Ganz schnell, bevor vielleicht wieder ein anderes Thema in den Vordergrund rückt:
Das internationale Offshore-Leaks "investigativer Journalisten" lässt die Empörung so aufbrausen, dass man annehmen könnte, niemand habe schon früher davon gewusst. Dabei haben die Banker im Zusammenspiel mit den Reichen und Mächtigen schon immer verborgene Geldreserven geschaffen, um ihre und deren Macht zu erhalten. Die Welser und Fugger hatten allerdings noch keine Inseln dafür.
Wo bitteschön sind denn all die Ruhestand-Millionen geparkt worden, von denen die Drittwelt-Despoten ihre Luxusleben im Exil bestritten? Und wenn unser stets hinterher schlauer Wirtschaftsminister vorgibt, von der Existenz solcher Eilande nichts zu wissen, dann tut er das, um seinen für Entwicklungshilfe zuständigen Minister zu schützen, der fleißig unsere Steuergelder in diese Oasen pumpt.
Die Offshore-Leaks-Journalisten können zwar momentan im Helden-Nimbus erstrahlen, aber wenn sie weiter recherchieren, werden sie leider auch auf Kollegen treffen, die nur allzu willig als Steigbügelhalter für "Offshore-Finanzprodukte" fungiert haben. Denn ohne "spread the news" können auch die Banker kein "geheimes" Umfeld für ihre Investoren schaffen.
Dass das im Jahre 1980 nicht anders war, ist in der folgenden Episode aus dem Leben von Johannes Goerz nach zu lesen. Mein mehr oder weniger fiktives Erzähl-Alter-Ego hatte nach der Geburt seines Christkindes auch so seine Existenz-Ängste:
Was Johannes in der
Weihnachtserzählung für seine Tochter mit der "Weichenstellung" zu
einer sichereren Existenz angedeutet
hatte, war im Rückblick viel risikoreicher gewesen, als erwartet. Sein kleines
Büro musste wachsen, weil es von großen Verlagen die komplette redaktionelle
Geschäftsbesorgung von Zeitschriften übernehmen wollte. Ohne den Enthusiasmus
der 80er und den naiven Glauben an seine vermeintlich unerschöpflichen Kräfte,
hätte er so etwas nicht einmal andenken dürfen. Dass ihn das Arrangement
ermöglichen würde, mehr bei seiner Familie zu sein, war ebenfalls eine riesige
Illusion gewesen. Esther und Martha waren keine drei Tage zu Hause, da saß er
einen Tag nach Neujahr schon wieder im Flieger nach Florida - den Rattenfänger
Hark van Nytorf an seiner Seite...
Nachdem die auf zehn
Tage angelegte Produktion nach der Hälfte der Zeit schon im Kasten war, ließ
ihn der alte Fuchs wie ein Dompteur wieder einmal durch den Krokodil-Rahmen (benannt nach dem Markentier einer damals noch exklusiven Sportmode) springen. Er wolle auf den Bahamas noch ein paar einflussreiche Verlagsmanager
und Finanziers treffen, das sei doch auch für seine zukünftige Firma nicht
uninteressant. Die Spesen für sich müsse er allerdings selber tragen.
Sie charterten von Miami
aus - da wegen des Wochenendes alle Flüge nach Nassau ausgebucht waren
- eine zweimotorige Beachcraft Commander mit VIP-Service und logierten
im Ocean-Club auf Paradise Island. Für den nächsten Nachmittag hatte van Nytorf
- der selbst grundsätzlich keinen Sport trieb - schon für Johannes eine Art
Tennis-Turnier mit den "wichtigen Leuten" arrangiert. Er hatte so
eine Ahnung, dass van Nytorf ihn gewissermaßen als eine Art Pausen-Clown zum
Mitkommen überredet hatte.
