Die Kroatin Milena betreibt ihren Friseur-Salon direkt um die Ecke vom Glashaus. Seit sich mir diese Bequemlichkeit bietet, gehe ich als Friseur-Muffel öfter zum Haarschneiden als früher. Was irgendwie paradox ist, weil mein eisgrauer Pelz ja immer löchriger wird. Ich könnte auch behaupten, das läge an Milenas konkurrenzlos günstigen Preisen, aber das wäre eine Beschönigung der Tatsache, dass ihr Anblick mich irgendwie positiv befangen macht:
Milena ist schon gut in den 40ern unterwegs, gertenschlank und trägt ihre blond gefärbten Haare quasi als Marketing in einem dieser neuen Schnitte, bei der die eine Seite vom Scheitel runter nahezu kahl geschoren ist, während die andere Hälfte lang und ungebändigt aussieht. Sie ist nicht unbedingt eine Schönheit, aber ein Hingucker, und das weiß sie auch. Wie viele ihrer slawischen Schwestern hat sie das Talent ihre Weiblichkeit ausgereizt bis hart an die Grenzen des Schicklichen zu präsentieren. Kein Wunder also, dass viele ihrer Kunden männlich sind, obwohl sie ihre Reputation über die Stadtteilgrenzen hinaus durch ihre Aufsehen erregenden Braut-Frisuren errungen hat...
Die wären an den Wänden auf großformatigen Fotos zu bestaunen, wenn - ja wenn - Milena nicht alles dafür täte die volle Aufmerksamkeit auf sich zu lenken: Mal hat sie einen Schal-Pulli an, der so weit geschnitten ist, dass er ihr beim Schneiden weit von der Schulter rutscht, mal ist es es ein Chiffon-Teil mit Ärmelausschnitten, die weite aber nicht zu weite Einblicke gewähren...
Es läge also nahe, dass sie damit in erster Line auf alte Schwerenöter wie mich wirken will, aber mittlerweile weiß ich, dass sie gar nicht in solche Richtungen denkt. Sie macht präzise Termine und holt sich nur Verstärkung durch Aushilfen, wenn sie Überschneidungen gar nicht mehr vermeiden kann.
Da ich immer ein wenig zu früh dran bin (weshalb eigentlich?) habe ich mittlerweile ein schönes Kundenspektrum von ihr: Da sitzt schon mal eine streng mit Kopftuch eingebundene Muslima, um dabei zuzuschauen, wie Milena ihrem Sohn einen Irokesen-Punk in den Schädel rasiert. Überhaupt war ich überrascht, dass auch eher fundamentalistisch anmutende Nachbarn sich dieser weiblichen Pracht auf Tuchfühlung nähern, während ihre in graue Ganzkörper-Umhänge gehüllten Frauen eifrig in den ausgelegten Mode-Zeitschriften blättern. Und - das muss ich zu meiner Ehren-Rettung sagen - ich bin nicht der einzige "Graue Panter", der sich der Dienste von Milena versichert: Sie schneidet schnell und gut, und ist dabei keine Klatsch-Tante sondern auch kenntnisreiche, gevivte und mehrsprachige Unterhalterin.
Von Mal zu Mal erfahren wir mehr Dinge voneinander, was in Bezug auf ihr Leben im krassen Widerspruch zu ihrem Erscheinungsbild und möglicherweise mit ihnen verbundenen Unterstellungen steht.
Sie ist praktizierende Katholikin und Mutter eines fast erwachsenen Sohnes, der mit der Firmung deshalb so spät dran war, weil ihn die sehr aktive und strenge Kroatische Gemeinde Münchens im Vorbereitungsunterricht schlicht überforderte. Dazu hatte der in Deutschland Geborene einfach nicht ausreichende Kenntnisse seiner Muttersprache. Also wurde er kurzerhand in der Gemeinde "deutsch" gefirmt, in der Milena wohnt. Obwohl in der Nähe von Split zwei Häuser - eines am Meer, eines in den Bergen - auf sie warten, sieht Milena ihre Heimat allenfalls als Urlaubsland. Sie ist längst so integriert, dass sie für immer in Deutschland bleiben will.
Irgendwann - wenn wir uns noch besser kennen - werde ich ihr gestehen, dass ich immer - wenn sie mir beim Bartschneiden ganz besonders nahe kommt - an einen meiner Lieblingsfilme aus dem Jahre 1990 denken muss:
"Der Mann der Friseuse" von Patrice Leconte mit Jean Rochefort und Anna Galiena in den Hauptrollen. Er wird Heutzutage im Internethandel als Drama Angeboten ist aber in Wirklichkeit eine herrliche Satire auf die sexuellen Phantasien der Männer. Drama aber vielleicht deswegen, weil die Handlung mit der absurden Vorstellung spielt, Friseusen seien so unglücklich, dass sie unweigerlich Selbstmord begehen müssten...
Was ich Milena nicht erzählen werde, ist die Tatsache, dass einer meiner Freunde diesen Film stets seinen neuen Flammen vorgespielt hatte, um ihre Reaktionen darauf heraus zu finden. Die, die diesen aus sehr männlicher Sicht erzählten Film toll fanden, landeten ziemlich schnell und wohl auch befriedigend in seinem Bett. Geheiratet hat er allerdings eine Frau, die diesen Film für Blödsinn hielt.
Seine Ehe hält bereits mehr als 20 Jahre, und Milena wirkt wirklich nicht so, als werde sie jemals den Freitod wählen.
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