsse er allerdings selber tragen.
  Sie charterten von Miami aus - da wegen des Wochenendes alle Flüge nach Nassau ausgebucht  waren  - eine zweimotorige Beachcraft Commander mit VIP-Service und logierten im Ocean-Club auf Paradise Island. Für den nächsten Nachmittag hatte van Nytorf - der selbst grundsätzlich keinen Sport trieb - schon für Johannes eine Art Tennis-Turnier mit den "wichtigen Leuten" arrangiert. Er hatte so eine Ahnung, dass van Nytorf ihn gewissermaßen als eine Art Pausen-Clown zum Mitkommen überredet hatte.
  Tagsüber trieb er sich am Strand herum, scherzte mit dem durchwegs schwarzen Personal am Beach, zeigte ihnen seine Kartentricks und umschmeichelte die Mädchen vom House-Keeping, denn er war ja kleidungsmäßig weder auf den Sport noch auf die "'Social Evenings" eingestellt. Der ebenfalls schwarze Proshop-Manager stattete ihn leihweise und kostenlos  aus, als hätte er ein Major Tournament zu bestreiten, und seine Anziehsachen waren in Rekordzeit aus der Reinigung; mit einer Hibiskus-Blühte und einem handgeschriebenen Gruß von "Marcy"
  Johannes wurde schon auf dem Centercourt erwartet. Man wollte ein Doppel "best of three" spielen. Johannes machte sich keine Vorstellung davon, was Nytorf in Unkenntnis über seine Spielstärke hatte verlauten lassen. Die beiden Verlagsmanager waren bereits in den Fünfzigern. Der Privat-Banker - an die vierzig - machte einen extrem fitten Eindruck. Die Paarungen wurden nicht nach Spielstärke, sondern nach Alter festgelegt. Johannes spielte also als Jüngster mit dem etwas älteren Verlagsmanager.
  Schon beim Einschlagen war klar, dass das nach dem äußeren Anschein ein echtes Trigger-Game werden würde. Johannes war nicht nur der mit Abstand schwächste Spieler auf dem Court, sondern auch der ahnungsloseste, denn es wurde beiläufig darum gezockt, wer am Abend das Dinner im Café Martinique zahlen würde. Johannes überlegte kurz wie er seine so junge Familie vor dem sicheren Hungertod bewahren könnte. Denn abgesehen davon, dass der Ocean-Club und der private Charter weit über seine Verhältnisse gewesen waren, würde ihm selbst die Hälfte des Dinners für die Fünf im damals teuersten Restaurant der Bahamas den Rest geben. Er verfluchte Nytorf insgeheim und dann sogar halblaut als jener mit den Damen seiner Geschäftsfreunde - gewissermaßen als exklusives Publikum - auf der Tribüne Platz nahm. Für die würde das Dinner also mit bezahlt - obwohl keine der Damen die "Misses" von einem seiner Mitspieler war, wie ihm Nytorf später mit viel sagendem Blick  zuraunte.
   Die beiden Älteren spielten die elegante klassische amerikanische Technik, während der Banker und Johannes besonders auf Sandplatz schon Vertreter der Topspin-Generation waren. Da beide Rechtshänder waren, spielten sie auch rechts auf der Vorhandseite, was automatisch zu einer Pokerpartie führte. Beide zogen mit voller Kraft ihre Schläge so durch, dass sie nach hohem Bogenflug sehr diagonal hinter der Höhe der T-Linie aufsprangen ohne, dass die Spieler am Netz eine Chance zum Eingreifen hatten. Der Rückschläger wurde zudem noch sehr weit aus dem Feld getrieben. Es war also reine Nervensache, wer die Punkte machte. Da Johannes - schon wegen seines kaum zu bremsenden Temperamentes - eine derartige Löffelei verabscheute, aber auch ein schönes Spiel wollte, verteilte er stets als erster die Bälle. Und damit machte die Gegenseite Punkt um Punkt. Bei Johannes wuchs also mit der drohenden Niederlage auch der Druck des finanziellen Desasters. Dass er wegen seines sicheren und harten Aufschlages keines seiner Aufschlagspiele abgab, war dabei nur ein schwacher Trost. 6:4  ging der erste Satz verloren, und den zweiten konnten sie sich unter diesen Vorzeichen eigentlich sparen, denn die Überlegenheit der anderen war größer als das nüchterne  Resultate verriet...