Tagsüber trieb er sich
am Strand herum, scherzte mit dem durchwegs schwarzen Personal am Beach, zeigte
ihnen seine Kartentricks und umschmeichelte die Mädchen vom House-Keeping, denn
er war ja kleidungsmäßig weder auf den Sport noch auf die "'Social
Evenings" eingestellt. Der ebenfalls schwarze Proshop-Manager stattete ihn
leihweise und kostenlos aus, als hätte
er ein Major Tournament zu bestreiten, und seine Anziehsachen waren in
Rekordzeit aus der Reinigung; mit einer Hibiskus-Blühte und einem
handgeschriebenen Gruß von "Marcy"
Johannes wurde schon auf
dem Centercourt erwartet. Man wollte ein Doppel "best of three"
spielen. Johannes machte sich keine Vorstellung davon, was Nytorf in Unkenntnis
über seine Spielstärke hatte verlauten lassen. Die beiden Verlagsmanager waren
bereits in den Fünfzigern. Der Privat-Banker - an die vierzig - machte einen
extrem fitten Eindruck. Die Paarungen wurden nicht nach Spielstärke, sondern
nach Alter festgelegt. Johannes spielte also als Jüngster mit dem etwas älteren
Verlagsmanager.
Schon beim Einschlagen
war klar, dass das nach dem äußeren Anschein ein echtes Trigger-Game werden
würde. Johannes war nicht nur der mit Abstand schwächste Spieler auf dem Court,
sondern auch der ahnungsloseste, denn es wurde beiläufig darum gezockt, wer am
Abend das Dinner im Café Martinique zahlen würde. Johannes überlegte kurz wie
er seine so junge Familie vor dem sicheren Hungertod bewahren könnte. Denn
abgesehen davon, dass der Ocean-Club und der private Charter weit über seine
Verhältnisse gewesen waren, würde ihm selbst die Hälfte des Dinners für die
Fünf im damals teuersten Restaurant der Bahamas den Rest geben. Er verfluchte
Nytorf insgeheim und dann sogar halblaut als jener mit den Damen seiner Geschäftsfreunde
- gewissermaßen als exklusives Publikum - auf der Tribüne Platz nahm. Für die
würde das Dinner also mit bezahlt - obwohl keine der Damen die
"Misses" von einem seiner Mitspieler war, wie ihm Nytorf später mit
viel sagendem Blick zuraunte.
Die beiden Älteren
spielten die elegante klassische amerikanische Technik, während der Banker und
Johannes besonders auf Sandplatz schon Vertreter der Topspin-Generation waren.
Da beide Rechtshänder waren, spielten sie auch rechts auf der Vorhandseite, was
automatisch zu einer Pokerpartie führte. Beide zogen mit voller Kraft ihre
Schläge so durch, dass sie nach hohem Bogenflug sehr diagonal hinter der Höhe
der T-Linie aufsprangen ohne, dass die Spieler am Netz eine Chance zum
Eingreifen hatten. Der Rückschläger wurde zudem noch sehr weit aus dem Feld
getrieben. Es war also reine Nervensache, wer die Punkte machte. Da Johannes -
schon wegen seines kaum zu bremsenden Temperamentes - eine derartige Löffelei
verabscheute, aber auch ein schönes Spiel wollte, verteilte er stets als erster
die Bälle. Und damit machte die Gegenseite Punkt um Punkt. Bei Johannes wuchs
also mit der drohenden Niederlage auch der Druck des finanziellen Desasters.
Dass er wegen seines sicheren und harten Aufschlages keines seiner Aufschlagspiele
abgab, war dabei nur ein schwacher Trost. 6:4
ging der erste Satz verloren, und den zweiten konnten sie sich unter
diesen Vorzeichen eigentlich sparen, denn die Überlegenheit der anderen war
größer als das nüchterne Resultate
verriet...
Doch Johannes hatte die
Rechnung ohne das Knowhow und den Ehrgeiz seines Partners Burt gemacht. Später
sollte er erfahren, dass jener jahrelang in den Top Ten der US-College-Rankings
war und sehr erfolgreich in seiner Freizeit ein Teeny-Team coachte. Burt schickte
Johannes auf die linke Seite (wo im Doppel eigentlich die entscheidenden Punkte
gemacht werden) und verlangte von ihm -
komme, was wolle - die dichte Position am Netz nur als Rückschläger und beim
Service aufzugeben, den Rest würde er erledigen. Johannes hatte Burt zunächst
im Verdacht, er wolle nach dem Herumstehen im ersten Satz nur noch ein wenig
Action und Spaß.