  Doch Johannes hatte die Rechnung ohne das Knowhow und den Ehrgeiz seines Partners Burt gemacht. Später sollte er erfahren, dass jener jahrelang in den Top Ten der US-College-Rankings war und sehr erfolgreich in seiner Freizeit ein Teeny-Team coachte. Burt schickte Johannes auf die linke Seite (wo im Doppel eigentlich die entscheidenden Punkte gemacht werden) und verlangte  von ihm - komme, was wolle - die dichte Position am Netz nur als Rückschläger und beim Service aufzugeben, den Rest würde er erledigen. Johannes hatte Burt zunächst im Verdacht, er wolle nach dem Herumstehen im ersten Satz nur noch ein wenig Action und Spaß.
  Da Pete, der Privat-Banker, der deutlich stärkste Spieler auf dem Platz war, dachte er siegesgewiss gar nicht daran, auf diese taktische Maßnahme zu reagieren. Das Diagonal-Duell lief nun aber komplett anders ab. Burt blieb provozierend bei den Topspinbällen kurz hinter der T-Linie und slicete sie aus über Schulterhöhe mit tödlicher Sicherheit extrem kurz hinter das Netz, wo Pete nur noch unter aber nicht mehr über den Ball kam. Das öffnete für den einigermaßen sicheren Volleyspieler Johannes einen großen Vektor im gegnerischen Feld - zumal Dennis, Petes Partner, naturgemäß nicht mehr der Schnellste war.
  Die Rückhand von Johannes war kurz vor lausig. Auf dem langsamen Sandplatz blieb ihm eigentlich nur der Slice, wenn er nicht viele unerzwungene Fehler in Kauf nehmen wollte. Der Slice kaschierte allerdings eine Horrorwaffe, der sich Johannes meist aus Verlegenheit bediente. Durch seine starken Handgelenke konnte er, ohne Schaden zu nehmen, einen aus voller Wucht geschlagenen Cross ansatzlos in einen wie tot hinters Netz stürzenden Stop verwandeln.
  Nachdem sie den zweiten Satz überraschend mit 6:3 für sich entschieden hatten, lagen sie im vierten bereits mit 2:4 zurück, als ausgerechnet so ein Schlag von Johannes die Vorentscheidung brachte. Er war gerade noch mit Mühe an einen Ball heran gerutscht, als er sich instinktiv entschloss, das locker hängende Handgelenk beim Schlag extrem zu winkeln. Für Dennis, dessen harten Schlag von der Grundlinie er damit konterte, telegraphierte dieser Stop Unerreichbarkeit. Nicht aber für Pete, der aufgrund der veränderten "Machtverhältnisse" offenbar zunehmend unter Strom stand. Er startete mit geballter Energie hoch zu einem Sprint, der tief abgebremst werden musste. Das trockene Plopp eines Muskelfaser-Risses schallte sogar zu den Barbie-Puppen auf der Tribüne hoch, die darob in dieses klassisch hysterische Cheerleader-Gekreische aus den einschlägig bekannten Girlie-Filmen ausbrachen.
  Dennis und Johannes boten sofort einen Abbruch der Partie an, aber Pete war so voller Adrenalin, dass er nach ein paar mal heftigem und schmerzverzerrtem  Auftreten Anstalten machte, sein Service wieder aufzunehmen. Dennis zog den total verschwitzten Johannes ganz dicht an sich heran und raunte ihm zu:
  "No mercy! Keine Gnade! Er hätte aufgeben können."
  Wann immer Johannes aus Mitleid mit seinem schmerzverzerrten Gegenspieler Bälle ohne Killerinstinkt spielte oder unterbewusst nicht so hart auf Pete servierte, wiederholte Dennis diese ultimativen Sätze. Bis sie den Entscheidungssatz mit 6:4 für sich entschieden hatten. Johannes fühlte sch einerseits nicht wohl mit diesem ungerechten Sieg, andererseits war er jedoch erleichtert, dass der Kelch des Zahlenmüssens an ihm vorüber gegangen war. Er nahm sich dennoch vor, am Abend auf Kosten der Verlierer Langusten und Champagner bis zum Abwinken zu vertilgen...
  Was man von den "US-Boys" wirklich lernen konnte, war die Grandezza, mit der selbst eine Niederlage als Anlass zum stilvollen Feiern genommen wurde. Nach dem Duschen trafen sich alle schon im "Social Dress" für den Abend zu Cocktails und Hors D'Oeuvre am Pool des Sporting Clubs, wobei Pete mit seinem lädierten Oberschenkel den Mitleidbonus der Barbies einstrich und Hark van Nytorf mit seinem "Langley-Amerikanisch" den Medien-Macker mimte. Johannes hatte begriffen , dass er sich in einer Art Testlauf befand. Van Nytorf wollte die deutsche Lizenz für eines der härteren US-Männermagazine, mit der die beiden Verlagsmanager dealten. Der Offshore-Banker sollte dem Plot konditionell und steuertechnisch den Rücken frei halten und der "Hals-und-Beinbruch-Reporter" musste als möglicher repräsentativer Blattmacher abgeklopft werden.