Da Pete, der
Privat-Banker, der deutlich stärkste Spieler auf dem Platz war, dachte er
siegesgewiss gar nicht daran, auf diese taktische Maßnahme zu reagieren. Das
Diagonal-Duell lief nun aber komplett anders ab. Burt blieb provozierend bei
den Topspinbällen kurz hinter der T-Linie und slicete sie aus über Schulterhöhe
mit tödlicher Sicherheit extrem kurz hinter das Netz, wo Pete nur noch unter
aber nicht mehr über den Ball kam. Das öffnete für den einigermaßen sicheren
Volleyspieler Johannes einen großen Vektor im gegnerischen Feld - zumal Dennis,
Petes Partner, naturgemäß nicht mehr der Schnellste war.
Die Rückhand von
Johannes war kurz vor lausig. Auf dem langsamen Sandplatz blieb ihm eigentlich
nur der Slice, wenn er nicht viele unerzwungene Fehler in Kauf nehmen wollte.
Der Slice kaschierte allerdings eine Horrorwaffe, der sich Johannes meist aus
Verlegenheit bediente. Durch seine starken Handgelenke konnte er, ohne Schaden
zu nehmen, einen aus voller Wucht geschlagenen Cross ansatzlos in einen wie tot
hinters Netz stürzenden Stop verwandeln.
Nachdem sie den zweiten
Satz überraschend mit 6:3 für sich entschieden hatten, lagen sie im vierten
bereits mit 2:4 zurück, als ausgerechnet so ein Schlag von Johannes die
Vorentscheidung brachte. Er war gerade noch mit Mühe an einen Ball heran
gerutscht, als er sich instinktiv entschloss, das locker hängende Handgelenk
beim Schlag extrem zu winkeln. Für Dennis, dessen harten Schlag von der
Grundlinie er damit konterte, telegraphierte dieser Stop Unerreichbarkeit.
Nicht aber für Pete, der aufgrund der veränderten "Machtverhältnisse"
offenbar zunehmend unter Strom stand. Er startete mit geballter Energie hoch zu
einem Sprint, der tief abgebremst werden musste. Das trockene Plopp eines
Muskelfaser-Risses schallte sogar zu den Barbie-Puppen auf der Tribüne hoch,
die darob in dieses klassisch hysterische Cheerleader-Gekreische aus den
einschlägig bekannten Girlie-Filmen ausbrachen.
Dennis und Johannes
boten sofort einen Abbruch der Partie an, aber Pete war so voller Adrenalin,
dass er nach ein paar mal heftigem und schmerzverzerrtem Auftreten Anstalten machte, sein Service
wieder aufzunehmen. Dennis zog den total verschwitzten Johannes ganz dicht an
sich heran und raunte ihm zu:
"No mercy! Keine
Gnade! Er hätte aufgeben können."
Wann immer Johannes aus
Mitleid mit seinem schmerzverzerrten Gegenspieler Bälle ohne Killerinstinkt
spielte oder unterbewusst nicht so hart auf Pete servierte, wiederholte Dennis
diese ultimativen Sätze. Bis sie den Entscheidungssatz mit 6:4 für sich
entschieden hatten. Johannes fühlte sch einerseits nicht wohl mit diesem
ungerechten Sieg, andererseits war er jedoch erleichtert, dass der Kelch des
Zahlenmüssens an ihm vorüber gegangen war. Er nahm sich dennoch vor, am Abend
auf Kosten der Verlierer Langusten und Champagner bis zum Abwinken zu
vertilgen...
Was man von den
"US-Boys" wirklich lernen konnte, war die Grandezza, mit der selbst
eine Niederlage als Anlass zum stilvollen Feiern genommen wurde. Nach dem
Duschen trafen sich alle schon im "Social Dress" für den Abend zu
Cocktails und Hors D'Oeuvre am Pool des Sporting Clubs, wobei Pete mit seinem
lädierten Oberschenkel den Mitleidbonus der Barbies einstrich und Hark van
Nytorf mit seinem "Langley-Amerikanisch" den Medien-Macker mimte.
Johannes hatte begriffen , dass er sich in einer Art Testlauf befand. Van
Nytorf wollte die deutsche Lizenz für eines der härteren US-Männermagazine, mit
der die beiden Verlagsmanager dealten. Der Offshore-Banker sollte dem Plot
konditionell und steuertechnisch den Rücken frei halten und der
"Hals-und-Beinbruch-Reporter" musste als möglicher repräsentativer
Blattmacher abgeklopft werden.