  Dass dabei seine polyglotte Erfahrung nicht auf den Prüfstand geraten sollte, offenbarte ein Dialog mit Pete, dem "Finanz-Genie", den er später gerne als für die Reagan-Aera politisch signifikanten Unterhaltungsbeitrag beisteuern würde. 1980 strebte der Afghanistan-Konflikt einem neuen blutigen Höhepunkt zu, und die Amerikaner hatten Angst, stärker involviert zu werden:
  "Horrible, what the Russians do in Afghanistan!" Konstatierte Pete.
  Johannes bestätigte und betrauerte die frühere Sicherheitslage, in dem er erzählte wie seine pensionierten Eltern zu Beginn der Siebziger die ganze Strecke von Europa auf den Indischen Subkontinent noch mit ihrem VW-Campmobil abgereist waren, und wie er selbst einige Jahre zuvor geplant hatte, auf den Spuren von  Micheners  "Karawanen der Nacht" die Strecke Kabul-Kaiberpass als Erlebnis-Reportage auf dem Pferderücken zurückzulegen. Pete nickte wissend und interessiert dazu und fragte dann allen Ernstes:
"Besides. Where is this damn' Afghanistan. Must be somewhere near Italy!"
  Als die anderen ihn zwischen Gänseleber und Languste inmitten all der kristallenen "Lüsternheit" des Café Martinique am abend ohne Vorwarnung fragten, wie denn sein finanzieller Anteil an einem möglichen Deal aussehen könnte, wusste Johannes endgültig, dass er auf der falschen Veranstaltung war, und er beschloss - dessen Netzwerk hin oder her - nie wieder mit  oder für Hark van Nytorf zu arbeiten.
  Er gab vor, zu wenig von dem zu verstehen, was sie ihm zur Finanzierung über einen Fonds aus "Luftaktien" vorschlugen und bat souverän um Bedenk- und Beratungszeit "with my guys at home". Was sich für die anderen wie ein Beraterstab anhören mochte, war ein drei Wochen altes Mädchen und eine Managerin, die sich gerade entschlossen hatte, voll in ihrer neuen Mutterrolle aufzugehen. Er wusste wie deren Antwort ausfallen würde.
  Später waren sie noch hinüber gegangen ins Casino vom Britannia Beach um die After-Dinner-Show zu sehen. Zu den Tickets gab es große bahamesische Münzen als "Spielgeld" für die im Foyer aufgestellten Slotmachines. Johannes warf seine lustlos und ohne Interesse in die nächstbeste. Die letzte Münze holte mit drei Siebenern einen kleinen Jackpot von 777 US-Dollar. Er nahm das als ein Zeichen - niemals mehr vabanque zu spielen.
  Am nächsten Morgen rief van Nytorf ganz ungehalten vom Pool aus an, wo er denn bliebe:
  "Ich krieg hier nix! Du hast doch gesagt, deine Wäsche sei innerhalb von zwei Stunden zurück gewesen. Ich warte jetzt schon zwei Tage, und zum Lunch wollen sie mir auch nichts servieren  Die fragen immer: 'Where is the big man?' und meinen, ich solle auf dich warten. Zahlst du denen extra dickes Trinkgeld oder was?"
  Johannes verzichtete darauf, dem Älteren eine Belehrung zu erteilen. Wer mit mehr Wodka als Blut in den Adern so laut in einem Hotel voller schwarzem Personal von "Bimbos" und den "Negern als beste Freunde des Menschen" spricht und das noch für witzig hält, musste vermutlich froh sein, wenn er trotz der "fashionable ambience" ohne zufälligen Unfall davon käme...

Dennoch.  Für van Nytorf und sein neues Magazin schrieb er in der Folge (trotz seines Vorsatzes, dies nicht mehr zu tun) einige erotische Kurzgeschichten. Eine davon wurde sogar in die zwölf Sprachen der anderen Lizenznehmer übersetzt und eröffneten Johannes ein kleines "weiteres Feld". Van Nytorf verlor innerhalb der nächsten drei Jahre mit dem Blatt fast die Hälfte seines Vermögens.  Dennis und Burt sah er nie wieder, aber Pete sollte seinem Leben dreizehn Jahre später eine erneute Wende geben...

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