Dass dabei seine
polyglotte Erfahrung nicht auf den Prüfstand geraten sollte, offenbarte ein
Dialog mit Pete, dem "Finanz-Genie", den er später gerne als für die
Reagan-Aera politisch signifikanten Unterhaltungsbeitrag beisteuern würde. 1980
strebte der Afghanistan-Konflikt einem neuen blutigen Höhepunkt zu, und die
Amerikaner hatten Angst, stärker involviert zu werden:
"Horrible, what the
Russians do in Afghanistan!" Konstatierte Pete.
Johannes bestätigte und
betrauerte die frühere Sicherheitslage, in dem er erzählte wie seine
pensionierten Eltern zu Beginn der Siebziger die ganze Strecke von Europa auf
den Indischen Subkontinent noch mit ihrem VW-Campmobil abgereist waren, und wie
er selbst einige Jahre zuvor geplant hatte, auf den Spuren von Micheners
"Karawanen der Nacht" die Strecke Kabul-Kaiberpass als
Erlebnis-Reportage auf dem Pferderücken zurückzulegen. Pete nickte wissend und
interessiert dazu und fragte dann allen Ernstes:
"Besides. Where is this damn' Afghanistan. Must be
somewhere near Italy!"
Als die anderen ihn
zwischen Gänseleber und Languste inmitten all der kristallenen
"Lüsternheit" des Café Martinique am abend ohne Vorwarnung fragten,
wie denn sein finanzieller Anteil an einem möglichen Deal aussehen könnte,
wusste Johannes endgültig, dass er auf der falschen Veranstaltung war, und er
beschloss - dessen Netzwerk hin oder her - nie wieder mit oder für Hark van Nytorf zu arbeiten.
Er gab vor, zu wenig von
dem zu verstehen, was sie ihm zur Finanzierung über einen Fonds aus
"Luftaktien" vorschlugen und bat souverän um Bedenk- und
Beratungszeit "with my guys at home". Was sich für die anderen wie
ein Beraterstab anhören mochte, war ein drei Wochen altes Mädchen und eine
Managerin, die sich gerade entschlossen hatte, voll in ihrer neuen Mutterrolle
aufzugehen. Er wusste wie deren Antwort ausfallen würde.
Später waren sie noch
hinüber gegangen ins Casino vom Britannia Beach um die After-Dinner-Show zu
sehen. Zu den Tickets gab es große bahamesische Münzen als
"Spielgeld" für die im Foyer aufgestellten Slotmachines. Johannes
warf seine lustlos und ohne Interesse in die nächstbeste. Die letzte Münze
holte mit drei Siebenern einen kleinen Jackpot von 777 US-Dollar. Er nahm das
als ein Zeichen - niemals mehr vabanque zu spielen.
Am nächsten Morgen rief
van Nytorf ganz ungehalten vom Pool aus an, wo er denn bliebe:
"Ich krieg hier
nix! Du hast doch gesagt, deine Wäsche sei innerhalb von zwei Stunden zurück
gewesen. Ich warte jetzt schon zwei Tage, und zum Lunch wollen sie mir auch
nichts servieren Die fragen immer:
'Where is the big man?' und meinen, ich solle auf dich warten. Zahlst du denen
extra dickes Trinkgeld oder was?"
Johannes verzichtete
darauf, dem Älteren eine Belehrung zu erteilen. Wer mit mehr Wodka als Blut in
den Adern so laut in einem Hotel voller schwarzem Personal von
"Bimbos" und den "Negern als beste Freunde des Menschen"
spricht und das noch für witzig hält, musste vermutlich froh sein, wenn er
trotz der "fashionable ambience" ohne zufälligen Unfall davon käme...
Dennoch. Für van Nytorf
und sein neues Magazin schrieb er in der Folge (trotz seines Vorsatzes, dies
nicht mehr zu tun) einige erotische Kurzgeschichten. Eine davon wurde sogar in
die zwölf Sprachen der anderen Lizenznehmer übersetzt und eröffneten Johannes
ein kleines "weiteres Feld". Van Nytorf verlor innerhalb der nächsten
drei Jahre mit dem Blatt fast die Hälfte seines Vermögens. Dennis und Burt sah er nie wieder, aber Pete
sollte seinem Leben dreizehn Jahre später eine erneute Wende geben...